Alltagskonflikte im Spiegel
uralter Mythen
Die Anfänge dieses Aufsatzes stammen aus dem Jahre 1997. Gerade, im März, weiterhin im Oktober 05, sitze ich an einer Überarbeitung und Erweiterung.
Bei der Arbeit mit
Patienten kommen mir immer wieder bestimmte jahrtausende alte Mythen in den
Sinn, und je mehr ich sie von verschiedenen Seiten betrachte, desto mehr drängt
sich mir der aktuelle Wahrheitsgehalt in den verschiedensten Facetten und
Schattierungen auf. Ich halte Mythen für aktuelle, harte Realität im
alltäglichen Konflikt- und Krankheitsgeschehen, womit wir Ärzte und
Psychotherapeuten zu tun haben.
Sie zeigen mir, wie sehr der Mensch über die Jahrtausende hin sich in seinen
urmenschlichen Grundkonflikten treu geblieben ist.
Die durch die Natur verursachten Katastrophen führen oft zu vom Menschen verursachte und in der Folge narzißtische Katastrophen. Da die Naturkatastrophen immer wieder im Alltag gefürchtet werden, werden sie in alle möglichen Alltagssituationen hinein gesehen, siehe die biblische Schöpfungsgeschichte. Etwa durch mangelnde Hygiene, Sauberkeit und früher nicht bekannte Krankheitserreger verursachte Krankheiten und Seuchen führen zu Krankheitsängsten, das Unbekannte wird im Alltag gefürchtet und sie werden mit aseptischer Hygiene, Reinheit und Sauberkeit beantwortet. Frühere Vergewaltigungen, Zwiste durch Untreue führen zur Stigmatisierung des Mannes oder der Frau als der/die Böse und werden mit sexueller Enthaltsamkeit, Jungfräulichkeit und priesterhaften Männer abgewehrt, die für Männer und Frauen eine einzige Katastrophe darstellen. Das Übertreten ist von Ängsten, Drohungen, Strafen, Schuld und Sünde begleitet, die eine narzißtische Bedrohung darstellen.
Ein Weg des Zugangs ist,
menschliche und zwischenmenschliche Zusammenhänge zu erfassen und die passenden
Mythen dazu zu suchen. Ein anderer Weg ist, die Mythen auf ihre Versinnbildlichung
hin zu betrachten und zu suchen, wo sie sich im Menschen und seinem Alltag
wiederfinden und diesen wieder spiegeln. Mythen in ihrer Versinnbildlichung könnte man mit Träumen
vergleichen, die ebenfalls einen Ausdruck und Spiegel des Alltags darstellen.
Sigmund Freud und seine
Nachfolger haben in der Ödipussage
den Urkonflikt und in ihr
das Thema und den Spiegel der uralten Rivalität zwischen Vater und Sohn und der
intimen Beziehung zwischen Mutter und Sohn gesehen. Nach ihm ist der Begriff
des Ödipuskomplexes im Volkstum
verankert.
Von den größeren
Sagen sind für mich vor allem der Ödipusmythos und die Bibel eine Fundgrube von aktuellen
Aussagen über menschliche Konflikte, (falls ich die Bibel als Sage und nicht
als religiöse Wahrheit betrachte), wahrscheinlich deswegen, weil ich sie, wenn
auch recht unvollständig und fragmentär, am besten kenne und sie mir deswegen
am meisten in den Sinn kommen.
Neben dem von Freud herausgearbeiteten Themen sehe ich in der Ödipussage
1. das Thema des Sohnesmordes,
2. als Folge der Erfahrung das der Prophezeiung bzw. der Antizipation oder des Zukunftsentwurfes auf dem Boden einer unheilvollen Vergangenheit,
3. als Folge zur Erlangung von Schutz und Sicherheit als Gegen- und Überlebensreaktion und -muster das der Verhinderungsstrategie und gerade dadurch ermöglichten Erfüllung, so daß der erwünschte Schutz erst das Trauma ermöglicht im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung,
4. die Thematik der zwischenmenschlichen Abgrenzung der Bewertungen und Bedeutungen "sich selbst im Auge des Anderen zu sehen",
5. der Bedeutung des Inhaltes und des Rahmens bzw. der Umstände, Zusammenhänge und Hintergründe, die in späteren Zeiten und Umständen nicht gesehen werden und aus den früheren Erfahrungen übertragen werden, sodaß zwischen früher und heute nicht differenziert werden kann, die Blinden Seher und
6. überhaupt der Rätselhaftigkeit des Menschen im Rätsel der Sphinx. Diese Themen werden im
griechischen Mythos deskriptiv als schicksalhaft menschliche Zusammenhänge ohne
Auswege beschrieben.
In der Bibel kommt noch
1. das Gottesthema und der Göttlichkeit im Menschen (obwohl auch im griechischen Mythos die Grenzen verwischen, jedoch als Hybris bestraft werden, siehe die Überschrift am Apollotempel in Athen „gnothi s’auton“ „erkenne Dich selbst“, sinngemäß als Mensch und nicht als Gott)) als Besitzer der absoluten und einzigen Wahrheit, die der Abwehr der Traumatisierung dient. Der schwer traumatisierte Mensch ist sozusagen ein Zwitterwesen, ein Mensch-Gott.
2. das der Erbsünde und
3. das Festmachen des ursprünglichen Traumas in Alltagssituationen, wobei Alltäglichkeiten zu Verbrechen oder Sünden hochstilisiert werden. (sog. Triggersituationen im PostTraumatischenBelastungsSyndrom)
4. das Thema der zwischenmenschlichen Abgrenzung, umgekehrt zu "sich selbst im Anderen sehen", "den Anderen in sich selbst sehen" mit der Schamabwehr in Schuld.
5. als Folge das des irdischen Jammertales und
6.
der Erlösungsmythos hinzu. Der Erlösungsmythos macht wohl den Unterschied von
Mythos und Religion aus, obwohl er sich in weniger absoluter Form etwa in deutschen
Märchen wie Dornröschen oder Aschenputtel wiederfindet. Andere Mythen, Märchen
und Erzählungen möchte ich nur auszugs- bzw. spotartig erwähnen.
Ich möchte noch erzählen, wodurch ich zu Anregungen kam. Ich las in einem Roman von Manuel Garcia Marquez in einem Nebensatz "die Jungfräulichkeit in der bürgerlichen Ehe". Mir ging spontan ein Licht auf, nicht nur in Südamerika, sondern auch bei uns, das Gegensatzpaar Nonne und Hure und das Rotlichtmilieu. Später las ich einen Bericht über die Beschneidung bzw. Sexualverstümmelung in Afrika. Ziel ist, anständige und treue Ehefrauen zu gewinnen, auf dem Hintergrund der Überzeugung, daß Frauen ansonsten mannstoll und sexversessen seien. Ich dachte dabei an die beinahe unglaubliche Treue und Duldsamkeit von Frauen und Männern in Ehen. Als ich mal wieder in einer katholischen Kirche war, hörte ich den Pfarrer Jesus zitieren "ich bin der Weg und die Wahrheit" und mir fiel dazu ein "wenn jemand von sich behauptet, ich bin der Weg und die Wahrheit, verehren die einen ihn als Guru oder Gott, die anderen kreuzigen ihn". Bei der Veranschaulichung des Unglücks der absoluten Wahrheit und des Verlustes von Selbstbestimmung und Freiheit sagte ich ketzerisch vor der Tür "ich bin für die Kreuzigung!". Die Tatsache, daß Banalitäten und Alltäglichkeiten zu Todsünden erhoben werden wie Apfelessen in der Bibel, hat mich schon lange beschäftigt. Ich wurde selbst in meiner Jugend in meiner katholischen Erziehung mit Selbstbefriedigung als Todsünde konfrontiert und habe das jahrelang gebeichtet, bis ich das Ganze doch für zu blödsinnig hielt. Als Jugendlicher fiel mir eines Tages ein bzw. ich griff die Anregung irgendwoher auf "es gibt die verschiedensten Religionen und jede behauptet von sich, die eine und einzige Wahrheit gepachtet zu haben. Mehrere einzige Wahrheiten kann es nicht geben. Also kann etwas daran nicht stimmen!" Unter dieser Erkenntnis litt meine Religiosität, und ich bin, als die Kirchensteuerzahlung relevant wurde, aus der Kirche ausgetreten.
Unter Traumatisierungen verstehe ich schreckliche existentiell bedrohliche Erlebnisse, die das menschliche Fassungs- bzw. Integrationsvermögen übersteigen wie Naturkatastrophen, Kriege, Vertreibungen, Vergewaltigungen und in der individuellen Kindheit (später im begrenzten Rahmen) Mißhandlungen, sexueller Mißbrauch, Unfälle, schwere Erkrankungen des Kindes selbst oder wichtiger Bezugspersonen, verbunden mit Schuld, Sünde, Scham, Verachtung, Lächerlichkeit, sogenannten narzißtischen Bedrohungen, und überhaupt des Verbotes von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung.
Ödipussage
Die blinden Seher
Die Blinden Seher stellen im menschlichen Leben den Zusammenhang zwischen katastrophalen Vorerfahrungen, der Traumatisierung, und dem darauf basierenden Zukunftsentwurf dar. Die Vergangenheit hat sich dermaßen stark in die Neurone eingeprägt, daß sie hellseherisch in die Zukunft geworfen, in ihr prophezeit und antizipiert wird, jegliche Differenzierungen verloren gehen und gegenüber anderen möglichen hoffnungsvolleren Ausgängen und Ereignissen unter anderen, späteren Umständen Blindheit besteht.
Nach unheilvollen Ereignissen
wurden im Altertum Seher in Tempeleinrichtungen, den Orakeln aufgesucht zur
Prophezeiung der Zukunft und der Beratung des Weisen mit dem Ziel, eine
Verhinderungsstrategie der katastrophalen und bedrohlichen
Vergangenheitserfahrung zu ermöglichen. Die Einrichtung des Orakels zeigt auf,
inwieweit die Vergangenheitserfahrung bzw. Vorgeschichte als Grundlage und
Maßstab für den Zukunftsentwurf dient.
Leider werden oft
genug gerade durch die Prophezeiung und einer Kette unglücklich erscheinender
Ereignisse die Prophezeiung ermöglicht, deren Mechanismen ich näher untersuchen
möchte.
Ebenso ging der Vater von Ödipus nach katastrophalen
Vorerfahrungen in der besten Absicht vor,
als Folge der Vorerfahrung prophezeites drohendes Unheil zu verhindern. Diese Seher waren typischerweise blind. Der
Bekannteste und damals weltberühmt war Theiresias am Orakel von Delphi. Oft
wurde an die Weissagungen der Seher geglaubt und oft genug werden auch noch
heute Wahrsager und Astrologen aufgesucht und deren Prophezeiungen in den
Alltag eingebaut. Die Tatsache der Blindheit und des gleichzeitigen Sehens in
die Zukunft, der Zukunftsprophezeiung läßt den verschiedensten
Interpretationen Spielraum.
Voraussetzen möchte ich, daß der
Mensch die Welt, ebenso sich selbst als einen Teil der Welt, mit seinen eigenen persönlichen Augen sieht. In
diese Sichtweise fließen die Position, demzufolge der Blickwinkel bzw. die
Perspektive und oft genug die Interessen ein, weiterhin frühere persönliche
Erfahrungen und die Übermittlungen der Erfahrungen früherer Generationen. Da
jeder Mensch ganz individuelle Erfahrungen hat, die Vergangenheit eines jeden
nicht der eines anderen völlig entsprechen kann, verschiedene Blickwinkel
bestehen, sieht der betrachtete Gegenstand, etwa ein Bild, ein Mensch und
ebenso die Zukunft ganz verschieden aus. Wird etwa ein Gemälde von mehreren
Betrachtern beschrieben, fällt die Beschreibung je nach den Augen des
Betrachters unterschiedlich aus.
Wird
eine zwischen zwei Personen gehaltene Medaille betrachtet, sieht sie
gesetzmäßig unterschiedlich aus, je nach Position des Betrachter und der
zugewandten Seite. Falls jeder von beiden glaubt, daß das, was er sieht, sei
die einzige Wahrheit, gerät er in Verwirrung, sobald er verschiedene Seite
sieht. Falls dieser Mensch an die einzige, absolute und ewige Wahrheit glaubt, wird es ihm schwer gelingen, diese verschiedenen Seiten und Wahrheiten zu
integrieren, d.h. zusammenhängend zu sehen, etwa daß zu jedem Ding mindestens
2 Seiten gehören oder ein Facettenauge aus vielen Facetten besteht, und zwar, wie das Beispiel der Medaille zeigt, eine sichtbare
und eine unsichtbare bzw. in der Vielfältigkeit des Lebens, viele sichtbare und
unsichtbare Seiten vorhanden sind..
So
ergeben sich für jeden Menschen Hintergründe aus der Vergangenheitserfahrung und
dadurch Zusammenhänge in der Gegenwarts- und Zukunftsicht und diese haben ein ganz persönliches
Gesicht. Die Erfahrungen der Vergangenheit werden zum Gegenwartsbezug, werden
leicht in der Gegenwart erlebt und in der Zukunft erwartet, dem Zukunftsentwurf. Durch die
Erfahrungen und demzufolge den Augen bzw. der Wahrnehmung des Menschen ist die Realität also eine
Konstruktion,
eine Erschaffung der Wirklichkeit oder eine Realitätskonstruktion. Die Folge
ist, daß es für das Subjekt Mensch keine absolute Wahrheit gibt. Ich flechte
diese an sich selbstverständlichen Zusammenhänge ein, weil es für viele
Menschen unerträglich ist, daß Realitäten und die Wahrheit eine Frage des
Standpunktes, des Blickwinkels, der Vergangenheit, des Interesses zum jeweiligen
Zeitpunkt sind.
Jeder kennt, wie oft und wie sehr sich in der subjektiven Wahrheit in Familien
und Wissenschaft um die objektive und absolute Wahrheit gestritten wird, ein
Kampf ohne Ende um das Rechthaben.
Der Mensch neigt dazu,
unheilvolle, schmerzliche, bedrohliche Dinge nicht wahrzunehmen
(Abwehrmechanismen u.a. der Verdrängung und Verleugnung) sowohl in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft und ist folglich ihnen gegenüber blind ( Vogel-Strauß-Politik
). Im Zukunftsentwurf wird er zum
blinden Seher. Nimmt er andererseits die Vergangenheit zum Maßstab für die Zukunft, dies halte ich
für eine menschliche anlagemäßige Eigenschaft,
so wird er zukünftige Dinge sehen, die ohne diese Vergangenheit gar nicht
wären. Er wird zum Hellseher
Die Blindheit in der
Gegenwart könnte auch unter dem Gesichtswinkel auftreten, daß im menschlichen
Alltag nach einer unheilvollen Vergangenheit, etwa der Kindheit, durch
Verdrängung und Verleugnung oft eine Blindheit gegenüber den tatsächlichen
Ereignissen für Gegenwart und Zukunft besteht. Weiterhin sieht er die aktuellen
und zukünftigen Realitäten nicht, weil er ausschließlich mit der Verhinderungsstrategie
beschäftigt ist und somit blind ist, was sonst noch sein kann. Ich nehme an,
daß deswegen das Buch von Dale Carnegie „Sorge Dich nicht, lebe!“ seit fast
Jahrzehnten ein Bestseller ist, weil der Mensch vor lauter Sorgen nicht zum
Leben kommt. Diese Sorgen stammen aus der Vergangenheit und stellen folglich den Zukunftsentwurf dar. Dieser Sachverhalt zeigt die Alltäglichkeit und Verbreitung von
angstmachenden Prophezeiungen, im Volksmund den Sorgen.
Da der Mensch nach dem handelt,
was er glaubt, was ist und sein wird, gerät er in eine Zwickmühle, einen fast
unauflöslichen Widerspruch. Einerseits ist die Zukunft prophezeit, er glaubt an
sie und handelt entsprechend diesen Glaubens, andererseits will er sie um jeden
Preis verhindern. Dies schließt sich gegenseitig aus. Falls er an die Zukunft
glaubt, kann er nicht an die Verhinderung glauben, also wird er diese bedrohliche Zukunft trotz und
gerade infolge aller Verhinderungsstrategie durch seine Handlungen erfüllen. Es
werden also durch die Projektion der Vergangenheit in die Zukunft Dinge
gesehen, die ohne die Zukunftshellseherei nicht vorhanden wären, aber durch den
Glauben und die Handlungsumsetzung neu geschaffen werden. Sie sind jedoch
gleichzeitig das Alte, und die alte Erfahrung bestätigt sich.
Vergangenheitserfahrung, Gegenwartserlebnis und Zukunftsentwurf und deren
Bestätigung werden zu einem Teufelskreislauf, der sich aus sich selbst
unaufhörlich bestätigt. Man spricht von selffulfilling prophecy. Bei
bedrohlichen Entwürfen und deren Bestätigungen wird das Leben immer enger. Der
Mensch hat alles klar vorausgesehen und somit recht mit seinen
Voraussagen, ist aber blind gegenüber
dem Nichtvorhandenem, Offenen und Unwägbarkeiten, die nicht mit Sicherheit
vorauszusehen sind.
Der
weitere Verlauf der Ereignisse zeigt sehr schön, wie im menschlichen Leben
gerade
durch die Verhinderungsversuche die Bedrohung sich erfüllt. Vatermord und
Inzest wären ohne die Verhinderungsstrategie des Vaters von Ödipus wohl kaum
passiert. Obwohl laut Erzählung der Totschlag mehr zufällig erfolgte, zeigt der
Mythos, daß in der Traumatisierung Zufälle geleugnet und einer vorbestimmten,
schicksalshaften Verkettung zugeschrieben werden.
Bei der Vermeidung von Streit als Bedrohung etwa brechen die Aggressionen
versteckt an allen möglichen Ecken und Kanten hervor und alle sind zerstritten,
etwa im Phobiker- und Angstkontext. Da die Bedrohungen als Realitäten
wahrgenommen werden, geht die Subjektivität verloren. In der subjektiven
Wahrheit wird sich um die objektive gestritten, ein Kampf um Recht und Unrecht,
Sieg und Niederlage, wie im Angstmilieu regelmäßig zu finden ist. Wenn der eine
recht hat, muß der Andere unrecht haben. Der Frage mag im Einzelfall nachzugehen
sein, was der Depressive, Angstneurotiker oder Psychosomatiker für Vorerfahrungen haben mag, daß der
Depressive das Leben schwarz, hoffnungslos und und der Angstneurotiker seines
voller Bedrohungen sehen mag, auf die Dauer durch die unentwegten Bestätigungen
ebenfalls depressiv werden mag, und wie sie dieses Weltbild in ihrem Leben
umsetzen.
Auch könnte man hineinsehen, es
ist ein frevelhafter bestrafungswürdiger Versuch gegen das feststehende von den
Göttern verfügte Schicksal sich aufzubäumen und feststehende Tatsachen doch
noch verhindern zu wollen. Andere Kulturen sprechen von vorbestimmtem Schicksal
oder Kismet. Diese Hybris wird gerade durch die Erfüllung
bestraft. Auf den menschlichen Alltag übersetzt könnte dies als Beispiel
heißen, falls das Kind gegen die elterlichen Verbote verstößt, wird es die
bösen Prophezeiungen bewahrheiten „wirst in Gosse landen, wird schief gehen“.
Da ein Kind ohne eigenes Weltbild geboren wird, übernimmt es das der Eltern und
glaubt an die Prophezeiung. Die Strafe könnte man unter dem Gesichtswinkel der
Wiedergutmachung und dem zwischenmenschlichen Ausgleich sehen infolge der
Überhöhung der Kinder über die Eltern, daß sie sich Dinge erlauben, die sich
die Eltern nicht verwehren.
Inwieweit die
Verhinderungsstrategie zu tragischen Kreisläufen (Teufelskreisläufen) führt,
möchte ich an einigen Beispiel veranschaulichen. Jegliche Vermeidung des
Phobikers bestätigt sozusagen die Gefahren. Sie wäre ja ansonsten nicht nötig.
Verdrängung und Verleugnung erheben die Gefahren ins Unermeßliche. Der Vogel
Strauß beschwört sozusagen die Gefahren, vor denen er den Kopf in den Sand
steckt, und kann sie nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt untersuchen.
Jegliche
Rechtfertigung und Entschuldigung, um sich von Unrecht und Schuld zu
befreien, bestätigt das Unrecht und die
Schuld, da sie auf die Schuld hinweisen. Die Schuld steht als absolute Tatsache ohne die Wahrnehmung von Umständen und Rahmenbedingungen dar, die so
tragend sein können, daß die jeweilige Handlung kein Unrecht und eine Schuld darstellen. Die
Umstände und Rahmenbedingungen werden oft genug nicht anerkannt, weil der
Beschuldigende aus eigenen Gründen die Schuldzuweisung benötigt, die
Wahrnehmung der Schuld sozusagen in ihm steckt.
Die
Wahrnehmung der Schuld führt zur eigenen Entlastung als Abwehrmechanismus zu
Vorwürfen, den Projektionen eigener
Schuld. Sichtbar zeigt ein Finger auf den Beschuldigten, unsichtbar unter der
verdeckten Hand drei Finger zurück. Beim rechthaberischen Streit, wie ihn jeder
kennt, beim Streit in der Subjektivität um die objektive Wahrheit- subjektiv
hätte jeder recht- besteht zur Vermeidung einer endlosen Zerstrittenheit, eines
Kampfes um Sieg und Niederlage, und zur Vermeidung von Trennung und Verlust,
wie etwa in Familien, wo jeder auf den anderen angewiesen ist, meist eine
Pseudoharmonie, ein Hintergrund von vielen Krankheiten. Infolge der
Unterdrückung von Aggressionen und Vorwürfen bricht diese an allen Ecken und
Kanten hervor in Form von spitzen Bemerkungen, Gerede hinter dem Rücken der
Beteiligten, Fallenstellen und Intrigen, sodaß alle heillos zerstritten sind.
Besonders tragisch im
großen gesellschaftlichen Rahmen erweist sich der Zukunftsentwurf, daß Altern
Abbau, Verfall und Krankheit bedeutet. Wegen der Sicht mangelnder Perspektiven,
Hoffnungs- und Hilflosigkeit, in denen die Möglichkeiten im Alter nicht mehr
gesehen werden, wird dies oft genug danach gelebt und durch körperliche
Krankheiten untermauert. Die Alzheimersche Erkrankung betrifft meist Menschen,
die schon vorher in hoffnungslosen Entwürfen gelebt haben, wie Untersuchungen
zeigen.
Ähnlich ist es bei manchem Krankheitsgeschehen
wie etwa dem Herzinfarkt und Krebs, wo die Gefährdeten verleugnen und die
Ungefährdeten wie die Herzneurotiker hochstilisieren, dramatisieren und
katastrophisieren und die Bedrohungen fürchten. Im Umfeld von
Herzinfaktgefährdeten und -kranken, die blind und real äußerst gefährdet sind,
tauchen deswegen vermehrt Herzneurotiker auf als einem Phantom der realen
Bedrohung. Zwischenmenschlich gehen die Ängste im Falle mangelnder Abgrenzung
und mangelnden Wissens der Zusammenhänge auf den Arzt über, der dann ebenfalls
in Angststreß gerät und fürchtet, ob nicht doch ein Befund übersehen wird und
nicht irgendwo etwas zu finden ist, untersucht und untersucht, vor allem wenn
der Arzt ebenfalls zu Ängsten neigt. Eine Zugangsmöglichkeit besteht für den
Arzt in der Betrachtung seiner eigenen Befindlichkeit, Rückführung dieser auf
den Patienten, wie in Balintgruppen geübt wird.
Weniger in einer belastenden
Vergangenheit oder Gegenwart, diese wird nur bedrohlich, wenn sie den
Zukunftsentwurf prägt, mehr im Zukunftsentwurf auf dem Hintergrund der
Vergangenheitserfahrung sehe ich den Motor für Illusionen, Hoffnungen,
Hoffnungslosigkeit bzw. Resignation und Ohnmacht und Hilflosigkeit. Hoffnungen
erhalten das Leben und die Gesundheit, Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit
stecken hinter vielen Krankheiten.
In der Erziehung, im
Konflikt- und Krankheitsgeschehen geht es zentral um die Weichenstellung einer
positiven oder Vermeidung einer bedrohlichen Zukunft. Wie das Aufsuchen der
Orakel zeigt, beruht der Zukunftsentwurf auf den Erfahrungen der Vergangenheit,
deren Bewertungen und Bedeutungen. Der Mythos der Vergangenheit wird so zum
Mythos der Zukunft. In der Gegenwart sehe ich durch andere und neue
Erfahrungen, schließlich war sie einmal antizipierte Zukunft, eine Chance zur
Neubestimmung. Die begleitenden Gefühle einer Neubestimmung und deren Akzeptanz
sind Überraschung, Verwunderung und Erstaunen.
Falls der Mensch diese bedrohliche Zukunft nicht als feststehende Tatsache, sondern zuerst einmal als Bilder, Phantasien oder Gedanken sieht, die ihm als Folge von Vorerfahrungen in den Sinn kommen, braucht er auch nicht danach zu handeln und die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens wird vermindert. In dieser Unterscheidung von Phantasie und Realität sehe ich eine therapeutische Lösungsmöglichkeit. Dazu möchte ich eine Grundtatsache einflechten, so wie ich sie sehe, daß im Menschen Tag und Nacht, nachts als manchmal erinnerbare Träume, Phantasien, Bilder und Assoziationsketten, sozusagen eine innere Landschaft, ablaufen, und er gleichzeitig ununterbrochen in einer Realität lebt, real ist. Die Unterscheidung von Bildern und Realität wird Realitätsprüfung genannt. Diese vergleiche ich mit dem Erwachen aus einem Traum, wo ich sehe, was wirklich ist. Falls ein Mensch nicht zwischen Bildern, Phantasien und der Realität unterscheiden kann, also diese gleichsetzt, hat jeder Mensch in seiner Realität recht und wird sich für die Richtigkeit einsetzen. Die Rückführung auf Phantasien wird er nicht zulassen, weil sie im Falle der zugrunde liegenden Traumatisierung Unsicherheit und Bedrohung bedeutet und er wissen will, womit und wo er dran ist, um Sicherheit und Klarheit zu garantieren. Wie in der Bibel gilt das Wort wie bei Gott.
Vielfach ist es auch oft, Unrecht zu haben, schafft als unheilvolle Folge vielfach zwischenmenschliche
Bloßstellung, Häme und Besserwisserei, die wiederum gefürchtet wird. Die
Göttlichkeit wird infrage gestellt. Sagen Sie
einmal einem standfesten und militanten Phobiker, daß seine Sorgen und Befürchtungen
Bilder und Phantasien seien. Sein Weltbild würde zusammen brechen. Er wird an
vielen Beispielen nachweisen, daß er recht hat, auch wenn er noch so sehr sich ängstigt
und leidet.
(Versuchter und gelungener)
Sohnesmord
Die Vater-Sohn-Rivalität
ausgehend vom Sohn und dessen Motive wurde von den Freudianern ausführlich
untersucht und beschrieben. Sie stellt ein wichtiges Moment in der
psychoanalytischen Theorie dar.
Man könnte den Sohnesmord im
großen kulturellen und sozialen Rahmen in Kriegen sehen, die die Väter angezettelt haben und
in denen die Söhne umkommen. In einem mir bekannten Beispiel verbot der Vater,
ein namhafter Altphilologe, seinem Sohn,
in seine Fußstapfen zu treten und Altphilologe zu werden, dieser Theologe wurde
und sein Leben lang der Altphilologie nachtrauerte, während der Ziehsohn als
weniger bedrohlich dies werden durfte. Diese persönliche Geschichte ging sogar
laut Erzählung des Ziehsohnes so weit, daß
der Vater die Kooperation von Odysseus und seinem Sohn Telemach zur Vertreibung
der Freier für wissenschaftlich unhaltbar hielt.
Die Blendung des Ödipus
Nach Patzer (persönliche
Mitteilung) bedeutet die
Blendung des Ödipus neben einer Selbstbestrafung vorwiegend das Motiv, die
eigene Schande in den Augen der Umgebung nicht sehen zu wollen. Ödipus wollte
nicht den Inhalt seiner eigenen Bewertung im Angesicht anderer, sich selbst in
den anderen, sehen. Sehenden Auges hätte er Nachsicht, da er eine beliebter
König war, und Mitleid in den Augen der Bürger von Theben gesehen, aber keine
Verurteilung, so wie er sich selbst verurteilte, und somit die Chance der
Neubeurteilung gehabt. Für Ödipus gelten alleine die Inhalte, während
verständnisvolle und differenzierte Menschen mehr die Umstände und
Rahmenbedingungen zur Beurteilung eines Menschen heranziehen. Der Hellseher, der
nicht unterscheiden kann,
Ödipus macht sich blind, blind gegenüber
dem, was ist, und sehend in den anderen, was nicht ist, aber in ihm ist, ein projektives Erleben wie bei vielen
bedrohlichen Zukunftsprophezeiungen.
Dazu eine Fülle klinischer
Beispiele: Vor allem bei Angstpatienten spielen die projektiven Selbstmaßstäbe
und -verurteilung im Angesicht der anderen eine zentrale Rolle. Fehler, Schwäche, Schweißausbrüche, Kollapsneigung,
Stottern, Erröten, aber auch die Bloßstellung von Charaktereigenschaften und
die Blicke und Beobachtungen anderer können gefürchtet werden, in denen die
Erkenntnis und das Durchschauen des inneren Kerns oder Selbst gefürchtet werden.
Dadurch treten diese Zustände als Begleiterscheinung der Angst vermehrt auf.
Sobald Schweiß etwas schlimmes ist, als solches bewertet wird, schließlich
führt die Angst vor dem Schlimmen zu Schweißausbrüchen, tritt der Schweiß vermehrt auf,
eine Teufelskreislauf.
Mehrfach
habe ich erlebt, wie Angstpatientinnen in der Gruppe sagten „ich versteh’ das
nicht ..., ich bin so unsicher und ängstlich und alle sagen mir, wie sicher und
souverän ich bin“. Ich konnte ihnen im Normalfall auch keinerlei Unsicherheit
ansehen. Auf meine Frage "was ist, wenn man Ihnen die Angst ansieht?", kam
regelmäßig die erschreckte Reaktion „um Gottes willen, dann bin ich völlig unten
durch, das wird ausgenutzt!“. Sie sehen und sind davon überzeugt, was nicht
ist, ihr Innenbild im Außenbild, und sind blind gegenüber dem, was ist, und daß
sie zur Vermeidung der Bedrohung erfolgreich alles getan haben. In diesem Fall
der Angst kann man schon von einem leichten Wahn sprechen bei Menschen, die
erfolgreich und äußerlich völlig unauffällig durchs Leben gehen, weil keiner
ihnen die Ängste ansehen darf. Diese Aussagen habe ich mehr zufällig von Frauen
gehört. Männer bestätigten mir, daß es ihnen ähnlich ergeht. Angstpatienten
schämen sich oft so sehr ihrer Ängste, glauben, daß sie die Einzigen sind
und halten sich selber für verrückt und
anormal, so daß sie niemanden etwas von ihren Ängsten erzählen. Da das jeder
Angstpatient tut, erfährt niemand vom anderen und alle bleiben mit ihren
Ängsten allein, wobei die Einsamkeit ihre Ängste fördert, weil die
Außenkorrektur fehlt. Allein das Hören der Ängste anderer etwa in
Selbsthilfegruppen kann schon erleichternd sein. Es ist leicht vorstellbar, wie
sehr dieser Dauerstreß weitere Erkrankungen fördern kann.
Die Ängste können zu grotesk erscheinendem Verhalten
führen, sodaß gerade das geschieht, was als Verurteilung gefürchtet wird.
Ein Angstpatient schilderte mir, er schmiege sich deswegen bei
Tanzveranstaltungen Wange an Wange an seine Tanzpartnerin, um die Blicke und
Gedanken anderer nicht zu sehen
„was er für
einer sei, der sich so an die Frauen heran schmeiße“. Ein promovierter arbeitsloser
Soziologe versteckte sich sozusagen vor sich selbst in seiner eigenen Wohnung.
Damit ihn tagsüber niemand von der gegenüberliegenden Straßenseite sehen
konnte, kroch er unter dem Fenster her. Er fürchtete seine Selbstbilder und
-verurteilung in der Umwelt bzw. wenn er selbst auch nicht diese Vorurteile
teilt, so will er von jedem, auch dem größten Idioten anerkannt werden, bei
jedem gut dastehen.
Therapeutisch
sehe ich als Möglichkeit die Abgrenzung zwischen Gedanken und Glauben,
Phantasien und Realitäten und zwischen
den Personen, sich klar zu machen, daß das Schlimme die eigene Person im
anderen ist bzw. das Urteil anderer nur übernommen wird, wenn es schon in der
eigenen Person steckt. Ich spreche gerne von Quichotterien. Don Quichotte hielt
Windmühlenflügel für Feinde, die er bekämpfte. Eine innere Abgrenzung und
Selbstbetrachtung ist jedoch sehr schwer bei Personen, die unter extremen
Angstdruck stehen. Sie sehen die einzige Möglichkeit der Bedrohung zu entgehen im Handeln,
wobei tragischerweise sämtliche
Handlungen wie Vermeidung, Flucht und Durchstehen die Bedrohung verstärken, weil sie ansonsten nicht nötig wären. Das
zwischenmenschliche Verhalten, wo eine positives Außenbild (Image, guter Eindruck) vermittelt wird und ein negatives Innenbild nicht nach
außen treten darf, nenne ich Digitalen Dialog im Gegensatz zum Analogen Dialog,
wo man sich gibt, wie man ist und einem zumute ist.
Das Eindringen von außen in die
eigene Person kann als so unerträglich erlebt werden, daß es zu verschiedenen
schwerwiegenden dissozialen bis mörderischen Reaktionen führen kann.
Ein
früherer Bankräuber mit einem läppisch, grinsenden Auftreten, so daß er
lächerlich wirkte, geriet in derartigen Situationen in innere Zustände, worauf
er früher mit Drogensucht, später mit dem Bankraub, jetzt mit Kleptomanie
reagierte. Eine derartig unerträgliche Situation
sei für ihn, wie er schilderte, wenn
seine Frau ihn frage, was mit ihm los sei, wo sie alles doch genau wisse, und
dann bohre sie noch so lange in ihm rum, daß er alles abstreite. Den zwischenmenschlichen Vorgang erkläre ich mir,
daß sie ihm etwas anmerkte, daraufhin schlimmes befürchtete, und aus ihm herauszuholen suchte, was ihn
belaste. In der Kindheit hatte die Mutter und die Familie Böses in ihn
hineingesehen und hatten geglaubt, ihm das Böse offen anzusehen. Daran hatten die
ganze Familie und er geglaubt. An die Offenlegung der inneren Wahrheit glaubt er naturgemäß jetzt noch und verhält
sich nach dieser Wahrheit. An seinem Verhalten ist seine innere Realität
abzulesen, daß er ein Bösewicht ist, der Drogen nimmt, raubt, stiehlt und eine
lächerliche Figur ist und gerade das macht, dessen er bezichtigt wird.
In
einem Artikel über Amokläufer berichtete die Zeitschrift STERN von einem
Lehrer, der von Fachleuten bestuntersucht lange in der Psychiatrie saß und
Bücher schrieb. Er war fest überzeugt, daß ihm auf der Straße jeder seine
Sodomie ansehe. Von diesem Wahn nahm er nie Abstand. Wenn ich den Faden fort
spinne, ist die Leugnung folgerichtig. Die Straße war für ihn die Bühne der
abgrundtiefen Bloßstellung und Verachtung, in der er blindwütig die Gesichter
zerstörte. Hätte er dies als Wahn realisiert, wäre das furchtbare Geschehen
sinnlos gewesen.
Das Rätsel der Sphinx
Die Sphinx selbst ist ein Wesen, halb Mensch, halb Tier, vielleicht als Symbol des tierischen und menschlichen Wesens im Menschen, der animalischen Triebe und des Verstandes. Dieses Menschtier bzw. Tiermensch stellt die Frage nach dem Menschen, einem Spiegel seiner selbst, einem Rätsel, egal wie die Antwort ausfiel, dessen Lösung oder Nichtlösung jeweils mit dem Todes bestraft werden. Wegen dieser tödlichen Bedrohung ist die Frage so schwierig. Das Wesen Mensch ist so sehr von Phantasien, Bildern hinsichtlich seines realen Wesens geprägt - ein radikaler Konstruktionist würde sagen „Wer sagt, daß dieses Wesen überhaupt existiert und ein Mensch ist!? Das ist doch nur eine Kreation und Definition des Menschen! „ - , die auf Verleugnungen, Projektionen, Schönfärbereien, Dramatisieren und Katastrophisieren beruhen, so daß kein Mensch weiß, wo er wirklich dran ist, und er zu seinem eigenen Rätsel wird. Theologen, Geistes- und Naturwissenschaftler bemühen sich seit Jahrtausenden um die Lösung und finden je nach ihrem Blickwinkel religiöse, philosophische oder naturwissenschaftliche, organische bzw. biologische Antworten. Es ist ein reines Hase-Igelspiel. Die einen rennen und bemühen sich, die anderen haben schon lange die Lösung und den Stein des Weisen gefunden. Laut Sage ist die tödliche Bedrohung, daß in der Natur des Menschen Schwächen, Fehler, animalische Triebe und Schuld gefunden werden, die für ihn eine katastrophale Bloßstellung und Dimension bedeuteten, sodaß seine wahre Natur auf keinen Fall gefunden werden darf. Wird das Rätsel seiner Natur nicht gelöst, ist er sich selbst seinen Katastrophen und katastrophalen Verhinderungstrategien hilflos ausgeliefert. Egal wie, wird die Natur, des Wesens Mensch geklärt oder nicht geklärt, entsprechend dem Sisyphusmythos geht das Rätselraten weiter und findet keine Lösung. Zwischen beiden Abgründen, Skylla und Charybdis führt nur ein schmaler Grad.
Wir Psychos werden im Gesundheitswesen bei unseren Lösungsversuchen heftig attakkiert, wobei weite Bereiche wie der psychosoziale Kontext tabuisiert sind. Millionen Forschungsgelder werden bei vielen Volkskrankheiten dort ausgegeben, wo die Lösungen garantiert nicht zu finden sind. Scham, Schande und Schuld sind zu große existentielle Bedrohungen.
Besonders die Medizin
bewegt sich auf diesem schmalen Grad, einer Gratwanderung. Einerseits bedeuten
die Aufdeckung der psychischen und psychosozialen Hintergründe und
Zusammenhänge Blamage, Lächerlichkeit, Mitleid, das oft genug gefürchtet wird,
weil es die Schwäche bloßstellt, und Schuldzuweisung, andererseits kann durch
eine naturwissenschaftliche Diagnose und Therapie nur beschränkt insofern geholfen werden, daß niemand etwas
für seine Veranlagung kann und somit frei von Schuld ist, aber der
psychosoziale Kreislauf nicht erkannt wird und weiter geht. Die Lächerlichkeit möchte ich am Bild des Don
Quichotte festmachen und im griechischen Mythos am Homerischen Gelächter der
Götter, die über all diesem stehen. Allein
der Begriff der schizophrenogenen Mutter hat die amerikanische Psychoanalyse in
Mißkredit gebracht. Ein Schrei der Empörung ging durchs Land, „sie sollten an
der Schizophrenie ihrer Kinder schuld sein, wo sie doch alles taten, um diese
zu verhindern!“ Mitverursachung und Beteiligung werden mit Schuld
gleichgesetzt, obwohl sie wirklich nichts dafür können. Sie handeln gemäß ihres
Weltbildes und tragischerweise ergeben sich diese Resultate.
Ich sah neulich einen Fernsehbericht über eine
Klinik für neurodermitiskranke Kinder , dessen Leiter die Verlustangst der
Mutter als wichtige Ursache der
Neurodermitis ansieht. Eine dort auftretende Mutter äußerte den
Gedanken, ob ihre Verlustangst nicht auf das Kind übergehe, worauf der Leiter
äußerte „nein, das könne auf keinen Fall geschehen!“, vermutlich, um ihr die
Selbstbeschuldigung zu ersparen, unter der sie sowieso schon litt, und sein
schönes Klinikkonzept nicht infrage zu stellen. Meiner Erfahrung nach spielen
die Ängste, Schuldgefühle, Spannungen und Zukunftskatastrophisierungen der
Mutter und Umgebung eine wichtige auslösende Rolle bei der Neurodermitis. Die
Haut als Grenzorgan reagiert auf zwischenmenschliche Spannungen. In diesem Pulverfaß kann allein schon der
kleine Hinweis auf psychosomatische Faktoren, wie mir persönlich passiert ist, zu einer dramatischen Schilderung der Krankheit
führen, so als ob sich dagegen verwahrt würde, daß dies überhaupt eine
Krankheit wäre. Ein MS-Kranker,
der bei der Auslösung der Schübe aus Angst vor Entdeckung seines Versagens
nicht aus noch ein wußte, froh war, wenn seine Mutter bei der Darstellung
seiner Erfolge ihre Zufriedenheit äußerte, meinte grinsend, aus dem Schneider
sei er, da seine Krankheit Schicksal sei. Überhaupt
sind alle Beteiligten aus dem Schneider, wenn die Ursachen der Krankheit im
Schicksal, den Genen, der Anlage, Viren oder einem gestörten
Transmitterstoffwechsel gefunden werden. Dann können die medizinischen
Behandlungen greifen, ein nicht von Scham und Schuld geplagter Mensch kann sich
erholen und Hoffnung schöpfen, der Arzt verdient, die Geräte- und
Pharmaindustrie verdient und alle profitieren. Sicher sind bei vielen Kranken
oft keine anderen Wege möglich. In
einer Studie wurde eine willkürliche Auswahl der Bevölkerung nach ihrer Meinung
über die Ursachen der Depression befragt. Die meisten sahen diese in der Person
des Kranken und den sozialen Verhältnissen, ganz im Gegensatz zur medizinischen
Wissenschaft, die diese in einer Transmitterstoffwechselstörung sieht. (Transmitter
sind die Botenstoffe, chemische Reaktionen zwischen Nervenzellen und
Erfolgsorganen wie Muskeln, Drüsen als Teilbereich der biochemischen und
biophysikalischen Informationsübertragung bzw. –leitung innerhalb des
menschlichen Körpers.) Trotzdem regte sich neulich ein Freund über seinen
schizophrenen Bruder auf, als ob dessen Verhalten reine Böswilligkeit wäre.
Die Bibel
Die Schöpfungsgeschichte
In der
biblischen Schöpfungsgeschichte sehe ich
die Analogie im schwer traumatisierten menschlichen ontogenetischen
Werdegang wieder gespiegelt. Sie ist für mich ein gutes und
grundlegendes Beispiel der Vorgänge einer Traumatisierung über Generationen
hinweg. Die Familie, die Eltern haben eine psychosoziale und
kulturelle Vorgeschichte, die ebenso verleugnet und tabuisiert wird wie die
traumatischen Erfahrungen von Gott.
„Im
Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott“. So steht es zu Beginn im Alten
Testament. Testament heißt, es ist eine Botschaft oder Erbschaft von
verpflichtenden, bindenden Charakter, also das Gesetz. Dies Wort ist ein göttliches Gesetz, das über
den Menschen schwebt, und nicht in Zweifel gezogen werden kann.
Das Wort Gottes muß eine Vorgeschichte und zwar eine katastrophal bedrohliche
gehabt haben und kann also nicht am Anfang stehen. Vor diesem Wort gab es viele
Worte, Entwertungen und Verurteilungen.
Als Folge beinhalten allein schon Zweifel und Infragestellung dieses unantastbaren Wortes das Böse, um so mehr etwa, wenn das Kind gegen das Wort des Vaters oder der Eltern opponiert, dagegen verstößt. Insofern treten allein durch das Wort das Gute, personifiziert in Gott, und das Böse auf, personifiziert durch den Teufel, auf, in dem die Bedrohung steckt. Das Böse, ebenso wie das Gute, das den Schutz verspricht, haben eine unheimliche Verführungsmacht, in meinen Augen alleine dadurch, daß es unantastbar ist und jegliche Selbstbestimmung, eigenen Willen und Freiheit verbietet. Aber, allein der menschliche Drang der Aufrechterhaltung des eigenen Willens und der Selbstbestimmung, dies halte ich für ein ureigenes menschliches Verlangen, verführt dazu, das Wort zu brechen. Gott, ähnlich wie viele Eltern, provoziert geradezu die Durchbrechung seiner Gebote. Im Alltag ist von Trotz, Verweigerung, Ungehorsam und Sabotage die Rede. Dadurch kommt es zu einem Kampf zwischen Unterwerfung und Aufbegehren und der Mensch gerät in den Zwiespalt, das Böse tun zu müssen, es nicht zu dürfen, gleichzeitig das Gute zu wollen, denn wer will das nicht, und stigmatisiert zu werden – in der Traumatiserung eine unauflösliche Falle und eine eine Tragik im Werdegang. Wenn dieser Kampf nicht offen ausgetragen wird, führt er zu einem subtilen inneren Kampf, einer inneren Zerreißung, die zu Krankheiten führen kann.
Besitzer der absoluten und göttlichen Wahrheit gibt es viele in absolutistischen Regimen, ebenso wie in Familien, beileibe nicht nur bei Männern. In der Bibel ist es ein männlicher Gott, entsprechend dem Patriarchat, der keine anderen Erkenntnisse neben sich und Handlungen wider seine Gebote zuläßt. Erfahrungen mit der Traumatisierung zeigen, daß gerade verleugnete Bedrohungen im Alltag an banalen alltäglichen Handlungen wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte beim Apfelessen, im Alltag oft vieles mehr, festgemacht und Zuwiderhandlungen zu Versuchen der frevelhaften Gottgleichheit und die Früchte zu denen vom Baume der Erkenntnis hochstilisiert werden. Eine Geschichte der Definition von Feinden, wo nur Windmühlenflügel sind, ist die des Don Quichotte. Dies entspricht der Erfahrung mit Traumata, daß diese in symbolischen oder ähnlichen Alltagssituationen, sogenannten Triggersituationen wieder erlebt werden. Manchmal oder sogar oft ist es jedoch nicht nur die Symbolik, sondern die reale Erfahrung mit Taten, Vorgängen oder Gegenständen, die als bedrohliche Erfahrung unter allen Umständen vermieden werden müssen, etwa Gewalt, Tod, Krankheiten oder Hunger. So mag ein Vorfahr von Gott schlechte Erfahrungen mit einem vergifteten Apfel gemacht haben. Oft muß ein Gegenstand oder ein Vorgang symbolisch für viele andere herhalten, ein pars pro toto. Als Folge sagt die Bibel aus, in der Banalität des Alltags sind eigener Wille, Selbstbestimmung und eigene Erkenntnis das Böse.
Die Erbsünde ist meiner Ansicht nach eine Symbolik für die Auswirkungen der Traumatisierung über Generationen., die in jedem der Nachfahren steckt. Dadurch wird die Folgegeschichte des Alten Testamentes zu einer unendlichen Folge von tragischen Wiederholungen und Kreisläufen und das Leben zu einem Irdischen Jammertal. In der Entwicklung eines jeden Kindes ist eine der größten Traumatisierungen und diese findet sich überall im Alltag, keinen eigenen Willen haben zu dürfen, keine Rechte, keinen Wert, nichts zu gelten, solange große Gefahren bevorstehen, um so mehr, je bedrohlichere Erfahrungen in der Vorgeschichte der Eltern und des Kindes vorliegen.
Laut
Schreber,
dem meistgelesenen Autor pädagogischer Bücher Ende des 19. Jahrhunderts, ist
der Wille des Kindes um jeden Preis zu brechen. Der eigene Wille ist das Böse.
Die Folgen dieser Erziehung haben sich sicherlich über Generationen ausgewirkt
und stellen meiner Vorstellung nach den Hauptgrund dar, daß die Deutschen so
vernichtend über die Juden und Zigeuner hergefallen sind und einen Ariermythos
aufgestellt haben. Eigener Wille, Eigengesetzlichkeit und Selbstbestimmung der eigenen Handlungen
können nicht aus der eigenen Person, sondern nur von außen kommen durch die
Einflüsterungen des Teufels, werden also externalisiert, und natürlich durch
das Weib, dem schwachen Geschlecht, das seinen Trieben nicht widerstehen kann.
Insofern ist die Frau die Verkörperung des Bösen. Daß das Weib die Böse ist,
beschreibt die Tatsache, daß in den meisten Kulturen die Frau und Mutter als
hauptanwesende Person die Erzieherin und Prägerin des heranwachsenden Menschen ist und somit sie infolge ihrer
teuflischen Einflüsterungen als Folge ihrer eigenen Traumatiserungen die Böse ist. Meiner Ansicht nach fanden deswegen
auch die Hexenverbrennungen statt, das Symbol Hexe stellvertretend für die böse
Mutter. Man könnte die
Stigmatisierung der Frau auch als Rache an den Müttern ansehen.
Die Autonomie
und Selbstbestimmung wird mit der
Erbsünde für die ganze Menschheit
bestraft im Sinne einer Botschaft für weitere Generationen.
In ihr wird die Bedrohung und Unsicherheit gefürchtet. Ein Dilemma bzw.
eine Beziehungsfalle entsteht durch die Selbstaufgabe durch Anpassung und
Unterwerfung, dadurch aber des Wohlwollens der Eltern gewiß zu sein,
andererseits durch die Stigmatisierung des Bösen und die Schuld des Lebens
nicht mehr froh werden zu können. Die Folge ist der weit verbreitete Mythos des
Irdischen Jammertals, das der Erlösung personifiziert in Jesus Christus harrt.
Am Beispiel der Stigmatisierung der Onanie als
Todsünde innerhalb der katholischen Kirche, zumindest bis vor wenigen
Jahrzehnten, möchte ich Aspekte der Wechselwirkungen erläutern. Für die meisten
Jugendlichen ist sie das einzige beichtenswerte Hauptthema, für dessen
Bloßstellung als sündige Tat sie die Erlösung als Absolution erhalten. Durch die
Beichte bestätigen sie die Sünde, und da sie die Sünde anlagebedingt immer
wieder begehen müssen, geraten sie in weitere Sünde und durch die Möglichkeit
der Erlösung in die Abhängigkeit des Beichtvaters und einen Kreislauf von Sünde und
Erlösung. Immerhin wird in der Beichte eine Erlösungsmöglichkeit gegeben, ebenso
wie bei der Entschuldigung und Rechtfertigung und das Wohlwollen des Gottes
bleibt erhalten. Entschließt sich der Jugendliche, die Onanie nicht mehr als
Sünde anzusehen, oder folgt der Auffassung von außen, daß die Onanie etwas
völlig normales sei, was zur psychosexuellen Reifung gehöre, entkommt er dem
Kreislauf und der Priester wird überflüssig. In der Bewertung der
Selbstbefriedigung als Sünde besteht eine wesentliche Daseinsberechtigung des Beichtvaters. Eltern,
die sich kein anderes Leben erschließen können, werden ihren Wert und ihre
Bedeutung in der Fürsorge für die moralische Rehabilitation ihrer Kinder sehen
und diese so in Abhängigkeit halten. Schizophrene malen meist das
kontrollierende Auge.
Der absolute Herrscher verlangt
absoluten Gehorsam. Diesen benötigt er zur Bestätigung seiner absoluten Macht.
Man spricht auch von Kadavergehorsam, da ein eigenes Leben nicht mehr möglich
ist, eigenständig der Mensch tot ist. Wohin der Kadavergehorsam mit seinen
tödlichen Folgen führte, darüber wissen wir Deutsche ein Lied zu singen.
Selbstmord kann die logische Folge sein.
Durch das absolute
Gebot wird zur Erhaltung der Autonomie geradezu Trotz erzeugt. Leider ist Trotz
kein eigenständige Produkt, sondern eine Reaktion, deren Thema durch das Gebot
bestimmt wird, und während des Trotzes ist keine Autonomie möglich.
Selbständiges Handeln wird von vielen Eltern nicht als ein Handeln des Kindes für sich, sondern
gegen die Eltern erlebt, ähnlich wie Gott die Handlungen Evas als Handlungen
gegen seine eigene Person wahrnimmt.
Kain und Abel
Die Vergabe des Wohlwollens von
Gottvater durch Bevorzugung und Benachteiligung seiner Söhne erzeugt beim
Benachteiligten eine solche Wut, und zwar nicht auf den Verursacher, dieser ist
unantastbar, da er das Ziel der Anerkennung ist und somit nicht angegriffen
werden darf, daß er seinen Bruder erschlägt. Dieser Sachverhalt, wohl nicht so
tödlich, findet sich in Familien alltäglich wieder, wo Neid und Eiferssucht
unter den Kindern erzeugt werden und diese aufeinander losgehen, sich streiten,
dieser unterdrückt und dadurch gesteigert wird. Diese Geschichte könnte man
auch unter dem Gesichtswinkel der Schuldabwehr der Scham sehen. In einem für
alle Seiten peinlichen Geschehen - für Gottvater, aus welchen Gründen bei sich
selbst er es nötig hat, sich zum Maßstab aller Dinge hoch zu stilisieren, den einen Sohn aufzuwerten und den anderen fertig zu machen,
für jeden der Söhne, daß sie diese Bewertungen einfach übernehmen und daran
glauben, wie dies zwangsläufig mit Kindern geschieht, statt den Vater an seine eigene Nase zu fassen, der eine wird verführt,
muß aber seinen Absturz im späteren Leben fürchten, wo er zu Normalmaß
zurechtgestutzt wird, der andere übernimmt
einen solche blödsinnige Bewertung und Stigmatiserung und bestätigt sich in der Rolle des Bösen
- wird
die Schuld auf einen abgewälzt, wodurch die übrigen entlastet sind.
Eine Erklärung ist nach den
bisherigen Ausführungen in den bedrohlichen Vorerfahrungen des Vaters, im
Mythos Gottvater, zu finden, der
aufspaltet und sein gutes in dem einen sieht bis zu Erlösungswünschen,
in den andern sein negatives Selbstbild
hineinsieht. Die Bibel kann also nur unrecht haben. Vor dem anfänglichen Wort
waren viele Worte, die den Vater über Generationen in die Preduille brachten.
Nun ja, voraus gingen die bösen Erfahrungen im vermeintlichen Paradies mit Eva,
dem Teufel und der Erbsünde.
Die Heilige Familie
Etwas salopp ausgedrückt, der Sohn ist der Gott, die Mutter
jungfräulich, an die kein Mann ran darf, eine Tugend, vom Heiligen Geist
befruchtet, und der Vater der Trottel, der das Ganze zu finanzieren hat, der
Sohn von beiden favorisiert, und ein Mädchen gibt es erst gar nicht. Die
Heilige Familie ist das Ideal- und Gegenbild, weil es in vielen Familien
gegenteilig zugeht. Die Väter schlachten ihre Söhne, weil sie von den Müttern
idealisiert werden, die Frauen sind alles andere als jungfräulich, die
penisneidischen Töchter (laut Freud) und Frauen müssen sich als Benachteiligte
und Unterprivilegierte als Mutter Gottes in Szene setzen und die hochgelobten Söhne,
wie später erzählt, müssen ihren
Absturz fürchten. Wenn eine Frau den Erzeuger ihres Kindes nicht preisgeben möchte,
sagen manche „sie ist vom heiligen Geist befruchtet“. In machen Kulturen, vor
allem im mittleren afrikanischen Gürtel, werden die Frauen für mannstoll und
sexbesessen gehalten, deswegen werden sie zur Aufrechterhaltung ihrer ehelichen
Treue und Anstand teilweise grausam beschnitten. Und die Töchter sollen es auch nicht besser haben als ihre
Mütter, weswegen die Beschneidung von den Frauen ausgeht, während die Männer bei
der Kindererzeugung mehr leiden.
In vielen Kulturkreisen werden die heilige Familie und der
Mutterkult vor allem zu Weihnachten, Muttertag und Mutters Geburtstag gefeiert.
Die Bibel sagt aus, daß für unsere christliche Kultur die Jungfräulichkeit Leitbild ist. Im Sinne der Selbstbehauptung und -bestimmung wird diese oft genug durchbrochen. Als Folge der Traumatisierung und Verlustes der Differenzierungen und Zwischenschattierungen entsteht eine Spaltung zum Gegenbild der Nonne, das der Hure. Dort können die Männer all das machen, wofür ihre Frauen sich zu schade sind und sie ihnen zu schade sind. Schließlich wollen die Männer auch anständige Frauen, und es findet eine Sündenbockstrategie statt. Ich las einmal in einem Artikel über Pietisten den Bericht einer Frau "Geschlechtsverkehr fand nur zum Zwecke der Zeugung statt, unter der Decke im dunklen Zimmer, und dann unter ständigem Gebet, daß sie nicht die sündige Lust befalle". Manchmal suchen sich in einer Subkultur Frauen Männer, wo sie das tun, wofür sie sich und ihren Männern in der Ehe zu schade sind. Ich hatte einmal einen Italiener als Patienten, der in dieser Rolle an Krebs verstarb.
Die Männer sollen es auch nicht viel besser haben als die Frauen. Im Rahmen des Zölibats werden sie zu Priestern, Stellvertretern Gottes hoch stilisiert. Diese Rolle verführt sie durch den Gewinn. Die Schattenseiten treten erst später in Erscheinung. Die Kirche weiß ein Lied darüber zu singen. Eine zeitlang ging durch Lesbenkreise "falls sie sich ein Kind ohne Mann wünschten, wäre ein katholischer Priester ideal, denn die Kirche zahlt gut". Auch werden manche Männer priesterlich, enthaltsam erzogen und leiden später unter ihrer Enthaltsamkeit oder Schuldgefühlen, falls sie ihre Programmierung durchbrechen. Ihre Geschlechtlichkeit wird als etwas Böses stigmatisiert. Der Spruch "Männer wollen nur das Eine" ist weit verbreitet, und Frauen fühlen sich als Sexualobjekt mißbraucht. Da sie von ihren Müttern sozusagen kastriert wurden, oft genug auch von den Vätern, die ebenfalls kastriert sind, fürchten sie die Kastration, oft begründet, da sie sich infolge der Prägung wenig wehren können, wiederum bei anderen Frauen und können sich nur schwer einlassen. Einige meiner Patienten wurden in dieser Situation homosexuell. So hatte ich einmal einen Patienten, der von seinem Urlaub berichtete "die Männer wollten nur das Eine, so einer wäre er nicht!". Ich veranschaulichte mir, wie er sich an den Frauen rächte, wenn eine etwas von diesem smarten, hübschen jungen Mann wollte "ätsch, ärscht, ich bin homosexuell!". Viele Homosexuelle sind bei Frauen sehr beliebt, da sie gute Gesprächspartner und Zuhörer sind, keine kritischen Fragen stellen, von ihren Müttern gut erzogen, und die sexuelle Spannung und Ungewißheit fehlt.
Erlösung, Kreuzigung und Auferstehung
Im biblischen Mythos findet die lang ersehnte Erlösung in der Selbstaufopferung von Jesus Christus, dem Gottmenschen, statt. Dies muß zur unantastbaren Religion erhoben werden, da im realen traumatisierenden Leben auch im Nachhinein von der Erlösung wenig zu spüren ist. Dieser Vorgang läßt mannigfache Deutungen zu, von denen ich nur wenige herausgreifen kann bzw. mir bisher eingefallen sind.
Schon die Geburt von Jesus wird verklärt. Über 30 Jahre seines Lebensweges wird nichts berichtet. Evtl. sind diese tabuisiert, da er ein menschliches Leben geführt hat, das wenig zu einem Erlöser paßte, und möglicherweise ist er vom Saulus zum Paulus mutiert wie einer seiner Jünger. Dafür spricht, daß er sein sündiges traumatisiertes Leben zu einem Gegenbild wandelte, in dem er mit weisen, aber widersprüchlichen Lehren durch die Lande zog, eine Jüngerschar um sich sammelte, wie viele Religionsstifter. Ich hatte schon oben erwähnt, wenn jemand die absolute Wahrheit verkündet, wird er von den Einen als Gott verehrt, von Anderen verurteilt, vor allem von denen, die die absolute Wahrheit und Macht in den Händen halten und eine konkurrierende Macht der absoluten Wahrheit nicht zulassen können. Die absolute Wahrheit bedeutet eine Todesbedrohung für Mannigfaltigkeit und Selbstbestimmung, verursacht Kampf, Zwist und Streit, insofern ist sie kreuzigungswert. Vom Zeitpunkt seiner Verkündigung an hat Jesus und vermutlich ebenfalls seine Gefolgschaft schon weite Bereiche ihres selbstbestimmten Lebens verloren - für alle Seiten eine Traumatisierung. Insofern ist der Verlust des körperlichen Lebens nur konsequent. Ich sehe bei vergleichbaren Hintergründen darin eine Theorie des Selbstmordes. Und dies noch im Sinne einer göttlichen Verherrlichung zu tun, ein ungeheurer narzißtischer göttlicher Gewinn und dieses Märtyrertum wird von vielen als göttliches Heldentum (siehe die Selbstmordattentäter) verehrt. Und gleichzeitig wurde er noch von diesem Leben erlöst. Im Volksmund spricht man lapidar davon, aus einer Not eine Tugend machen.
Die Selbstaufopferung als Erlösung für die Menschheit aufzufassen, entspricht alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen und Gegebenheiten. Verantwortung für andere zu übernehmen, erlöst und befreit diese von der Eigenverantwortung, vor allem, wenn diese ihnen als schwierig und unlösbar erscheint. Wenn jemand in der Sündenbockstrategie die Schuld übernimmt, sind die Anderen von der Schuld erlöst. Wenn jemand oder eine Gruppe wertlos und rechtlos sind, haben die Anderen um so mehr Wert und Rechte. Der Eine oder die Gruppe opfern sich für die Anderen auf. In dieser Traumatisierung findet eine Aufspaltung statt, und die tödliche, existentielle Bedrohung wird zum Schutz und zur Sicherheit in Grandiosität abgewehrt und umgewandelt.
Nun kann ja ein Gott nicht so schmählich und demütigend umkommen. Das kann nur ein Mensch. Die Geschichte wäre zu Ende. Er muß wie in einem Groschenroman in Glorie als Gott wieder auferstehen. Dadurch bleibt uns das Wort als Abwehrstrategie der Angst und Bedrohung und somit die Traumatisierung durch die Abwehrstrategie erhalten, wie die weitere Geschichte der Menschheit zeigt. Die Erlösung geht weiter und findet immer neue Götter und wenn diese auch nur Geld, Macht, Schönheit oder anderes sind.