Trauma und Alltag im Spiegel von Mythen

(Ödipussage und Bibel)

 

            Bei der Arbeit mit Patienten kommen mir immer wieder bestimmte jahrtausende alte Mythen in den Sinn, und je mehr ich sie von verschiedenen Seiten betrachte, desto mehr drängt sich mir der aktuelle Wahrheitsgehalt in den verschiedensten Facetten und Schattierungen auf. Ich halte Mythen für aktuelle, harte Realität im alltäglichen Konflikt- und Krankheitsgeschehen, womit wir Ärzte und Psychotherapeuten zu tun haben. Sie zeigen mir, wie sehr der Mensch über die Jahrtausende hin sich in seinen urmenschlichen Grundkonflikten treu geblieben ist. Meiner Ansicht nach spiegeln Mythen die Folgeerscheinungen und -zustände der Traumatisierung und somit der Angst vor der Bedrohung wieder und zeigen somit auf, daß über die Geschichte hinweg die Menschheit häufig traumatisiert ist. Nach neurobiologischen Erkenntnissen - ich lege Singer zugrunde, weiteres in dem Aufsatz über Neurobiologie - ist der menschliche Geist in seinem phylogenetischem Werdegang in seinen Mustern und Reaktionen vordringlich auf das Überleben ausgerichtet. In der Traumatisierung liegt eine Todesbedrohung zugrunde, die überlebt wurde und als weitere Bedrohung in den Nervenzellen verankert bzw. eingebrannt ist, sodaß sie in alltäglichen Situationen überall gefürchtet wird. Heute sind die Märchen und Mythen für mich eine Parabel der Traumatisierung, Angst und Bedrohung. Sie sollen Anregungen zu weiteren Einfällen sein. Mir selbst fallen immer neue Aspekte ein.

            Von den größeren Sagen sind für mich der Ödipusmythos und die Bibel eine Fundgrube von aktuellen Aussagen über menschliche Konflikte, (falls ich die Bibel als Sage und nicht als religiöse Wahrheit betrachte), wahrscheinlich deswegen, weil ich sie, wenn auch recht unvollständig und fragmentär, am besten kenne und sie mir deswegen am meisten in den Sinn kommen. Auch habe ich diese beiden Mythen ausgewählt, weil sie mir am deutlichsten auf traumatische und traumatisierende zwischenmenschliche Verhältnisse in unserem Kulturgut hinweisen. Wie aus dem Folgenden hervorgeht, halte ich Gott und Religion für eine Traumareaktion. Der Mensch hat Gott geschaffen als Schutz vor Bedrohungen, wie am deutlichsten religiöse Rituale von Naturvölkern zeigen, die Götter als Schutz vor Naturgewalten und Krankheiten. Gleichzeitig wurde durch die Traumatisierung die patriarchalische Gesellschaftsform geschaffen als Nachfolgerin der matriarchalischen Gesellschaft, oder besser nach Ernest Bornemann der matristischen Gesellschaft, wo ohne Hierarchie Gleichberechtigung und nach späteren Definitionen Inzest allgemein üblich waren. Wie weiter unten ausgeführt, kommt gerade dadurch in perfertierter Form Inzest wiederum allgemein vor.

Neben den von Freud herausgearbeiteten Themen sehe ich in der Ödipussage

1. das Thema des Sohnesmordes,

2. als Folge der Erfahrung einer unheilvollen Vergangenheit das Thema der Prophezeiung bzw. der Antizipation oder des Zukunftsentwurfes auf dem Boden einer unheilvollen Vergangenheit,

3. zur Erlangung von Schutz und Sicherheit als Gegen- und Überlebensreaktion und -muster das der Macht und Kontrolle in einer Verhinderungs- bzw. Vermeidungsstrategie und gerade dadurch ermöglichten Erfüllung, so daß der erwünschte Schutz im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung das Trauma verstärkt und oft genug tragischerweise erst ermöglicht. 

4. die Thematik der mangelnden zwischenmenschlichen Abgrenzung der Bewertungen und Bedeutungen "sich selbst im Auge des Anderen zu sehen",

5. der Bedeutung des Inhaltes und des Rahmens bzw. der Umstände, Zusammenhänge und Hintergründe, die sowohl aus der Vergangenheitserfahrung als auch in späteren Zeiten und Umständen nicht gesehen werden, so daß selektiv ausschließlich die Bedrohungen aus den früheren Erfahrungen auf die Zukunft übertragen werden und zwischen früher und heute nicht differenziert werden kann, die Blinden Seher und

6. überhaupt der Rätselhaftigkeit des Menschen im Rätsel der Sphinx.

Diese Themen werden im griechischen Mythos deskriptiv als schicksalhaft menschliche Zusammenhänge ohne Auswege beschrieben.

In der Bibel kommen noch hinzu

1. das Gottesthema und der Göttlichkeit im Menschen (obwohl auch im griechischen Mythos die Grenzen verwischen, jedoch als Hybris bestraft werden, siehe die Überschrift am Apollotempel in Athen „gnothi s’auton“ „erkenne Dich selbst“, sinngemäß als Mensch und nicht als Gott) als Besitzer der absoluten und einzigen Wahrheit, die der Abwehr der Traumatisierung dient. Der schwer traumatisierte Mensch ist sozusagen ein Zwitterwesen, ein Mensch-Gott.

2. das der Erbsünde und

3.  das Festmachen des ursprünglichen Traumas in Alltagssituationen, wobei Alltäglichkeiten zu Verbrechen oder Sünden hochstilisiert werden. (sog. Triggersituationen im PostTraumatischenBelastungsSyndrom)

4. das Thema der zwischenmenschlichen Abgrenzung, umgekehrt zu "sich selbst im Anderen sehen", "den Anderen in sich selbst sehen" mit der Schamabwehr in Schuld.

5. als Folge das des irdischen Jammertales und

6. der Erlösungsmythos. Der Erlösungsmythos macht wohl den Unterschied von Mythos und Religion aus, obwohl er sich in weniger absoluter und göttlicher Form etwa in deutschen Märchen wie Dornröschen, Schneewittchen oder Aschenputtel wiederfindet.

7.  das Inzestthema, das auch in der Ödipussage eine zentrale Rolle spielt.

Die angeführten Themen sind selbstverständlich nur künstlich getrennt. Sie fließen ineinander über, da sie in meinen Augen zur menschlichen Natur gehörende Reaktionen auf die Traumatisierung darstellen.

Unter Traumatisierungen verstehe ich schreckliche existentiell bedrohliche Erlebnisse, die das menschliche Fassungs- bzw. Integrationsvermögen übersteigen, wie Naturkatastrophen, also Traumatisierungen durch die äußere Welt, die Natur, und Traumatiserungen durch die Menschen selbst in Kriegen, Vertreibungen, Vergewaltigungen und in der individuellen und kollektiven Kindheit (später im begrenzten Rahmen) Mißhandlungen, sexueller Mißbrauch, Unfälle, schwere Erkrankungen des Kindes selbst oder wichtiger Bezugspersonen, verbunden mit Schuld, Sünde, Scham, Verachtung, Lächerlichkeit, sogenannten narzißtischen Bedrohungen, und überhaupt des Verbotes von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Im Mittelalter in Europa und heute noch in vielen Kulturen wie weit verbreitet in islamistischen Regimen und bei uns in fundamentalistischen Religionen und Sekten war und sind sexueller Mißbrauch und die Mißhandlung des Kindes gang und gebe.

                Die blinden Seher

            Die Blinden Seher stellen im menschlichen Leben den Zusammenhang zwischen katastrophalen Vorerfahrungen, der Traumatisierung, und dem darauf basierenden Zukunftsentwurf dar. Die Vergangenheit hat sich dermaßen stark in die Neurone eingeprägt, daß sie hellseherisch in die Zukunft geworfen, in ihr prophezeit und antizipiert wird, jegliche Differenzierungen verloren gehen und gegenüber anderen möglichen hoffnungsvolleren Ausgängen und Ereignissen unter anderen, späteren Umständen Blindheit besteht.

                 Nach unheilvollen Ereignissen wurden im Altertum Seher in Tempeleinrichtungen, den Orakeln aufgesucht zur Prophezeiung der Zukunft und der Beratung des Weisen mit dem Ziel, eine Verhinderungsstrategie der katastrophalen und bedrohlichen Vergangenheitserfahrung zu ermöglichen. Die Einrichtung des Orakels zeigt auf, inwieweit die Vergangenheitserfahrung bzw. Vorgeschichte als Grundlage und Maßstab für den Zukunftsentwurf dient.

             Ebenso ging  der Vater von Ödipus nach katastrophalen Vorerfahrungen in der besten Absicht vor, als Folge der schlimmen Ereignisse prophezeites drohendes Unheil zu verhindern. Diese Seher waren typischerweise blind. Der Bekannteste und damals weltberühmt war Theiresias am Orakel von Delphi. Oft wurde an die Weissagungen der Seher geglaubt und oft genug werden auch noch heute Wahrsager und Astrologen aufgesucht und deren Prophezeiungen in den Alltag eingebaut. Die Tatsache der Blindheit und des gleichzeitigen Sehens in die Zukunft, der Zukunftsprophezeiung läßt den verschiedensten Interpretationen Spielraum. Hellseherisch sind die Seher aufgrund der Vergangenheit im Zukunftsentwurf, vielleicht z. T. aus Erfahrung wissend, wie oft sich die Vergangenheit wiederholt, gerade infolge der Verhinderungsstrategie, blind sind sie gegenüber der Tatsache, daß die Vergangenheit Vergangenheit ist und sich nicht zwangsläufig wiederholen muß und die Zukunft aufgrund anderer Umstände und in einem anderen Umfeld  völlig anders aussehen kann. Die Zukunft wird also im Lichte oder der Beleuchtung, die gleichzeitig durch die Blindheit eine Dunkelheit ist, der Dunkelheit der Vergangenheit gesehen. Man könnte den Traumatisierten auch in der Mitte eines langen Tunnels sehen, am Eingang und Ausgang des Tunnels ist helles Licht, am Eingang durch die Einprägung in die Neurone, am Ausgang der helle Zukunftsentwurf, ringsherum Dunkelheit. Ich habe mehrfach erlebt, daß vergleichbare Sehstörungen berichtet wurden. Jeder Traumatisierte ist solch ein blinder Seher. Katastrophale Erfahrungen haben also katastrophale Folgen.

             Sohnesmord

             Der Sohnesmord wirft eine Licht auf die Vater-Sohn-Rivalität, eines der zentralen Themen in Familien, wobei die Beziehung zwischen Mutter und Tochter in der Ödipussage nicht dargestellt bzw. von mir noch nicht gesehen wird, aber im Alltag eine genauso große Rolle spielt, ebenso wie die Beziehung der Eltern unabhängig von den Geschlechtern zu ihren Kindern. Die Ödipussage fand offenbar in Zeiten der patriarchalischen Weltordnung statt, wo die Konflikte ausschließlich unter Männern gesehen werden und die Bedeutung der Mütter verleugnet ist, wie dies im Alttag im allgemeinen geschieht. Ich sehe den Sohnesmord auch unter dem Aspekt der Opferung des Sohnes, um schlimmeres zu vermeiden, etwa den Konflikt der Eltern untereinander. Das Trauma muß für den Vater des Ödipus derartig schlimm gewesen sein, daß er sogar bereit war, seinen eigenen Sohn, für die meisten Väter ihr größter Stolz und die Verlängerung ihres Lebens über den Tod hinaus, aufzuopfern.

            Die vom Vater ausgehende Rivalität ist bisher weniger bearbeitet, obwohl sie im Ödipusmythos dem Vatermord vorausging, der Sohn ein gezieltes Opfer des Vaters war, während der Vatermord, eher ein Totschlag oder ein Kampf unter Männern, mehr zufällig durch eine Verkettung unglücklicher Umstände stattfand. Der Vater und seine Motive sind unantastbar, und die Konflikthaftigkeit im Sinne von Schuld und Schande wird allein dem Sohn zugeschrieben (Blindheit und Sehen). Wie die Ödipussage aussagt, geht der Konflikt ursprünglich vom Vater aus. Der vor allem vom alternden Vater ausgehende Neid, der dem Sohn seine Jugend, Attraktivität und Zukunftschancen neidet, in sich selbst die Alterung und den Verfall sieht, stellt in vielen Kulturen ein wichtiges Motiv für Entwertung, Unterwerfungsforderung, Negativprophezeiungen und Zukunftssabotage dar. Häufig kommt hinzu, daß die Söhne von den Müttern mehr favorisiert  werden als die entwerteten Väter (siehe die Bibel und die Heilige Familie), dadurch Eifersucht geschürt und durch die Mutter der Vater-Sohn-Konflikt verschärft wird. Die erbittersten Konflikte ergeben sich, wenn der favorisierte Sohn von der Mutter noch angeheizt, oft als verlängerter Arm und ihr Stellvertreter, stellvertretend ihre eigenen Partnerkonflikte auszutragen, vorgeschickt und eingesetzt  wird. Dann bekommt der Sohn die Aggressionen des Vaters ab, die eigentlich der Mutter gelten.  Sie wird ihn loben und stolz auf ihn sein. Oft unterwerfen sich die Söhne den Vätern, bemühen sich um Anerkennung, die sie in dem Maße nicht erhalten, wie sie sich bemühen.

                Irgendwo habe ich mal gelesen, man könnte den Sohnesmord im großen kulturellen und sozialen Rahmen in Kriegen sehen, die die Väter angezettelt haben und in denen die Söhne umkommen. Dort gelingt im Gegensatz zur Ödipussage der Sohnesmord.

                 Thema des Inzests

            Das Inzestthema wird in der Ödipussage als zufällig und ohne Kenntnis der leiblichen Verwandschaftsverhältnisse dargestellt. Diese werden erst im nachhinein publik. Inzest war in den vorpatriarchalischen Zeiten allgemein üblich. Erst nach traumatischen Erfahrungen wurde es als Traumafolge zum Tabu erhoben, die Übertretung zur Blutschande und das Patriarchat etabliert. Die traumatische Folge ist, daß im Alltag von traumatisierten Familien Inzest weit verbreitet ist und gleichzeitig ähnlich wie bei Ödipus über lange Zeit verleugnet wird .

                Selffulfilling prophecy

            Der weitere Verlauf der Ereignisse zeigt sehr schön, wie im menschlichen Leben gerade durch die Verhinderungsversuche die Bedrohung sich erfüllt. Vatermord und Inzest wären ohne die Verhinderungsstrategie des Vaters von Ödipus wohl kaum passiert. Obwohl laut Erzählung der Totschlag mehr zufällig erfolgte, zeigt der Mythos, daß in der Traumatisierung Zufälle geleugnet und einer vorbestimmten, schicksalshaften Verkettung zugeschrieben werden. Bei der Vermeidung von Streit als Bedrohung etwa brechen die Aggressionen versteckt an allen möglichen Ecken und Kanten hervor und alle sind zerstritten, etwa im Phobiker- und Angstkontext. Da die Bedrohungen als Realitäten wahrgenommen werden, geht die Subjektivität verloren. In der subjektiven Wahrheit wird sich um die objektive gestritten, ein Kampf um Recht und Unrecht, Sieg und Niederlage, wie im Angstmilieu regelmäßig zu finden ist. Wenn der Eine recht hat, muß der Andere unrecht haben.

                Die Blendung des Ödipus

                Nach Patzer (persönliche Mitteilung) bedeutet die Blendung des Ödipus neben einer Selbstbestrafung vorwiegend das zentrale Motiv, die eigene Schande in den Augen der Umgebung nicht sehen zu wollen und zu können. Ödipus wollte nicht den Inhalt seiner eigenen Bewertungen und Bedeutungen im Angesicht anderer, sich selbst in den Anderen, sehen - das tragische Schicksal vieler differenzierungslos Geblendeten. Er sah nicht die Umstände, die Verkettung unglücklicher Umstände, gemessen an denen er unschuldig gewesen wäre. Seine Trauma war wohl das der Schuld wie bei allen Traumatisierten, die sich für alles schuldig fühlen, was eigentlich mit ihnen herzlich wenig zu tun hat. Dadurch werden sie zu einer Art Gott, hier der König, erhoben, der das Schicksal aller Menschen auf sich bezieht. Sehenden Auges hätte er Nachsicht, da er eine beliebter König war, und Mitleid in den Augen der Bürger von Theben gesehen, aber keine Verurteilung, so wie er sich selbst verurteilte, und somit sehenden Auges die Chance der Neubeurteilung gehabt, wodurch sich gerade durch die Verhinderung sein tragisches Schicksal erfüllt. Für Ödipus gelten alleine die Inhalte, während verständnisvolle und differenzierte Menschen mehr die Umstände und Rahmenbedingungen zur Beurteilung eines Menschen heranziehen. Er ist Hellseher, der nicht unterscheiden kann. Ödipus macht sich blind,  blind gegenüber dem, was ist, und sehend in den anderen, was nicht ist, aber in ihm ist - ein projektives Erleben wie bei vielen bedrohlichen Zukunftsprophezeiungen.

            Ödipus muß wohl in einem traumatisierenden rigiden Umfeld aufgewachsen sein, deswegen wohl sein Jähzorn, daß er nichts anderes mehr sehen kann und ihm sämtliche zwischenmenschliche Differenzierungen verloren gingen, und er nur seine Selbstverurteilung im Umfeld sah. Deswegen hat er sich wohl frühzeitig auf Wanderschaft begeben, um sein Glück bzw. bessere Lebensumstände wie viele Auswanderer anderweitig zu suchen. Er war blind bzw. sah nicht, daß er seine Sichtweisen mit auf die Reise nahm. Ich erkläre mir den religiösen Fundamentalismus in Sekten beispielsweise in der USA durch ihr Auswandererschicksal früherer Generationen aus schwierigen Umständen, sodaß sie infolge ihrer rigiden Moral und ihrem missionarischen Eifer wie jetzt die Bushadministration sich und anders Denkenden das Leben schwer machen. Mir ist vertraut, daß Angstpatienten alles tun, um ihre Fehler und Schwächen nicht im Umfeld sichtbar erscheinen zu lassen. Viele glauben auch noch, daß man sie ihnen ansehe, und sehen nicht, daß sie inzwischen alles getan haben, um ihre Ängste im Umfeld nicht sichtbar werden zu lassen und besonders selbstsicher und souverän erscheinen. Die Umwelt ist für sie eine Bühne der Bloßstellung.

            Das Rätsel  der Sphinx

             Das Rätsel der Sphinx zeigt die tödliche Bedrohung der Lösung des Rätsels des menschlichen Seins, entweder im Falle der Lösung für die Sphinx oder im Falle der Nichtlösung für den Rätselratenden. Die Sphinx selbst ist ein Wesen, halb Mensch, halb Tier, vielleicht als Symbol  des tierischen und menschlichen Wesens im Menschen, der animalischen Triebe und des Verstandes. Dieses Menschtier bzw. Tiermensch stellt die Frage nach dem Menschen, einem Spiegel seiner selbst, einem Rätsel, egal wie die Antwort ausfiel, dessen Lösung für die Sphinx selbst oder Nichtlösung für den Rätselratenden jeweils mit dem Todes bestraft werden. Wegen dieser tödlichen Bedrohung ist eine im Mythos an sich einfache Frage so schwierig. Das Wesen Mensch ist so sehr von Phantasien, Bildern hinsichtlich seines realen Wesens geprägt, die auf Verleugnungen, Projektionen, Schönfärbereien, Dramatisieren und Katastrophisieren beruhen, so daß kein Mensch weiß, wo er wirklich dran ist, und er zu seinem eigenen Rätsel wird.  Für den traumatisierten und folglich eindimensionalen Menschen, der Differenzierungen und Ambivalenzen in sichtbaren und unsichtbaren oder bewußten und unbewußten Anteilen nicht wahrnehmen und integrieren kann, ist der Mensch und die Welt ein einziges Rätsel

            Theologen, Geistes- und Naturwissenschaftler bemühen sich seit Jahrtausenden um die Lösung und finden je nach ihrem Blickwinkel religiöse, philosophische oder naturwissenschaftliche, organische bzw. biologische Antworten. Es ist ein reines Hase-Igelspiel. Die einen rennen und bemühen sich, die anderen haben schon lange die Lösung und den Stein des Weisen gefunden. Laut Sage ist die tödliche Bedrohung, daß in der Natur des Menschen Schwächen, Fehler, animalische Triebe und Schuld gefunden werden, die für ihn eine katastrophale Bloßstellung und Dimension bedeuteten, sodaß seine wahre Natur auf keinen Fall gefunden werden darf. Wird das Rätsel seiner Natur nicht gelöst, ist er sich selbst seinen Katastrophen und katastrophalen Verhinderungstrategien hilflos ausgeliefert. Egal wie, wird die Natur des Wesens Mensch geklärt oder nicht geklärt, entsprechend dem Sisyphusmythos ein erfolgloses und hoffnungsloses Bemühen, geht das Rätselraten weiter und findet keine Lösung. Zwischen beiden Abgründen, Skylla und Charybdis führt nur ein schmaler Grad.

         Wir Psychos werden im Gesundheitswesen bei unseren Lösungsversuchen heftig attakkiert, wobei weite Bereiche wie der psychosoziale Kontext tabuisiert sind. Millionen Forschungsgelder werden bei vielen Volkskrankheiten dort ausgegeben, wo die Lösungen garantiert nicht zu finden sind. Scham, Schande und Schuld sind zu große existentielle Bedrohungen, die heute trotz scheinbarer Aufklärung genauso aktuell sind wie zu Zeiten der Erfindung der Sphinx.

             Weitere tragische menschliche Verhältnisse werden im griechischen Mythos etwa in der Sisyphussage, die des unendlichen erfolglosen Bemühens als Strafe für frühere Hybris, der menschlichen Gottgleichheit, der Sage von Dädalos und Ikaros, der tödlichen Bedrohung und Strafe, wenn der Sohn sich über den Vater erhebt, Skylla und Charybdis, der schmale Weg zwischen den Bedrohungen, oder des Kopfes der Hydra, aus jeder Bedrohung erwachsen neue, etwa wenn der Angstpatient sich seine Ängste anzuschauen versucht und immer neue Ängste sieht.     

               

                Die Bibel

              Die Schöpfungsgeschichte

            Während im griechischen Mythos die katastrophalen Vorereignisse noch erwähnt sind, wenn auch das Wesentliche der Erzählung in den Folgen geschildert wird, sind in der Biblischen Schöpfungsgeschichte die katastrophalen Vergangenheitserfahrungen von Gott völlig verleugnet, aus welchen Gründen Gott zu seinem Wort kommt. Dies entspricht dem Alltag, daß traumatisierte Eltern die Gründe ihrer Gebote und Verbote nicht benennen. Sie sind verleugnet, unaussprechlich und unhinterfragbar. Falls sie die Gründe benennen würden, wären unter anderen Umständen und in anderen Zeiten ihre Gebote und Verbote in Frage gestellt.

            Daß es sich um einen männlichen und nicht einen weiblichen Gott handelt, halte ich für eine Verleugnung der Macht und des Einflusses der Mütter, gleichzeitig für eine Verschiebung von der Mutter auf den Vater, zu dem mehr Distanz besteht, der dadurch besser wahrnehmbar ist und nicht ein so starke existentielle Bedrohung darstellt. Die Mutter hat sich stärker durch die Nähe und ihre alltäglichen Verhaltensweisen für das Kind nicht wahrnehmbar in dessen Selbst eingepflanzt.

            In der biblischen Schöpfungsgeschichte  sehe ich eine Allegorie zum schwer traumatisierten menschlichen ontogenetischen Werdegang  des Individuums wieder gespiegelt. Sie ist für mich ein gutes und grundlegendes Beispiel der Vorgänge einer Traumatisierung über Generationen hinweg. Die Familie, die Eltern haben eine psychosoziale und kulturelle Vorgeschichte, die infolge der existentiellen Bedrohung verleugnet und tabuisiert wird wie in der Bibel die vorherigen schweren traumatischen Erfahrungen von Gott. Das Trauma sehe ich symbolisch als das Böse und den Teufel.

            Existentielle traumatische Erfahrungen prägen sich derart stark in die Neurone ein, daß sie eine allumfassende Vorherrschaft übernehmen und in aller Zukunft gefürchtet werden. Im Angesicht und der Erwartung der Bedrohung ist naturgemäß alles auf die Verhinderung ausgerichtet. Die Folge sind absolute Kontrolle und Macht, das unantastbare Wort, die Gebote und Verbote, die zum Göttlichen und zur Religion erhoben werden, und die Spaltung in Gott und den Teufel, das Paradies und die Hölle. Gott und der Teufel sind Gegensatzpaare. Ohne den Teufel ist ein Gott nicht vorstellbar. Zur Hölle der traumatischen Erfahrung gehört ein Bild des paradiesischen Zustandes des Glücks und der Unverletzlichkeit gegenüber dem Trauma. Im Guten, Schönen, dem Paradies steckt sozusagen der Teufel, da der Bedrohung der Idealzustand entgegen gesetzt wird, den es aber nicht geben kann. In Selbstbestimmung, eigenen Erkenntnissen wird Ungewißheit und die existentielle Bedrohung gefürchtet, und sie sind somit das Böse. Neben der Bedrohung, personifiziert im Teufel, stellen diese externalisiert das Werk des Teufels dar.

            Unter Paradies ist wohl ein zwischenmenschlicher Zustand ohne Machtansprüche, der Selbstbestimmung und Freiheit, der gegenseitigen Achtung, ohne Neid, Eifersucht und Entwertungen, also ohne zwischenmenschliche Bedrohungen und Traumatisierungen, und äußere Traumatisierungen durch Naturgewalten zu verstehen. Dieser Zustand wird durch die Bedrohung und als Folge ihrer Verhinderungsstrategie dem Wort durchbrochen, wodurch sämtliche Handlungen zum Sündenfall werden, ein Werk des Teufels sind und das Leben zur zwischenmenschlichen Hölle bzw. dem Irdischen Jammertal machen.

            Im Alltag des traumatisierten Menschen gilt also nur das Wort, die Bewertung, Bedeutung oder Zuschreibung. Dadurch wird die Tatsache auf den Kopf gestellt, daß für die Handlungen eines Menschen, seinen Entscheidungen der Kontext, die Umstände, unter denen er handelt entscheidend sind. Sie haben keinerlei Geltung, unter welchen Umständen ein Schulkind etwa eine bestimmte Note erhält oder ein Kind sich etwa so und so verhält. Oder die Tatsache gilt nicht, daß die Eltern, Lehrer das Ergebnis durch ihre Handlungen, etwa schlechter Unterricht oder angstmachender Leistungsdruck geradezu hervorgerufen haben. Schließlich ist ein Kind, später auch der erwachsene Mensch ein Gott, der über alle Umstände erhaben sind.

             Je existenzbedrohender die Erfahrung ist, desto mehr muß eine absolute und sichere Welt in den Geboten und Verboten dagegen gesetzt werden in der Bibel und im menschlichen Alltag. Sie stellen das göttliche und absolute Wort dar, das, da die Zusammenhänge und Hintergründe tabuisiert sind, als Wort über allem schwebt. Und wie im Alltag  wird der Teufel in und an alltäglichen Dingen und Vorgängen und in analogen Situationen (sog. Triggersituationen im PTBS) erkannt und festgemacht und diese dadurch zur Bedrohung hochstilisiert. In diesen ähnlichen Situationen werden nur die Gemeinsamkeiten, aufgrund des Verlustes der Wahrnehmung von Unterschieden diese nicht wahrgenommen. In der Bibel ist es das Essen eines Apfels, wobei dieser Tat frevelhafte, teuflische Eigenschaften zugeschrieben werden wie frevelhafte Gottgleichheit und der Baum zum Baum der Erkenntnis (Hinweis von Mentzos) hochstilisiert wird. Durch die Hochstilisierung des Wortes als das des Gottes werden andersartige Aussagen als Gottgleichheit gesehen. In der Bedrohung können unterschiedliche Interessen, Wünsche und Handlungen nicht als gleichberechtigt nebeneinander stehen und zugelassen werden und werden deshalb als frevelhafte Gottgleichstellung interpretiert. Also ist absoluter, blinder (oder Kadaver-)Gehorsam gefragt. Im Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wieder gespiegelt in den meistgelesenen pädagogischen Büchern von Schreber, galt der Wille des Kindes (bzw. Trotz) als etwas um jeden Preis zu Brechendes, also der Teufel. Ich denke, deswegen ließen Generationen von gebrochenen Menschen ihre Wut auf ihre Eltern an Randgruppen wie den Juden aus. 

Lustvolles und Verführerisches wie alles im Bereich der Sexualität und dessen Äquivalenten animieren besonders zur Selbstbestimmung und werden deswegen vor allem als Bedrohung gesehen. Fundamentalistische Christen sind deswegen sehr lustfeindlich. In meiner katholischen Erziehung galt Onanie noch als Todsünde, laut Mythos im Todesfalle mit der Hölle bestraft, normalerweise für den Jugendlichen der einzige Grund zur Beichte und somit Existenzberechtigung des Beichtvaters, heute laut Sexualwissenschaftlern notwendig zur psychosexuellen Reifung.

In alten literarischen Überlieferungen und Märchen wie den Faust wird oft die Seele an den Teufel verschrieben, um etwas wie Macht und Reichtum zu erlangen. Dies entspricht dem Alltag, wenn das Kind alle Selbstbestimmung aufgibt, um den Eltern keine Probleme zu bereiten und ihnen zu gefallen, also von ihnen den Reichtum der Liebe und Anerkennung zu erhalten. Gleichzeitig erhält das Kind Macht über die Eltern, da deren Wohlbefinden von dieser Selbstaufgabe und Unterwerfung abhängt.

Die fehlende Förderung und Verurteilung eigener Wünsche, Absichten und Ziele, also der Selbstbestimmung und Freiheit, sehe ich als eine grundlegende Traumatisierung an. Als Folge ist es zum Selbsterhalt eine menschliche Eigenschaft, gegen Verbote, deren Sinn nicht erklärt wird, die in der gegenwärtigen Realität unsinnig sind und die überhaupt die menschliche Anlage der Selbstbestimmung übergehen, zu verstoßen. Darüber  hinaus  werden das Verbotene und die Übertretung selbst besonders reizvoll. Das Kind wird wie Eva also regelrecht zur Übertretung und zum Verstoß provoziert bzw. verführt.

        Das Übertreten der Gebote stellt das Böse, den Teufel dar. Meiner Ansicht nach ist das Brechen des eigenen Willens, keinen eigenen Wert und keine eigenen Rechte zu besitzen, nicht ernst genommen zu werden, eine zentrale Traumatisierung.  Im Alltag ist der eigene Willen von Drohungen, Negativprophezeiungen und Strafen begleitet. Nun ist der eigene Willen, eigene Bedürfnisse, Interessen und Ziele meiner Ansicht nach eine ureigenste menschliche Eigenschaft und muß ebenso um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Deswegen wird so hart darum gekämpft. Die Nichtrespektierung provoziert also Gegenreaktionen wie Trotz, Verweigerung, Sabotage und Gegenbeweise, die also die Gebote und Verbote beinhalten und als Gottgleichheit angesehen werden. Eva und das Kind werden also wie im Alltag zu Übertretungen geradezu herausgefordert und verführt.

            Da das Kind noch kein eigenes Welt- und Selbstbild aufgrund eigener Erfahrungen, Bewertungen und Bedeutungen besitzt, ist es von den Überzeugungen der Eltern und mit den Verboten der Gotteltern identifiziert, die ja in besten Absichten böses verhindern wollen, und verinnerlicht die eigenen Verstöße als Schuld und Sünde, wofür es bestraft wird. Das Kind wie Eva gerät in einen unauflöslichen inneren Zwiespalt, einerseits mit den Eltern identifiziert zu sein , andererseits dagegen verstoßen zu müssen. Die Strafen wird es trotz der Schmerzen als gerecht empfinden. Die Übermittlungen und Prägungen über Generationen spiegeln sich in dem Bild der Erbsünde wieder.

            Die existentielle Vorbedrohung Gottes und der Eltern und der Anspruch an die Umwelt, dies zu verhindern, wird zu einem Anspruch und einer Forderung an die Kinder. Diese haben haben die Verbrechen der Vorfahren auszugleichen, wieder gut zu machen und dafür gerade zu stehen, für Dinge, die nicht ausgesprochen werden und die sie nicht kennen können, wie sich gerade in der biblischen Schöpfungsgeschichte zeigt. Falls sie sich nicht an die Gebote halten und Verbote übertreten, sehen Gott und die Eltern in ihnen die Gründe der Bedrohung. Dazu ein typischer Satz "Du machst mir solche Sorgen, Kummer und Ärger!" für Dinge, um die sich andere nicht traumatisierte Eltern keinerlei Sorgen machen. Dies mag sich um die Nahrung, Ordnung und Sauberkeit, Benehmen oder um Noten in der Schule abspielen.

             Eltern, deren Kinder die Verbote übertreten, sehen die Gründe als Verführung der Außenwelt. Im Alltag kann dieser Teufel ein anderes Leben, andere Gesetze, reizvollere Vorbilder, oft freier und dadurch unberechenbarer gestaltet, in dem die traumatisierten Eltern die Gefahren fürchten. Eigener Wille, Eigengesetzlichkeit und Selbstbestimmung der eigenen Handlungen können nicht aus der eigenen Person, sondern nur von außen kommen. Das sind die Einflüsterungen des Teufels, werden also externalisiert. Es ist ja auch real, daß das Kind durch äußere Einflüsse Anregungen erhalten kann. Dann sind dies aber eigene Wünsche und kommen von innen heraus.

             Daß das Weib die Böse ist, beschreibt auch die Tatsache, daß in den meisten Kulturen die Frau und Mutter als hauptanwesende Person die Erzieherin und Prägerin des heranwachsenden Menschen ist und somit sie infolge ihrer teuflischen Einflüsterungen als Folge ihrer eigenen Traumatiserungen die Böse ist. Meiner Ansicht nach fanden deswegen auch die Hexenverbrennungen statt, das Symbol Hexe stellvertretend für die böse Mutter. Man könnte die Stigmatisierung der Frau auch als Rache an den Müttern ansehen.

            Ein weiterer Aspekt ist der des Neides und der Gleichheit und Gerechtigkeit, von Unter- und Überlegenheit. Gott und die Eltern sind ausschließlich auf die Verhinderung des Bösen fixiert und haben keinerlei Raum, Freiheit und Selbstbestimmung. Falls die Kinder sich dies nähmen, nähmen diese sich etwas heraus, was für die Eltern nicht möglich wäre, wären überlegen und Gott, der über allem steht, unterlegen. Das ist nicht zulässig, wäre ungleich und ungerecht. Dann hätten sie es besser als ihre Eltern, wenn dies in der Ambivalenz, schließlich wollen alle Eltern für ihre Kinder nur das Beste, auch noch so sehr gewünscht wird.

            Ein Dilemma bzw. eine Beziehungsfalle entsteht durch die Selbstaufgabe durch Anpassung und Unterwerfung, dadurch aber des Wohlwollens der Eltern gewiß zu sein, andererseits durch die Stigmatisierung des Bösen und die Schuld des Lebens nicht mehr froh werden zu können. Im Angesicht vielfältiger Bedrohungen wird das Leben wie im biblischen Mythos zum Irdischen Jammertal, das der Erlösung, personifiziert in Jesus Christus, harrt. So wie als Folge einer ursprünglichen Traumatisierung Sünde und Schuld von Gott geschaffen wurden, kann die Erlösung nur durch Gott stattfinden.

                 Als Folge der Erbsünde und des Irdischen Jammertales werden verschiedene Geschichten erzählt wie die von Sodom und Gomorrha, der Sintflut, der Gefangenschaft und des Leidens in Ägypten und des Hiob. Der Volksmund spricht von Hiobsbotschaften. Ein Beispiel für den Sohnesmord ist die Geschichte von Abraham und Isaak. Der Vater ist zur Verhinderung von Bedrohungen und zur Verherrlichung Gottes sogar bereit, seinen eigenen Sohn zu opfern.

              Kain und Abel         

            Ein alltägliches Beispiel der Spaltung stellt die Geschichte von Kain und Abel dar. Ich sehe die Schuldzuweisung unter dem Aspekt der Abwehr von Scham. In einem für alle Seiten peinlichen Geschehen erlöst die Schuld von Scham. Die Vergabe des Wohlwollens von Gottvater durch Bevorzugung und Benachteiligung seiner Söhne erzeugt beim Benachteiligten eine solche Wut, und zwar nicht auf den Verursacher, dieser ist unantastbar, da er das Ziel der Anerkennung ist und somit nicht angegriffen werden darf, daß er seinen Bruder erschlägt. Dieser Sachverhalt, wohl nicht so tödlich, findet sich in Familien alltäglich wieder, wo Neid und Eiferssucht unter den Kindern erzeugt werden und diese aufeinander losgehen, sich streiten, dieser unterdrückt und dadurch gesteigert wird. Kürzlich sagte ein Patient, es gebe 2 Varianten, sein Vater herrsche mit Schuldgefühlen, die Mutter mit Gegeneinander-ausspielen. Diese Geschichte könnte man auch unter dem Gesichtswinkel der Schuldabwehr der Scham sehen. In einem für alle Seiten peinlichen Geschehen -  für Gottvater, aus welchen Gründen bei sich selbst er es nötig hat, sich zum Maßstab aller Dinge hoch zu stilisieren, den einen Sohn aufzuwerten und den anderen fertig zu machen, für jeden der Söhne, daß sie diese Bewertungen einfach übernehmen und daran glauben, wie dies zwangsläufig mit Kindern geschieht, statt den Vater an seine eigene Nase zu fassen, der eine wird verführt, muß aber seinen Absturz im späteren Leben fürchten, wo er zu Normalmaß zurechtgestutzt wird, der andere übernimmt einen solche blödsinnige Bewertung und Stigmatiserung und bestätigt sich in der Rolle des Bösen -  wird die Schuld auf einen abgewälzt, wodurch die übrigen entlastet sind. Dies entspricht einem weit verbreiteten Gruppenphänomen der Sündenbockrolle oder dem Schwarzen Schaf.

Die Heilige Familie

             Die in der Geschichte durchgängige Traumatisierung lechzt nach einer Erlösung und Befreiung. Einer der Erlösungsmythen ist die Heilige Familie, ein anderer und zentraler, der Kern der christlichen Religion, der der Kreuzigung und Selbstaufopferung des Menschgottes zur Erlösung der Menschheit.

            In der Heiligen Familie, etwas salopp ausgedrückt, ist der Sohn der Gott, die Mutter jungfräulich, an die kein Mann ran darf, eine Tugend, vom Heiligen Geist befruchtet, und der Vater der Trottel, der das Ganze zu dulden, unterstützen und finanzieren hat, der Sohn evtl. von beiden favorisiert, und ein Mädchen gibt es erst gar nicht. Die Heilige Familie ist das Ideal- und Gegenbild, weil es in vielen Familien gegenteilig zugeht. Die Väter schlachten ihre Söhne, weil sie von den Müttern idealisiert und heroisiert werden, die Frauen sind alles andere als jungfräulich, die penisneidischen Töchter (laut Freud) und Frauen müssen sich als Benachteiligte und Unterprivilegierte als Mutter Gottes in Szene setzen und die hochgelobten Söhne, wie später erzählt,  müssen ihren Absturz fürchten. Wenn eine Frau den Erzeuger ihres Kindes nicht preisgeben möchte, sagen manche „sie ist vom heiligen Geist befruchtet“.

            In vielen Kulturkreisen werden die heilige Familie und der Mutterkult vor allem zu Weihnachten, Muttertag und Mutters Geburtstag gefeiert. Die Mutter ist der Kern der Heiligen Familie und ihre Aufgabe ist es, diese Art der Familie zusammen zu halten. Da die Heilige Familie den Idealtyp auf gegenteiligen Hintergrund darstellt und der Zerfall der Familie als existentiell bedrohlich gefürchtet werden muß, häufen sich an diesen Tage die Konflikte, die dem Altar der Harmonie geopfert werden müssen. Die unterdrückten Streitigkeiten brechen an allen Ecken und Kanten hervor, wo alle nur die Harmonie wollen. Diese wird zur Pflicht und oft entsteht eine Pseudoharmonie. Diese wirft oft schon ihre Schatten im voraus und im nachhinein, wie wir Psychotherapeuten oft genug erleben. Die Väter stehen oft genug nicht duldend und fördernd im Hintergrund, obwohl viele Alleinverdiener diese Rolle nach außen übernehmen. Sie gehen arbeiten, verdienen das Geld, damit ihre Frau daheim ihre Rolle als Mutter mit ihren Kindern ausleben kann. Dabei haben die Männer nichts zu sagen und müssen sich als Reaktionsfolge um so diktatorischer einbringen. Ein Pfarrer, mit dem ich mich über den Josef unterhielt, machte eine wegwerfende Handbewegung "ach der Josef, schwache Figur!". In dieser Rolle werden sie oft zum verlängerten Arm der Mutter, die von den Untaten der Kinder berichtet, und der Vater die Rolle des Bestrafers übernimmt und sich somit bei den Kindern in Ungnade bringt, ein böses Männer- und Vaterbild und gutes Mutterbild erzeugt. Je mehr die harmonische Familie eine Traumatisierung darstellt, um so mehr muß das Gegenbild gefeiert werden. Nicht umsonst wird der Mutterkult in traumatisierten Gesellschaften wie den Nazis besonders heroisiert.

            Die Bibel sagt aus, daß für unsere christliche Kultur die Jungfräulichkeit Leitbild ist. Im Sinne der Selbstbehauptung und -bestimmung wird diese oft genug durchbrochen. Als Folge der Traumatisierung und Verlustes der Differenzierungen und Zwischenschattierungen entsteht eine Spaltung zum Gegenbild der Nonne, das der Hure. Bei den Huren können die Männer all das machen, wofür ihre Frauen sich zu schade sind und sie ihnen zu schade sind. Schließlich wollen die Männer auch anständige Frauen, und es findet eine Sündenbockstrategie statt. In manchen Kulturen, vor allem im mittleren afrikanischen Gürtel, werden die Frauen für mannstoll und sexbesessen gehalten, deswegen werden sie zur Aufrechterhaltung ihrer ehelichen Treue und Anstand  grausam beschnitten. Und die Töchter sollen es auch nicht besser haben als ihre Mütter, weswegen die Beschneidung von den Frauen ausgeht, während die Männer gemeinsam mit ihren Frauen bei der Kindererzeugung schwer leiden.

                  Erlösung, Kreuzigung und Auferstehung

            Im biblischen Mythos findet die lang ersehnte Erlösung in der Kreuzigung und Selbstaufopferung von Jesus Christus statt, dem Gottmenschen, einem Zwitterwesen wie der traumatisierte Mensch, der das Göttliche und Menschliche in sich vereint. Gott stellt somit ein Symbol des schwer verletzten Menschen dar, der die Bedrohung mit aller Macht und Kontrolle verhindern muß. Dies muß zur unantastbaren Religion erhoben werden, da im realen traumatisierenden Leben auch im Nachhinein von der Erlösung wenig zu spüren ist.

            Daß ein Mensch, der Sohn, zum Gott erhoben wird, symbolisiert, daß ein Menschheit ihre Befindlichkeit von einem einzigen Menschen abhängig macht, der somit ein Gott sein muß. Die gegenseitige Abhängigkeit bedeutet aber auch, daß Gott von einer Menschheit abhängig ist, die sich von ihm erlösen läßt. Bekanntermaßen tut sie das nicht. Deswegen muß die Illusion zur Religion erhoben werden. Ähnlich geht es in traumatisierten Familien zu, wo in das Kind, beileibe nicht nur in den Sohn, auch in die Tochter, alle Hoffnungen gelegt werden, etwa wenn Eltern Ziele, die sie selbst als traumatisches Erlebnis nicht erreicht haben, in ihre Kinder legen und von diesen beanspruchen - wofür haben sie sie denn geboren! - und ihr Wohlergehen von diesen abhängig machen. Umgekehrt hängt das Wohlergehen des Kindes von der Erfüllung der elterlichen Ziele ab, wehe, wenn nicht, und es gerät in den Zwiespalt, glücklich zu sein, andere glücklich zu machen, wie häufig zu finden ist, und dadurch eigene Ziele aufzugeben und dadurch unglücklich zu sein. Der elterliche Zwiespalt geht weiter. Erfolg führt bei eigenem Mißerfolg zu Neid und Eifersucht. Erfolg und Wohlergehen wird als Frevel bestraft. Dies führt hinüber zum Thema des Sohnesmordes.

            Das Thema des Sohnesmordes erscheint wieder, wie in der Ödipussage und bei Abraham und Isaak, natürlich zum guten Zweck der Erlösung, der die Mittel heiligt. Zur Verhinderung des Bösen, der Traumatisierung, der Erbsünde und des Irdischen Jammertales opfert der Vater als Sühneopfer seinen Sohn auf. Es erhebt sich die Frage, für was hat Gottvater Sühne zu leisten. Der oft von den eigenen Eltern traumatisierte Mensch nimmt sich selbst als schuldig war und muß Sühne als Wiedergutmachung leisten, um bei seinen Eltern wieder in Gnade aufgenommen zu werden. Wegen der Schwere der Schuld muß Gott sein Allerliebstes, seinen eigenen Sohn hergeben. Dadurch lädt er neue Schuld auf sich, sodaß der Teufelskreis sich wiederholen mag. Er wird im allgemeinen nicht die Gnade eines Abraham erhalten, bei dem Gott auf die Sühne verzichtet hat. Insofern finden sich im Alten Testament Hinweise auf eine Aufhebung und Verzicht von Schuld. Um sich von der Schuld zu befreien, wird diese (Un)Tat nach außen delegiert an den regierenden König, Herodes, und seine Häscher, den Vasallen der Römer, und weiterhin an die Juden.

            Aus einer anderen Perspektive wird der Sohn aus Rivalität, Neid und Eifersucht ermordet wie häufig im Alltag, siehe Heilige Familie, da er von Maria, der Mutter zum Gott und Erlöser hochgelobt wird, während der Vater entwertet daneben steht. Überhaupt, wenn ein Mensch zum Erlöser für die Menschheit auserkoren und erhoben wird, kann dies nur ein Gott sein. Dies bedeutet für einen Menschen frevelhafte Gottgleichheit, die nur mit dem Tod, damals üblich mit der Kreuzigung, bestraft werden kann. Ein Mensch, der über das Wohlbefinden einer Menschheit bestimmen kann, erhält eine ungeheure, göttliche Macht.

            Gott wird im Neuen Testament dreifaltig dargestellt, der Vater, der Sohn und der Heilig Geist, in einer Person in Personalunion. Wurzeln der Dreifaltigkeit können sein, daß durch die gegenseitigen Identifikationen, durch die Übernahme des Selbst und in der Traumatisierung  der Aufhebung der persönlichen Unterschiede diese im Geiste sozusagen eine Person darstellen, im menschlichen Geist, körperlich als Personen und Menschen stellen sie eigene Personen dar. Dieses geistige Bild wird im biblischen Mythos sozusagen als eigener Gott dargestellt, als Bindeglied verschiedener Personen. Dies weist im Alltag auf die geistigen Gemeinsamkeiten und fehlenden zwischenmenschlichen Differenzierungen des traumatisierten Menschen hin. Über die Funktion des Heiligen Geistes als Gott findet sich wahrscheinlich wenig in den biblischen Interpretationen. Sie erscheint rätselhaft.

            Diese Dreifaltigkeit und die Beziehung zu Maria, der Mutter kann auch unter der Perspektive des Inzests betrachtet werden. Die sexuelle Beziehung der Mutter sowohl zum Vater als auch dem Sohn wird durch den Heiligen Geist vergeistigt und nicht zu einer realen körperlichen Beziehung mit körperlichen Folgen. Somit wird die Realität in traumatisierten Familien verleugnet, wo der Inzest meist völlig verleugnet wird. Diese Verleugnung wird in der katholischen Kirche sogar zum Dogma erhoben. In der traumatisierten Familie findet oft eine Rollenumkehr, eine sogenannte Paternalisierung statt. Das Kind muß die Eltern vor den Bedrohungen schützen, die diese in ihm sehen, übernimmt also eine Eltern- und Schutzfunktion für die eigenen Eltern. Es ist also Vater und Sohn zugleich vor den geistigen Bedrohungen, symbolisiert im Heiligen Geist, wobei dieser Geist durchaus zu körperlichen Folgen führen kann - deswegen die Jungfräulichkeit der Mutter.

            Schon die Geburt von Jesus wird verklärt. Über 30 Jahre seines Lebensweges wird nichts berichtet. Evtl. sind diese tabuisiert, da er ein menschliches Leben geführt hat, das wenig zu einem Erlöser paßte, und möglicherweise ist er vom Saulus zum Paulus mutiert wie einer seiner Jünger. Dafür spricht, daß er sein sündiges traumatisiertes Leben zu einem Gegenbild wandelte, in dem er mit weisen, aber widersprüchlichen Lehren durch die Lande zog, eine Jüngerschar um sich sammelte, wie viele Religionsstifter. Ich hatte schon oben erwähnt, wenn jemand die absolute Wahrheit verkündet, wird er von den Einen als Gott verehrt, von Anderen verurteilt und gekreuzigt, vor allem von denen, die die absolute Wahrheit und Macht in den Händen halten und eine konkurrierende Macht der absoluten Wahrheit nicht zulassen können. Die Juden hatten ja schon einen König.             Einen Hintergrund der Kreuzigung sehe ich in der Strafe für die Hybris, daß ein Mensch sich zum Gott erhoben hat. Die absolute Wahrheit bedeutet eine Todesbedrohung für Mannigfaltigkeit und Selbstbestimmung, verursacht Kampf, Zwist und Streit. Insofern ist sie kreuzigungswert. Vom Zeitpunkt seiner Verkündigung an hat Jesus und vermutlich ebenfalls seine Gefolgschaft schon weite Bereiche ihres selbstbestimmten Lebens verloren  - für alle Seiten eine Traumatisierung. Insofern ist der Verlust des körperlichen Lebens nur konsequent. Ich sehe bei vergleichbaren Hintergründen darin eine Theorie des Selbstmordes. Und dies noch im Sinne einer göttlichen Verherrlichung zu tun, ein ungeheurer narzißtischer göttlicher Gewinn, und dieses Märtyrertum wird von vielen als göttliches Heldentum (siehe die Selbstmordattentäter) verehrt. Und gleichzeitig wurde er noch von diesem Leben erlöst. Im Volksmund spricht man lapidar davon, aus einer Not eine Tugend machen.

            Die Selbstaufopferung als Erlösung für die Menschheit aufzufassen, entspricht alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen und Gegebenheiten. Verantwortung für andere zu übernehmen, erlöst und befreit diese von der Eigenverantwortung, vor allem, wenn diese ihnen als schwierig und unlösbar erscheint. Wenn jemand in der Sündenbockstrategie die Schuld übernimmt, sind die Anderen von der Schuld erlöst. Wenn jemand oder eine Gruppe wertlos und rechtlos sind, haben die Anderen um so mehr Wert und Rechte. Der Eine oder die Gruppe opfern sich für die Anderen auf. In dieser Traumatisierung findet eine Aufspaltung statt, und die tödliche, existentielle Bedrohung wird zum Schutz und zur Sicherheit in Grandiosität abgewehrt und umgewandelt.

             Nun kann ja ein Gott nicht so schmählich und demütigend umkommen. Das kann nur ein Mensch. Die Geschichte wäre zu Ende. Er muß wie in einem Groschenroman in Glorie als Gott wieder auferstehen. Dadurch bleibt uns das Wort als Abwehrstrategie der Angst und Bedrohung  und somit die Traumatisierung durch die Abwehrstrategie erhalten, wie die weitere Geschichte der Menschheit zeigt. Die Erlösung geht weiter und findet immer neue Götter und wenn diese auch nur Geld, Macht, Schönheit oder anderes sind. Diese Erlösungen tragen wiederum den Teufel in sich, wenn sie zur Absolutheit erhoben werden und nicht im zwischenmenschlichen Kontext von gegenseitiger Achtung und gemeinsamen Genuß eingebettet sind.

             Ich möchte Gott und den Eltern keinerlei Schuld zuweisen, sondern die Traumatisierung und ihre Folgen, ihre tragischen Verstrickungen und Kreisläufe, personifiziert in mythischen Erzählungen, darstellen. Daß die Traumatisierung in Personen und ihren Schicksalen erzählt wird, spiegelt die Tatsache wieder, daß sie von Personen weiter gegeben wird.