Triathlon und Psyche
von Dr. med. Bernd Holstiege
Der Erfolg stellt bis zu den Formen des Rausches als eines der schönsten menschlichen Erlebnisse dar und bildet die Hauptmotivation für Leistungssportler, für den, der den Erfolg erringt wie für den, der innerlich mit lebt. Im Falle des unbedingten Willens zum Erfolg egal wie, dem Zwang, zum Erfolg diktiert er das Leben, und die Freiheit, der Genuß an der Sportausübung, der Überblick über Sinn und Ziele, also die persönliche Souveränität geht verloren. Der Weg zum Erfolg wird zur medizinisch-psychologischen Gratwanderung. Auf beiden Seiten drohen die Abgründe des Mißerfolges, entweder ein Minus durch mangelnde Erfolgsvorbereitung oder ein Plus durch Übertraining, Verletzungen und Unlust. Grundlegende Trainingsregeln wie die Zweiphasigkeit von Belastung und Regeneration, vor allem die Wichtigkeit der Regeneration werden nicht beachtet. Aus Angst vor dem Formverlust wird bis kurz vor dem Wettkampf viel zu hart trainiert. Die Angst vor dem Mißerfolg schwingt immer mit, führt zu weiteren Verspannungen und Verkrampfungen, somit zu vermehrten Organbelastungen und Verletzungsanfälligkeit. Es kann sich ein (Teufels)-Kreislauf einspielen, der gerade den Mißerfolg provoziert. Der Erfolg gestaltet sich, um in mythischer Begriffsbildung zu sprechen zum Fluch, der seine Schatten weit vorauswirft und im Falle des Zwanges zur Erfolgsbestätigung, was noch schlimmer sein kann, nachwirft.
Wo mögen die Gründe liegen, daß Menschen viel mögliche Freude an der Sportausübung selbst, an der Gemeinsamkeit, am Körper und der Bewegung, der Natur aufgeben, um eine Freude zu erringen, die möglicherweise unerreichbar ist, zumindest der Weg dorthin steinig, entbehrungsreich, schmerzhaft, von Ängsten und Verletzungen bedroht und das Ziel unsicher? Um in einer Metapher zu sprechen, leuchtet das Licht am Ende eines Tunnels viel schöner und verspricht es viel heller zu scheinen, als wenn ich mich gleich ohne Tunnel im Licht bewege? Die Antwort könnte in der Fragestellung liegen. Warum werden die Erfolgsziele dort angesetzt (Zeit, Platz, Sieg), wo sie unerreichbar und geradezu zum Scheitern verurteilt sind (Ikarossyndrom)?
Warum richtet sich der Leistungssportler oft zu wenig nach persönlich unschwer zu erreichenden Zielen im Einklang mit psychischem und körperlichem Wohlbefinden, im Einklang mit seinem sozialen Umfeld, familiären und beruflichen Bindungen, sucht ausschließlich Freude und Lust am Sport, ist höchstens bereit kurze vorübergehende Unlustmomente in Kauf zu nehmen? Und wenn er sich nicht gut fühlt, hört er halt auf mit der Zuversicht, ein nächstes Mal läuft es besser. Nein, dann sitzen Schuldgefühle im Nacken, herrscht das Denken vor wer einmal aufhört, hört immer auf. Deswegen gilt die Devise “Durchhalten um jeden Preis“. Der Stolz, noch nie aufgehört zu haben, klingt mit, setzt aber oft Qualen des Durchhaltens voraus.
Triathleten sind objektiv wenig gefährdet. Auch ein Ultra ist ein überschaubares Risiko. Anders ist es zum Beispiel bei Extrembergsteigern, deren Leben objektiv von Kälte, Lawinen, Steinschlag, größten Entbehrungen und Qualen bedroht ist. Und trotzdem halten sie es nie lange zu Hause aus und wieder lockt der Berg. Der Psychologe Ulrich Aufmuth sieht die Motivation in der Suche nach dem Thrill (Angstlust), der Spanne zwischen Höllenqual und höchster Glückseligkeit. Ein bißchen Thrill wird offenbar auch von Triathleten gesucht. Für die Qualen des Trainings winkt das höchste Glück des Erfolges. Und je qualvoller es gestaltet wird, desto mehr gilt das Versprechen des Glücks. Es erinnert mich an die religiös-mythischen Vorstellungen vom irdischen Jammertal (Mühsal, Entbehrung, Askese, Verzicht, mönchische Gelübde und dem Versprechen des Paradieses. Im Volksmund „wer glaubt und sich danach verhält wird selig“. Manche würden darin auch die Ideologie des Kommunismus wiedererkennen.
Phylogenetische Zusammenhänge:
Auf dem Triathlonsymposium anläßlich der Ärztemeisterschaft 89 habe ich mir laut Gedanken gemacht (Symposiumband 1989), warum psychische Aspekte in der medizinischen und Trainingsbetreuung so Schwierigkeiten machen. Ich habe weit ausgeholt bis in die mythische Schöpfungsgeschichte des Menschen, wo z.B. im Alten Testament das Essen eines Apfels, ein an sich normaler Vorgang, zur Erbsünde für die gesamte Menschheit erklärt wird. Ich kam zum Ergebnis, Schuld-, Scham-, Schande- und Sündedenken ziehen sich wie ein roter Faden durch die Mythen der Kulturen.
Das Negativdenken als Glauben und Überzeugungen geht von einem Menschen in den anderen über. Die Gedanken des einen beeinflussen die Gedanken des anderen, und Realität und Phantasie werden oft nicht auseinander gehalten. Eine für Realität gehaltene Phantasie wird durch die Handlungsweise in Realität umgesetzt - eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Der zwischenmenschliche Umgang mit dem Negativdenken wie Schuldüberschreibungen, Unterstellungen und Verzerrungen, Widersprüche und Groteskerien, Projektionen und lntrojektionen, die geglaubt, über die sich gewundert und gelacht wird, stellen einen glitschigen Boden dar und belasten die Souveränität und moralische Integrität des Einzelnen oder ganzer Gruppen. Infolge dieses komplexen, schwer faßbaren, oft diffusen Geschehens will der Mensch oft wenig von der Psyche wissen- bei gleichzeitiger Verleugnung knallharter Realitäten. Der Vogel Strauß beschwört sozusagen die Gefahren, vor denen er den Kopf in den Sand steckt, und hat keine Möglichkeit, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und zu entzaubern. Der Wunsch nach Eindeutigkeiten, Simplifizierung und Festhalten an konkret meßbaren, möglichst jederzeit wiederholbaren Daten ob in Naturwissenschaft, Medizin oder Leistungsport ist gut verständlich. Der Trugschluß der Erlösung.
Zur mythischen Geschichte gehört genauso der Erlösungsgedanke, ob im christlichen Mythos die Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus, die Jungfräulichkeit Mariä vom Schmutz der Sexualität oder die Heilige Familie von den Verstrickungen der irdischen Familie, oder in deutsche Märchen bei Dornröschen oder Aschenputtel oder germanischen Sagen die Unverwundbarkeit Siegfrieds oder die Suche nach dem Heiligen Gral. In unserer Kultur wird deutlich, wie der christliche Mythos Glaubenssache ist, Frage der Religionszugehörigkeit, Übermittlung von Tradition, Überzeugungen und Dogmen. Dabei sind naturwissenschaftlich nicht mögliche Inhalte Dogmen des Glaubens.
Ich beschäftige mich gern mit Mythen, weil sie nicht nur Zeugnis über die Vergangenheit, sondern auch über die Jahrhunderte hinweg Zeugnis über aktuelle, reale zwischenmenschliche Verhältnisse geben, zeigen, wie sehr der Mensch sich treu geblieben ist, und in Mythen und Metaphern verlagert der Mensch eher betrachtbar ist. Zum Beispiel zeigt die Ödipussage, wie gerade durch die Vermeidungsstrategie nach der Prophezeiung des Orakels von Delphi das Unglück hereinbrach, während ohne die Prophezeiung und ohne die Reaktionsbildung voraussichtlich nichts passiert wäre, ähnlich dem Leistungssportler, der zur Verhinderung des Mißerfolges alles macht und tut, aber gerade durch die Verhinderungsversuche in Übertraining gerät und versagt.
Man kann die moderne, naturwissenschaftlich orientierte, hygienisch reine Medizin als einen Erlösungsversuch von dem gar nicht reinen Denken der Menschen, ihren zwischenmenschlichen Konflikten mit allen psychischen und somatischen Folgen sehen, oder als Erlösung vom Schmutz, den Seuchen und Aberglauben des Mittelalters. Die Schulmedizin sucht mit modernsten technischen Geräten an schmerzenden Organen und findet nichts oder meint in kleinen Organveränderungen die Ursachen gefunden zu haben. Sie weiß wenig davon, daß die ganze Psychosomatik seit Jahrhunderten im Volksmund festgehalten ist und dieser aufschlußreicher zum Verständnis beiträgt. Der verletzte Leistungssportler, der sich selbst nicht sagen kann, daß er überzogen hat und kürzer treten muß, der den Arzt aufsucht, weiß ein Lied zu singen, wie Organdiagnosen herangezogen wurden, die Beschwerden plötzlich weg sind, die nach den Diagnosen gar nicht weg sein dürften (wie z.B. Arthrosen).
Ontogenetische Zusammenhänge
Der einzelne wird in eine bestimmte Kultur, die des Volkes und seiner Familie hineingeboren. Vorstellungen, Wertungen, Realitätskonstruktionen treffen auf ein in Bildern völlig ungeprägtes Wesen. In der Bilderübertragung gibt es weder für den Neugeborenen noch für die Bezugspersonen ein Entrinnen. Sind nun die Vorstellungen über seine Person ein überwiegendes Negativdenken und wird dies mit voller Überzeugung an ihn herangetragen, glaubt er, daß er böse, schuldig sei, sich schämen müsse, zu wenig, viel oder falsch esse, zu klein, zu groß oder häßlich, labil, minderbegabt oder drogengefährdet sei,. Er sei so wie diese böse Tante oder jener böse Onkel, welche Sünden er begehe oder Schande bereite, wie verwöhnt er sei oder dankbar sein müsse. Inhalte der Zuschreibungen gibt es unendlich viele. Die Aneinanderfolge kann einer Gehirnwäsche gleichen. Er ist gezwungen, darauf zu reagieren, Gegenbeweise anzutreten, zu kompensieren, trotzig zu reagieren ,,wenn du das schon immer behauptest, solltest du recht haben“ oder ungeprüft den Glauben zu übernehmen, sich nach diesen Realitätsvorstellungen zu verhalten und danach zu leben (falsches Selbst). So wird seine Autonomie, eigenen Zielen nachzugehen und Freude zu erleben, untergraben, da er ständig mit der Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen beschäftigt ist. Ständig beschäftigt ist er deshalb weiterhin damit, weil mit jedem Kompensationsversuch oder Gegenbeweis die Stichhaltigkeit der Zuschreibung anerkannt wird. Anders ausgedrückt, derjenige, der sich rechtfertigt, klagt sich an, weil er durch die Rechtfertigung die Anklage anerkennt. Selbstverständlich finden diese Zuschreibungen über die Generationen hinweg statt. Wenn die Zuschreibungen nie genau definiert werden, aber mit wechselnden Gesichtern schwer faßbar über den Köpfen schweben, so daß man sich mit dem drohenden Unheil nie richtig auseinander setzen kann, kann man schon verrückt werden – Schizophrenierate in der Bevölkerung ca. 1%.
Die einzige Erlösung aus diesem Kreislauf ist eine andere Bewertung, neue Bilder und Denkweisen, wonach gar keine Negativbewertungen vorliegen, oder in abgemilderter Form, und es nichts zu kompensieren oder zu rechtfertigen gibt. In den Kirchen haben z.B. Umdenkungsprozesse in den letzten Jahren stattgefunden.
Aber gerade der Weg nach außen mit neuen bildern, Bewertungen und Denkweisen kann verschlossen oder behindert werden, z.B. durch direkte Verbote wie bei religiösen Sekten ,,mit denen darfst du nicht verkehren“ oder Entwertung ,“kein richtiger Umgang, unter Niveau, die bösen Kinder‘~ oder Überbewertung „bessere Kreise als wir, die Schule schaffst du nicht“ oder Angst- und Sorgenmachen, die Gefahren auszumalen, immer das Negative zu sehen und nie die positiven Möglichkeiten. Wenn die eigene Familie in Krisen steckt, Todesfälle und Krankheiten das Klima prägen, sind erst recht erfolgreiche Außenschritte verboten und werden mit Schuldgefühlen bestraft.
Eine der behindernden weit verbreiteten Angstvorstellungen betreffen den Sport selbst. Ein befreundeter Marathonläufer teilte mir neulich seine Überzeugung mit, daß er bei jedem Marathonlauf ein Stück seiner Gelenke verschleiße – so als ob die Gelenke ein mechanisches und nicht ein lebendes Wesen seien, das durch Belastung sogar aufgebaut werden kann. Ein Orthopäde warnte auf einem Symposium anläßlich des Trierer Halbmarathon vor den Gefahren des Laufens und empfahl eine gründliche sportärztliche Untersuchung und eine anfängliche Begleitung durch einen anderen erfahrenen Läufer. Wer sich beeinflussen läßt, bei dem läuft die Angst mit. So schafft man sich seine zukünftigen Patienten.
Ein weites Feld von Kompensationsmöglichkeiten von Minderwertigkeits- und Versagensgefühlen stellt das Sportgeschehen dar, vor Neigung zu Reizzuständen mit und ohne körperliche Veränderungen, Rückenbeschwerden bis zu Ischias und Bandscheibenvorfall, Ermüdungsbrüche, aber auch Magen- und Darmanfälligkeit bei erhöhtem Angstpegel (Angstschisser) und vor allem wenn der Leistungssportler auf anderen Gebieten wie Beruf, im Bett oder als Witzereißer am Stammtisch in seinen Augen nicht genügend Gratifikationen erhalten zu haben glaubt. Auf dem meist nicht reflektierten und somit nicht greifbaren psychosozialem Hintergrund ist der sportliche Erfolg, der Sieg, die Zeit eine klare, greifbare Größe, die noch eine wundersame Erhöhung findet, da dem Sport und in manchen Kreisen dem Triathlon, insbesondere dem ,,Ironman“, der Mythos des Heroischen anhaftet.
Unter Erfolgszwang bestätigt jeder Erfolg die dahinterstehende Notwendigkeit, das Versagerdenken. Infolge der mythischen Überhöhung muß der Absturz erfolgen, auch im Falle des Erfolges, weil der Erfolgsdruck fortbesteht und zu weiteren Anstrengungen, Quälereien und Ängsten vor dem Mißerfolg führt. Das versprochene Licht im Tunnel entfernt sich weiter und weiter. Nach dem griechischen Mythos nannte ich es Ikarossyndrom. Der mehr spielerisch errungene Erfolg bestätigt, daß ich es eigentlich nicht nötig habe, den Grad der Freiheit, keine Erfolge zu erzielen, und den Grad der Selbstachtung.
Erfolgszwang und Selbstachtung weisen jedoch nicht nur auf das frühere soziale Umfeld und die dadurch errungene Souveränität im, sondern auch auf das jetzige Umfeld, die Abgrenzung bzw. Beeinflussung und Beeinflußbarkeit, Suggestibilität von den jetzigen Denkweisen. Um dem Erfolgs- und Siegdenken in Anbetracht der Realität, daß zu einem Sieger eine Reihe Nichtsieger hinzugehört, entgegenzuwirken, haben die Verantwortlichen erklärt, daß etwa beim Marathon jeder Absolvent ein Sieger sei.
Der Grad des Erfolgsdruckes bzw. -zwanges stellt das Maß der dahinterstehenden Selbstentwertung oder Versagerdenkens dar.
Neben psychischem Motivationsverlust und Angstpegel können als Maßstab für den Erfolgszwang eine körperliche Verletzungsanfälligkeit Herz- und Kreislaufbeschwerden bis zur Herzneurose (Herzbeschwerden und Angstreaktionen ohne greifbaren krankhaften Herzbefund).
Die zentrale Rolle der Angst wird deutlich, wird jedoch meist nicht eingestanden, da Leistung und Erfolg gerade Reaktionsbildungen und Vermeidungsstrategien auf Gefühle wie Angst und Scham darstellen. Diese Gefühle liegen dicht beieinander, da ich Angst vor Scham und Schande habe und mich wiederum der Ängste schäme. Selten höre ich wie neulich von einer Spitzentriathletin und dann wohl eher von Frauen wegen des kulturimmanenten angstfreien Männlichkeitsbildes , daß sie vor jedem Tempotraining vor den Schindereien Angst habe.
Noch einmal zurück zu weiteren Gesichtspunkten ontogenetischer Zusammenhänge: Je entwertender und von Ängsten und Sorgen belastet das frühkindliche Milieu war, desto stärker bilden sich Ideal- und Größenbilder bis zu Allmachtsvorstellungen heraus. Der inzwischen Erwachsene kann sich nicht weiter entwickeln und bleibt sozusagen auf der frühkindlichen Stufe des Wunschidealbildes stehen. Auch haben die Bezugspersonen selber als Reaktionsbildung derartige Größenbilder entwickelt und geben sie als Maßstab der Selbstachtung und -anerkennung weiter. Gegenüber diesen bildern muß zwangsläufig das Versagen erfolgen (Ikaros). Massenpsychologisch ist dies Phänomen gut beobachtbar, wenn Angehörige unterprivilegierter Gruppen wie britische Fußballfans auf der Welle der Erfolge ihrer Clubs identifikatorisch glückselig mitschwimmen. beim Mißerfolg oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten ihren Frust in den Stadien oder auf der Straße ablassen.
Auch durch die Ödipussage als Wiederspiegelung aktueller realer zwischenmenschlicher Verhältnisse läßt sich der Versagenszwang gut erklären. Die Söhne dürfen die Väter nicht schlagen. Es gilt als Mord. Das große Vorbild darf nicht geschlagen werden. Insofern spielt sich gegenüber als Trainern bestellten ehemaligen sportlichen Größen ein Konflikt ab. Die Rivalität zwischen Männern und Frauen sehe ich in Mythen direkt weniger wiedergespiegelt, indirekt in der Form, daß die Söhne von den Müttern hochgejubelt werden und die Väter gleichzeitig abgewertet werden - Jesus als Erlöser gegenüber dem blassen danebenstehenden Josef. Das Versagen ist vorprogrammiert.
Vor allem bei Kindern und Jugendlichen spielen identifikatorische Vorgänge eine große Rolle, wenn diese stellvertretend für ihre Bezugsperson (am bekanntesten bei den Eislaufmüttern) Erfolge erzielen müssen. Der Erwachsene benötigt diese zur Kompensation eigener Selbstwertdefizite, vielleicht weil er meint, selbst keine Erfolge erzielen zu können, sich zu alt fühlt, weil er seine möglichen Leistungen an denen Jüngerer mißt und nicht an denen seiner Altersklasse, oder sich als Versager beruflich oder in den Augen seines Gatten, der Familie oder Freunden sieht und somit auch in seinen eigenen Idealmaßtstäben, oder den Mund zu voll genommen hat, sich messend an seinen Wunschvorstellungen. Der Jugendliche gerät in einen Loyalitätskonflikt, einerseits die Fremderwartungen und damit meist seine eigenen zu erfüllen, andererseits in Loyalität der eigenen Person gegenüber, eigene autonome Rechte und Ziele seiner Altersklasse entsprechend nachzugehen. In diesem Spannungsfeld ist der Erfolgsdruck um so stärker.
Geht ein überforderter Leistungssport1er wegen Beschwerden zum Arzt, gerät dieser in eine Beziehungsfalle. Einerseits will der Athlet seine Beschwerden beseitigt sehen, um vielleicht doch noch den heißersehnten Erfolg zu erzielen, damit all seine Mühe nicht umsonst ist. Andererseits ist er die Schinderei und den ewigen Druckes leid und möchte endlich seine Ruhe. lrgend wo weiß er auch, daß der Erfolg doch nicht der Erfolg ist. Er will endlich Zeit haben, sich anderen Interessen zuzuwenden, sich mit seinem Partner arrangieren, der von alldem sowieso nicht viel hielt, und seine eigenen Krankheitsängste und die seiner Familie beruhigen. Schon gar nicht will er mit seinen Einstellungen, Verhaltensweisen und Versagensgefühlen konfrontiert werden. Dem Arzt bleibt nichts anderes übrig als an den vordergründigen Symptomen zu kurieren, die sich je nach überwiegender Tendenz Leistungs- oder Ruhebedürfnis bessern oder nicht. Für mehr erhält er nicht den Auftrag, ist auch nicht von seinem Selbstverständnis und seiner Ausbildung her befähigt.
Nach Darstellung kultureller, entwicklungs- und beziehungspsychologischer Aspekte, der tiefen Verankerung des Negativdenkens (Schuld, Scham, Schande, Versagen, Sühne) des Geistes Kraft, der nicht nur das Gute, sondern auch das Böse schafft im Menschheitsbewußtsein und seiner Auswirkungen auf Selbstachtung und Erfolgszwang möchte ich zur Erhaltung und Wiederherstellung der Selbstachtung eine Leistungsoptimierung empfehlen im Gegensatz zu einer Leistungsmaximierung. Die Freude an der Leistung und Wohlbefinden sollen erhalten bleiben. Das erreichbare Ziel ist leichter und lockerer zu erreichen als das überhöhte. Die Trugschlüsse beim Erfolgszwang und Aspekte der zugrundeliegenden Zyklen wurden hoffentlich deutlich. Wie tief das Erfolgsdenken sitzt, erfahre ich immer wieder am eigenen Leibe. Die bösen Geister nisten sich wieder und wieder im Kopf ein - und schon sitze ich im Spinnennetz. Trotzdem wird für viele das Versprechen gelten, daß das Licht am Ende des Tunnels heller leuchtet. Nur ertragen es die ans Dunkel gewöhnten Augen schlechter. Schließlich bekam Aschenputtel auch ihren Prinzen im Märchen. Und wer erträumt sich nicht die Karriere vom Tellerwäscher zum Multimillionär in Amerika.