Aufsatz im Triathlonjahrbuch 1988

Psyche und Triathlon

Daß neben körperlichen und Trainingsvoraussetzungen die psychischen Denk- und Sichtweisen im Sport bei der Verwirklichung der Leistungsmöglichkeiten eine ausschlaggebende Rolle spielen, ist weithin bekannt. Trotzdem ist die psychische Seite in Sportwissenschaft und Trainingslehre wenig erfaßt und berücksichtigt. So wie jeder Mensch in jedem Augenblick mit diffusen oder klar umgrenzten Vorstellungen (Phantasien, Gedankeninhalten) beschäftigt ist - sogar im Schlaf, manchmal im Nachhinein als Traum oder von der Umgebung als Leute oder Bewegungen erfaßbar - so bestehen Einstellungen zum Sport insgesamt und Phantasien in jedem Moment der Sportausübung, die beflügeln oder lähmen können.

Diese im Kopf vorhandenen Einstellungen sind oft nicht bewußt erfaßt, bestimmen aber trotzdem das Handeln mit sich selbst, ebenso wie mit der Umgebung. Einige dieser für Leistungssportler, auch Triathleten, typischen Denkweisen die zu Behinderungen der Leistungsentwicklung und -krisen im psychischen und als Folge körperlichen Bereich führen, sollen im folgenden beschrieben werden.

Meist liegen Ängste zugrunde, die oft als unangenehme Gefühle mit den zugrunde liegenden Vorstellungen ungerne wahrgenommen werden und nicht in das eigene Wunschselbstbild passen.

Eine weit verbreitete Einstellung, die zu Leistungsbehinderungen und Verletzungen führt, ist die unzureichende Beachtung der Regenerationskomponente im Training und vor Wettkämpfen. Obwohl das Training aus 2 gleichwertigen Komponenten besteht, Anspannung und Entspannung bzw. Erholung, besteht oft die unreflektierte Vorstellung, nur die Anpassung, hartes und umfangreiches Training führt zur Leistungssteigerung.

Im wesentlichen gibt es 3 negative Folgeerscheinungen:

1. eine allgemeine Ermüdung, ,,ausgepowert"

2. eine psychische Demotivation - wenn man sich ein zu intensives Training häufiger vornimmt, ohne sich

genügend ,,hineinzutasten" und

3. die längere Erholungszeit.

Ehemalige Leistungsechwimmer und -radfahrer sind von ihren Disziplinen her harte Trainingseinheiten gewöhnt und bringen bei der Erweiterung auf Triathlon eine hervorragende allgemeine Organkraft mit, so daß sie zügig laufen können. Da die Orthopädie für das Laufen noch nicht angepaßt ist - Sehnen, Bänder und Gelenke brauchen längere Anpassungezeiträume - besteht die Gefahr von Überlastungen, Als ich neulich einer sehr guten Triathletin, ehemalige Schwimmerin und nach hartem und erstaunlich erfol greichem Lauftraining seit einem halben Jahr verletzt, diesen Sachverhalt zu erklären versuchte und ihr etwas von lockerem Laufen im 5er-, besser im 6er-Tempo erzählte, schaute sie mich ganz entsetzt an mit den Worten ,,ich bin doch Leistungssportlerin'.

Als Folge dieses einseitigen Leistungedenkens wird nach Verletzungapausen zu schnell und zu intensiv trainiert, um das Verlorene möglichst schnell wieder aufzuholen - und die alten Verletzungen brechen wieder auf. So fehlt die Erfahrung, daß auch überwiegend lockeres Training zu Leietungszuwachs führt - sogar im Spitzenleistungebereich. Der Versuch des Selbstvertrauens in den eigenen Körper und die eigenen Trainingsvoraussetzungen mit aktiver Regeneration vor Wettkämpfen schafft infolgedessen vor allem auf eine längere Zeitdauer hin gesehen bessere Ergebnisse. Harald Schmid vertritt sogar ernsthaft die These, daß bei guten Trainingsvoraussetzungen 14-tägige Bettruhe nicht zu Formverlust führe.

Weiterhin kann zu Leistungsversagen fuhren, ,,alles getan zu habene trainingsmäßig, in der Ernährung, Schlaf, perfekt zum Gelingen vorgesorgt zu haben. Überhaupt können derartige Versuche, den Mißerfolg auszuschließen, ebenso wie der unbedingte Wille zum Erfolg ,,auf Biegen und Brechen" durch die Überfrachtung des Zieles und die damit verbundenen Angstspannungen gerade zu Mißerfolgen und Verleizungsanfälligkeit führen.

Längerfristig kann ein Trainings- und Wettkampfstress sowieso nicht durchgehalten werden. Es gibt genügend Beispiele, daß Spitzensportler - und nicht nur diese - durch Verletzungen und Demotivation bald wieder von der Bilöfläche verschwinden.

Beim Leistungsetreß spielt naturgemäß die soziale Einbettung eine große Rolle wie überhöhte Selbst- und Fremderwartungen. Weit verbreitete Vorstellungen über die gesundheiteschädigenden Auswirkungen des Leistungesporte bis zum Slogan ,,Sport ist Morde schaffen Ängste oder verführen zu kontraphobischen Reaktionen, ,,das Gegenteil erst recht zu beweisen". Dies kann wiederum zum überhören von psychischen und körperlichen Warnsignalen führen und zur Bestätigung der Ängste.

Der Versuch des gelassenen Abwartens kann vor allem in Ultraausdauerbereichen sehr hilfreich Sein. Wenn ich mich bei manchen Wettkämpfen nach meiner augenblicklichen Befindlichkeit und meinen Phantasien gerichtet (wie z.B. beim 100-km-Lauf ,,schon nach 20 km harte Beine und jetzt noch 80 km, wie soll das werden!") und nicht einfach locker weitergemacht hätte, wäre manches ausgezeichnete Ergebnis nicht zustande gekommen. Von Dave Scott habe ich gehört, daß er sich bemüht, nicht an die Länge des Wettkampfes in Hawaii zu denken, sondern fortwährend locker zu bleiben. Der Unterschied in der Nuance ,,nur ja nicht dran denken" beinhaltet schon die vermehrte Angstspannung, während der Gedanke wie ,,mal probieren, mal sehen" Lockerung beinhaltet.

Ich möchte den Begriff der Leistungsoptimierung einführen, d.h. Entfaltung des optimalen Leistungspotentials im Einklang mit psychophysischem und sozialem Wohlbefinden. Unter sozialem Wohlbefinden verstehe ich den Ausgleich von Leistungsbereitschaft und -zielen, Beruf, Ausbildung, Familien-, Partner- und Freundschaftsverbindungen - im Gegensatz zu einer Leistungsmaximierung ohne Rücksicht auf Gesundheit (Verletzungen, Medikamente, Stress) und psychosoziale Besüge (negatives Extrembeispiel Birgit Dressel).

Unter Beachtung der 2. Tralningskomponente, dem Versuch einer Leistungsoptimierung, nicht - leistungemaxinmierung und Setzung nicht zu hoher und unbedingt zu erreichender Ziele kann Triathion lange verletzungsfrei in jedem Alter mit Freude ausgeübt werden, wofür es sich wie fast keine andere Sportart eignet.