Aufsatz im Triathlonjahrbuch 1990

Triathlon und Psyche

Selbstachtung und Erfolgszwang

von Dr. med. Bernd Holstiege

Der Erfolg stellt bis zu den Formen des Rausches als eines der schönsten menschlichen Erlebnisse dar und bildet die Hauptmotivation für Leistungssportler, für den, der den Erfolg erringt wie für den, der innerlich mit lebt. Im Falle des unbedingten Willens zum Erfolg egal wie, dem Zwang, zum Erfolg diktiert er das Leben, und die Freiheit, der Genuß an der Sportausübung, der Überblick über Sinn und Ziele, also die persönliche Souveräni­tät geht verloren. Der Weg zum Erfolg wird zur medizinisch-psychologischen Gratwanderung. Auf beiden Seiten drohen die Abgründe des Mißerfolges, entweder ein Minus durch mangelnde Erfolgsvorberei­tung oder ein Plus durch Übertraining, Verletzungen und Unlust. Grundlegende Trainingsregeln wie die Zweiphasigkeit von Belastung und Regeneration, vor allem die Wichtigkeit der Regeneration wer­den nicht beachtet. Aus Angst vor dem Formverlust wird bis kurz vor dem Wett­kampf viel zu hart trainiert. Die Angst vor dem Mißerfolg schwingt immer mit, führt zu weiteren Verspannungen und Ver­krampfungen, somit zu vermehrten Or­ganbelastungen und Verletzungsanfällig­keit. Es kann sich ein (Teufels)-Kreislauf einspielen, der gerade den Mißerfolg provoziert. Der Erfolg gestaltet sich, um in mythischer Begriffsbildung zu sprechen zum Fluch, der seine Schatten weit vor­auswirft und im Falle des Zwanges zur Erfolgsbestäti­gung, was noch schlimmer sein kann, nachwirft.

Wo mögen die Gründe liegen, daß Menschen viel mögliche Freude an der Sportausübung selbst, an der Gemein­samkeit, am Körper und der Bewegung, der Natur aufgeben, um eine Freude zu erringen, die möglicherweise unerreichbar ist, zumindest der Weg dorthin stei­nig, entbehrungsreich, schmerzhaft, von Ängsten und Verletzungen bedroht und das Ziel unsicher? Um in einer Metapher zu sprechen, leuchtet das Licht am En­de eines Tunnels viel schöner und ver­spricht es viel heller zu scheinen, als wenn ich mich gleich ohne Tunnel im Licht bewege? Die Antwort könnte in der Frage­stellung liegen. Warum werden die Erfolgsziele dort angesetzt (Zeit, Platz, Sieg), wo sie unerreichbar und geradezu zum Scheitern verurteilt sind (Ikaros­syndrom)?

Warum richtet sich der Leistungssport­ler oft zu wenig nach persönlich unschwer zu erreichenden Zielen im Einklang mit psychischem und körperlichem Wohlbe­finden, im Einklang mit seinem sozialen Umfeld, familiären und beruflichen Bin­dungen, sucht ausschließlich Freude und Lust am Sport, ist höchstens bereit kurze vorübergehende Unlustmomente in Kauf zu nehmen? Und wenn er sich nicht gut fühlt, hört er halt auf mit der Zuversicht, ein nächstes Mal läuft es besser. Nein, dann sitzen Schuldgefühle im Nacken, herrscht das Denken vor wer einmal auf­hört, hört immer auf. Deswegen gilt die Devise “Durchhalten um jeden Preis“. Der Stolz, noch nie aufgehört zu haben, klingt mit, setzt aber oft Qualen des Durchhaltens voraus.

Triathleten sind objektiv wenig gefähr­det. Auch ein Ultra ist ein überschaubares Risiko. Anders ist es zum Beispiel bei Ex­trembergsteigern, deren Leben objektiv von Kälte, Lawinen, Steinschlag, größten Entbehrungen und Qualen bedroht ist. Und trotzdem halten sie es nie lange zu Hause aus  und wieder lockt der Berg. Der Psychologe Ulrich Aufmuth sieht die Motivation in der Suche nach dem Thrill (Angstlust), der Spanne zwischen Höllen­qual und höchster Glückseligkeit. Ein bißchen Thrill wird offenbar auch von Triath­leten gesucht. Für die Qualen des Trai­nings winkt das höchste Glück des Erfol­ges. Und je qualvoller es gestaltet wird, desto mehr gilt das Versprechen des Glücks. Es erinnert mich an die religiös-mythischen Vorstellungen vom irdischen Jammertal (Mühsal, Entbehrung, Askese, Verzicht, mönchische Gelübde und dem Versprechen des Paradieses. Im Volks­mund „wer glaubt und sich danach ver­hält wird selig“. Manche würden darin auch die Ideologie des Kommunismus wiedererkennen.

Phylogenetische Zusammenhänge:

Auf dem Triathlonsymposium anläßlich der Ärztemeisterschaft 89 habe ich mir laut Gedanken gemacht (Symposiumband 1989), warum psychische Aspekte in der medizinischen und Trainingsbe­treuung so Schwierigkeiten machen. Ich habe weit ausgeholt bis in die mythische Schöpfungsgeschichte des Menschen, wo z.B. im Alten Testament das Essen ei­nes Apfels, ein an sich normaler Vorgang, zur Erbsünde für die gesamte Menschheit erklärt wird. Ich kam zum Ergebnis, Schuld-, Scham-, Schande- und Sündedenken ziehen sich wie ein roter Faden durch die Mythen der Kulturen.

Das Negativdenken als Glauben und Überzeugungen geht von einem Men­schen in den anderen über. Die Gedan­ken des einen beeinflussen die Gedanken des anderen, und Realität und Phantasie werden oft nicht auseinander gehalten. Eine für Realität gehaltene Phantasie wird durch die Handlungsweise in Realität umgesetzt - eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Der zwischenmensch­liche Umgang mit dem Negativdenken wie Schuldüberschreibungen, Unterstel­lungen und Verzerrungen, Widersprüche und Groteskerien, Projektionen und lntrojektionen, die geglaubt, über die sich ge­wundert und gelacht wird, stellen einen glitschigen Boden dar und belasten die Souveränität und moralische Integrität des Einzelnen oder ganzer Gruppen. In­folge dieses komplexen, schwer faßba­ren, oft diffusen Geschehens will der Mensch oft wenig von der Psyche wissen- bei gleichzeitiger Verleugnung knallharter Realitäten. Der Vogel Strauß be­schwört sozusagen die Gefahren, vor de­nen er den Kopf in den Sand steckt, und hat keine Möglichkeit, sie auf ihren Wahr­heitsgehalt zu überprüfen und zu entzau­bern. Der Wunsch nach Eindeutigkeiten, Simplifizierung und Festhalten an konkret meßbaren, möglichst jederzeit wiederhol­baren Daten ob in Naturwissenschaft, Medizin oder Leistungsport ist gut ver­ständlich. Der Trugschluß der Erlösung.

Zur mythischen Geschichte gehört ge­nauso der Erlösungsgedanke, ob im christlichen Mythos die Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus, die Jungfräulichkeit Mariä vom Schmutz der Sexualität oder die Heilige Familie von den Verstrickungen der irdischen Familie, oder in deutsche Märchen bei Dornrös­chen oder Aschenputtel oder germanischen Sagen die Unverwundbarkeit Sieg­frieds oder die Suche nach dem Heiligen Gral. In unserer Kultur wird deutlich, wie der christliche Mythos Glaubenssache ist, Frage der Religionszugehörigkeit, Über­mittlung von Tradition, Überzeugungen und Dogmen. Dabei sind naturwissen­schaftlich nicht mögliche Inhalte Dogmen des Glaubens.

Ich beschäftige mich gern mit Mythen, weil sie nicht nur Zeugnis über die Vergangenheit, sondern auch über die Jahr­hunderte hinweg Zeugnis über aktuelle, reale zwischenmenschliche Verhältnisse geben, zeigen, wie sehr der Mensch sich treu geblieben ist, und in Mythen und Metaphern verlagert der Mensch eher betrachtbar ist. Zum Beispiel zeigt die Ödipussage, wie gerade durch die Vermei­dungsstrategie nach der Prophezeiung des Orakels von Delphi das Unglück her­einbrach, während ohne die Prophezei­ung und ohne die Reaktionsbildung vor­aussichtlich nichts passiert wäre, ähnlich dem Leistungssportler, der zur Verhinde­rung des Mißerfolges alles macht und tut, aber gerade durch die Verhinderungsver­suche in Übertraining gerät und versagt.

Man kann die moderne, naturwissen­schaftlich orientierte, hygienisch reine Medizin als einen Erlösungsversuch von dem gar nicht reinen Denken der Menschen, ihren zwischenmenschlichen Konflikten mit allen psychischen und so­matischen Folgen sehen, oder als Erlösung vom Schmutz, den Seuchen und Aberglauben des Mittelalters. Die Schul­medizin sucht mit modernsten techni­schen Geräten an schmerzenden Organen und findet nichts oder meint in kleinen Organveränderungen die Ursachen gefunden zu haben. Sie weiß wenig da­von, daß die ganze Psychosomatik seit Jahrhunderten im Volksmund festgehalten ist und dieser aufschlußreicher zum Verständnis beiträgt. Der verletzte Lei­stungssportler, der sich selbst nicht sa­gen kann, daß er überzogen hat und kür­zer treten muß, der den Arzt aufsucht, weiß ein Lied zu singen, wie Organdiagnosen herangezogen wurden, die Be­schwerden plötzlich weg sind, die nach den Diagnosen gar nicht weg sein dürften (wie z.B. Arthrosen).

Ontogenetische Zusammenhänge

Der einzelne wird in eine bestimmte Kultur, die des Volkes und seiner Familie hineinge­boren. Vorstellungen, Wertungen, Reali­tätskonstruktionen treffen auf ein in Bil­dern völlig ungeprägtes Wesen. In der Bil­derübertragung gibt es weder für den Neugeborenen noch für die Bezugsper­sonen ein Entrinnen. Sind nun die Vorstel­lungen über seine Person ein überwie­gendes Negativdenken und wird dies mit voller Überzeugung an ihn herangetra­gen, glaubt er, daß er böse, schuldig sei, sich schämen müsse, zu wenig, viel oder falsch esse, zu klein, zu groß oder häßlich, labil, minderbegabt oder drogenge­fährdet sei,. Er sei so wie diese böse Tante oder jener böse Onkel, welche Sünden er begehe oder Schande bereite, wie ver­wöhnt er sei oder dankbar sein müsse. In­halte der Zuschreibungen gibt es unend­lich viele. Die Aneinanderfolge kann einer Gehirnwäsche gleichen. Er ist gezwun­gen, darauf zu reagieren, Gegenbewei­se anzutreten, zu kompensieren, trotzig zu reagieren ,,wenn du das schon immer behauptest, solltest du recht haben“ oder ungeprüft den Glauben zu übernehmen, sich nach diesen Realitätsvorstellungen zu verhalten und danach zu leben (fal­sches Selbst). So wird seine Autonomie, eigenen Zielen nachzugehen und Freude zu erleben, untergraben, da er ständig mit der Auseinandersetzung mit den Zuschreibun­gen beschäftigt ist. Ständig beschäftigt ist er deshalb weiterhin damit, weil mit jedem Kompensationsversuch oder Gegenbe­weis die Stichhaltigkeit der Zuschreibung anerkannt wird. Anders ausgedrückt, der­jenige, der sich rechtfertigt, klagt sich an, weil er durch die Rechtfertigung die An­klage anerkennt. Selbstverständlich fin­den diese Zuschreibungen über die Ge­nerationen hinweg statt. Wenn die Zuschreibungen nie genau definiert werden, aber mit wechselnden Gesichtern schwer faßbar über den Köpfen schweben, so daß man sich mit dem drohenden Unheil nie richtig auseinander setzen kann, kann man schon verrückt werden – Schizophrenierate in der Bevölkerung ca. 1%.

Die einzige Erlösung aus diesem Kreis­lauf ist eine andere Bewertung, neue Bil­der und Denkweisen, wonach gar keine Negativbewertungen vorliegen, oder in abgemilderter Form, und es nichts zu kompensieren oder zu rechtfertigen gibt. In den Kirchen haben z.B. Umdenkungs­prozesse in den letzten Jahren stattge­funden.

Aber gerade der Weg nach außen mit neuen bildern, Bewertungen und Denk­weisen kann verschlossen oder behindert werden, z.B. durch direkte Verbote wie bei religiösen Sekten ,,mit denen darfst du nicht verkehren“ oder Entwertung ,“kein richtiger Umgang, unter Niveau, die bö­sen Kinder‘~ oder Überbewertung „besse­re Kreise als wir, die Schule schaffst du nicht“ oder Angst- und Sorgenmachen, die Gefahren auszumalen, immer das Negative zu sehen und nie die positiven Möglichkeiten. Wenn die eigene Familie in Krisen steckt, Todesfälle und Krankheiten das Klima prägen, sind erst recht er­folgreiche Außenschritte verboten und werden mit Schuldgefühlen bestraft.

Eine der behindernden weit verbreite­ten Angstvorstellungen betreffen den Sport selbst. Ein befreundeter Marathon­läufer teilte mir neulich seine Überzeu­gung mit, daß er bei jedem Marathonlauf ein Stück seiner Gelenke verschleiße – so als ob die Gelenke ein mechanisches und nicht ein lebendes Wesen seien, das durch Belastung sogar aufgebaut werden kann. Ein Orthopäde warnte auf einem Symposium anläßlich des Trierer Halbmarathon vor den Gefahren des Laufens und empfahl eine gründliche sportärztliche Untersu­chung und eine anfängliche Begleitung durch einen anderen erfahrenen Läufer. Wer sich beeinflussen läßt, bei dem läuft die Angst mit. So schafft man sich seine zukünfti­gen Patienten.

Ein weites Feld von Kompensations­möglichkeiten von Minderwertigkeits- und Versagensgefühlen stellt das Sportge­schehen dar, vor Neigung zu Reizzuständen mit und ohne körperliche Veränderungen, Rückenbeschwer­den bis zu Ischias und Bandscheiben­vorfall, Ermüdungsbrüche, aber auch Magen- und Darmanfälligkeit bei erhöh­tem Angstpegel (Angstschisser) und vor allem wenn der Leistungssportler auf anderen Gebieten wie Beruf, im Bett oder als Witzereißer am Stammtisch in seinen Augen nicht genü­gend Gratifikationen erhalten zu haben glaubt. Auf dem meist nicht reflektierten und somit nicht greifbaren psychosozia­lem Hintergrund ist der sportliche Erfolg, der Sieg, die Zeit eine klare, greifbare Größe, die noch eine wundersame Erhö­hung findet, da dem Sport und in man­chen Kreisen dem Triathlon, insbesondere dem ,,Ironman“, der Mythos des Heroischen anhaftet.

Unter Erfolgszwang bestätigt jeder Er­folg die dahinterstehende Notwendigkeit, das Versagerdenken. Infolge der mythi­schen Überhöhung muß der Absturz er­folgen, auch im Falle des Erfolges, weil der Erfolgsdruck fortbesteht und zu weite­ren Anstrengungen, Quälereien und Äng­sten vor dem Mißerfolg führt. Das verspro­chene Licht im Tunnel entfernt sich weiter und weiter. Nach dem griechischen Mythos nannte ich es Ikarossyndrom. Der mehr spielerisch errungene Erfolg bestä­tigt, daß ich es eigentlich nicht nötig habe, den Grad der Freiheit, keine Erfolge zu er­zielen, und den Grad der Selbstachtung.

Erfolgszwang und Selbstachtung weisen jedoch nicht nur auf das frühere soziale Umfeld und die dadurch errungene Sou­veränität im, sondern auch auf das jetzige Umfeld, die Abgrenzung bzw. Beeinflussung und Beeinflußbarkeit, Suggestibilität von den jetzigen Denkweisen. Um dem Erfolgs- und Siegdenken in Anbe­tracht der Realität, daß zu einem Sieger eine Reihe Nichtsieger hinzugehört, ent­gegenzuwirken, haben die Verantwortli­chen erklärt, daß etwa beim Marathon jeder Absolvent ein Sie­ger sei.

Der Grad des Erfolgsdruckes bzw. -zwanges stellt das Maß der dahinterste­henden Selbstentwertung oder Versager­denkens dar.

Neben psychischem Motivationsverlust und Angstpegel können als Maßstab für den Erfolgszwang eine kör­perliche Verletzungsanfälligkeit Herz- und Kreislaufbeschwerden bis zur Herzneurose (Herzbeschwerden und Angstreaktionen ohne greifbaren krank­haften Herzbefund).

Die zentrale Rolle der Angst wird deutlich, wird jedoch meist nicht eingestanden, da Leistung und Erfolg gerade Reak­tionsbildungen und Vermeidungsstrate­gien auf Gefühle wie Angst und Scham darstellen. Diese Gefühle liegen dicht bei­einander, da ich Angst vor Scham und Schande habe und mich wiederum der Ängste schäme. Selten höre ich wie neu­lich von einer Spitzentriathletin  und dann wohl eher von Frauen wegen des kulturimmanenten angstfreien Männlich­keitsbildes , daß sie vor jedem Tempotraining vor den Schindereien Angst habe.

Noch einmal zurück zu weiteren Ge­sichtspunkten ontogenetischer Zusam­menhänge: Je entwertender und von Ängsten und Sorgen belastet das frühkindliche Milieu war, desto stärker bilden sich Ideal- und Größenbilder bis zu All­machtsvorstellungen heraus. Der inzwi­schen Erwachsene kann sich nicht weiter entwickeln und bleibt sozusagen auf der frühkindlichen Stufe des Wunschidealbil­des stehen. Auch haben die Bezugsper­sonen selber als Reaktionsbildung derar­tige Größenbilder entwickelt und geben sie als Maßstab der Selbstachtung und -anerkennung weiter. Gegenüber diesen bildern muß zwangsläufig das Versagen erfolgen (Ikaros). Massenpsychologisch ist dies Phänomen gut beobachtbar, wenn Angehörige unterprivilegierter Gruppen wie britische Fußballfans auf der Welle der Erfolge ihrer Clubs identifikatorisch glückselig mitschwimmen. beim Mißer­folg oder vermeintlichen Ungerechtigkei­ten ihren Frust in den Stadien oder auf der Straße ablassen.

Auch durch die Ödipussage als Wiederspiegelung aktueller realer zwischen­menschlicher Verhältnisse läßt sich der Versagenszwang gut erklären. Die Söhne dürfen die Väter nicht schlagen. Es gilt als Mord. Das große Vorbild darf nicht ge­schlagen werden. Insofern spielt sich ge­genüber als Trainern bestellten ehemaligen sportlichen Größen ein Konflikt ab. Die Rivalität zwischen Männern und Frau­en sehe ich in Mythen direkt weniger wiedergespiegelt, indirekt in der Form, daß die Söhne von den Müttern hochgejubelt werden und die Väter gleichzeitig abgewertet werden - Jesus als Erlöser gegen­über dem blassen danebenstehenden Jo­sef. Das Versagen ist vorprogrammiert.

Vor allem bei Kindern und Jugendli­chen spielen identifikatorische Vorgänge eine große Rolle, wenn diese stellvertre­tend für ihre Bezugsperson (am bekannte­sten bei den Eislaufmüttern) Erfolge er­zielen müssen. Der Erwachsene benötigt diese zur Kompensation eigener Selbst­wertdefizite, vielleicht weil er meint, selbst keine Erfolge erzielen zu können, sich zu alt fühlt, weil er seine möglichen Leistun­gen an denen Jüngerer mißt und nicht an denen seiner Altersklasse, oder sich als Versager beruflich oder in den Augen sei­nes Gatten, der Familie oder Freunden sieht und somit auch in seinen eigenen Idealmaßtstäben, oder den Mund zu voll genommen hat, sich messend an seinen Wunschvorstel­lungen. Der Jugendliche gerät in einen Loyalitätskonflikt, einerseits die Fremderwartungen und damit meist seine eige­nen zu erfüllen, andererseits in Loyalität der eigenen Person gegenüber, eigene autonome Rechte und Ziele seiner Altersklasse entsprechend nachzugehen. In diesem Spannungsfeld ist der Erfolgsdruck um so stärker.

Geht ein überforderter Leistungssport1er wegen Beschwerden zum Arzt, gerät dieser in eine Beziehungsfalle. Einerseits will der Athlet seine Beschwerden besei­tigt sehen, um vielleicht doch noch den heißersehnten Erfolg zu erzielen, damit all seine Mühe nicht umsonst ist. Anderer­seits ist er die Schinderei und den ewigen Druckes leid und möchte endlich seine Ru­he. lrgend wo weiß er auch, daß der Erfolg doch nicht der Erfolg ist. Er will endlich Zeit haben, sich anderen Interessen zu­zuwenden, sich mit seinem Partner arran­gieren, der von alldem sowieso nicht viel hielt, und seine eigenen Krankheitsängste und die seiner Familie beruhigen. Schon gar nicht will er mit seinen Einstel­lungen, Verhaltensweisen und Versa­gensgefühlen konfrontiert werden. Dem Arzt bleibt nichts anderes übrig als an den vordergründigen Symptomen zu kurie­ren, die sich je nach überwiegender Ten­denz Leistungs- oder Ruhebedürfnis bes­sern oder nicht. Für mehr erhält er nicht den Auftrag, ist auch nicht von seinem Selbstverständnis und seiner Ausbildung her befähigt.

Nach Darstellung kultureller, entwicklungs- und beziehungspsychologischer Aspekte, der tiefen Verankerung des Negativdenkens (Schuld, Scham, Schande, Versagen, Sühne)  des Geistes Kraft, der nicht nur das Gute, sondern auch das Böse schafft  im Menschheitsbewußt­sein und seiner Auswirkungen auf Selbstachtung und Erfolgszwang möchte ich zur Erhaltung und Wiederherstellung der Selbstachtung eine Leistungsoptimierung empfehlen im Gegensatz zu einer Leistungsmaximierung. Die Freude an der Leistung und Wohlbefinden sollen erhalten bleiben. Das erreichbare Ziel ist leichter und lockerer zu erreichen als das überhöhte. Die Trugschlüsse beim Er­folgszwang und Aspekte der zugrundelie­genden Zyklen wurden hoffentlich deut­lich. Wie tief das Erfolgsdenken sitzt, er­fahre ich immer wieder am eigenen Leibe. Die bösen Geister nisten sich wieder und wieder im Kopf ein - und schon sitze ich im Spinnennetz. Trotzdem wird für viele das Versprechen gelten, daß das Licht am Ende des Tunnels heller leuchtet. Nur ertragen es die ans Dunkel gewöhnten Augen schlechter. Schließlich bekam Aschenputtel auch ihren Prinzen   im Märchen. Und wer erträumt sich nicht die Kar­riere vom Tellerwäscher zum Multimillio­när in Amerika.