Alltagskonflikte im Spiegel uralter Mythen   

 

            Die Anfänge dieses Aufsatzes stammen aus dem Jahre 1997.  Gerade, im März, weiterhin im Oktober 05, sitze ich an einer Überarbeitung und Erweiterung.

 

            Bei der Arbeit mit Patienten kommen mir immer wieder bestimmte jahrtausende alte Mythen in den Sinn, und je mehr ich sie von verschiedenen Seiten betrachte, desto mehr drängt sich mir der aktuelle Wahrheitsgehalt in den verschiedensten Facetten und Schattierungen auf. Ich halte Mythen für aktuelle, harte Realität im alltäglichen Konflikt- und Krankheitsgeschehen, womit wir Ärzte und Psychotherapeuten zu tun haben. Sie zeigen mir, wie sehr der Mensch über die Jahrtausende hin sich in seinen urmenschlichen Grundkonflikten treu geblieben ist. Meiner Ansicht nach spiegeln Mythen die Folgeerscheinungen und -zustände der Traumatisierung und somit der Angst vor der Bedrohung wieder und zeigen somit auf, daß über die Geschichte hinweg die Menschheit häufig traumatisiert ist. Nach neurobiologischen Erkenntnissen - ich lege Singer zugrunde, weiteres in dem Aufsatz über Neurobiologie - ist der menschliche Geist in seinem phylogenetischem Werdegang in seinen Mustern und Reaktionen vordringlich auf das Überleben ausgerichtet. In der Traumatisierung liegt eine Todesbedrohung zugrunde, die überlebt wurde und als weitere Bedrohung in den Nervenzellen verankert bzw. eingebrannt ist, sodaß sie in alltäglichen Situationen überall gefürchtet wird. Heute sind die Märchen und Mythen für mich eine Parabel der Traumatisierung, Angst und Bedrohung.

             Menschen, die sich mit menschlichen Konflikten beschäftigen wie Psychoanalytiker und -therapeuten, haben darin eine Tradition, Märchen, Mythen und Fabeln zur leichteren Veranschaulichung  hinzuzuziehen. An meinem ersten Psychotherapiearbeitsplatz an einer psychotherapeutischen Kurklinik in Isny-Neutrauchburg haben die dortigen Analytiker  immer wieder Parabeln hinzu gezogen. Ähnlich wie der Hofnarr eher ungestraft eine unakzeptable und, von jemand anderes ausgesprochen, schockierende Wahrheit ansprechen darf, so ist die nackte Wahrheit in mythische Form verkleidet, auf andere handelnde Personen übertragen, die wiederum nicht so nahe sind und in denen man sich in entschärfter Form wiederum wiedererkennen kann, in diesem Zusammenhang und in dieser Form der Erzählung eher akzeptabel. Die Interpretation und Übersetzung ist freier und läßt mehr Spielraum als die direkte Erzählung der unverkleideten, nackten und oft schockierenden Wahrheit. Auf dem Umweg über Mythen ist eher ein Abstand zur Alltäglichkeit zu finden, diese neutraler und unvoreingenommener zu betrachten und leichter, sich menschliche Gesetzmäßigkeiten klar zu machen.

                Außerdem sind die früheren Naturkatastrophen wie Dürre, Stürme, Überschwemmungen, Hitze und Kälte nach Klimaveränderungen und Naturphänomene wie Gewitter, Pflanzenvergiftungen, (Geschlechts)Krankheiten, denen sich der Mensch hilflos ausgeliefert sah und noch heute trotz erheblicher naturwissenschaftlicher Fortschritte ausgeliefert sieht, durch menschliche und göttliche Gesichter eher distanzier- und faßbar und somit entängstigend. Zwischenmenschliche Katastrophen, die durch ihre automatischen und unbewußten Handlungen ablaufen und deren Gründe ebenfalls nicht erfaßt werden können, sind als menschliche Gesichter leichter ertragbar. Auch kann man mit ihnen eher verhandeln und sie etwa durch Opfergaben versöhnlich stimmen. Den Ursprung zwischenmenschlicher Katastrophen sehe ich in den Naturkatastrophen, deren Verhinderung und denen daraus erfolgenden Geboten und Verboten  und den sich daraus ergebenden Übertretungen zu zwischenmenschlichen Konflikten führt, und den daraus sich ergebenden Sozialisationsveränderungen, etwa der Übergang von einer Jäger- und Sammlergesellschaft zu seßhaften Gesellschaften mit anderen notwendigen Regeln.

                Die durch die Natur verursachten Katastrophen führen oft zu vom Menschen verursachte und in der Folge narzißtische Katastrophen. Da die Naturkatastrophen immer wieder im Alltag gefürchtet werden, werden sie in alle möglichen Alltagssituationen hinein gesehen, siehe die biblische Schöpfungsgeschichte. Etwa durch mangelnde Hygiene, Sauberkeit und früher nicht bekannte Krankheitserreger verursachte Krankheiten und Seuchen führen zu Krankheitsängsten, das Unbekannte wird im Alltag gefürchtet und sie werden mit aseptischer Hygiene, Reinheit und Sauberkeit beantwortet.  Frühere Vergewaltigungen, Zwiste durch Untreue führen zur Stigmatisierung des Mannes oder der Frau als der/die Böse und werden mit sexueller Enthaltsamkeit, Jungfräulichkeit und priesterhaften Männer abgewehrt, die für Männer und Frauen eine einzige Katastrophe darstellen. Das Übertreten ist von Ängsten, Drohungen, Strafen, Schuld und Sünde begleitet, die eine narzißtische Bedrohung darstellen.

                Ein Weg des Zugangs ist, menschliche und zwischenmenschliche Zusammenhänge zu erfassen und die passenden Mythen dazu zu suchen. Ein anderer Weg ist, die Mythen auf ihre Versinnbildlichung hin zu betrachten und zu suchen, wo sie sich im Menschen und seinem Alltag wiederfinden und diesen wieder spiegeln. Mythen in ihrer Versinnbildlichung könnte man mit Träumen vergleichen, die ebenfalls einen Ausdruck und Spiegel des Alltags darstellen.

                Sigmund Freud und seine Nachfolger haben in der Ödipussage den Urkonflikt und in ihr das Thema und den Spiegel der uralten Rivalität zwischen Vater und Sohn und der intimen Beziehung zwischen Mutter und Sohn gesehen. Nach ihm ist der Begriff des Ödipuskomplexes im Volkstum verankert.

            Von den größeren Sagen sind für mich vor allem der Ödipusmythos und die Bibel eine Fundgrube von aktuellen Aussagen über menschliche Konflikte, (falls ich die Bibel als Sage und nicht als religiöse Wahrheit betrachte), wahrscheinlich deswegen, weil ich sie, wenn auch recht unvollständig und fragmentär, am besten kenne und sie mir deswegen am meisten in den Sinn kommen. Ich habe mir z. T. bewußt nicht die Mühe gemacht, noch einmal in den griechischen Sagen oder in der Bibel nachzulesen, weil das Wenige, das ich noch aus meiner Kindheit und Jugend weiß, schon eine Fundgrube von verschiedensten Einfällen und Deutungen darstellt, und ich nichts forcieren möchte, sondern in meiner analytischen Art mich meinen spontanen Einfällen überlasse und dann einiges aufschreibe.

Neben dem von Freud herausgearbeiteten Themen sehe ich in der Ödipussage

1. das Thema des Sohnesmordes,

2. als Folge der Erfahrung das der Prophezeiung bzw. der Antizipation oder des Zukunftsentwurfes auf dem Boden einer unheilvollen Vergangenheit,

3. als Folge zur Erlangung von Schutz und Sicherheit als Gegen- und Überlebensreaktion und -muster das der Verhinderungsstrategie und gerade dadurch ermöglichten Erfüllung, so daß der erwünschte Schutz erst das Trauma ermöglicht im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung,

4. die Thematik der zwischenmenschlichen Abgrenzung der Bewertungen und Bedeutungen "sich selbst im Auge des Anderen zu sehen",

5. der Bedeutung des Inhaltes und des Rahmens bzw. der Umstände, Zusammenhänge und Hintergründe, die in späteren Zeiten und Umständen nicht gesehen werden und aus den früheren Erfahrungen übertragen werden, sodaß zwischen früher und heute nicht differenziert werden kann, die Blinden Seher und

6. überhaupt der Rätselhaftigkeit des Menschen im Rätsel der Sphinx. Diese Themen werden im griechischen Mythos deskriptiv als schicksalhaft menschliche Zusammenhänge ohne Auswege beschrieben.

In der Bibel kommt noch

1. das Gottesthema und der Göttlichkeit im Menschen (obwohl auch im griechischen Mythos die Grenzen verwischen, jedoch als Hybris bestraft werden, siehe die Überschrift am Apollotempel in Athen „gnothi s’auton“ „erkenne Dich selbst“, sinngemäß als Mensch und nicht als Gott)) als Besitzer der absoluten und einzigen Wahrheit, die der Abwehr der Traumatisierung dient. Der schwer traumatisierte Mensch ist sozusagen ein Zwitterwesen, ein Mensch-Gott.

2. das der Erbsünde und

3.  das Festmachen des ursprünglichen Traumas in Alltagssituationen, wobei Alltäglichkeiten zu Verbrechen oder Sünden hochstilisiert werden. (sog. Triggersituationen im PostTraumatischenBelastungsSyndrom)

4. das Thema der zwischenmenschlichen Abgrenzung, umgekehrt zu "sich selbst im Anderen sehen", "den Anderen in sich selbst sehen" mit der Schamabwehr in Schuld.

5. als Folge das des irdischen Jammertales und

6. der Erlösungsmythos hinzu. Der Erlösungsmythos macht wohl den Unterschied von Mythos und Religion aus, obwohl er sich in weniger absoluter Form etwa in deutschen Märchen wie Dornröschen oder Aschenputtel wiederfindet. Andere Mythen, Märchen und Erzählungen möchte ich nur auszugs- bzw. spotartig erwähnen. Im griechischen Mythos ist die Vorgeschichte der grausamen und katastrophalen Ereignisse noch erwähnt, wenn auch die Hauptgeschichte die Geschichte der Folgeerscheinungen erzählt. Im Mythos als Religion, der Bibel ist die Vorgeschichte des Wortes Gottes völlig verleugnet bzw. tabuisiert. Dem wird eine absolute Wahrheit im Sinne der Verhinderungsstrategie zum Schutz und zur Sicherheit entgegen gesetzt, an der keinerlei Zweifel erlaubt sind. Und gerade das Durchbrechen der Abwehrstrategie, das zum Menschen als Urneigung dazu gehört, vor allem, da Sinn und Zweck nicht benannt sind, wird zur erneuten Traumatisierung und Katastrophe für die Menschheit. Dies sehe ich als die eigentliche menschliche Tragik.

Ich möchte noch erzählen, wodurch ich zu Anregungen kam. Ich las in einem Roman von Manuel Garcia Marquez in einem Nebensatz "die Jungfräulichkeit in der bürgerlichen Ehe". Mir ging spontan ein Licht auf, nicht nur in Südamerika, sondern auch bei uns, das Gegensatzpaar Nonne und Hure und das Rotlichtmilieu. Später las ich einen Bericht über die Beschneidung bzw. Sexualverstümmelung in Afrika.  Ziel ist, anständige und treue Ehefrauen zu gewinnen, auf dem Hintergrund der Überzeugung, daß Frauen ansonsten mannstoll und sexversessen seien. Ich dachte dabei an die beinahe unglaubliche Treue und Duldsamkeit von Frauen und Männern in Ehen. Als ich mal wieder in einer katholischen Kirche war, hörte ich den Pfarrer Jesus zitieren "ich bin der Weg und die Wahrheit" und mir fiel dazu ein "wenn jemand von sich behauptet, ich bin der Weg und die Wahrheit, verehren die einen ihn als Guru oder Gott, die anderen kreuzigen ihn". Bei der Veranschaulichung des Unglücks der absoluten Wahrheit und des Verlustes von Selbstbestimmung und Freiheit sagte ich ketzerisch vor der Tür "ich bin für die Kreuzigung!". Die Tatsache, daß Banalitäten und Alltäglichkeiten zu Todsünden erhoben werden wie Apfelessen in der Bibel, hat mich schon lange beschäftigt. Ich wurde selbst in meiner Jugend in meiner katholischen Erziehung mit Selbstbefriedigung als Todsünde konfrontiert und habe das jahrelang gebeichtet, bis ich das Ganze doch für zu blödsinnig hielt. Als Jugendlicher fiel mir eines Tages ein bzw. ich griff die Anregung irgendwoher auf  "es gibt die verschiedensten Religionen und jede behauptet von sich, die eine und einzige Wahrheit gepachtet zu haben. Mehrere einzige Wahrheiten kann es nicht geben. Also kann etwas daran nicht stimmen!" Unter dieser Erkenntnis litt meine Religiosität, und ich bin, als die Kirchensteuerzahlung relevant wurde, aus der Kirche ausgetreten.

             Die angeführten Themen sind selbstverständlich nur künstlich getrennt. Sie fließen ineinander über, da sie in meinen Augen zur menschlichen Natur gehörende Reaktionen auf die Traumatisierung darstellen.

Unter Traumatisierungen verstehe ich schreckliche existentiell bedrohliche Erlebnisse, die das menschliche Fassungs- bzw. Integrationsvermögen übersteigen wie Naturkatastrophen, Kriege, Vertreibungen, Vergewaltigungen und in der individuellen Kindheit (später im begrenzten Rahmen) Mißhandlungen, sexueller Mißbrauch, Unfälle, schwere Erkrankungen des Kindes selbst oder wichtiger Bezugspersonen, verbunden mit Schuld, Sünde, Scham, Verachtung, Lächerlichkeit, sogenannten narzißtischen Bedrohungen, und überhaupt des Verbotes von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung.

               

                Ödipussage

 

                Die blinden Seher

                Die Blinden Seher stellen im menschlichen Leben den Zusammenhang zwischen katastrophalen Vorerfahrungen, der Traumatisierung, und dem darauf basierenden Zukunftsentwurf dar. Die Vergangenheit hat sich dermaßen stark in die Neurone eingeprägt, daß sie hellseherisch in die Zukunft geworfen, in ihr prophezeit und antizipiert wird, jegliche Differenzierungen verloren gehen und gegenüber anderen möglichen hoffnungsvolleren Ausgängen und Ereignissen unter anderen, späteren Umständen Blindheit besteht.

                Nach unheilvollen Ereignissen wurden im Altertum Seher in Tempeleinrichtungen, den Orakeln aufgesucht zur Prophezeiung der Zukunft und der Beratung des Weisen mit dem Ziel, eine Verhinderungsstrategie der katastrophalen und bedrohlichen Vergangenheitserfahrung zu ermöglichen. Die Einrichtung des Orakels zeigt auf, inwieweit die Vergangenheitserfahrung bzw. Vorgeschichte als Grundlage und Maßstab für den Zukunftsentwurf dient.  

                Leider werden oft genug gerade durch die Prophezeiung und einer Kette unglücklich erscheinender Ereignisse die Prophezeiung ermöglicht, deren Mechanismen ich näher untersuchen möchte.

                Ebenso ging  der Vater von Ödipus nach katastrophalen Vorerfahrungen in der besten Absicht vor, als Folge der Vorerfahrung prophezeites drohendes Unheil zu verhindern. Diese Seher waren typischerweise blind. Der Bekannteste und damals weltberühmt war Theiresias am Orakel von Delphi. Oft wurde an die Weissagungen der Seher geglaubt und oft genug werden auch noch heute Wahrsager und Astrologen aufgesucht und deren Prophezeiungen in den Alltag eingebaut. Die Tatsache der Blindheit und des gleichzeitigen Sehens in die Zukunft, der Zukunftsprophezeiung läßt den verschiedensten Interpretationen Spielraum. Hellseherisch sind die Seher aufgrund der Vergangenheit im Zukunftsentwurf, vielleicht aus Erfahrung wissend, wie oft sich die Vergangenheit wiederholt, gerade infolge der Verhinderungsstrategie, blind sind sie gegenüber der Tatsache, daß die Vergangenheit Vergangenheit ist und sich nicht zwangsläufig wiederholen muß und die Zukunft aufgrund anderer Umstände und einem anderen Umfeld  anders aussehen kann. Jeder Traumatisierte ist so ein blinder Seher. Das Ritual wurde nach außen delegiert, um die Verantwortung und Schuld abzuwenden. Das Trauma muß für den Vater des Ödipus derartig schlimm gewesen sein, daß er sogar bereit war, seinen eigenen Sohn aufzuopfern.

                Voraussetzen möchte ich, daß der Mensch die Welt, ebenso sich selbst als einen Teil der Welt, mit  seinen eigenen persönlichen Augen sieht. In diese Sichtweise fließen die Position, demzufolge der Blickwinkel bzw. die Perspektive und oft genug die Interessen ein, weiterhin frühere persönliche Erfahrungen und die Übermittlungen der Erfahrungen früherer Generationen. Da jeder Mensch ganz individuelle Erfahrungen hat, die Vergangenheit eines jeden nicht der eines anderen völlig entsprechen kann, verschiedene Blickwinkel bestehen, sieht der betrachtete Gegenstand, etwa ein Bild, ein Mensch und ebenso die Zukunft ganz verschieden aus. Wird etwa ein Gemälde von mehreren Betrachtern beschrieben, fällt die Beschreibung je nach den Augen des Betrachters unterschiedlich aus.

Wird eine zwischen zwei Personen gehaltene Medaille betrachtet, sieht sie gesetzmäßig unterschiedlich aus, je nach Position des Betrachter und der zugewandten Seite. Falls jeder von beiden glaubt, daß das, was er sieht, sei die einzige Wahrheit, gerät er in Verwirrung, sobald er verschiedene Seite sieht. Falls dieser Mensch an die einzige, absolute und ewige Wahrheit glaubt, wird es ihm schwer gelingen, diese verschiedenen Seiten und Wahrheiten zu integrieren, d.h. zusammenhängend zu sehen, etwa daß zu jedem Ding mindestens 2 Seiten gehören oder ein Facettenauge aus vielen Facetten besteht, und zwar, wie das Beispiel der Medaille zeigt, eine sichtbare und eine unsichtbare bzw. in der Vielfältigkeit des Lebens, viele sichtbare und unsichtbare Seiten vorhanden sind..

So ergeben sich für jeden Menschen Hintergründe aus der Vergangenheitserfahrung und dadurch Zusammenhänge in der Gegenwarts- und Zukunftsicht und diese haben ein ganz persönliches Gesicht. Die Erfahrungen der Vergangenheit werden zum Gegenwartsbezug, werden leicht in der Gegenwart erlebt und in der Zukunft erwartet, dem Zukunftsentwurf. Durch die Erfahrungen und demzufolge den Augen bzw. der Wahrnehmung des Menschen ist die Realität also eine Konstruktion, eine Erschaffung der Wirklichkeit oder eine Realitätskonstruktion. Die Folge ist, daß es für das Subjekt Mensch keine absolute Wahrheit gibt. Ich flechte diese an sich selbstverständlichen Zusammenhänge ein, weil es für viele Menschen unerträglich ist, daß Realitäten und die Wahrheit eine Frage des Standpunktes, des Blickwinkels, der Vergangenheit, des Interesses zum jeweiligen Zeitpunkt sind. Jeder kennt, wie oft und wie sehr sich in der subjektiven Wahrheit in Familien und Wissenschaft um die objektive und absolute Wahrheit gestritten wird, ein Kampf ohne Ende um das Rechthaben.

                Der Mensch neigt dazu, unheilvolle, schmerzliche, bedrohliche Dinge nicht wahrzunehmen (Abwehrmechanismen u.a. der Verdrängung und Verleugnung) sowohl in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und ist folglich ihnen gegenüber blind ( Vogel-Strauß-Politik ).  Im Zukunftsentwurf wird er zum blinden Seher.  Nimmt  er andererseits die Vergangenheit  zum Maßstab für die Zukunft, dies halte ich für eine menschliche  anlagemäßige Eigenschaft, so wird er zukünftige Dinge sehen, die ohne diese Vergangenheit gar nicht wären. Er wird zum Hellseher. Jeder kann nachvollziehen, daß eine gute Erfahrung Hoffnung macht und eine schlechte diesbezüglich Hoffnungslosigkeit verursacht.

            Die Blindheit in der Gegenwart könnte auch unter dem Gesichtswinkel auftreten, daß im menschlichen Alltag nach einer unheilvollen Vergangenheit, etwa der Kindheit, durch Verdrängung und Verleugnung oft eine Blindheit gegenüber den tatsächlichen Ereignissen für Gegenwart und Zukunft besteht. Weiterhin sieht er die aktuellen und zukünftigen Realitäten nicht, weil er  ausschließlich mit der Verhinderungsstrategie beschäftigt ist und somit blind ist, was sonst noch sein kann. Ich nehme an, daß deswegen das Buch von Dale Carnegie „Sorge Dich nicht, lebe!“ seit fast Jahrzehnten ein Bestseller ist, weil der Mensch vor lauter Sorgen nicht zum Leben kommt. Diese Sorgen stammen aus der Vergangenheit und stellen  folglich den Zukunftsentwurf dar.  Dieser Sachverhalt  zeigt die Alltäglichkeit und Verbreitung von angstmachenden Prophezeiungen, im Volksmund den Sorgen.

                Da der Mensch nach dem handelt, was er glaubt, was ist und sein wird, gerät er in eine Zwickmühle, einen fast unauflöslichen Widerspruch. Einerseits ist die Zukunft prophezeit, er glaubt an sie und handelt entsprechend diesen Glaubens, andererseits will er sie um jeden Preis verhindern. Dies schließt sich gegenseitig aus. Falls er an die Zukunft glaubt, kann er nicht an die Verhinderung glauben, also  wird er diese bedrohliche Zukunft trotz und gerade infolge aller Verhinderungsstrategie durch seine Handlungen erfüllen. Es werden also durch die Projektion der Vergangenheit in die Zukunft Dinge gesehen, die ohne die Zukunftshellseherei nicht vorhanden wären, aber durch den Glauben und die Handlungsumsetzung neu geschaffen werden. Sie sind jedoch gleichzeitig das Alte, und die alte Erfahrung bestätigt sich. Vergangenheitserfahrung, Gegenwartserlebnis und Zukunftsentwurf und deren Bestätigung werden zu einem Teufelskreislauf, der sich aus sich selbst unaufhörlich bestätigt. Man spricht von selffulfilling prophecy. Bei bedrohlichen Entwürfen und deren Bestätigungen wird das Leben immer enger. Der Mensch hat alles klar vorausgesehen und somit recht mit seinen Voraussagen,  ist aber blind gegenüber dem Nichtvorhandenem, Offenen und Unwägbarkeiten, die nicht mit Sicherheit vorauszusehen sind.

 Der weitere Verlauf der Ereignisse zeigt sehr schön, wie im menschlichen Leben gerade durch die Verhinderungsversuche die Bedrohung sich erfüllt. Vatermord und Inzest wären ohne die Verhinderungsstrategie des Vaters von Ödipus wohl kaum passiert. Obwohl laut Erzählung der Totschlag mehr zufällig erfolgte, zeigt der Mythos, daß in der Traumatisierung Zufälle geleugnet und einer vorbestimmten, schicksalshaften Verkettung zugeschrieben werden. Bei der Vermeidung von Streit als Bedrohung etwa brechen die Aggressionen versteckt an allen möglichen Ecken und Kanten hervor und alle sind zerstritten, etwa im Phobiker- und Angstkontext. Da die Bedrohungen als Realitäten wahrgenommen werden, geht die Subjektivität verloren. In der subjektiven Wahrheit wird sich um die objektive gestritten, ein Kampf um Recht und Unrecht, Sieg und Niederlage, wie im Angstmilieu regelmäßig zu finden ist. Wenn der eine recht hat, muß der Andere unrecht haben. Der Frage mag im Einzelfall nachzugehen sein, was der Depressive, Angstneurotiker oder Psychosomatiker für Vorerfahrungen haben mag, daß  der Depressive das Leben schwarz, hoffnungslos und und der Angstneurotiker seines voller Bedrohungen sehen mag, auf die Dauer durch die unentwegten Bestätigungen ebenfalls depressiv werden mag, und wie sie dieses Weltbild in ihrem Leben umsetzen.

                Auch könnte man hineinsehen, es ist ein frevelhafter bestrafungswürdiger Versuch gegen das feststehende von den Göttern verfügte Schicksal sich aufzubäumen und feststehende Tatsachen doch noch verhindern zu wollen. Andere Kulturen sprechen von vorbestimmtem Schicksal oder Kismet. Diese Hybris wird gerade durch die Erfüllung bestraft. Auf den menschlichen Alltag übersetzt könnte dies als Beispiel heißen, falls das Kind gegen die elterlichen Verbote verstößt, wird es die bösen Prophezeiungen bewahrheiten „wirst in Gosse landen, wird schief gehen“. Da ein Kind ohne eigenes Weltbild geboren wird, übernimmt es das der Eltern und glaubt an die Prophezeiung. Die Strafe könnte man unter dem Gesichtswinkel der Wiedergutmachung und dem zwischenmenschlichen Ausgleich sehen infolge der Überhöhung der Kinder über die Eltern, daß sie sich Dinge erlauben, die sich die Eltern nicht verwehren.

                Inwieweit die Verhinderungsstrategie zu tragischen Kreisläufen (Teufelskreisläufen) führt, möchte ich an einigen Beispiel veranschaulichen. Jegliche Vermeidung des Phobikers bestätigt sozusagen die Gefahren. Sie wäre ja ansonsten nicht nötig. Verdrängung und Verleugnung erheben die Gefahren ins Unermeßliche. Der Vogel Strauß beschwört sozusagen die Gefahren, vor denen er den Kopf in den Sand steckt, und kann sie nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt untersuchen.

Jegliche Rechtfertigung und Entschuldigung, um sich von Unrecht und Schuld zu befreien,  bestätigt das Unrecht und die Schuld, da sie auf die Schuld hinweisen. Die Schuld steht als  absolute Tatsache ohne die Wahrnehmung von  Umständen und Rahmenbedingungen dar, die so tragend sein können, daß die jeweilige Handlung  kein Unrecht und eine Schuld darstellen. Die Umstände und Rahmenbedingungen werden oft genug nicht anerkannt, weil der Beschuldigende aus eigenen Gründen die Schuldzuweisung benötigt, die Wahrnehmung der Schuld sozusagen in ihm steckt.

Die Wahrnehmung der Schuld führt zur eigenen Entlastung als Abwehrmechanismus zu Vorwürfen, den  Projektionen eigener Schuld. Sichtbar zeigt ein Finger auf den Beschuldigten, unsichtbar unter der verdeckten Hand drei Finger zurück. Beim rechthaberischen Streit, wie ihn jeder kennt, beim Streit in der Subjektivität um die objektive Wahrheit- subjektiv hätte jeder recht- besteht zur Vermeidung einer endlosen Zerstrittenheit, eines Kampfes um Sieg und Niederlage, und zur Vermeidung von Trennung und Verlust, wie etwa in Familien, wo jeder auf den anderen angewiesen ist, meist eine Pseudoharmonie, ein Hintergrund von vielen Krankheiten. Infolge der Unterdrückung von Aggressionen und Vorwürfen bricht diese an allen Ecken und Kanten hervor in Form von spitzen Bemerkungen, Gerede hinter dem Rücken der Beteiligten, Fallenstellen und Intrigen, sodaß alle heillos zerstritten sind.

            Besonders tragisch im großen gesellschaftlichen Rahmen erweist sich der Zukunftsentwurf, daß Altern Abbau, Verfall und Krankheit bedeutet. Wegen der Sicht mangelnder Perspektiven, Hoffnungs- und Hilflosigkeit, in denen die Möglichkeiten im Alter nicht mehr gesehen werden, wird dies oft genug danach gelebt und durch körperliche Krankheiten untermauert. Die Alzheimersche Erkrankung betrifft meist Menschen, die schon vorher in hoffnungslosen Entwürfen gelebt haben, wie Untersuchungen zeigen.

             Die Blindheit kann auch die Zukunft betreffen, nicht zu sehen, was diese voraussichtlich bringt, weil die Bedrohung verleugnet und somit nicht wahrgenommen wird. Die Blindheit setzt also das Sehen voraus. Als Folge kann sich nicht auf Bedrohungen eingestellt und Vorsorge getroffen werden. Bei  phantasierten, vermeintlichen Bedrohungen mag dies sinnvoll sein, bei sogenannten Realbedrohungen kann die Verleugnung fatal sein. Insofern ist die Verleugnung bzw. der Abwehrmechanismus selbst die Bedrohung. Das Verleugnete taucht jedoch meist phantomartig anderweitig auf, auf verschiedene Personen und Inhalte verteilt als vermeintliche Bedrohung auf, wie etwa bei Chemie- und nuklearen Gefahren, wo die einen verleugnen und die anderen hochstilisieren, sodaß schwer zu beurteilen ist, was nun wirklich dran ist.

 Ähnlich ist es bei manchem Krankheitsgeschehen wie etwa dem Herzinfarkt und Krebs, wo die Gefährdeten verleugnen und die Ungefährdeten wie die Herzneurotiker hochstilisieren, dramatisieren und katastrophisieren und die Bedrohungen fürchten. Im Umfeld von Herzinfaktgefährdeten und -kranken, die blind und real äußerst gefährdet sind, tauchen deswegen vermehrt Herzneurotiker auf als einem Phantom der realen Bedrohung. Zwischenmenschlich gehen die Ängste im Falle mangelnder Abgrenzung und mangelnden Wissens der Zusammenhänge auf den Arzt über, der dann ebenfalls in Angststreß gerät und fürchtet, ob nicht doch ein Befund übersehen wird und nicht irgendwo etwas zu finden ist, untersucht und untersucht, vor allem wenn der Arzt ebenfalls zu Ängsten neigt. Eine Zugangsmöglichkeit besteht für den Arzt in der Betrachtung seiner eigenen Befindlichkeit, Rückführung dieser auf den Patienten, wie in Balintgruppen geübt wird.

                Weniger in einer belastenden Vergangenheit oder Gegenwart, diese wird nur bedrohlich, wenn sie den Zukunftsentwurf prägt, mehr im Zukunftsentwurf  auf dem Hintergrund der Vergangenheitserfahrung sehe ich den Motor für Illusionen, Hoffnungen, Hoffnungslosigkeit bzw. Resignation und Ohnmacht und Hilflosigkeit. Hoffnungen erhalten das Leben und die Gesundheit, Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit stecken hinter vielen Krankheiten.

            In der Erziehung, im Konflikt- und Krankheitsgeschehen geht es zentral um die Weichenstellung einer positiven oder Vermeidung einer bedrohlichen Zukunft. Wie das Aufsuchen der Orakel zeigt, beruht der Zukunftsentwurf auf den Erfahrungen der Vergangenheit, deren Bewertungen und Bedeutungen. Der Mythos der Vergangenheit wird so zum Mythos der Zukunft. In der Gegenwart sehe ich durch andere und neue Erfahrungen, schließlich war sie einmal antizipierte Zukunft, eine Chance zur Neubestimmung. Die begleitenden Gefühle einer Neubestimmung und deren Akzeptanz sind Überraschung, Verwunderung und Erstaunen.

                Falls der Mensch diese bedrohliche Zukunft nicht als feststehende Tatsache, sondern zuerst einmal als Bilder, Phantasien oder Gedanken sieht, die ihm als Folge von Vorerfahrungen in den Sinn kommen, braucht er auch nicht danach zu handeln und die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens wird  vermindert. In dieser Unterscheidung von Phantasie und Realität sehe ich eine therapeutische Lösungsmöglichkeit. Dazu möchte ich  eine Grundtatsache einflechten, so wie ich sie sehe, daß im Menschen Tag und Nacht, nachts als manchmal erinnerbare Träume, Phantasien, Bilder und Assoziationsketten, sozusagen eine innere Landschaft, ablaufen, und er gleichzeitig ununterbrochen in einer Realität lebt, real ist. Die Unterscheidung von Bildern und Realität wird Realitätsprüfung genannt. Diese vergleiche ich mit dem Erwachen aus einem Traum, wo ich sehe, was wirklich ist. Falls ein Mensch nicht zwischen Bildern, Phantasien und der Realität unterscheiden kann, also diese gleichsetzt, hat jeder Mensch in seiner Realität recht und wird sich für die Richtigkeit einsetzen. Die Rückführung auf Phantasien wird er nicht zulassen, weil sie im Falle der zugrunde liegenden Traumatisierung Unsicherheit und Bedrohung bedeutet und er wissen will, womit und wo er dran ist, um Sicherheit und Klarheit zu garantieren. Wie in der Bibel gilt das Wort wie bei Gott.       

                Vielfach ist es auch oft, Unrecht zu haben, schafft als unheilvolle Folge vielfach zwischenmenschliche Bloßstellung, Häme und Besserwisserei, die wiederum gefürchtet wird. Die Göttlichkeit wird infrage gestellt. Sagen Sie einmal einem standfesten und militanten Phobiker, daß seine Sorgen und Befürchtungen Bilder und Phantasien seien. Sein Weltbild würde zusammen brechen. Er wird an vielen Beispielen nachweisen, daß er recht hat, auch wenn er noch so sehr sich ängstigt und leidet.

 

                (Versuchter und gelungener) Sohnesmord

              

                Die Vater-Sohn-Rivalität ausgehend vom Sohn und dessen Motive wurde von den Freudianern ausführlich untersucht und beschrieben. Sie stellt ein wichtiges Moment in der psychoanalytischen Theorie dar.

                 Die vom Vater ausgehende Rivalität ist bisher weniger bearbeitet, obwohl sie im Ödipusmythos dem Vatermord vorausging, der Sohn ein gezieltes Opfer des Vaters war, während der Vatermord mehr zufällig durch eine Verkettung unglücklicher Umstände stattfand. Anscheinend ist der Vater und seine Motive unantastbar, und die Konflikthaftigkeit wird allein dem Sohn zugeschrieben (Blindheit und Sehen). Wie die Ödipussage aussagt, geht der Konflikt ursprünglich vom Vater aus. Der vor allem vom alternden Vater ausgehende Neid, der dem Sohn seine Jugend, Attraktivität und Zukunftschancen neidet, in sich selbst die Alterung und den Verfall sieht, stellt in vielen Kulturen ein wichtiges Motiv für Entwertung, Unterwerfungsforderung, Negativprophezeiungen und Zukunftsabotage dar. Häufig kommt hinzu, daß die Söhne von den Müttern mehr favorisiert werden als die entwerteten Väter (siehe die Bibel und die Heilige Familie), dadurch Eifersucht geschürt und durch die Mutter der Vater-Sohn-Konflikt verschärft wird. Die erbittersten Konflikte ergeben sich, wenn der favorisierte Sohn von der Mutter noch angeheizt , oft als verlängerter Arm und ihr Stellvertreter, stellvertretend ihre eigenen Partnerkonflikte auszutragen, vorgeschickt und eingesetzt  wird. Sie wird ihn loben und stolz auf ihn sein. Oft unterwerfen sich die Söhne den Vätern, bemühen sich um Anerkennung, die sie in dem Maße nicht erhalten, wie sie sich bemühen.

                Man könnte den Sohnesmord im großen kulturellen und sozialen Rahmen in Kriegen sehen, die die Väter angezettelt haben und in denen die Söhne umkommen. In einem mir bekannten Beispiel verbot der Vater, ein namhafter Altphilologe,  seinem Sohn, in seine Fußstapfen zu treten und Altphilologe zu werden, dieser Theologe wurde und sein Leben lang der Altphilologie nachtrauerte, während der Ziehsohn als weniger bedrohlich dies werden durfte. Diese persönliche Geschichte ging sogar laut Erzählung des Ziehsohnes so weit, daß der Vater die Kooperation von Odysseus und seinem Sohn Telemach zur Vertreibung der Freier für wissenschaftlich unhaltbar hielt.

             Zweifellos ist die Gattung Mensch aus anderen Primatenstämmen durch Inzucht entstanden. Inzest bzw. die Paarung zwischen Mutter und Sohn stellt also einen Rückgriff auf frühere menschliche Zustände der offenen Sexualität vor dem Inzesttabu und in der patriarchalischen Gesellschaft ein Tabu dar. Ein Rückgriff auf diese paradiesischen Zustände der freien Sexualität, wobei keine Inzest- und Generationsschranken gelten, findet sich in den Phantasien und Träumen vieler, teils ansatzweise vorübergehend verwirklicht wie in der Kommune 1 oder in anderen Kommunen. Eine generationsübergreifende pervertierte schwer traumatisierende Form ist der sexuelle Mißbrauch, wo sich der Sinn des Inzesttabus am deutlichsten zeigt. Als einen Inzest im Geiste könnte man die Paarung zwischen dem vergötterten Sohn und seiner Mutter auf dem Hintergrund des entwerteten Vaters sehen.

               

            Die Blendung des Ödipus

               

                Nach Patzer (persönliche Mitteilung) bedeutet die Blendung des Ödipus neben einer Selbstbestrafung vorwiegend das Motiv, die eigene Schande in den Augen der Umgebung nicht sehen zu wollen. Ödipus wollte nicht den Inhalt seiner eigenen Bewertung im Angesicht anderer, sich selbst in den anderen, sehen. Sehenden Auges hätte er Nachsicht, da er eine beliebter König war, und Mitleid in den Augen der Bürger von Theben gesehen, aber keine Verurteilung, so wie er sich selbst verurteilte, und somit die Chance der Neubeurteilung gehabt. Für Ödipus gelten alleine die Inhalte, während verständnisvolle und differenzierte Menschen mehr die Umstände und Rahmenbedingungen zur Beurteilung eines Menschen heranziehen. Der Hellseher, der nicht unterscheiden kann, Ödipus macht sich blind,  blind gegenüber dem, was ist, und sehend in den anderen, was nicht ist, aber in ihm ist,  ein projektives Erleben wie bei vielen bedrohlichen Zukunftsprophezeiungen. Ödipus muß wohl in einem traumatisierenden rigiden Umfeld aufgewachsen sein, sodaß ihm sämtliche zwischenmenschliche Differenzierungen verloren gingen und er nur seine Selbstverurteilung im Umfeld sah. Deswegen hat er sich wohl frühzeitig auf Wanderschaft begeben, um sein Glück anderweitig zu suchen.

                Dazu eine Fülle klinischer Beispiele: Vor allem bei Angstpatienten spielen die projektiven Selbstmaßstäbe und -verurteilung im Angesicht der anderen eine zentrale Rolle. Fehler,  Schwäche, Schweißausbrüche, Kollapsneigung, Stottern, Erröten, aber auch die Bloßstellung von Charaktereigenschaften und die Blicke und Beobachtungen anderer können gefürchtet werden, in denen die Erkenntnis und das Durchschauen des inneren Kerns oder Selbst gefürchtet werden. Dadurch treten diese Zustände als Begleiterscheinung der Angst vermehrt auf. Sobald Schweiß etwas schlimmes ist, als solches bewertet wird, schließlich führt die Angst vor dem Schlimmen zu Schweißausbrüchen, tritt der Schweiß vermehrt auf, eine Teufelskreislauf.         

Mehrfach habe ich erlebt, wie Angstpatientinnen in der Gruppe sagten „ich versteh’ das nicht ..., ich bin so unsicher und ängstlich und alle sagen mir, wie sicher und souverän ich bin“. Ich konnte ihnen im Normalfall auch keinerlei Unsicherheit ansehen. Auf meine Frage "was ist, wenn man Ihnen die Angst ansieht?", kam regelmäßig die erschreckte Reaktion „um Gottes willen, dann bin ich völlig unten durch, das wird ausgenutzt!“. Sie sehen und sind davon überzeugt, was nicht ist, ihr Innenbild im Außenbild, und sind blind gegenüber dem, was ist, und daß sie zur Vermeidung der Bedrohung erfolgreich alles getan haben. In diesem Fall der Angst kann man schon von einem leichten Wahn sprechen bei Menschen, die erfolgreich und äußerlich völlig unauffällig durchs Leben gehen, weil keiner ihnen die Ängste ansehen darf. Diese Aussagen habe ich mehr zufällig von Frauen gehört. Männer bestätigten mir, daß es ihnen ähnlich ergeht. Angstpatienten schämen sich oft so sehr ihrer Ängste, glauben, daß sie die Einzigen sind und  halten sich selber für verrückt und anormal, so daß sie niemanden etwas von ihren Ängsten erzählen. Da das jeder Angstpatient tut, erfährt niemand vom anderen und alle bleiben mit ihren Ängsten allein, wobei die Einsamkeit ihre Ängste fördert, weil die Außenkorrektur fehlt. Allein das Hören der Ängste anderer etwa in Selbsthilfegruppen kann schon erleichternd sein. Es ist leicht vorstellbar, wie sehr dieser Dauerstreß weitere Erkrankungen fördern kann.

                Die Ängste können zu grotesk erscheinendem Verhalten führen, sodaß gerade das geschieht, was als Verurteilung gefürchtet wird. Ein Angstpatient schilderte mir, er schmiege sich deswegen bei Tanzveranstaltungen Wange an Wange an seine Tanzpartnerin, um die Blicke und Gedanken anderer nicht zu sehen „was er für einer sei, der sich so an die Frauen heran schmeiße“.     Ein promovierter arbeitsloser Soziologe versteckte sich sozusagen vor sich selbst in seiner eigenen Wohnung. Damit ihn tagsüber niemand von der gegenüberliegenden Straßenseite sehen konnte, kroch er unter dem Fenster her. Er fürchtete seine Selbstbilder und -verurteilung in der Umwelt bzw. wenn er selbst auch nicht diese Vorurteile teilt, so will er von jedem, auch dem größten Idioten anerkannt werden, bei jedem gut dastehen.

Therapeutisch sehe ich als Möglichkeit die Abgrenzung zwischen Gedanken und Glauben, Phantasien und Realitäten  und zwischen den Personen, sich klar zu machen, daß das Schlimme die eigene Person im anderen ist bzw. das Urteil anderer nur übernommen wird, wenn es schon in der eigenen Person steckt. Ich spreche gerne von Quichotterien. Don Quichotte hielt Windmühlenflügel für Feinde, die er bekämpfte. Eine innere Abgrenzung und Selbstbetrachtung ist jedoch sehr schwer bei Personen, die unter extremen Angstdruck stehen. Sie sehen die einzige Möglichkeit  der Bedrohung zu entgehen im Handeln, wobei  tragischerweise sämtliche Handlungen wie Vermeidung, Flucht und Durchstehen  die Bedrohung verstärken, weil  sie ansonsten nicht nötig wären. Das zwischenmenschliche Verhalten, wo eine positives Außenbild  (Image, guter Eindruck) vermittelt  wird und ein negatives Innenbild nicht nach außen treten darf, nenne ich Digitalen Dialog im Gegensatz zum Analogen Dialog, wo man sich gibt, wie man ist und einem zumute ist.         

                Das Eindringen von außen in die eigene Person kann als so unerträglich erlebt werden, daß es zu verschiedenen schwerwiegenden dissozialen bis mörderischen Reaktionen führen kann. Ein früherer Bankräuber mit einem läppisch, grinsenden Auftreten, so daß er lächerlich wirkte, geriet in derartigen Situationen in innere Zustände, worauf er früher mit Drogensucht, später mit dem Bankraub, jetzt mit Kleptomanie reagierte. Eine  derartig unerträgliche Situation sei für ihn, wie er  schilderte, wenn seine Frau ihn frage, was mit ihm los sei, wo sie alles doch genau wisse, und dann bohre sie noch so lange in ihm rum, daß er alles abstreite. Den  zwischenmenschlichen Vorgang erkläre ich mir, daß sie ihm etwas anmerkte, daraufhin schlimmes befürchtete, und  aus ihm herauszuholen suchte, was ihn belaste. In der Kindheit hatte die Mutter und die Familie Böses in ihn hineingesehen und hatten geglaubt, ihm das Böse offen anzusehen. Daran hatten die ganze Familie und er geglaubt. An die Offenlegung der inneren Wahrheit  glaubt er naturgemäß jetzt noch und verhält sich nach dieser Wahrheit. An seinem Verhalten ist seine innere Realität abzulesen, daß er ein Bösewicht ist, der Drogen nimmt, raubt, stiehlt und eine lächerliche Figur ist und gerade das macht, dessen er bezichtigt wird.

In einem Artikel über Amokläufer berichtete die Zeitschrift STERN von einem Lehrer, der von Fachleuten bestuntersucht lange in der Psychiatrie saß und Bücher schrieb. Er war fest überzeugt, daß ihm auf der Straße jeder seine Sodomie ansehe. Von diesem Wahn nahm er nie Abstand. Wenn ich den Faden fort spinne, ist die Leugnung folgerichtig. Die Straße war für ihn die Bühne der abgrundtiefen Bloßstellung und Verachtung, in der er blindwütig die Gesichter zerstörte. Hätte er dies als Wahn realisiert, wäre das furchtbare Geschehen sinnlos gewesen.

               

                Das Rätsel  der Sphinx

              Das Rätsel der Sphinx zeigt die tödliche Bedrohung der Lösung des Rätsels des menschlichen Seins, entweder im Falle der Lösung für die Sphinx oder im Falle der Nichtlösung für den Rätselratenden.

                Die Sphinx selbst ist ein Wesen, halb Mensch, halb Tier, vielleicht als Symbol  des tierischen und menschlichen Wesens im Menschen, der animalischen Triebe und des Verstandes. Dieses Menschtier bzw. Tiermensch stellt die Frage nach dem Menschen, einem Spiegel seiner selbst, einem Rätsel, egal wie die Antwort ausfiel, dessen Lösung oder Nichtlösung jeweils mit dem Todes bestraft werden. Wegen dieser tödlichen Bedrohung ist die Frage so schwierig. Das Wesen Mensch ist so sehr von Phantasien, Bildern hinsichtlich seines realen Wesens geprägt  - ein radikaler Konstruktionist würde sagen „Wer sagt, daß dieses Wesen überhaupt existiert und ein Mensch ist!? Das ist doch nur eine Kreation und Definition des Menschen! „ - , die auf Verleugnungen, Projektionen, Schönfärbereien, Dramatisieren und Katastrophisieren beruhen, so daß kein Mensch weiß, wo er wirklich dran ist, und er zu seinem eigenen Rätsel wird.  Theologen, Geistes- und Naturwissenschaftler bemühen sich seit Jahrtausenden um die Lösung und finden je nach ihrem Blickwinkel religiöse, philosophische oder naturwissenschaftliche, organische bzw. biologische Antworten. Es ist ein reines Hase-Igelspiel. Die einen rennen und bemühen sich, die anderen haben schon lange die Lösung und den Stein des Weisen gefunden. Laut Sage ist die tödliche Bedrohung, daß in der Natur des Menschen Schwächen, Fehler, animalische Triebe und Schuld gefunden werden, die für ihn eine katastrophale Bloßstellung und Dimension bedeuteten, sodaß seine wahre Natur auf keinen Fall gefunden werden darf. Wird das Rätsel seiner Natur nicht gelöst, ist er sich selbst seinen Katastrophen und katastrophalen Verhinderungstrategien hilflos ausgeliefert. Egal wie, wird die Natur, des Wesens Mensch geklärt oder nicht geklärt, entsprechend dem Sisyphusmythos geht das Rätselraten weiter und findet keine Lösung. Zwischen beiden Abgründen, Skylla und Charybdis führt nur ein schmaler Grad.

            Wir Psychos werden im Gesundheitswesen bei unseren Lösungsversuchen heftig attakkiert, wobei weite Bereiche wie der psychosoziale Kontext tabuisiert sind. Millionen Forschungsgelder werden bei vielen Volkskrankheiten dort ausgegeben, wo die Lösungen garantiert nicht zu finden sind. Scham, Schande und Schuld sind zu große existentielle Bedrohungen.     

             Besonders die Medizin bewegt sich auf diesem schmalen Grad, einer Gratwanderung. Einerseits bedeuten die Aufdeckung der psychischen und psychosozialen Hintergründe und Zusammenhänge Blamage, Lächerlichkeit, Mitleid, das oft genug gefürchtet wird, weil es die Schwäche bloßstellt, und Schuldzuweisung, andererseits kann durch eine naturwissenschaftliche Diagnose und Therapie nur beschränkt  insofern geholfen werden, daß niemand etwas für seine Veranlagung kann und somit frei von Schuld ist, aber der psychosoziale Kreislauf nicht erkannt wird und weiter geht.   Die Lächerlichkeit möchte ich am Bild des Don Quichotte festmachen und im griechischen Mythos am Homerischen Gelächter der Götter, die über all diesem stehen.       Allein der Begriff der schizophrenogenen Mutter hat die amerikanische Psychoanalyse in Mißkredit gebracht. Ein Schrei der Empörung ging durchs Land, „sie sollten an der Schizophrenie ihrer Kinder schuld sein, wo sie doch alles taten, um diese zu verhindern!“ Mitverursachung und Beteiligung werden mit Schuld gleichgesetzt, obwohl sie wirklich nichts dafür können. Sie handeln gemäß ihres Weltbildes und tragischerweise ergeben sich diese Resultate.

 Ich sah neulich einen Fernsehbericht über eine Klinik für neurodermitiskranke Kinder , dessen Leiter die Verlustangst der Mutter als wichtige Ursache der  Neurodermitis ansieht. Eine dort auftretende Mutter äußerte den Gedanken, ob ihre Verlustangst nicht auf das Kind übergehe, worauf der Leiter äußerte „nein, das könne auf keinen Fall geschehen!“, vermutlich, um ihr die Selbstbeschuldigung zu ersparen, unter der sie sowieso schon litt, und sein schönes Klinikkonzept nicht infrage zu stellen. Meiner Erfahrung nach spielen die Ängste, Schuldgefühle, Spannungen und Zukunftskatastrophisierungen der Mutter und Umgebung eine wichtige auslösende Rolle bei der Neurodermitis. Die Haut als Grenzorgan reagiert auf zwischenmenschliche Spannungen.   In diesem Pulverfaß kann allein schon der kleine Hinweis auf psychosomatische Faktoren, wie mir persönlich passiert ist,  zu einer dramatischen Schilderung der Krankheit führen, so als ob sich dagegen verwahrt würde, daß dies überhaupt eine Krankheit wäre.         Ein MS-Kranker, der bei der Auslösung der Schübe aus Angst vor Entdeckung seines Versagens nicht aus noch ein wußte, froh war, wenn seine Mutter bei der Darstellung seiner Erfolge ihre Zufriedenheit äußerte, meinte grinsend, aus dem Schneider sei er, da seine Krankheit Schicksal sei.              Überhaupt sind alle Beteiligten aus dem Schneider, wenn die Ursachen der Krankheit im Schicksal, den Genen, der Anlage, Viren oder einem gestörten Transmitterstoffwechsel gefunden werden. Dann können die medizinischen Behandlungen greifen, ein nicht von Scham und Schuld geplagter Mensch kann sich erholen und Hoffnung schöpfen, der Arzt verdient, die Geräte- und Pharmaindustrie verdient und alle profitieren. Sicher sind bei vielen Kranken oft keine anderen Wege möglich.    In einer Studie wurde eine willkürliche Auswahl der Bevölkerung nach ihrer Meinung über die Ursachen der Depression befragt. Die meisten sahen diese in der Person des Kranken und den sozialen Verhältnissen, ganz im Gegensatz zur medizinischen Wissenschaft, die diese in einer Transmitterstoffwechselstörung sieht. (Transmitter sind die Botenstoffe, chemische Reaktionen zwischen Nervenzellen und Erfolgsorganen wie Muskeln, Drüsen als Teilbereich der biochemischen und biophysikalischen Informationsübertragung bzw. –leitung innerhalb des menschlichen Körpers.) Trotzdem regte sich neulich ein Freund über seinen schizophrenen Bruder auf, als ob dessen Verhalten reine Böswilligkeit wäre.

 

                Die Bibel

 

                Die Schöpfungsgeschichte

 

              In der biblischen Schöpfungsgeschichte  sehe ich die Analogie  im schwer traumatisierten menschlichen ontogenetischen Werdegang  wieder gespiegelt. Sie ist für mich ein gutes und grundlegendes Beispiel der Vorgänge einer Traumatisierung über Generationen hinweg. Die Familie, die Eltern haben eine psychosoziale und kulturelle Vorgeschichte, die ebenso verleugnet und tabuisiert wird wie die traumatischen Erfahrungen von Gott. Das Trauma sehe ich symbolisch als das Böse und den Teufel.

               

„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott“. So steht es zu Beginn im Alten Testament. Testament heißt, es ist eine Botschaft oder Erbschaft von verpflichtenden, bindenden Charakter, also das Gesetz.  Dies Wort ist ein göttliches Gesetz, das über den Menschen schwebt, und nicht in Zweifel gezogen werden kann. Das Wort Gottes muß eine Vorgeschichte und zwar eine katastrophal bedrohliche gehabt haben und kann also nicht am Anfang stehen. Vor diesem Wort gab es viele Worte, Entwertungen und Verurteilungen. Die vorherige traumatisierende Erfahrung, die Vorgeschichte und Herkunft des Wortes bleiben im Dunkeln und sind tabuisiert. Durch diese Verleugnung aller menschlichen Zusammenhänge wird das Wort zur Religion. Dieser Vorgang entspricht der Erfahrung des menschlichen Umgangs mit bedrohlichen Erfahrungen, nämlich der Verleugnung und Reaktionsbildung, nämlich zum Schutz vor der Bedrohung eine absolut sichere Welt entgegen zu setzen, sodaß nichts mehr bedrohliches passieren kann. Diese Welt ist in göttlicher Weise unantastbar. Im Alltag sind das häufig Hundertprozentigkeit, Perfektion, absolute Ordnung, Reinlichkeit und Sauberkeit als Schutz vor den Gefahren - und diese Tugenden werden dann von anderen um so mehr angegriffen..

Als Folge beinhalten allein schon Zweifel und Infragestellung dieses unantastbaren Wortes das Böse, um so mehr etwa, wenn das Kind gegen das Wort des Vaters oder der Eltern opponiert, dagegen verstößt. Insofern treten allein durch das Wort das Gute, personifiziert in Gott, und das Böse auf, personifiziert durch den Teufel, auf, in dem die Bedrohung steckt. Das Böse, ebenso wie das Gute, das den Schutz verspricht, haben eine unheimliche Verführungsmacht, in meinen Augen alleine dadurch, daß es unantastbar ist und jegliche Selbstbestimmung, eigenen Willen und Freiheit verbietet. Aber, allein der menschliche Drang der Aufrechterhaltung des eigenen Willens und der Selbstbestimmung, dies halte ich für ein ureigenes menschliches Verlangen, verführt dazu, das Wort zu brechen. Gott, ähnlich wie viele Eltern, provoziert geradezu die Durchbrechung seiner Gebote. Im Alltag ist von Trotz, Verweigerung, Ungehorsam und Sabotage die Rede. Dadurch kommt es zu einem Kampf zwischen Unterwerfung und Aufbegehren und der Mensch gerät in den Zwiespalt, das Böse tun zu müssen, es nicht zu dürfen, gleichzeitig das Gute zu wollen, denn wer will das nicht, und stigmatisiert zu werden – in der Traumatiserung eine unauflösliche Falle und eine eine Tragik im Werdegang. Wenn dieser Kampf nicht offen ausgetragen wird, führt er zu einem subtilen inneren Kampf, einer inneren Zerreißung, die zu Krankheiten führen kann.

Besitzer der absoluten und göttlichen Wahrheit gibt es viele in absolutistischen Regimen, ebenso wie in Familien, beileibe nicht nur bei Männern. In der Bibel ist es ein männlicher Gott, entsprechend dem Patriarchat, der keine anderen Erkenntnisse neben sich und Handlungen wider seine Gebote zuläßt. Erfahrungen mit der Traumatisierung zeigen, daß gerade verleugnete Bedrohungen im Alltag an banalen alltäglichen Handlungen wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte beim Apfelessen, im Alltag oft vieles mehr, festgemacht und Zuwiderhandlungen zu Versuchen der frevelhaften Gottgleichheit und die Früchte zu denen vom Baume der Erkenntnis hochstilisiert werden. Eine Geschichte der Definition von Feinden, wo nur Windmühlenflügel sind,  ist die des Don Quichotte. Dies entspricht der Erfahrung mit Traumata, daß diese in symbolischen oder ähnlichen Alltagssituationen, sogenannten Triggersituationen wieder erlebt werden. Manchmal oder sogar oft ist es jedoch nicht nur die Symbolik, sondern die reale Erfahrung mit Taten, Vorgängen oder Gegenständen, die als bedrohliche Erfahrung unter allen Umständen vermieden werden müssen, etwa Gewalt, Tod, Krankheiten oder Hunger. So mag ein Vorfahr von Gott schlechte Erfahrungen mit einem vergifteten Apfel gemacht haben.  Oft muß ein Gegenstand oder ein Vorgang symbolisch für viele andere herhalten, ein pars pro toto. Als Folge sagt die Bibel aus, in der Banalität des Alltags sind eigener Wille, Selbstbestimmung und eigene Erkenntnis das Böse.

Die Erbsünde ist meiner Ansicht nach eine Symbolik für die Auswirkungen der Traumatisierung über Generationen., die in jedem der Nachfahren steckt. Dadurch wird die Folgegeschichte des Alten Testamentes zu einer unendlichen Folge von tragischen Wiederholungen und Kreisläufen und das Leben zu einem Irdischen Jammertal. In der Entwicklung eines jeden Kindes ist eine der größten Traumatisierungen und diese findet sich überall im Alltag, keinen eigenen Willen haben zu dürfen, keine Rechte, keinen Wert, nichts zu gelten, solange große Gefahren bevorstehen, um so mehr, je bedrohlichere Erfahrungen in der Vorgeschichte der Eltern und des Kindes vorliegen.

Laut  Schreber, dem meistgelesenen Autor pädagogischer Bücher Ende des 19. Jahrhunderts, ist der Wille des Kindes um jeden Preis zu brechen. Der eigene Wille ist das Böse. Die Folgen dieser Erziehung haben sich sicherlich über Generationen ausgewirkt und stellen meiner Vorstellung nach den Hauptgrund dar, daß die Deutschen so vernichtend über die Juden und Zigeuner hergefallen sind und einen Ariermythos aufgestellt haben. Eigener Wille, Eigengesetzlichkeit und Selbstbestimmung der eigenen Handlungen können nicht aus der eigenen Person, sondern nur von außen kommen durch die Einflüsterungen des Teufels, werden also externalisiert, und natürlich durch das Weib, dem schwachen Geschlecht, das seinen Trieben nicht widerstehen kann. Insofern ist die Frau die Verkörperung des Bösen. Daß das Weib die Böse ist, beschreibt die Tatsache, daß in den meisten Kulturen die Frau und Mutter als hauptanwesende Person die Erzieherin und Prägerin des heranwachsenden Menschen ist und somit sie infolge ihrer teuflischen Einflüsterungen als Folge ihrer eigenen Traumatiserungen die Böse ist. Meiner Ansicht nach fanden deswegen auch die Hexenverbrennungen statt, das Symbol Hexe stellvertretend für die böse Mutter. Man könnte die Stigmatisierung der Frau auch als Rache an den Müttern ansehen. Die Autonomie und Selbstbestimmung wird mit der Erbsünde  für die ganze Menschheit bestraft im Sinne einer Botschaft für weitere Generationen. In ihr wird die Bedrohung und Unsicherheit gefürchtet.     Ein Dilemma bzw. eine Beziehungsfalle entsteht durch die Selbstaufgabe durch Anpassung und Unterwerfung, dadurch aber des Wohlwollens der Eltern gewiß zu sein, andererseits durch die Stigmatisierung des Bösen und die Schuld des Lebens nicht mehr froh werden zu können. Die Folge ist der weit verbreitete Mythos des Irdischen Jammertals, das der Erlösung  personifiziert in Jesus Christus harrt.

                 Am Beispiel der Stigmatisierung der Onanie als Todsünde innerhalb der katholischen Kirche, zumindest bis vor wenigen Jahrzehnten, möchte ich Aspekte der Wechselwirkungen erläutern. Für die meisten Jugendlichen ist sie das einzige beichtenswerte Hauptthema, für dessen Bloßstellung als sündige Tat sie die Erlösung als Absolution erhalten. Durch die Beichte bestätigen sie die Sünde, und da sie die Sünde anlagebedingt immer wieder begehen müssen, geraten sie in weitere Sünde und durch die Möglichkeit der Erlösung in die Abhängigkeit des Beichtvaters und einen Kreislauf von Sünde und Erlösung. Immerhin wird in der Beichte eine Erlösungsmöglichkeit gegeben, ebenso wie bei der Entschuldigung und Rechtfertigung und das Wohlwollen des Gottes bleibt erhalten. Entschließt sich der Jugendliche, die Onanie nicht mehr als Sünde anzusehen, oder folgt der Auffassung von außen, daß die Onanie etwas völlig normales sei, was zur psychosexuellen Reifung gehöre, entkommt er dem Kreislauf und der Priester wird überflüssig. In der Bewertung der Selbstbefriedigung als Sünde besteht eine wesentliche Daseinsberechtigung des Beichtvaters. Eltern, die sich kein anderes Leben erschließen können, werden ihren Wert und ihre Bedeutung in der Fürsorge für die moralische Rehabilitation ihrer Kinder sehen und diese so in Abhängigkeit halten. Schizophrene malen meist das kontrollierende Auge.

                Der absolute Herrscher verlangt absoluten Gehorsam. Diesen benötigt er zur Bestätigung seiner absoluten Macht. Man spricht auch von Kadavergehorsam, da ein eigenes Leben nicht mehr möglich ist, eigenständig der Mensch tot ist. Wohin der Kadavergehorsam mit seinen tödlichen Folgen führte, darüber wissen wir Deutsche ein Lied zu singen. Selbstmord kann die logische Folge sein.

                Durch das absolute Gebot wird zur Erhaltung der Autonomie geradezu Trotz erzeugt. Leider ist Trotz kein eigenständige Produkt, sondern eine Reaktion, deren Thema durch das Gebot bestimmt wird, und während des Trotzes ist keine Autonomie möglich. Selbständiges Handeln wird von vielen Eltern nicht als ein Handeln des Kindes für sich, sondern gegen die Eltern erlebt, ähnlich wie Gott die Handlungen Evas als Handlungen gegen seine eigene Person wahrnimmt. Das Kind, symbolisiert durch Eva, übernimmt naturgemäß die Stigmatisierung der Sünde, begibt sich dadurch auf eine untere Position und erhält sich ihren großartigen Gott bzw. die allmächtigen Eltern, von denen es wiederum die Erlösung von seinen Sünden erhoffen kann. Dabei gibt es sämtliche Selbstbestimmung und -definition auf. Dadurch entsteht mit den Eltern eine innere Übereinstimmung, geistige Verschmelzung oder ein inneres Komplott, das erhebliche medizinische Folgen haben kann. Wie sehr die Traumatisierung sogar bei Erwachsenen dieses innere Komplott hervor rufen kann, zeigen die Analysen von Folteropfern. Knackpunkt ist dort die Wahrnehmung, den Folterern innerlich recht gegeben zu haben. Auch nehmen sich Traumatisierte etwa nach Kriegskatastrophen als schuldig wahr. Kinder geben ihren Eltern, wenn diese fest überzeugt sind, immer recht.

                              

                Kain und Abel

                 Als Folge der Erbsünde und des Irdischen Jammertales werden verschiedene Geschichten erzählt wie die von Sodom und Gomorrha, der Sintflut, der Gefangenschaft und des Leidens in Ägypten und des Hiob. Der Volksmund spricht von Hiobsbotschaften. Sehr wesentlich erscheint mir die von Kain und Abel.

                Die Vergabe des Wohlwollens von Gottvater durch Bevorzugung und Benachteiligung seiner Söhne erzeugt beim Benachteiligten eine solche Wut, und zwar nicht auf den Verursacher, dieser ist unantastbar, da er das Ziel der Anerkennung ist und somit nicht angegriffen werden darf, daß er seinen Bruder erschlägt. Dieser Sachverhalt, wohl nicht so tödlich, findet sich in Familien alltäglich wieder, wo Neid und Eiferssucht unter den Kindern erzeugt werden und diese aufeinander losgehen, sich streiten, dieser unterdrückt und dadurch gesteigert wird. Diese Geschichte könnte man auch unter dem Gesichtswinkel der Schuldabwehr der Scham sehen. In einem für alle Seiten peinlichen Geschehen -  für Gottvater, aus welchen Gründen bei sich selbst er es nötig hat, sich zum Maßstab aller Dinge hoch zu stilisieren, den einen Sohn aufzuwerten und den anderen fertig zu machen, für jeden der Söhne, daß sie diese Bewertungen einfach übernehmen und daran glauben, wie dies zwangsläufig mit Kindern geschieht, statt den Vater an seine eigene Nase zu fassen, der eine wird verführt, muß aber seinen Absturz im späteren Leben fürchten, wo er zu Normalmaß zurechtgestutzt wird, der andere übernimmt einen solche blödsinnige Bewertung und Stigmatiserung und bestätigt sich in der Rolle des Bösen -  wird die Schuld auf einen abgewälzt, wodurch die übrigen entlastet sind. Dies entspricht einem weit verbreiteten Gruppenphänomen der Sündenbockrolle oder dem Schwarzen Schaf.

               Eine Erklärung ist nach den bisherigen Ausführungen in den bedrohlichen Vorerfahrungen des Vaters, im Mythos Gottvater, zu finden, der  aufspaltet und sein gutes in dem einen sieht bis zu Erlösungswünschen, in den andern sein  negatives Selbstbild hineinsieht. Die Bibel kann also nur unrecht haben. Vor dem anfänglichen Wort waren viele Worte, die den Vater über Generationen in die Preduille brachten. Nun ja, voraus gingen die bösen Erfahrungen im vermeintlichen Paradies mit Eva, dem Teufel und der Erbsünde.

 

Die Heilige Familie

             Die in der Geschichte durchgängige Traumatisierung lechzt nach einer Erlösung und Befreiung. Einer der Erlösungsmythen ist die Heilige Familie, ein anderer und zentraler, der Kern der christlichen Religion, der der Selbstaufopferung des Menschgottes zur Erlösung der Menschheit.

            Etwas salopp ausgedrückt, der Sohn ist der Gott, die Mutter jungfräulich, an die kein Mann ran darf, eine Tugend, vom Heiligen Geist befruchtet, und der Vater der Trottel, der das Ganze zu finanzieren hat, der Sohn von beiden favorisiert, und ein Mädchen gibt es erst gar nicht. Die Heilige Familie ist das Ideal- und Gegenbild, weil es in vielen Familien gegenteilig zugeht. Die Väter schlachten ihre Söhne, weil sie von den Müttern idealisiert werden, die Frauen sind alles andere als jungfräulich, die penisneidischen Töchter (laut Freud) und Frauen müssen sich als Benachteiligte und Unterprivilegierte als Mutter Gottes in Szene setzen und die hochgelobten Söhne, wie später erzählt,  müssen ihren Absturz fürchten. Wenn eine Frau den Erzeuger ihres Kindes nicht preisgeben möchte, sagen manche „sie ist vom heiligen Geist befruchtet“. In machen Kulturen, vor allem im mittleren afrikanischen Gürtel, werden die Frauen für mannstoll und sexbesessen gehalten, deswegen werden sie zur Aufrechterhaltung ihrer ehelichen Treue und Anstand teilweise grausam beschnitten. Und die Töchter sollen es auch nicht besser haben als ihre Mütter, weswegen die Beschneidung von den Frauen ausgeht, während die Männer bei der Kindererzeugung mehr leiden.

            In vielen Kulturkreisen werden die heilige Familie und der Mutterkult vor allem zu Weihnachten, Muttertag und Mutters Geburtstag gefeiert. Die Mutter ist der Kern der Heiligen Familie und ihre Aufgabe ist es, diese Art der Familie zusammen zu halten. Da die Heilige Familie den Idealtyp auf gegenteiligen Hintergrund darstellt, häufen sich an diesen Tage die Konflikte, die dem Altar der Harmonie geopfert werden müssen. Die unterdrückten Streitigkeiten brechen an allen Ecken und Kanten hervor, wo alle nur die Harmonie wollen. Diese wird zur Pflicht und oft entsteht eine Pseudoharmonie. Diese wirft oft schon ihre Schatten im voraus und im nachhinein, wie wir Psychotherapeuten oft genug erleben. Die Väter stehen oft genug nicht duldend und fördernd im Hintergrund, obwohl viele Alleinverdiener diese Rolle nach außen übernehmen. Sie gehen arbeiten, verdienen das Geld, damit ihre Frau daheim ihre Rolle als Mutter mit ihren Kindern ausleben kann. Dabei haben die Männer nichts zu sagen und müssen sich als Folge um so diktatorischer einbringen. Ein Pfarrer, mit dem ich mich über den Josef unterhielt, machte eine wegwerfende Handbewegung "ach der Josef, schwache Figur!". In dieser Rolle werden sie oft zum verlängerten Arm der Mutter, die von den Untaten der Kinder berichtet, und der Vater die Rolle des Bestrafers übernimmt und sich somit bei den Kindern in Ungnade bringt, ein böses Männer- und Vaterbild und gutes Mutterbild erzeugt. Je mehr die harmonische Familie eine Traumatisierung darstellt, um so mehr muß das Gegenbild gefeiert werden. Nicht umsonst wird der Mutterkult in traumatisierten Gesellschaften wie den Nazis besonders heroisiert. Da in der Familienharmonie der Einzelne mit seinen Wünschen und Interessen nicht gilt, nicht ernst genommen wird, keine Rechte und eigenen Werte besitzt, nur im Sinne der Familienharmonie, stellt die Recht- und Wertlosigkeit für alle Beteiligten eine Traumatisierung dar, der wiederum in einem tragischem Kreislauf mit dem Gegenbild geantwortet wird.

              Die Bibel sagt aus, daß für unsere christliche Kultur die Jungfräulichkeit Leitbild ist. Im Sinne der Selbstbehauptung und -bestimmung wird diese oft genug durchbrochen. Als Folge der Traumatisierung und Verlustes der Differenzierungen und Zwischenschattierungen entsteht eine Spaltung zum Gegenbild der Nonne, das der Hure. Dort können die Männer all das machen, wofür ihre Frauen sich zu schade sind und sie ihnen zu schade sind. Schließlich wollen die Männer auch anständige Frauen, und es findet eine Sündenbockstrategie statt. Ich las einmal in einem Artikel über Pietisten den Bericht einer Frau "Geschlechtsverkehr fand nur zum Zwecke der Zeugung statt, unter der Decke im dunklen Zimmer, und dann unter ständigem Gebet, daß sie nicht die sündige Lust befalle". Manchmal suchen sich in einer Subkultur Frauen Männer, wo sie das tun, wofür sie sich und ihren Männern in der Ehe zu schade sind. Ich hatte einmal einen Italiener als Patienten, der in dieser Rolle an Krebs verstarb.

            Die Männer sollen es auch nicht viel besser haben als die Frauen. Im Rahmen des Zölibats werden sie zu Priestern, Stellvertretern Gottes hoch stilisiert. Diese Rolle verführt sie durch den Gewinn. Die Schattenseiten treten erst später in Erscheinung. Die Kirche weiß ein Lied darüber zu singen. Eine zeitlang ging durch Lesbenkreise "falls sie sich ein Kind ohne Mann wünschten, wäre ein katholischer Priester ideal, denn die Kirche zahlt gut". Auch werden manche Männer priesterlich, enthaltsam erzogen und leiden später unter ihrer Enthaltsamkeit oder Schuldgefühlen, falls sie ihre Programmierung durchbrechen. Ihre Geschlechtlichkeit wird als etwas Böses stigmatisiert. Der Spruch "Männer wollen nur das Eine" ist weit verbreitet, und Frauen fühlen sich als Sexualobjekt mißbraucht. Da sie von ihren Müttern sozusagen kastriert wurden, oft genug auch von den Vätern, die ebenfalls kastriert sind, fürchten sie die Kastration, oft begründet, da sie sich infolge der Prägung wenig wehren können, wiederum bei anderen Frauen und können sich nur schwer einlassen. Einige meiner Patienten wurden in dieser Situation homosexuell. So hatte ich einmal einen Patienten, der von seinem Urlaub berichtete "die Männer wollten nur das Eine, so einer wäre er nicht!". Ich veranschaulichte mir, wie er sich an den Frauen rächte, wenn eine etwas von diesem smarten, hübschen jungen Mann wollte "ätsch, ärscht, ich bin homosexuell!". Viele Homosexuelle sind bei Frauen sehr beliebt, da sie gute Gesprächspartner und Zuhörer sind, keine kritischen Fragen stellen, von ihren Müttern gut erzogen, und die sexuelle Spannung und Ungewißheit fehlt.

               

                Erlösung, Kreuzigung und Auferstehung

            Im biblischen Mythos findet die lang ersehnte Erlösung in der Selbstaufopferung von Jesus Christus, dem Gottmenschen, statt. Dies muß zur unantastbaren Religion erhoben werden, da im realen traumatisierenden Leben auch im Nachhinein von der Erlösung wenig zu spüren ist. Dieser Vorgang läßt mannigfache Deutungen zu, von denen ich nur wenige herausgreifen kann bzw. mir bisher eingefallen sind.

            Schon die Geburt von Jesus wird verklärt. Über 30 Jahre seines Lebensweges wird nichts berichtet. Evtl. sind diese tabuisiert, da er ein menschliches Leben geführt hat, das wenig zu einem Erlöser paßte, und möglicherweise ist er vom Saulus zum Paulus mutiert wie einer seiner Jünger. Dafür spricht, daß er sein sündiges traumatisiertes Leben zu einem Gegenbild wandelte, in dem er mit weisen, aber widersprüchlichen Lehren durch die Lande zog, eine Jüngerschar um sich sammelte, wie viele Religionsstifter. Ich hatte schon oben erwähnt, wenn jemand die absolute Wahrheit verkündet, wird er von den Einen als Gott verehrt, von Anderen verurteilt, vor allem von denen, die die absolute Wahrheit und Macht in den Händen halten und eine konkurrierende Macht der absoluten Wahrheit nicht zulassen können. Die absolute Wahrheit bedeutet eine Todesbedrohung für Mannigfaltigkeit und Selbstbestimmung, verursacht Kampf, Zwist und Streit, insofern ist sie kreuzigungswert. Vom Zeitpunkt seiner Verkündigung an hat Jesus und vermutlich ebenfalls seine Gefolgschaft schon weite Bereiche ihres selbstbestimmten Lebens verloren  - für alle Seiten eine Traumatisierung. Insofern ist der Verlust des körperlichen Lebens nur konsequent. Ich sehe bei vergleichbaren Hintergründen darin eine Theorie des Selbstmordes. Und dies noch im Sinne einer göttlichen Verherrlichung zu tun, ein ungeheurer narzißtischer göttlicher Gewinn und dieses Märtyrertum wird von vielen als göttliches Heldentum (siehe die Selbstmordattentäter) verehrt. Und gleichzeitig wurde er noch von diesem Leben erlöst. Im Volksmund spricht man lapidar davon, aus einer Not eine Tugend machen.

            Die Selbstaufopferung als Erlösung für die Menschheit aufzufassen, entspricht alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen und Gegebenheiten. Verantwortung für andere zu übernehmen, erlöst und befreit diese von der Eigenverantwortung, vor allem, wenn diese ihnen als schwierig und unlösbar erscheint. Wenn jemand in der Sündenbockstrategie die Schuld übernimmt, sind die Anderen von der Schuld erlöst. Wenn jemand oder eine Gruppe wertlos und rechtlos sind, haben die Anderen um so mehr Wert und Rechte. Der Eine oder die Gruppe opfern sich für die Anderen auf. In dieser Traumatisierung findet eine Aufspaltung statt, und die tödliche, existentielle Bedrohung wird zum Schutz und zur Sicherheit in Grandiosität abgewehrt und umgewandelt.

             Nun kann ja ein Gott nicht so schmählich und demütigend umkommen. Das kann nur ein Mensch. Die Geschichte wäre zu Ende. Er muß wie in einem Groschenroman in Glorie als Gott wieder auferstehen. Dadurch bleibt uns das Wort als Abwehrstrategie der Angst und Bedrohung  und somit die Traumatisierung durch die Abwehrstrategie erhalten, wie die weitere Geschichte der Menschheit zeigt. Die Erlösung geht weiter und findet immer neue Götter und wenn diese auch nur Geld, Macht, Schönheit oder anderes sind.