Bernd Holstiege
Psychosoziale Hintergründe beim
Leistungsversagen
1. Einleitung<
Mit psychischen Zusammenhängen,
d. h. den Vorgängen
im Innenleben des Einzelnen, den Vor- bzw. Einstellungen, den Denkinhalten und -schemata, den Phantasien
und den damit verbundenen Folgezuständen emotionaler Art,
die jenach Bewertung Freude, Stolz, Ärger, Angst, Scham oder Ekel
sein können, beschäftigen sich Sportler und Ärzte höchst ungern, soweit ess ich
um deren negative Seiten wie Krankheiten und Versagen handelt. Die positiven Seiten, die von sportlichen Erfolgen ausgelösten Stimmungen stellen dagegen für den Sportler einen besonderen Reiz dar, und auch
für Ärzte können Erfolge ,ihrerSportler
überidentifikatorische Vorgänge positive Seiten haben. Im Gegensatz
zu diesem individuellen, psychischen Geschehen ist unter
,,psychosozialdas zwischenmenschliche Geschehen zu verstehen, die Beeinflussungen der Psyche des Sportlers durch seine Umgebung, durch Trainer, Familie, Medien und die Rückwirkungen des Sportlers auf
seine Umgebung.
Im Sinne eines pragmatischen Vorgehens sind die Begriffe "Phantasie“ und ,,Realität" zu unterscheiden,
wobei die Macht der Phantasie als
Beeinflussung und Veränderung
der Realität an einigen Beispielen verdeutlicht werden kann.
Ein Trainingsfreund, der als Jugendlicher Radrennen fuhr, berichtete mir, sie seien von ihrem
Trainer zum Kurbeln in harten Gängen (
Kette rechts) angehalten worden. Im Rennen selber hätten
sie dann aber nichts mehr
zuzusetzen gehabt. Jetzt schwört er auf das überwiegend hochfrequente Fahren. Er wollte dieses Jahr unter die 10 besten deutschen Triathleten vorstoßen. Leider ist
er verletzt - vielleicht auch aufgrund zu hoch
gesteckter Leistungsziele.
Oft wird
zuwenig gesehen, daß das
Training aus zwei Komponenten besteht, der Anspannung und der Regeneration. Das linear – kausale Denken, nur hartes, umfangreiches Training führe zum Leistungszuwachs,
hat leicht zum einen eine körperliche
Überbelastung des orthopädischen Apparates
und Verletzungen, zum anderen auf Dauer auch eine psychische
Überbelastung ( Streß, Quälerei) mit Unlust
und Demotivation zur Folge. Wenn dann keine Erholung gestattet wird, oft aus der
Phantasie, nur Härte gegen sich
selbst, führe weiter, entsteht eine oft uneingestandene Angst vor jeder Trainingseinheit.
GeradeMenschen mitausgeprägtem Härte- und Leistungsdenken können sich ihre
Ängste wenig eingestehen und sind
dann den Folgen hilflos ausgeliefert. Übermäßige Angst führt zu Verspannung
und Verkrampfung und teils über eine Mitinnervation
der antagonistischen Muskulatur zu vermehrter
orthopädischerBelastung.
Es spielt sich so ein ,,circulus
vitiosusein.
4. Die Angst vor dem Formverlust
Weiterhin erscheint mir
vor Wettkämpfen die Angst vor dem Formverlust eine gravierende Rolle zu
spielen, so daß dann bis kurz vor dem Wettkampf zu hart und zu umfangreich
trainiert wird und infolge mangelnder Regeneration sich diese Angst bestätigt. Harald
Schmid hob diese Angst auf einem Sportärztekongreß hervor und vertrat sogar
ernsthaft den Standpunkt, daß bei guten Trainingsvoraussetzungen sogar
14-tägige Bettruhe nicht zu Formverlust führe. Diese Angst wurde von den
Kongreßteilnehmern mit keinem Wort aufgenommen. Sie taucht jedoch bei mir selbst immer
wieder hartnäckig auf, und ich muß mir jedesmal die Realitäten vor Augen führen.
5. Entwicklungspsychologische Aspekte
Zur Erklärung von Ängsten und Leistungsdenken möchte ich auf entwicklungspsychologische Aspekte zurück greifen. Angstlichkeit, Sorgen und Warnungen in den verschiedensten Bereichen der Primärbezugspersonen, d. h. der in der Kindheit am meisten anwesenden und somit bilder prägenden Personen, werden aufgenommen und, da sie auf eine noch nicht reflexionsfähige Person treffen, übernommen. Solange sie nicht einer Realitätspriifung unterzogen werden, schwingen sie im späteren Leben mit und wirken sich auf das Nerven- und Organsystem aus oder kommen z. B. in hypochondrischen Ängsten zum Ausdruck. Davon weiß sicher jeder Arzt ein Lied zu singen, wenn ein Patient auf eine schmerzende Stelle verweist, kein Befund zu erheben ist und die Befürchtung oft in abstruser Form das tragende Element ist. Weiterhin ist eine kontraphobische Reaktion typisch - es handelt sich ja ursprünglich nicht um eigene, sondern von den Primärpersonen übernommene Ängste - sozusagen erst recht das Gegenteil und die Unbegründetheit der Ängste zu beweisen, so daß in diesem Leistungsbeweis die eigenen körperlichen und psychischen Grenzen nicht mehr wahrgenommen und überschritten werden. Bei ungünstigen Konstellationen scheint mir die frühkindliche, zwangsläufige Situation des völligen Ausgeliefertseins an und der Prägung durch die Bezugspersonen das größte menschliche Trauma zu sein. Kompensatorisch werden Größenphantasien, -ziele und -ideale eingesetzt, wozu sich die Mythenbildung im Leistungssport besonders eignet, die als Maßstab dienen und deren zwangsläufige Enttäuschung bzw. der Fall gleichzeitig gefürchtet wird (Ikarossyndrom, Sätze wie "Kann nicht gut gehen‘, ,,Hochmut kommt vor den Fall".
6. Die Anpassung der Leistungsziele: Optimierung statt Maximierung
Als Folgerung plädiere
ich dafür, das Leistungsziel an den gegenwärtigen körperlichen und psychischen
Möglichkeiten anzusetzen und nicht an einer Topzeit oder einem Sieg. Damit
macht man sich nur übermäßig verrückt und das Leben schwer, obwohl dies bei
unserem gesellschaftlichen Leistungsdenken immer wieder eines guten Zuredens
bedarf. Dazu möchte ich die Begriffe Leistungsoptimierung = Leistung im Einklang mit körperlichem, psychischem und sozialem
Wohlbefinden und als Gegensatz Leistungsmaximierung = Leistung ohne Rücksicht auf diese Parameter einführen.
Das Triathlontraining ist
zeitaufwendig, und deshalb ist es notwendig, daß das Ziel der Tätigkeit dort
steht, wo die meiste Zeit verbracht wird, nämlich im Training selbst, in der
Freude an der körperlichen Betätigung und möglichst auch in der zwischenmenschlichen
Kommunikation, dem Gedankenaustausch mit mittrainierenden Freunden während des
Trainings. Anders ausgedrückt, wie bei einer Wanderung sollte der Weg das Ziel
sein, nicht die Bergspitze oder die Kneipe am Ende. Letztere können Nebenziele
sein, ähnlich wie die Leistung im Wettkampf oder der Erfolg. Deswegen ist es
notwendig, das Training überwiegend mit Freude zu gestalten und nicht knallhart,
obwohl dies auch Freude bereiten kann, oder selbstquälerisch. Dann wird das
Training zum Streß, und Streß ist bekanntlich gesundheitsschädlich. Ich möchte
ein anderes bild anbieten. Wer sein Leistungsmaximum frühzeitig erreicht, kann
sich nur noch nach Bestätigung strecken, oder es geht abwärts. Unterhalb der
Leistungsgrenze geht es eher aufwärts.
7. Empfehlungen
Abschließend und als
Folgerung aus dem Dargestellten möchte ich Empfehlungen über den Umgang mit
sich selbst und den eigenen Phantasien und Reaktionen aussprechen. Der Versuch
des Selbstvertrauens in den eigenen Körper und die eigenen
Trainingsvoraussetzungen mit aktiver Regeneration vor Wettkämpfen und das
Hineinhorchen in den eigenen Körper - im
Unterschied zur ängstlichen hypochondrischen Selbstbeobachtung - schafft vor allem auf eine längere Zeitdauer hin gesehen bessere
Ergebnisse. Klaus Klaeren meinte auf dem Hanauer
Symposium 1986: ,,Spitzentriathleten unterscheiden sich vielleicht von einem
genauso Trainierten und Talentierten, daß sie auch mal einen Tag, wenn sie
sich nicht so wohl fühlen, im Training aussetzen können.“ Der Versuch des
gelassenen Abwartens kann vor allem im Ultraausdauerbereich sehr hilfreich sein,
d. h. eigene Körpereindrücke erstmals als Phantasien und Eindrücke zu nehmen,
Wenn ich mich während mancher Wettkämpfen nach meiner augenblicklichen
Befindlichkeit und meinen Phantasien gerichtet hätte (z. B. beim 100km-Lauf:
,,Schon nach 20 km harte Beine und jetzt noch 80 km, wie soll das werden?‘) und
nicht einfach locker weitergemacht hätte, wäre manches ausgezeichnete Ergebnis
nicht zustande gekommen. Von Dave Scott habe ich gehört, daß er sich bemüht,
nicht an die Länge des Wettkampfes in Hawaii zu denken, sondern fortwährend
locker zu bleiben. Allerdings, der kleine Unterschied in der Nuance ,,Nur ja
nicht daran denken!“ beinhaltet schon die vermehrte Angstspannung, während der
Gedanke ,,Mal probieren, mal sehen!‘ Lockerung
beinhaltet. Von ,,Versuch“ spreche ich deshalb, weil dies oft nicht so einfach
ist, und die Gedanken mit den entsprechenden Körperreaktionen erst mal
vorhanden sind.