Ironman mit Vorfeldkomplikationen - sozusagen als Experiment

 

Wie einige von Euch wissen, wurde letztes Jahr Ende August bei mir Blasenkrebs diagnostiziert. Einige Sportkumpels in meinem Alter haben Prostatakrebs entwickelt. Was man doch so alles im zunehmenden Alter entwickeln kann?! Deswegen habe ich auch letztes Jahr das Sommerfest in meinem lauschigen Garten abgesagt, da ich im Krankenhaus operiert wurde. Der Urologe sagte, ich wäre noch so gerade davon gekommen, also wohl nicht lebensverkürzend. Da der Krebs nachwachsen soll, bekam ich zehnmal Chemo in die Blase, sieben mal gut vertragen, danach bekam ich Probleme d.h. eine unangenehme Blasenentzündung, am stärksten bei der letzten Chemo Mitte April.

 

Den ganzen Winter bin ich ab November etwa 40km in der Woche gelaufen, aber mit den nächsten Problemen, Schmerzen im linken Knie, so daß ich langsam lief, so wie es gerade ging. Ab dem Alter 49 waren beide  Knie zunehmend sehr anfällig. Wettkampfmäßig bin ich in Mörfelden die Marathonstaffel für Spiridon mitgelaufen, 10 km etwa 54min, und Mitte März die 30km am Winterstein in 3.03, ein bei mir beliebter Lauf. Anschließen flog ich mit Peter Olschewski, früher kurz PSV-Mitglied, und dem Ultratriathleten Martin Schytil nach Mallorca. Aber nach 3 Tagen schmerzte das Knie und in der Wade wurde es dick und schmerzhaft. Schon vorher konnte ich nicht im Stehen fahren, das aber wenig beachtet. Radfahren hatte bisher meinen Knien meist gut getan und Beschwerden gebessert. Außerdem hatte ich nicht aufgepasst, war Martin ins Hinterrad gefahren, gestürzt und das Kettenblatt hatte am rechten Knöchel eine offene Verletzung verursacht. Bis Ende März hatte ich gut 1300km geradelt. Trotz des schönen, warmen Winters hatte ich keine Lust zu radeln und die Rolle liebe ich noch weniger.

 

Dann pausierte ich erstmal, aber die Beschwerden wurden eher schlimmer, dazu noch das andere Knie und ein ähnlicher Schmerz an der anderen Wade, wahrscheinlich Ischiasausstrahlungen, wobei ich im Rücken nichts merkte. Dann kam noch die schwere Blasenentzündung dazu. Ich war völlig lahm gelegt, konnte nur noch meinem anderen Hobby fröhnen, sonntags in der Gruppe Motorradfahren.

 

Nun hatte ich mich ja beim Ironman angemeldet. Jeder riet mir davon ab, und ich war schon halb entschlossen, mich abzumelden. Dann dachte ich „ wart’ erst mal ab“ und begann Mitte Mai ganz vorsichtig ohne Druck wieder zu laufen und zu radeln. An meinem Triarad brachte ich mir ein 3er-Kettenblatt an, um locker die Steigungen hinauf kurbeln zu können. Da das linke Gripshift nur für 2er-Kettenblätter ausgelegt war, brachte ich dort ein rechtes an. Druck vertrugen das Knie und die Wade nicht. Zunehmend ging es besser, und die Knie- und Wadenbeschwerden ließen langsam nach. Ende Mai beschloß ich, mich nicht abzumelden, und es einfach zu versuchen. Ich wusste, Ausdauer habe ich, aber einfach nicht die Kraft und die orthopädische Resistenz, schnell zu radeln und zu laufen. Beim Laufen war ich äußerst lahm, meist 7ener Tempo. Ich schaffte 3 Wochen knapp 300km, ein paar mal über 100km, und im Schnitt 30km Laufen, insgesamt bis Ende Juni gut 1300km Rad. Inzwischen war ich trotz der 6wöchigen Pause recht zuversichtlich, es zu schaffen, ohne mich zu sehr zu quälen. Peter Habeth, früheres PSV-Mitglied und zweimaliger Organisator des Nikolaus-Duathlon meinte noch vorher, das hätte er mit so wenig Training nie gewagt. Er hatte sich ja auch wegen Beschwerden abgemeldet.

 

Am Donnerstag zog ich erstmals meinen Neopren an und stoppte meine 100m-Zeiten, um die 2min. Eigentlich müsste ich im Schwimmen um die 1.25 schaffen, dachte ich, wusste aber, dass ich in den letzten Jahren langsamer gewesen war. Meine früheren Schwimmzeiten im Ironman waren meist 1.13 gewesen. Bei der Radabgabe unterhielt ich mich noch mit Ulf Bosch, einem früheren PSV-Mitglied, der beruflich inzwischen in Shanghai ist. Dort sei das Training schwierig und die Luft schlecht. Ich war gar nicht aufgeregt, schlief in den Nächten vorher gut, ging am Vorabend früh ins Bett, nahm sicherheitshalber eine Valium 10, stand kurz nach 4 auf uns fuhr mit meinem Wagen an die Berlinerstraße, um dort in den Bus einzusteigen. Am See hatte ich noch genügend Zeit.

 

Beim Schwimmen hatte ich anfangs mit Luftnot zu kämpfen und später hatte ich trotz Magnesium eine Krampfneigung. Ansonsten halte ich Schwimmen für anstrengend und langweilig. Zu Krämpfen neige ich seit gut 10 Jahren beim längeren Schwimmen, egal ob auf 4 oder 11km. Ich kam in 1.35 aus dem Wasser, nicht gerade schnell. Neben mir rannte Tim Gondorf zum Rad. Das Neoprenausziehen dauerte unverhältnismäßig lange, und ich radelte verhalten los. Bald überholte mich Tim und bald darauf Ali. Als ich über die Brücke der Hanauer kam, sah ich die rote Fahne und das Schild „keep slow“ und peng! mit einem lauten Knall fuhr ich auf der Vorderradfelge und wäre fast gestürzt. Ich hatte zwar neue Schläuche montiert, aber den einen offenbar verdreht oder eingeklemmt. Der Schlauch war in großer Länge gerissen und der Reifen von der Felge. Am Reifen und der Felge konnte ich keine gravierenden Defekte erkennen. Ich monierte einen anderen, aber am Hühnerberg merkte ich, ich hatte einen Schleicher, fast platt. Also den nächsten, aber letzten Schlauch hinein. Ich wunderte mich, wie viele Radfahrer jedes Mal an mir vorbei fuhren, also war ich doch nicht ganz hinten. Weiter oben am Hühnerberg hielt ich noch mal an, weil ich meinte, ich hätte schon wieder einen Platten. Nur mit Anschieben kam ich weiter. Hinter Hochstadt hatte ich einen Radservice gesehen, aber leider nicht angehalten.

Das weitere Radfahren verlief verhalten problemlos. Das Knie und die Wade behinderten mich überhaupt nicht. Bei schnellerem Fahren hatte ich auch mehr gezogen als getreten. Ach ja, ich hatte beim Frühstück am Morgen noch eine Ibuprofen 400 zur Entzündungshemmung genommen. Der Jubel und die Begeisterung waren mir ein Vergnügen. Ich versuchte meist die entgegen gehaltenen Kinderhände abzuklatschen und freute mich über die Aufschreie der Begeisterung. Nur die ständigen Bitten um Radflaschen konnte ich selten erfüllen. Schon in Bad Nauheim wurde ich von dem Führenden überrundet. Hinten stand Raphael auf dem Hemd, ein mir unbekannter Name. In der 2. Runde hielt ich dann an dem Radservice an, ließ den Reifen besser aufpumpen und bat um einen 26er Schlauch, den ich als Service für die Altersklassentriathleten von Fahrrad Böttgen spendiert bekam. Ich brauchte ihn nicht mehr. In der 2. Runde fuhr ich oft völlig alleine, ab und zu überholte ich jemanden. Meine Ausdauer war also recht gut, kein Wunder bei der langjährigen Ausdauerbetätigung, aber leider fehlte die Kraft, die ich im Alter verloren habe und die ich bei dem wenigen und druckschwachen Training nicht aufbauen konnte.

 

In einiges über 7 Stunden kam ich im Radziel an und lief langsam los. Es ging auch ganz gut, langsames 7er Tempo. Peter Olschewski lief gleich in langer Hose und Rucksack mit mir. Die Begeisterung an der Strecke war fast unbeschreiblich, ständig ertönte es „Bernd, Bernd, Klasse, sensationell, Du schaffst es“ o. ä., von Fremden, die den Namen an der Startnummer lasen, und von Bekannten und Freunden. Die Berkersheimer mit Freimut Frohne flippten regelrecht aus. Die müssen heiser geworden sein! Ich hörte, das war sehr anstrengend. Auf die Dauer wurde es mir sogar etwas viel. Erst in der letzten einsameren Runde war ziemlich Ruhe, und ich konnte mehr die Romantik der Stadt in der einbrechenden Dunkelheit auf mich einwirken lassen. Peter begleitete mich nach der 1. wieder die letzte Runde. Ich lief kontinuierlich langsam, hielt an den Ständen an, aß und trank, ab und zu ging ich mal kurz. Zwischendurch wurde ich von Tim Gondorf überholt, der schon 2 Bändchen mehr hatte und von Jürgen Strott, ein Bändchen mehr. Ali lief oder ging auch zeitweilig in meiner Nähe, eine Runde weiter. In der 2. Runde bekam ich eine Krampfneigung, kippte am Stand eine Reihe Becher Iso herunter und dann war Ruhe. Krämpfe waren mir 2 mal bei Triathlons passiert. Als ich damals jemanden mit einem Gartenschlauch den Garten spritzen sah, habe ich den Schlauch in den Mund gesteckt und nur geschluckt. Dann war es vorbei. Aber die letzte halbe Runde war ich kaputt, das Laufen wurde anstrengend, und ich wurde noch langsamer.

 

Nach 15.38 Stunden lief ich unter unbeschreiblichen Jubel auf dem Römerberg im Ziel ein. Alte Freunde Prof. Georg Neumann, der viel über Triathlon geschrieben, Vorträge gehalten und geforscht hatte, vor allem im Ultrabereich, auch einen Vortag am Vortag, und seine Frau Anni, die die Dopingproben abgenommen hatte, empfingen mich im Ziel. Sie überredeten mich zu einer Infusion, die ich annahm, da ich früher gutes über die Regenerationswirkungen gehört hatte. Meine Frau Christa und Peter kamen hinzu. Es gab noch was zu essen. Leider war ab 11 Uhr die Dusche geschlossen, und ein Finisherhemd gab es auch nicht mehr. Christa wollte nach Hause. Ich musste auf Bier verzichten, kippte noch ihren kleinen Rest hinunter, und wir setzten uns ins Auto. An der Bockenheimer Landstraße hatten wir unerwartet plötzlich eine Fahrzeugkontrolle. Ich hatte nur photokopierte Papiere dabei und musste blasen. Ergebnis 0.0 Promille. Ich wäre durch Schlangenlinienfahren aufgefallen, und es würde nach Alkohol riechen. Ich erklärte dem jungen Polizisten, ich hätte die Fahrbahn gewechselt und wohl nach dem Ironman völlig kaputt Koordinationsschwierigkeiten. Er fragte nach der Zeit und ließ uns fahren. Da habe ich Glück gehabt, dass ich fast nichts getrunken habe, da ich oft mit wesentlich mehr Alkohol im Blut von den Stammtischen heim fahre. Christa meinte hinterher, er hätte wohl unsere Zigarillos gerochen.

 

Ich bin zufrieden, dass ich es geschafft habe, meine 21. Langdistanz, wenn auch mit der schlechtesten Zeit. Ja, ja das Altern und die Wehwehchen. Ich darf mich nicht mit denen vergleichen, die das Glück haben, ohne Probleme noch voll reinhauen zu können wie der Eiserne Willi Mennig, Jürgen oder meine Alterskollegen Gerhard Nießner und Winni Schmidt. Aber für mich hat das auch gute Seiten. Ich brauche nicht mehr für große Ziele hart zu trainieren, vertrage es sowieso nicht, gerate weniger unter Leistungsstress und kann just for fun mitmachen. Jetzt habe ich noch Muskelkater, vor allem das Aufstehen nach dem Sitzen fällt schwer, aber Treppen gehen ganz gut, wenn auch etwas wackelig. Von Knie und Wade merke ich nichts weiter, Ironman als Therapie.

Weiteres über meine Sport- und sonstigen Aktivitäten könnt Ihr auf meiner Homepage   www.bholstiege.de nachlesen.

 

Bernd Holstiege am 3. Juli 07