Über
die Hintergrundsbetrachtung des Anderen oder Gegenübers im therapeutischen
Prozeß
Einleitung und
Vorgeschichte
In unserem
Psychotherapeutenstammtisch schilderte ich zufällig, daß ich in meiner
Lehranalyse nicht dazu gekommen sei, mir nahestehende Personen (bis auf meine
Eltern) auf eventuelle Hintergründe ihres Verhaltens , dies auch als Folge
ihrer eigenen Entwicklung, kritisch zu betrachten und zu durchleuchten. Das
hätte ich erst sehr viel später gemacht. Ich hatte ausschließlich mich selbst
und meinen Hintergrund betrachtet. Eine Kollegin meinte, die Frage stelle sich
mir, weil ich mich mit Familientherapie beschäftigt habe. Eine andere Kollegin
sagte dezidiert, das sei nicht Gegenstand der Analyse, das müsse man selbst
machen.
Da ich in meinen Therapien mir oft
Gedanken über potentielle Hintergründe von Eltern, Partnern oder nahen Freunden
der Patienten mache, diese Phantasien auch gelegentlich einbringe und diese von
Patienten oft bestätigt werden, hat mich diese Frage weiter beschäftigt. Für mich
gehört zur Eigenbetrachtung auch die Hintergrundsbetrachtung anderer, weil
deren Handlungsweisen als Folgen sich in mir bewußt und unbewußt wiederfinden
und niederschlagen, also Gegenstand der Selbstbetrachtung und Eigenanalyse
sind. Dies erhöht das Eigenverständnis und das Verständnis anderer. Ich meine
sogar, eine Selbstbetrachtung ohne eine Betrachtung des Umfeldes ist
unvollständig. Mit Betrachtung des Hintergrundes meine ich die aktuellen
Hintergründe, als auch die Entwicklungshintergründe, soweit ich davon erfahren
habe und eine Vorstellung entwickeln kann, was diese für Folgen haben
mögen. Auch bei der Empathie, des
Hineinversetzens in die Person des anderen, ist dessen Hintergrunderfassung
essentiell notwendig.
Bin ich dabei mehr zufällig auf ein
mögliches Defizit von analytischen Therapien gestoßen, für Therapieinhalte, die
für mich inzwischen Selbstverständlichkeit sind? Sicher ist dies für viele
Therapeuten kein Neuland und geschieht ebenso wie bei mir in vielen Therapien.
Aber anscheinend ist die Hintergrundsbetrachtung anderer nicht explizit Thema
der Lehr- und therapeutischen Analyse.
Auf einer internen
Fortbildungsveranstaltung des FAAP, des Frankfurter ärztlichen
Psychotherapeutenkreises, sprach ich diese Frage kurz an und, ob dies Thema einer
weiteren Veranstaltung sein könne. Ich erntete ziemliches Unverständnis. Eine
Bemerkung lautete "das könne man doch nicht so genau wissen", eine
andere, "das geschehe doch in der Übertragungsbearbeitung". Eine
Kollegin bemerkte, sie habe eine Borderline-Patientin, diese mache sich
ausschließlich Gedanken um andere. Aufgabe der Therapie sei, daß sie erst mal
mehr zu sich selbst komme. Dann wurde von Chaos gesprochen, und mutig sagte
jemand, "warum nicht, man könne doch mal eine chaotische Fortbildung machen!".
Der Tenor war, ich solle diese Frage doch etwas genauer formulieren. Dies soll
hiermit geschehen.
Meine eigene dort nicht formulierte
Antwort auf die spontanen Stellungnahmen, die meiner Ansicht nach den Kern des Problems spontan trafen, ist
nach nachträglichen Überlegungen, die ich nicht so schnell anstellen konnte und
mir erst durch den Sinn gehen lassen musste, etwa:
So genau kann man es wirklich nicht
wissen! Schon das Wissen um die eigene
Person stürzt viele in Konflikte, Verwirrung, Zerrissenheit und Ängste, Scham
und Schuld . Um wieviel schwieriger muß dann die Hintergrundsbetrachtung
anderer erscheinen. Andererseits im Falle von Verleugnungen und Verdrängungen
kann dies für das Gegenüber oder den Beobachter wiederum einfacher sein. In
diesem Zusammenhang erinnere ich an den Spruch „es ist leichter einen Splitter
im fremden Auge als einen Balken im eigenen zu sehen“. Aber ich kann mir Gedanken machen und
Phantasien bilden, die mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit haben können und
haben. Fakt ist, daß andere genauso wie ich selbst aktuell bewußte und
unbewußte Hintergründe haben, die sich im Verhalten konkret auf mich auswirken
und in mir Spuren hinterlassen. Das kann ich wissen. Wir alle haben
Entwicklungshintergründe, die prägen und ihre Folgen im Jetzt und in der
Zukunft haben. Das ist allgemeines menschliches Schicksal, und dies wird wohl
kaum jemand bestreiten. Im Alltag geschieht dies sowieso. Da heißt es oft, das
macht oder sagt er aus den… oder den… Gründen, meist im abwertenden Sinne, weil
er es nötig, Minderwertigkeitskomplexe hat und vieles andere mehr.
Auch aus Rücksichtsnahme und Taktgefühl
ist die Betrachtung und das Durchschauen anderer tabuisiert. Vor allem Eltern
tabuisieren die Motive ihrer Handlungsweise. Das Kind soll tun, was sie sagen,
und nicht sie infrage stellen. Gerade Menschen mit Problemen und psychischen
oder psychosomatischen Krankheiten fürchten besonders, daß sie durchschaut werden. Was könnte dabei heraus kommen? Was würden andere über sie denken? Natürlich
nur schlechtes, sonst hätten sie keine Probleme. Sie tun sowieso schon alles,
um ihr Inneres zu verbergen und gerade durch das Versteckenspiel werden sie
krank. Der Gang zum Psychotherapeuten ist einer der schwersten und geschieht
nur, wenn dies unumgänglich ist. Deswegen versuchen sie zuerst selbst und
alleine damit fertig zu werden und, wenn es halbwegs geht, wieder davon zu
kommen.
Zur Frage der Übertragungsbearbeitung:
In der Übertragung wird das Erlebnis früherer Personen an späteren Personen,
also auch dem Therapeuten, wiedererlebt,
spätere Bezugspersonen werden unter dem Blickwinkel früherer Personen erfasst.
In der Übertragungsbearbeitung geht es
ausschließlich um den Hintergrund des Patienten. Der Patient wurde aber durch frühere
Erfahrungen mit seinem Umfeld geprägt. Die Personen des Umfeldes, hauptsächlich
die Eltern, sind eigene Menschen und haben ihre Gründe und Hintergründe, warum
sie so oder so mit ihrem Kind umgehen. Über Hintergründe von Mutter und Vater
mache ich mir in der Therapie oft Gedanken und konfrontiere die Patienten mit
meinen Vermutungen. Das, was im Alltag wie oben erwähnt unter Erwachsenen
spontan passiert, vermittele ich dem Patienten und vermittele ihm bzw. hebe ihn
auf ein Erwachsenenniveau, das die Infantilität des Patienten durchbricht.
Die Prägungen des Patienten gehören in
den primären Bereich der Eigenanalyse und sind Gegenstand dieser, und sind
keine Erfassung der eigenständigen Persönlichkeit der anderen und deren
sekundärer Rückwirkungen auf die eigene Person. Man könnte also bei der
Selbstanalyse eine Betrachtung der Primärpersönlichkeit einschließlich der
Wahrnehmung dritter Personen und eine Betrachtung der Rück- und
Wechselwirkungen zwischen Personen und deren Hintergründe unterscheiden. Diese Wechselbeziehungen
finden naturgemäß während des ganzen Lebens statt und schlagen sich im eigenen
Selbst nieder. Folglich ist eine Selbstbetrachtung unter rekursiver
Einbeziehung der eigenständigen Fremdpersönlichkeiten eine realistischere und
reifere Form als die alleinige Selbstbetrachtung. Ich vermute, in der
alleinigen Selbstbetrachtung des Patienten auch unter therapeutischer Hilfe wird
das Tabu der Elternbetrachtung fortgesetzt und halte dies für eine unzureichende Therapie.
Finden dort keine Grenzziehungen und
Unterscheidungen zwischen den Personen statt, ist die Chaosbemerkung meiner
Ansicht nach berechtigt. Der Eine geht unabgegrenzt in den Anderen über, und
eine Unterscheidung zwischen den Personen ist kaum möglich, so wie es bei
vielen schweren Persönlichkeitsstörungen der Fall ist, deren Folgen Krankheiten
sein können. Die Betrachtung anderer, des Gegenübers und Dritter hilft bei
dieser Grenzziehung und verhilft zu einer eigenständigen und selbstbewussten
Persönlichkeit. Bei Konflikten und Krankheiten
geht es m .E. im wesentlichen
infolge mangelnder Selbstabgrenzung und -achtung um die autonome
Selbstbehauptung, etwa einer Magersüchtigen, die gerade im Verhungern sich
selbst zu behaupten versucht.
Ein Paradebeispiel der mangelnden
interpersonellen Abgrenzungen und als Folge des inneren Chaos ist der
Borderlinefall. Die Gedanken um die anderen und die Wahrnehmung anderer können
oft das Eigene oder eigener Anteile im Anderen sein im Sinne eines projektiven
Erlebnisses. Der Andere ist das Selbst, ein Selbstobjekt. Wie der andere ist,
was ihm recht ist, welche Erwartungen und Ansprüche er hat, das bin ich selbst
in ihm. Das kann er, muß er aber nicht sein. Unter Umständen bzw. sogar zu
dieser Störung gehörend wird der andere in seiner Person überhaupt nicht
erfaßt. Er ist ganz anders, will oft etwas anderes. Therapeutisch gilt es m. E.,
den Patienten auf die Unterscheidung zwischen sich und den anderen hinzuführen
und zu vermitteln, daß der Andere bzw. die Gedanken des Anderen, er selbst ist.
Was die Leute denken, die Peinlichkeit, Schuld, Blamage usw., wovor er sich
schützen müsse, daß er dies im anderen sei. Insofern findet eine
Selbstbetrachtung im anderen statt.
Diese aktuelle Spiegelbildung des
eigenen Selbst und der mangelhaften Unterscheidung zwischen den Personen ist
normalerweise ein Spiegel entwicklungsgenetisch früherer Beziehungen. Die frühe
Bezugsperson, oft die Mutter, unterliegt bei eigenen Bedrohungen ihres Selbst
durch frühere Traumatisierungen dem Abwehrmechanismus der Projektiven
Identifizierung, wie es oft in frühen, engen Objektbeziehungen und engen
unabgegrenzten Partnerschaften geschieht. Die Mutter projiziert eigene
bedrohliche Selbstanteile auf das Kind bzw. delegiert diese an das Kind, sodaß
sie diese am und im Kind erlebt. Durch die Identifizierung des Kindes, das
naturgemäß glaubt, was die Mutter glaubt, wird die Projektion mit sämtlichen
bedrohlichen Inhalten zum eigenen Selbst für das Kind. Da es sich um einen
Abwehrmechanismus handelt, geht es um bedrohliche Inhalte.
Die Mutter mag beispielsweise unter
derart hohen Druck stehen, etwa der Sorge um sich, eine gute Mutter zu sein,
alles richtig und keine Fehler zu machen, und um das Kind und dessen
bedrohlicher Entwicklung. Etwas falsch zu machen, ist häufig die größte Angst
und Bedrohung. Oft muß sie sich noch gegenüber den Vorwürfen der Umgebung, etwa
ihrer eigenen Mutter, der Schwiegermutter oder ihrem Mann behaupten und fürchtet obendrein die späteren
Vorwürfe des Kindes, meist auch auf dem
Hintergrund der Verinnerlichung ihrer eigenen Mutterbeziehung. „Du machst mir
soviel Ärger und Sorgen“, sie macht etwas am Kind fest, was von ihr selbst
ausgeht, und dieses macht es sich zu eigen und ist voll überzeugt, der Mutter
Sorge, Kummer und Ärger zu bereiten. In ihrer Angst vor den späteren vorwürfen
des Kindes stecken ihre eigenen Vorwürfe an die Adresse ihrer Mutter. Das Kind
ist Projektionslieferant für die Not der Mutter und wird sozusagen für deren
Nöte mißbraucht. Wenn hier nicht klar abgegrenzt wird, was von wem kommt, entsteht das reinste interpersonelle
Chaos. Und dazu halte ich die Betrachtung anderer und deren Hintergründe für
einen wichtigen Weg.
Insofern
führen die mehr zufälligen spontanen Bemerkungen mitten in das Thema.
Thematische
Zugangsmöglichkeiten
Ich
möcht einige typische Situationen schildern, um das Thema zu veranschaulichen:
Gegenübertragungsbearbeitung:
Die Gegenübertragung bietet dem Therapeuten mit seinen Gefühlen, Phantasien und
Handlungen eine Zugangsmöglichkeit zum Innenleben des Patienten. Sie ist Teil
einer szenischen Darstellung und nach analytischer Auffassung ein wertvolles
therapeutisches Diagnostikum für die innere Befindlichkeit des anderen, ein
Spiegel des anderen Selbst, selbstverständlich innerhalb des
Wahrnehmungsbereichs, der Auffassungen und der Persönlichkeit des Therapeuten,
insofern gleichzeitig ein Spiegel des Therapeuten.
Die Handlungsumsetzungen der
Auffassungen des Therapeuten und die Gegenübertragungsabwehrreaktionen nennt
man Handlungsdialog oder auch
negativ ausgedrückt Gegenübertragungsagieren. Bestehen beim Therapeuten eigene
Verdrängungen und Verleugnungen, also blinde Flecke, zum einen als eigene,
ursprüngliche Persönlichkeitsanteile, zum anderen als Folge der Identifikation
mit und mangelnder Abgrenzung von den Ängsten des Patienten, kann er die
bedrohlichen Inhalte nicht am und im Patienten wahrnehmen, und er neigt zur Vermeidung
der eigenen Bedrohung zum Handlungsdialog. -- Beispielsweise neigt ein Arzt,
der seine Gegenübertragungen und Reaktionen nicht auf den Patienten
zurückführen kann, bei einem Angst- und Herzneurotiker in Identifizierung mit
den Ängsten des Patienten zu immer weiter führenden körperlichen
Untersuchungen, um seine eigenen Ängste, ob nicht doch eine körperliche Ursache
für die Herzinfarktgefahr zu finden sei,
zu beruhigen. Oder ein Therapeut mag Medikamente verschreiben oder
Entspannungsübungen einflechten, ohne auf die Hintergründe des Patienten
einzugehen.-- Im Handlungsdialog ist die Probeidentifikation, in der der
Therapeut seine eigene Befindlichkeit erfasst und auf den Patienten zurück
führt, durch die Identifikation ersetzt. Er ist ein typisches Beispiel der
mangelnden Erfassung des anderen.
In einem weiteren Schritt kann die
Betrachtung des Ablaufs und der Hintergründe des Handlungsdialogs eine
therapeutische Chance bieten. Weiterhin besteht in der probeidentifikatorischen
Gegenübertragung und alternativen, unterschiedlichen, weniger oder nicht
bedrohlichen Bewertungen und Bedeutungen eine Chance für den Patienten zur
Neubewertung und somit zur Veränderung der inneren Realität und der emotionalen
Begleiterscheinungen, also zur emotionalen Korrektur.
Insofern wäre es therapeutisch nützlich, wenn
der Therapeut seine eigenen Zugangsmöglichkeiten zum anderen dem Patienten
nutzbar macht für dessen Erfassung anderer ihm naher Personen und somit zu
dessen eigener Selbstabgrenzung. Die Erfassung der konkordanten Gegenreaktion
des Therapeuten kann dem Patienten zum Vorbild werden für seine eigene
Konkordanz und Diskordanz für andere Personen.
Eine direkte Offenlegung und
Auseinandersetzung der jeweiligen Gegenübertragungen von Patient und Therapeut
im 1. Schritt mag für beide Seiten zu bedrohlich erscheinen und somit ein Tabu
sein. Der Therapeut mag eine Offenlegung in den Augen des Patienten ihm
unangenehmer Persönlichkeitsanteile fürchten. Während der Patient dies zwar
fürchten, aber sich auch aufgehoben wissen mag in der Akzeptanz und im
Verständnis des Therapeuten, muß der Therapeut sich dessen im Patienten
unsicher sein, weil der Patient infolge seiner entwertenden bilder und Realitäten
gerade Patient ist. Seine Hintergrundsbetrachtungsmöglichkeiten, die er evtl.
in der Therapie erworben hat, mag der Patient auch auf seinen Therapeuten
anwenden und ihm etwa Behandlungsfehler nachweisen, die er dann in seiner
bedrohlichen Sichtweise brandmarkt und nicht in verständnisvoller
akzeptierender Weise wie etwa „jeder kann mal machen und der Therapeut ist auch
nur ein Mensch.“. Infolgedessen, um nicht angreifbar zu sein, ist es gar zu
verständlich, daß der Therapeut sich bedeckt hält. Ebenso mag der Patient die
Offenlegung und die kritische Hinterfragung des Therapeuten fürchten, da er
meist die Erfahrung besitzt und dies wiederum in der Übertragung fürchten muß,
daß diese gegenüber den Eltern verboten ist und als Bumerang auf den Patienten
zurückkommt. Insofern ist dies für den Patienten erst möglich, wenn er spürt,
daß der Therapeut sich, seine potentiellen Fehler und ein Hinterleuchtung
akzeptiert.
Ein 1. Schritt zur Akzeptanz der
kritischen Hinterfragung mag die Hinterfragung anderer, dem Patienten naher
Bezugspersonen sein, die sich nicht direkt in der Therapie befinden und wo
nicht die unmittelbare Bezogenheit besteht. Über Dritte läßt es sich im
geschützten therapeutischen Raum durch die Ferne des Therapeuten zum Umfeld des
Patienten einfacher reden, weil deren unmittelbare Gegenreaktionen nicht zu
befürchten sind. Dort kann dieser Entwicklungsschritt geübt werden. Bleibt der
Patient allerdings dem Dritten loyal, ist dies für ihn, ähnlich wie die
Alltagssituation des Herziehens über Dritte, Lästerns und Stänkerns hinter
deren Rücken, verboten, wird ihm auch
dieser Entwicklungsschritt schwierig sein. Die Gefahr besteht, daß der
Patienten die Betrachtung anderer als Abwehrmechanismus für eine
Auseinandersetzung mit sich selbst benützt und nur noch über andere redet. Bei
einem in manchen Bereichen abgegrenzten Patienten ist dies jedoch etwas
grundlegend anderes als die oben beschriebene Dynamik beim Borderline. Dann ist
es Aufgabe des Therapeuten, den Patienten auf sich selbst zurückzuführen. Es
ist somit naheliegend, daß der Therapeut seine eigenen Zugangsmöglichkeiten zum
Hintergrundsgeschehen anderer dem Patienten für die Erfassung Dritter
zugänglich macht.
Eine ähnliche Situation wie die
therapeutische Gegenübertragung ist das Geschehen in Balintgruppen. Nach Vorstellung eines Patienten werden die
Phantasie-, emotionalen und Handlungsreaktionen der Gruppenmitglieder als
Diagnostikum für das innere und interpersonelle Geschehen und die
Befindlichkeit des Patienten gesehen. Es können Gefühle und Reaktionen wie
Mitleid, Verständnis, Hilfsbereitschaft, Ängste, Wut, Enttäuschung, Überdruß, Verbitterung und Abweisung und
Weitervermittlung auftreten. Diese Reaktionen können Seiten des Patienten
entsprechen, entsprechen aber ebenfalls konkordanten Seiten der jeweiligen
Gruppenmitglieder. Jedes Miglied reagiert entsprechend seiner Persönlichkeit,
die über den Patienten genauso wie über ihn aussagt.
Weiterhin erfaßt jeder Patient jeden
Therapeuten nach dessen äußerem bild und Verhalten anders, stellt seine
Selbstdarstellung im Verhalten darauf ein und wird somit vom jeweiligen Arzt
oder Therapeuten anders erfaßt, sodaß verschiedene Ärzte zu verschiedenen
bildern und Diagnosen kommen müssen. Jedenfalls sind die Persönlichkeits- und
auch Krankheitsdiagnosen trotz vieler Gemeinsamkeiten subjektiv und nie absolut
identisch.
Die Gegenübertragungserfassung ist
der 1. Schritt zur Empathie. Erst
durch die eigene Reaktion ist es möglich, im Hier und Jetzt sich Gedanken zu
machen, was im Inneren das anderen möglicherweise los ist und dies auf mögliche
Hintergründe abzuklopfen. Die eigene Trauer, Enttäuschung, Wut, Angst, Überdruß
und Hoffnungslosigkeit kann ein wichtiger Weg zur Erfassung des Innenlebens des
anderen sein. Auch kann dadurch ein Verständnis für den Patienten entstehen,
denn diesem ist es bei seinen frühen Bezugspersonen ähnlich ergangen wie jetzt
dem Therapeuten und dies kann ihm vermittelt werden, sodaß er Verständnis für
seine Situation und deren Entstehungsbedingungen erlangt.
Im Alltag können entwertende
Äußerungen und Mißachtung bei Betrachtung des potentiellen Hintergrundes des
Entwertenden völlig anders, oft sogar aufwertend verstanden werden. Oft geht
der Entwertung eine Aufwertung, ein Setzen auf einen Thron des Gegenübers,
voraus. Ein Mann mag sich überhaupt in seinem Selbstbild und dann erst recht
gegenüber einer für ihn attraktiven Frau
ganz schlecht vorkommen und muß zum Ausgleich und zur eigenen Aufwertung, diese
vom Thron stürzen und schlecht machen. Dies wertet ihn in seinem Selbstbild
auf. Hinzukommen kann, sein Begehren für ihn überstark wird, sodaß er sie
schlecht machen muß, um besser verzichten zu können ( wie in der Fabel mit dem
Fuchs und den Trauben ). Wie in dieser Fabel kann hinzu kommen, daß er sich in
seinem erfolglosen Begehren lächerlich vorkommt, diese Selbstentwertung nach
außen projiziert und in den Augen anderer fürchtet. Diese Reaktionen laufen
meist als unbewußter innerer Automatismus und ohne reflektierte Wahrnehmung ab. Schon in kleinen alltäglichen
Straßenbegegnungen können diese Automatismen ablaufen, sodaß jemand, der ein
mißachtendes Selbstbild in sich trägt, ein attraktives Gegenüber ignoriert,
indem er die eigene Mißachtung in die Ignorierung und Mißachtung des anderen umwandelt, sich
aufbaut und aus anderer Perspektive betrachtet sich somit für die Entwertung
rächt.
Bei Frauen spielt in unserer Kultur oft
eine Rolle, daß sie glauben, ein Pars-pro-toto, „Männer wollen nur das Eine“,
wofür sie sich dann zu schade und entwertet vorkämen „zu denen wollen sie nicht
gehören!“ und wiederum die Männer für ihre schamlosen Wünsche entwerten und
sich durch die Ignorierung vor einer beidseitigen Entwertung schützen. Oder
Frauen mögen sich besonders bieder kleiden, um dem Vorwurf zu entgehen, „flittchenhaft“
auszusehen.
Geradezu eine Erlösung kann die
Betrachtung von Hintergründen bei Vorwürfen
und Verletzungen bzw. Kränkungen bedeuten. Wie die Geste mit dem
vorgestreckten Zeigefinger zeigt, zeigen unter der Hand 3 Finger verdeckt auf
den Vorwerfenden zurück. Dies bedeutet eine verdeckte Kommunikation, wobei nur
der offene Zeigefinger sichtbar ist, und die 3 zurückweisenden Finger weder für
den Vorwerfenden, noch für den Adressaten äußerlich sichtbar sind. Der
Vorwerfende sieht die Schuld oder den Fehler ausschließlich am Gegenüber, aber
nicht inwieweit die Vorwürfe noch mehr mit ihm zu tun haben. Sieht dies der
Adressat nicht und dreht nicht die Hand um, bleibt der Vorwurf, der an sich
wenig mit ihm zu tun hat, an ihm hängen. Eine offene Kommunikation wäre für
mich eine Kritik, die mehr mit dem Kritisierenden und dessen Erlebnis des
anderen zu tun hat. Jemand, der in einem vorwurfsvollen Kontext aufgewachsen
ist, wird allerdings eine Kritik leicht als Vorwurf auffassen. Neben dem
Erlebnis des Vorwerfenden spielt also die Auffassung des anderen eine tragende
Rolle.
Ähnlich ist es bei narzistischen
Verletzungen, Herabsetzungen des Selbstbildes, die umso intensiver sind, je
mehr Ideal- und Größenbilder zugrunde liegen. Sie können ein Resultat von
Vorwürfen sein. Größenbilder bestehen als kompensatorische Reaktionsbildung vor
allem bei vorhandenen, aus der Kindheit stammenden Selbstentwertungen, also
inneren Verletzungen. Der Verletzte sieht die Ursache der Verletzung meist beim
Verletzenden und nicht bei sich selbst, seiner Empfänglichkeit, seinem eigenen
vorbereiteten selbstverletzenden fruchtbaren Boden, auf den die Verletzung
trifft. Ansonsten würde er sich nicht getroffen fühlen. Für ihn mag der andere
zwar etwas Böses und Negatives daran finden, aber er selbst nicht.
Bei Vorwürfen und Kränkungen auf der
einen Seite bzw. vorwurfsvollen und kränkenden Auffassungen auf der anderen
Seite ist die zwischenmenschliche Grenze aufgehoben. Der Eine dringt in den
anderen ein. Bei beiden Mechanismen ist die zwischenmenschliche Beziehung
getrübt. Nimmt der Adressat die Vorwürfe an, ist der Vorwerfende zwar
entlastet, sieht sich bestätigt und
steht wieder gut zum Gegenüber. Die interpersonelle Beziehung ist wieder gut.
Aber der Adressat steht mit sich selbst im narzistischen Clinch. Weist der
Adressat die Vorwürfe zurück, bleibt die Beziehung weiterhin getrübt. Deshalb
neigen vor allem Depressive zur Erhaltung der guten Beziehung und des guten Gegenübers zu Selbstvorwürfen.
Dazu ein klinisches Beispiel: Bei manchen Depressiven, psychosomatisch und organisch Erkrankten ist die
Therapie der reinste Seiltanz, und nicht nur die Therapie, denn sie stellt nur
einen kleinen Ausschnitt des Lebens des Gegenübers dar und läßt darauf
schließen, das es dem Patienten bei vielen Menschen ähnlich ergeht. Sie fassen
fast alle Aussagen des Therapeuten, wenn sie auch noch so gut und hilfreich
gemeint sind, selbstentwertend, vorwurfsvoll und verletzend auf, manchmal im
Wortlaut der Entwertungen des früheren Umfeldes etwa der Mutter.
Insofern
stellt die Krankheit oft eine gute Kompromißlösung dar, solange nichts besseres
zur Verfügung steht.
Bei biologisch und organisch
eingestellten Patienten und Ärzten stellt die körperliche Erkrankung geradezu ,wenn auch illusionär und selbstverletzend,
eine Erlösung und Entlastung von dem zwischenmenschlichen Wirrwarr von Schuld
und Vorwürfen dar, weil die Ursachen im Schicksal oder den Genen gesucht und gefunden
werden. Beispielsweise
brauchte eine Patientin nicht mehr böse und wütend auf sich selbst, ihre
Beschwerden und ihre Schwäche zu sein, als die Ursache in einem Lupus
erythematodes gefunden wurde. Ebenso war ein MS-Kranker von seinen
Selbstentwertungen und -vorwürfen und seiner Angst vor Bloßstellung seiner
Minderwertigkeit und seines Versagens geradezu erlöst durch die Krankheit als
Schicksal. Sie trat erstmalig in einer Situation auf, als er in seinem Leben
„weder ein noch aus wußte“. Ein vermeintlicher Schub versetzte ihn in die Lage,
ganz vernünftig, klar und deutlich die weiteren Schritte in Angriff und alle
Hilfsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
Ein
ähnlicher Trick zur allgemeinen Schuldentlastung stellt die biologische
wissenschaftliche medizinische Forschung dar, die Ursache der Depression in
einer Transmitterstoffwechselstörung zu finden. Sicher, da die
Informationsübertragung im Körper auf physikalisch und chemischen Weg
stattfindet, finden sich bei Veränderungen des Informationsflussses auch
meßbare Veränderungen in diesen
Überträgersubstanzen. Durch deren medikamentöser Beeinflussung ergeben sich oft
stabilisierende Wahrnehmungsveränderungen, die bei hoffnungslosen
Verclinchungen sicher ihre Berechtigung haben. Vergleichsweise liegt die
Ursache, wenn bei einem Telefongespräch der Hörer einen Wut-, depressiven oder
bulimischen Anfall bekommt, nicht an der Aussage des Sprechers und nicht an der
Auffassung des Zuhörers, sondern am Draht oder an der Luftübertragung von
Muschel zu Ohr. Wenn vor die Ohrmuschel ein Kissen gehalten wird und als
solches kann man Medikamente ansehen, bleibt der Anfall aus.
Neben der Schuldentlastung ist ein
weiterer Effekt die Entlastung von der Verwirrung. Jetzt weiß man, wo man dran
ist. Man hat eine klare Diagnose. Von der Medizin wird ein klarer
Behandlungsplan angeboten. Viele soziale Institutionen bieten ihre Hilfe an.
Das verschafft Sicherheit und Entspannung für alle Seiten, auf deren Boden
Körper und Geist regenerieren können. Die Verführung zur Krankheit und der sekundäre Krankheitsgewinn ist groß. Überhaupt
könnte man meinen, daß in einem völlig von den Ursachen her unklaren und
indifferenten Krankheitsgeschehen die Aufgabe des Arztes ist, ein klare,
eindeutige und unanfechtbare Diagnose zu stellen mit einem klaren und
erfolgsversprechenden Behandlungsplan. Dafür sind die operativen Fächer
besonders verführerisch. Das verschafft Beruhigung, Sicherheit und Entspannung,
auf dessen Boden die Selbstheilungskräfte mobilisiert werden können. Insofern
kann es völlig gleichgültig sein, was geschieht, Hauptsache, es geschieht etwas
und es besteht das Vertrauen in das Richtige. Das tut schon gut. Natürlich
müssen die Diagnosen und Behandlungswege auf einen für den Patienten und dessen
auf ihn Einfluß ausübenden Umfeldes annehmbaren Boden treffen, sonst kann er
dies nicht annehmen, und er geht eventuell zum Arzt seines Vertrauens hin, das
heißt zu dem, der in sein Weltbild paßt. Dazu werden alle Register der Medizin
gezogen, um das Vertrauen in den Arzt zu stärken.
Ich selbst halte die Schuld für eine
Abwehr der Scham. In einem allseitigen Geschehen, das und in dem etwas schief
geht, an dessen unglücklichem Ausgang mehrere beteiligt sind und das insofern
für alle peinlich ist, wird die Schuld an einem festgemacht, dem Sündenbock,
der zur Entlastung der anderen dient. Die Scham führe ich auf die Grenzenlosigkeit
zurück in verschiedenen Ebenen, sowohl in Über- und Unterwertigkeit, Größen-
und Minderwertigkeitsbild und dessen Bloßstellung, als auch der Aufhebung der
zwischenmenschlichen Grenze, wobei von Schamlosigkeit und Unverschämtheit
gesprochen wird. Zu ihr gehören Naivität, Lächerlichkeit, Peinlichkeit,
Blamage, Leichtgläubigkeit, alles zu glauben, was andere zu eigenen Lasten
einreden, und Undifferenziertheit zwischen den Personen, zwischen Phantasie und
Realität, etwa alle Gedanken sofort zu glauben, und dem mangelnden Überblick.
Infolgedessen besteht die Neigung, die
mangelnde Souveranität mit allbeherrschender Souvernatität abzuwehren, deren
Offenbarung wiederum Peinlichkeit erzeugt. Eine ähnliche Abwehrform der Scham
ist der Absolutismus und Totalitarismus, zwischenmenschlich die absolute
Rechthaberei, wenn sich in der subjektiven Sichtweise und Realität um das
objektive Rechthaben gestritten wird, nicht nur für sich selbst, sondern auch
gleich für die anderen mit recht zu haben, wie dies überall in Familien und den Wissenschaften stattfindet.
Aus dieser Sichtweise der Scham ist es eine
massive Grenzverletzung und somit absolute Unverschämtheit, die Hintergründe
anderer Menschen, von Krankheiten und die Naivität von biologischer
Wissenschaft bloß zu stellen, wie es mit diesem Artikel geschieht. Aus dieser
Sicht sollte man bei sich selbst bleiben, Takt bewahren und bei Hinterfragungen
sich bitte mit sich selbst bescheiden. Sollte aber das eigene innere Drama und
die Tragik über Grenzverletzungen zum Drama anderer führen wie bei Vorwürfen,
Verletzungen, Beherrschen und Kontrolle des Gegenübers, halte ich schon die
Hintergrundbetrachtung des anderen für berechtigt und oft zur eigenen Rettung
notwendig.
Einen anderen Zugang sehe ich in der
Unterscheidung zwischen Blindheit und Sehen. Bei der Projektion
besteht Blindheit gegenüber dem eignen Vorhandenen. Man will es unbewußt nicht
sehen. Dafür wird es im Gegenüber gesehen und erlebt, wo es nicht vorhanden
ist. Ebenso wie im eigenen Selbst ist das Nichtsehen und das Sehen, oft
Hellsehen bis zum 6. Sinn, im anderen bei dessen Hintergrundsbetrachtung zu
berücksichtigen.
Dazu möchte ich von der Erfahrung
berichten, daß Menschen klagen, sie könnten das nicht verstehen, sie selbst
fühlten sich so unsicher und ängstlich, aber alle behaupten, sie seien so
selbstsicher und souverän. In Therapien kommt auf meine Frage regelmäßig, was
denn sei, wenn man ihnen die Ängstlichkeit ansehe, „das wäre ja furchtbar, welche Blamage, sie
würden für verrückt erklärt, das würde ausgenützt...“. Ich selbst kann ihnen
oft auch nur die Souveranität ansehen. Sie sehen nicht ihre Außenwirkung.
Demgegenüber sind sie blind, weil sie ihre vermeintliche Blamage nicht sehen
wollen und die Augen verschließen, während sie etwas sehen, was nicht vorhanden
ist, nämlich ihr Selbstbild im Außenbild. Die Differenz von innen und außen,
Selbst- und Fremdbild sehen sie nicht. Sie sind blind, daß sie inzwischen
erfolgreich alles getan haben, die Bedrohung zu vermeiden, entsprechend ihrem
Idealbild von Souveranität, um nichts nach außen dringen zu lassen. Diese
mangelnde Differenzierung von Selbst- und Fremdbild findet sich oft bei
Angstpatienten. Das kann noch weiter gehen. Eine depressive Patientin
schilderte mir, daß sie in sich gedacht habe „ihr müßt doch merken, was mit mir
los ist, warum sagt keiner etwas“, und sie neige dazu, anderen vorzuwerfen, daß
sich keiner für sie interessiere - und wenn sie einer angesprochen habe, habe
sie alles abgestritten. -
Ein klassisches mythisches
tragisches Beispiel ist die Blendung des Ödipus, der (neben der
Selbstblendung als Selbstbestrafung) seine Schande in den Augen anderer
(Patzer) nicht sehen wollte, und sich deswegen blendete. Infolge seiner
Blindheit konnte er Verständnis und Mitleid nicht sehen. Nicht die Taten an sich, sondern die Umstände
hatten in den Augen der Umgebung Priorität.
Im griechischen Altertum wurde bei
Katasthrophen oder deren Bedrohung häufig blinde Seher aufgesucht. Der Terminus
und die mythische Darstellung der Blinden Seher weist auf die
alltägliche Problematik von Sehen und Blindheit hin. Gegenüber dem Sichtbaren
sind sie blind, sehen aber nicht sichtbares oder etwas, was andere nicht sehen
können. Dabei spielt der Zukunftsentwurf bzw. die Prophezeiung eine tragende
Rolle. Da der Mensch nach dem handelt, was er glaubt, was ist, seiner inneren
Realität, wird er eine bedrohliche Zukunft unter allen Umständen zu vermeiden
versuchen. Nach den Projektionen und Zukunftsvisionen wird gehandelt und durch
die Handlungen Realitäten geschaffen, die diesen Entwürfen entsprechen können.
Man spricht von einer selfful filling prophecy.
Am Beispiel der frühkindlichen Neurodermitis
möchte ich den tragischen Kreislauf aufzeigen, wie gerade die
Verhinderungsstrategie zur Bedrohung führt. Die Ängste und Spannungen der
Umgebung gehen naturgemäß auf das Kind über. -- Gründe und Hintergründe für die
Spannungen sind ein komplexes Geschehen. Dabei spielen eine Rolle: Verlustangst
- ich kenne Fälle, wo die ersten Kinder in der Schwangerschaft fast oder ganz
verloren gingen und beim nächsten Neurodermitis auftrat - , latente
Aggressionen der Mutter auf das Kind , etwa wegen des Kindes das eigenen Leben
aufgeben zu müssen, weil es eine Selbstverständlichkeit ist, voll und ganz für
das Kind da sein zu müssen, der ewigen Sorge und Fürsorge, und ihrer Schuldgefühle, überhaupt
Aggressionen zu haben. Spannungen innerhalb der Partnerschaft oder der
erweiterten Familie etwa der Mutter oder Schwiegermutter mögen sich auf das Kind
übertragen. -- Dies reagiert körperlich mit dem Grenzorgan der Haut. Die
Erkrankung steigert die Ängste der Eltern und ihre Spannungen übertragen sich
vermehrt auf das Kind und werden durch die Erfolglosigkeit der Bemühungen
wiederum gesteigert. Ich habe Eltern erlebt, die in den blühensten Farben das
traurige zukünftige Schicksal ihrers Kindes schilderten, und sich dieses als
ihr eigenes Schicksal zu eigen machten.
Wie sehr die Tabuisierung der von den
Eltern ausgehenden Ursachen verbreitet ist, konnte ich an einer Fernsehsendung
über Neurodermatitis erleben, wo sogar die Mutter selbst den Verdacht äußerte,
ob sich ihre Ängste nicht auf das Kind übertrügen. Der Arzt beruhigte sie, das
könne nicht sein. Hätte er dies nicht getan, hätte die Mutter noch zusätzlich
unter ihrer Schuld gelitten und ihre Spannung sich wiederum übertragen. In
einem Fall konnte ich in der Besprechung der Zusammenhänge und dem Hinweis,
Kind Kind sein zu lassen, am besten gar nichts zu tun und sich vor allem das
vermeintliche Schicksal des Kindes nicht so sehr zu eigen zu machen, einen
guten Erfolg erzielen. Aber welche gute Mutter kann das schon?
Ein Patient, der zu schweren
dissozialen Handlungen neigt, ist voll überzeugt, daß seine Ehefrau genau
Bescheid weiß, was mit ihm los ist, und findet es furchtbar, wenn sie mit
Fragen in ihn eindringt und in ihm bohrt, wo sie doch alles genau wisse - und
deswegen streitet er alles ab. Im
STERN wurde bei einem Bericht über Amokläufer von einem Fall geschildert, der
lange in der Psychiatrie sitzend, bestuntersucht, als Lehrer Bücher schreibend,
aber nie von seiner Überzeugung Abstand
nehmen konnte, daß man ihm seine Sodomie ansehe, nämlich dann wäre er einem
Wahn verfallen. Zu vermuten ist, daß er seine Untat als sinnlos angesehen
hätte, und dann seine Taten für ihn noch schrecklicher und sinnlos gewesen
wären. Die Straße war wohl für ihn der Ort der offenen Entblößung, und aus Wut
hat er deshalb blind um sich geschossen. Von diesen beiden schwer kriminellen
Fällen könnte man rückschließen, daß eine schwere narzistische Selbstentwertung
und somit Störung, eine Art innerer wahnhafter Seelenselbstmord, projiziert in
die Außenwelt, den Hintergrund bildet. In allen Fällen ist (mit verschieden
bedrohlichen Schwerpunkten) frühkindlich davon auszugehen, daß die wichtigste
Bezugsperson überzeugt war, dem Kind die Untaten anzusehen, das Kind alles tat,
diese zu vertuschen, aber sich mit der Mutter insofern identifizierte und
selber überzeugt war, daß man ihm die Blamage ansehe, aber dies gleichzeitig
nicht sehen wollte, und nicht sah, daß kein Mensch ihm irgendetwas ansah.
Der Kampf, daß unter allen Umständen
nichts angesehen und somit bloßgestellt wird, wovon man gleichzeitig überzeugt
sein kann, daß dies gesehen wird, kann zu einem existentiellen Überlebenskampf
und als Folge zu Krankheiten oder etwa zu einem Burn out-Syndrom führen. Als
Kommunikationsform spreche ich gerne vom Digitalen Dialog. Dabei geht es
darum, etwas darzustellen wie eine bestimmtes Image, Ruf, Eindruck, bild oder das Gesicht zu wahren und
Entwertungen nicht nach außen dringen zu lassen und sich nicht bloßzustellen.
Der Gegensatz ist der Analoge Dialog, wo ich mich darstelle, wie ich bin und
mir zumute ist. Dies geht aber nur, wenn nicht Bedrohungen zu verhindern sind.
Eine Depressive schilderte, ihr täte weh, daß
die Mutter denke, ihr Leben sei verpfuscht. Die Mutter hatte zu ihrer Entlastung ihr eigenes
vermeintliches Versagen auf die beruflich wohl erfolgreichere Tochter
projiziert, sie massiv entwertet, öffentlich bloßgestellt und unter Druck
gesetzt, um selbst als gute und erfolgreiche Mutter dazustehen. In der Pubertät
hatte sie ihrer Tochter oft vorgehalten, heiraten sei das das Schlimmste,
während sie selbst zum 2. Mal verheiratet ist. Die Tochter vermied in den Augen
der Mutter jegliche Männerbeziehung, sodaß die Mutter glaubte, ihre Tochter sei
Ende zwanzig noch Jungfrau, während sie heimlich „es mit Schwarzen trieb“, und
sie selbst glaubt, zum Lebensglück sei eine feste Männerbeziehung notwendig,
die ihr nicht gelinge und sie verzweifeln lasse. Jedes Wochenende liest die
Mutter ihrer Tochter Heiratsanzeigen vor. Man könnte unter vielen möglichen
Aspekten, etwa dem der Rache und Strafe für die Vorhaltungen, hinein und
herauslesen, daß die Mutter in ihrer eigenen unglücklichen Ehe der noch jungen
Tochter ihrer zukünftigen Möglichkeiten beneidete. In ihrer unterdrückten Wut
auf ihre Mutter, in der Verinnerlichung der Maßstäbe, der heimlichen Sabotage,
der Identifizierung an dem Leid der Mutter und ihrem eigenen schwarzen
Lebensentwurf ist sie zutiefst unzufrieden, vor allem, da sie voll mit dem Leid
der Mutter identifiziert ist und dies ihr eigenes Leid bedeutet.
Ein ähnlicher Fall der gegenseitigen
Verstrickung von Mutter und Tochter und Steigerung des Leides liegt bei einer
Mutter vor, die ihrer pubertierender Tochter die Drogeneinahme ansah. Wir
konnten in der Therapie den möglichen Fortgang antizipieren. Eine gute Mutter
müsse natürlich ihre Tochter warnen und
kontrollieren, die Tochter zur Erhaltung ihrer Autonomie die Kontrollen
unterlaufen und beweisen, daß Drogen nicht so gefährlich seien. Bei
Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen müsse die Mutter an ihrem Versagen leiden, die
Tochter sich am Leiden der Mutter schuldig fühlen und, schon einmal auf diesem
Weg, ihr Leid durch durch Drogen erträglich machen. Wie so oft führen die
Verhinderungsbemühungen tragischerweise gerade zum Leid.
Zu erheblichen Konflikten etwa in
Partnerschaften oder Eltern-Kind-Beziehungen können ungeschriebene Gesetze
bzw. Selbstverständlichkeiten
führen, die sich von selbst verstehen, nie in Frage gestellt wurden und deshalb
nicht artikuliert werden. Sie werden traditionell über Generationen vererbt. Da
jeder Partner andere Traditionen und Hintergründe verinnerlicht hat, können bei
mangelnden Austausch und Akzeptanz oft in Partnerschaften erhebliche
Dissonanzen entstehen, deren Ursachen nicht verstanden werden können. Für den
einen sind sie selbstverständlich, der andere kennt sie nicht. Derartige
verbreitete Gesetze und als Folge automatische Verhaltensweisen sind etwa, auf
Fragen zu antworten, Bitten und Erwartungen zu erfüllen, bei Hilfsbedürftigkeit
zu helfen, ohne an sich selbst zu denken für das Wohlergehen anderer da zu
sein, jeder hat seinen Schmutz selber zu beseitigen oder die Hausfrau für alle,
keinerlei Familienkonflikte nach außen zu tragen. Es können auch Ansprüche
sein, zu wissen, was man will, jederzeit das Richtige und Beste zu tun und sich
richtig zu entscheiden. Die falsche Entscheidung ist die größte Bedrohung. Für
die Richtigkeit der Entscheidung, etwa Fehler entscheidet das Ergebnis und
nicht der Zeitpunkt der Entscheidung, wo es nicht besser gewußt wurde. Oder
Richtschnur ist, daß der Mann auf die Frau, der Sohn auf die Mutter zuzugehen
habe und nicht umgekehrt.
Widersprüche, Ambivalenzen,
Zweideutigkeiten, Wechselhaftigkeit dürfen nicht sein. An verbotene Dinge darf
nicht einmal gedacht werden. In allen Selbstverständlichkeiten und Gesetzen
sollen Bedrohungen verhindert werden. Durch sie entstehen tragischerweise neue
Bedrohungen, da Charakteristikum dieser Gesetze ist, daß derjenige entwertet
wird, der sich nicht danach verhält und ihnen automatisch folgt, zum
Gesetzesbrecher und Verräter wird, ihm Dinge vorgeworfen werden, die er nicht
kennt. In der Alltagssprache spricht man auch von „Fettnäpfchen“, die oft überall
aufgestellt sind.
Die Verschiedenartigkeit dieser
Hintergründe und Sichtweisen derselben Sache wird oft nicht gesehen, sogar daß
es diese überhaupt geben kann, sondern nur die Übertretung gebrandmarkt. In
allen Fällen wird die Autonomie beschnitten und Protest, Verweigerung und
Kampf, vor allem, wenn diese nicht den eigenen inneren Gesetzen entsprechen,
herausgefordert. Gerade bei den Gesetzen wird die Subjektivität nicht gesehen,
und es ergibt sich eine Machtkampf und Zerstrittenheit um das objektive Rechthaben,
ein Kampf ohne Ende.
In der Erziehung werden diese
Gesetze dem Kind, einem unbeschriebenen Blatt vermittelt, daß sich mit ihnen
identifiziert und so beschrieben wird. Durch die Prägung entsteht der
Charakter. Eltern wollen normalerweise für ihr Kind das Beste, das, was sie für
das Beste halten. Die inneren Gesetze sind, vor allem sobald sie über
Generationen weiter gegeben werden, Reaktionsbildungen und Verhütungsmaßnahmen
früherer Bedrohungen.
Je mehr die Eltern von Ängsten und
Sorgen besetzt sind, desto rigider und eingreifender müssen sie auf das Kind
einwirken und das Beste erzwingen. Inhalte der Sorgen können sein, alles
richtig , keine Fehler zu machen in Sauberkeit, Ernährung, Krankheits-
Unfallgefahren, ein anständiges, höfliches, rücksichtsvolles (Rücksichtsnahme
für die anderen, nicht für die eigene Person), tüchtiges, erfolgreiches Kind
heranzuziehen, Ein Mißerfolg ist das Versagen der Eltern, „blamiere mich
nicht“, eine narzistische Besetzung. Dies entspricht jedoch vielfach nicht je nach
Entwicklungsphase den Wünschen und Vorstellungen des Kindes. Sie dürfen nicht
sie selbst sein, wie es die Eltern auch nicht durften. Das Image, der gute Ruf,
Eindruck, Gesichtwahren, wobei das Äußere mit der ganzen Person gleichgesetzt
wird, sind die Lebensziele (Digitaler Dialog).
Vor allem wenn die Eltern in einem absoluten
Weltbild leben, in dem keine verschiedenen Welten, Sichtweisen, Interessen und
Positionen Platz haben, Kinder sofort zu gehorchen haben, keine Zeit und
inneren Raum bekommen, sind Konflikte besonders in den
Entwicklungsschwellenphasen wie der Trotzphase und Pubertät geradezu
vorprogrammiert.
Wenn verschiedene Welten zumindest im
Bedrohungsfall nicht existieren dürfen, werden dem Kind eigene Welten und
Erlebnisse abgesprochen „bildest dir ein….“ und fremde Welten untergeschoben,
etwa daß die bösen, schlagenden Eltern gute, fürsorgliche Eltern sind, so wie
diese von sich selbst glauben, sodaß das Kind an sich und seinem Erleben
zweifeln und verzweifeln muß. Es entstehen die weit verbreiteten Kämpfe um das
absolute und objektive Rechthaben, obwohl eigentlich jeder für sich recht hat,
aber nicht gleich für den anderen mit. Durch diese andauernden Kämpfe,
Unterstellungen, Stigmatisierungen wird das Klima unerträglich, sodaß
Fluchttendenzen und die Verlustangst immanent sind.
In welch anderen Welten als in der
vorhandenen Realität viele Menschen leben, mag der Kinsey-Report aufzeigen. Bei
einer Befragung eines Querschnittes der
Bevölkerung über ihre Sexualitätsausübung kamen ganz andere Antworten, als die
Bevölkerung glaubte, wie die Sexualität aussehe. Sicher, wenn die Leute ihre
Form der Sexualität offen gelegt hätten, hätten sie fürchten müssen, für
anormal oder pervers gehalten zu werden, sodaß jeder schwieg und glaubte, mit
seiner Sexualität der einzige zu sein.
Ähnlich ergeht es vielen
Angstneurotikern. Da sie ihre Ängste für eine Blamage halten, offenbaren sie
sich nicht, sodaß jeder glaubt, nur er hätte Probleme, die anderen nicht. Diese
Asymmetrie, als einziger unter Ängsten zu leiden, verstärkt die Ängste. Alle
sind um ihr Image, Ihr Gesicht, ihren guten Ruf oder den guten Eindruck bemüht
(Digitaler Dialog im Unterschied zu
Analogen Dialog, wo jeder sich zeigt, wie er ist und ihm zumute ist). Oft ist
schon der Bann gebrochen und Selbst- und Fremdbild korrigiert, wenn erlebt
wird, daß es anderen ähnlich ergeht. Allein schon der Digitale Dialog zeugt von
einem absoluten Weltbild, so als ob alle das gleiche Weltbild hätten, jeder zu
jedem Zeitpunkt das Gleiche glaubte, in der Vermeidungsstrategie oft die
reinste Quichotterie, wo wiederum die Naivität und Lächerlichkeit gefürchtet
werden müssen.
Ebenso wie bei der Betrachtung des
eigenen Selbt- und Weltbildes halte ich die Betrachtung der Form Weltbildes des anderen wegen der Rückwirkungen für grundsätzlich
zentral. Vom differenzierten und integrierten Weltbild
unterscheide ich das Absolute
Weltbild. Dies kann große Teile oder kleinere von Bedrohungsinhalten
geprägte Teile der Persönlichkeit erfassen. Unterschiede, Subjektivitäten,
verschiedene Interessen und Positionen, Mehr- und Vieldeutigkeit in Inhalten
und Personen dürfen wegen der Unsicherheiten, Unberechenbarkeiten und darin
steckenden Bedrohungen nicht sein. Linearität, Geradlinigkeit, Normen, Regeln,
Gesetze, Berechenbarkeit sind die Leitlinie und verschaffen vermeintliche
Sicherheit. Etwa wie in Religionen gibt es nur eine und eine einzige Wahrheit.
Ihre Anzweiflung bedeutet Bedrohung, etwa wegen eines erbitterten
Religionsstreits. Dazu gehört auch das gespaltene bzw. Spaltungsweltbild
wie entweder - oder, gut und böse, richtig oder falsch, alles oder nichts usw.
Die existentielle Bedrohung fährt wie
ein Donnerkeil dazwischen und trennt unvereinbar und unverbunden Inhalte,
Persönlichkeitsanteile und ganze Personen und Personengruppen. Der Zusammenhang
und Bezug geht verloren im Gegensatz zur Polarisierung, wo wie bei der Erde das
meiste sich zwischen den Polen befindet. Zum Absoluten Weltbild rechne ich den
Pars pro toto, Teile für`s Ganze, dazu. Ein Teilaspekt ist die Gesamtheit - es
gilt nicht, jedes Ding hat mindestens 2 Seiten - oder eine
Persönlichkeitsanteil stellt die ganze Person dar, etwa die sichtbare Fassade
ist die Gesamtperson, Image gleich Person, und die unsichtbaren und unbewußten
Persönlichkeitsanteile werden negiert.
Ich erinnere daran, daß ein Aufschrei durch die Welt ging, als S. Freud das
Unbewußte und dessen Macht postulierte.
Wie mehrfach erwähnt halte ich das
Absolute und Spaltungsweltbild für eine Abwehr- und Schutzmechanismus von
existentiellen Bedrohungen. Im Alltag können die Bedrohungen durch die
unterschiedlichen Sichtweisen, Bewertungen und Bedeutungen entstehen. Die
gleiche Sache, die der Eine für normal und selbstverständlich hält, ist für
andere eine katastrophale Bedrohung. Etwa Schwächen und Fehler zu haben, ist
für die einen selbstverständlich und mindert in keiner Weise die Selbstachtung
- und was eine Schwäche oder ein Fehler ist, ist subjektive Definitionssache -
für andere eine Katastrophe.
Bei vielen Menschen bedeutet, nicht
normal zu sein, die Bedrohung, und normal zu sein, verschafft Sicherheit und
Beruhigung. Nicht umsonst wird im Alltag ständig von normal und anormal
geredet. Vor allem Phobiker und Angstneurotiker messen sich in ihrer
Subjektivität an Normen und nicht an sich selbst.
Für diesen Vorgang der bedrohlichen
Überbewertung - bei geringerer Ausprägung könnte man von Hysterie oder
Dramatisieren sprechen - halte ich den Begriff Katastrophisieren für zutreffend. Viele Menschen sprechen bei
alltäglichen Dingen ständig von schlimm und sehr schlimm. Vor allem in
Religionen spielt dies eine große Rolle, etwa wird Apfelessen in der biblischen
Schöpfungsgeschichte durch die Zuschreibung der Bedeutungen zur Erbsünde, oder
der übliche Vorgang der Onanie zur Todsünde.
Dies Katastrophisieren erkläre ich
mir einerseits infolge der Idealisierung, gegenüber dem die kleinste Schwäche
eine Katastrophe ist und auf dem Hintergrund früherer katastrophaler
Erfahrungen, auch früherer Generationen, die im Erfahrungsschatz weiter gegeben
werden und die in Gegenwart und Zukunft immer wieder gefürchtet werden. Wie am
Abwehrmechanismus der Projektion beschrieben, können sie projiziert und
verschoben überall auftauchen. Die Erfahrungen mit KZ-Überlebenden zeigen die
Weitervermittlung an spätere Generationen. Die Erfahrungen mit früheren
Katastrophen wie Naturkatastrohenn, Kriegen, Vertreibungen, Hungersnöte finden
sich in späteren Generationen in verwandelten Ängsten wieder und sind Spiegel
früherer Erfahrungen.
Im Vorangegangenen habe ich
versucht, potentielle Hintergründe und
Zusammenhänge an Beispielen zu illustrieren. In einem komplexen Geschehen, dem
sich von den verschiedensten Richtungen genähert werden und das aus den
verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden kann, halte ich die Betrachtung
ausschließlich von einer Person und dessen Hintergründen für unzureichend. Der
Spiegel des anderen Selbst im eigenen und rückwirkend des eigenen im anderen,
die Rekursivität und Zirkularität, und dessen Betrachtung und Verständnis halte
ich für essentiell notwendig. Dies ist ein interpersonelles Geschehen im Hier
und Jetzt. Die Grundsteine werden in der Vergangenheit gelegt durch die
verinnerlichten Objekte, deren Welt- und Personenauffassungen und den daraus
erfolgenden Beziehungen untereinander. Die Betrachtung der Vorgeschichte halte
ich für wichtig zum Verständnis der Gegenwart, aber ohne die Betrachtung dieser
führt sie wenig weiter. Träume sind Teil des Innenlebens einer Person und sagen
über dies Innenleben aus.
Durch
die in der Vergangenheit und die Erfahrungen erworbenen Bewertungen,
Bedeutungen und Zuschreibungen wird die Gegenwart sozusagen zu einem Traum und
das Betrachten der Realität zu einem Aufwachen aus diesem Traum. Der Mythos der
Vergangenheit wird zum Gegenwartsbezug und zur Zukunftsvision. Entscheidend ist
für das Gegenwartsempfinden der Zukunftsentwurf. Sind Hoffnungen und Zuversicht
vorhanden, wird eine unangenehme Gegenwart erträglich. Liegen Hoffnungslosigkeit, Aussichtslosigkeit und
Hilflosigkeit zu Veränderungen vor, ist die angenehmste Gegenwart unerträglich.
Konflikte und Krankheiten gruppieren sich um eine Vermeidung einer bedrohlichen
Zukunft., ähnlich wie Entwicklung und Erziehung auf die Zukunft ausgerichtet
sind.