Traumatisierung und Folgen

 

Sehr geehrter Herr M.,

Bei ihrem Vortrag beim FAAP am 12.11. über Umgang mit Krebspatienten aus psychosomatischer Sicht habe ich mir gedacht, Ihnen eigene Erfahrungen und Vorstellungen per E-Mail zu zuschicken. Ich möchte vorausschicken, daß Krebs bei meinen Patienten und in ihrem Umfeld nur gelegentlich vorkommt, Mitarbeiter an onkologischen Kliniken sicherlich wesentlich mehr Einblick haben.

 Sie erwähnten Ihre Erfahrung, das Krebs gehäuft bei der Mutter im pubertären Alter des oder der Kinder aufgetreten ist. Diese Erfahrung kann ich aus mehreren Patientenvorgeschichten nur teilen. Ein paar mal hatte ich dabei den Eindruck, daß das Kind die Position und Rolle der Mutter übernahm und somit sozusagen als Statthalter der leiblichen Mutter im Verhältnis zur Stiefmutter agierte, was zu erheblichen Problemen in der neuen Familie führte.

 Ich hatte einmal eine Patientin aus einer Familie, in der mehrfach die Mutter im Alter ihrer Tochter von 15 Jahren entweder an Krebs gestorben ist oder ein neues Kind bekommen hat. In der Therapie dieser Patientin passierte es mir mehrfach, daß ich auf eine äußerlich harmlose Frage wie elektrisiert reagierte, sich innerlich alles sträubte,  ich zwar mit einer harmlosen Antwort hätte reagieren können, das wäre in dieser Situation das Spannungsfreieste gewesen , diesen Vorgang aber nach Betrachtung der Zwischenmenschlichkeit auf frühkindliche zwischenmenschliche Beziehungen im Verhältnis zu ihrer Mutter ihr deutete. Meine innere Übertragungsreaktion weist für mich auf das innere Spannungsfeld innerhalb dieser Familie hin. Weiterhin erzählte diese Patienten mehrfach, ihre Mutter habe ein großes Fest etwa zum Geburtstag feiern wollen, kurz vor dem Fest ihren Kopf verloren, und die Patienten hätte alles für sie bestens organisiert. Sie empörte sich, daß sie statt Dankbarkeit nur Kritik erfahren habe. Dies führte zu einer Erbitterung gegenüber ihrer Mutter, trotzdem aber zu weiteren Wiederholungen, da sie um die Anerkennung ihrer Mutter kämpfte, die sie nie erhalten hatte. Auf den früheren Kampf weist hin, sie habe sich in der Kindheit eher auf die Zunge gebissen, als ihrer Mutter etwas zusagen.

Zu meiner Hypothese, daß in manchen Fällen von Krebs eine derartig elementare innere Gemeinsamkeit bzw. gegenseitige Identifizierung und geringe autonome Identität besteht, der Eine ist sozusagen im Anderen ist, und in einem aggressiven inneren Spannungsfeld die Aggressionen auf den anderen infolgedessen gegen die eigene Person gewendet werden, möchte ich noch weitere Beispiele anführen. Diese innere Gemeinsamkeit mag Bewertungen, Normen, Sichtweisen und demzufolge gemeinsame Handlungen beinhalten. Eigene Bewertungen, Standpunkte, Sichtweisen und Interessen gehen dabei verloren. So mag eine Angstpatient, der eine grausame Kindheit erlebt hatte, diese als glücklich erinnern, nicht nur weil er sich diese illusionieren möchte, sondern weil ihm diese eingebläut wurde. Er übernimmt voll den Standpunkt seines Umfeldes. Dies kann bei einem Psychotikers so weit gehen, daß er nicht mehr er selbst, sondern eine andere Person ist. Ich erlebte einmal in einer Gruppentherapie als Außenstehender, daß ein Patient mit Zyklothymie nicht mehr wie sein Opa, sondern als sein Opa sprach. Er war nicht wie sein Opa, sondern sein Opa. (Im Beziehungskontext konnte natürlich meine Wahrnehmung gestört sein. Ich halte diese Unterscheidung jedoch für bedeutsam.) Aufgrund dieser innere Gemeinsamkeit sind schlecht autonome Positionen, Interessen und Schritte möglich.

            Eine Patientin sprach von einer Totalidentifikation, als sie sich folgende Zusammenhänge vor Augen führte. Obwohl sie sich geschworen hatte, nie mehr ihrer Mutter von ihren Problemen zu erzählen, berichtete sie jedoch auf Fragen der Mutter von ihren Sorgen und Problemen. Die Verführung war, doch einmal eine verständnisvolle und bestätigende Mutter zu haben. Die Mutter übernahm die Sorge um die Tochter und sah die Ursache in der Tochter, die die Wahrnehmung der Mutter übernahm und glaubte, ihrer Mutter Sorgen zubereiten. Daraufhin erlebte sich die Tochter als Last für ihre Mutter, ihr zu viel zu sein und, da sie mit der Mutter identifiziert war und diese in sich aufnahm, war sie sich selbst zu viel, wie eine Last. Sie erzählte, ihr zerbrach das Herz und sie wäre am liebsten gestorben. Weil solche Situationen sich oft wiederholt hatten, hatte sie sich geschworen, nie etwas von ihren Problemen zu erzählen. Als Jugendlicher hatte sie Drogen genommen, später lange intensiv  getrunken, konnte nur durch eine Operation gerettet werden und war zu mir wegen Depressionen und einer Bulimie, nahe an einer Anorexie, gekommen. Die Wut auf die Mutter mußte sie wegen der Identifizierung gegen sich selbst wenden.

 So hatte ich eine nach außen quicklebendige, sportliche Patientin, die selbst nach dem Krebstod ihrer Mutter an Krebs erkrankte und bald darauf starb. Aus ihrer Vorgeschichte war zu erfahren, daß sie auf autonome Schritte mehrfach jeweils schwer chronisch erkrankte und von ihrer Mutter versorgt wurde. Sogar während ihrer Krebsbehandlung im Krankenhaus brach sie sich beim ersten Aufstehen das Bein.             Eine andere Patientin erkrankte wenige Tage nach dem Tod ihrer Mutter an Unterleibskrebs, zu der sie über zehn Jahre jegliche Kontakte abgebrochen hatte. In der weiteren Psychotherapie ging es um ihre Sorgen, Ängste und Nöte laut ihrem von der Mutter verinnerlichten Weltbild. Ihre Freiheit und ein besseres Leben mit längeren Therapieunterbrechungen findet sie in Südspanien trotz ablehnender Haltung ihrer Internistin, die ihr einen Urlaub in Spanien während ihrer Erkrankung nicht zugestand. Vor mir wurde sie in ihren Schritten unterstützt. Auch hielt ich eine Berentung infolge der Krebsfolgen und ihrer psychischen Probleme am Arbeitsplatz für notwendig.

 Eine Sozialarbeiterin, die allerdings unter einer Krebsangst litt, fiel bei ihrer Krebsangst bei Periodenschmerzen ein, daß sie mit Ihrem Partner ein Kind haben wollte, dann in ihr das innere bild " ewige Fürsorge und Aufopferung " auftauchte und sie sich sofort von Ihrem Partner getrennt hätte. Anschließend habe sie einen sterilisierten Mann geheiratet. In meiner Vorstellung  war das Kind sozusagen wie ein Krebs, der sie von innen auffraß. Aus ihrer Kindheit schilderte sie, wenn es ihrer Mutter gut ging, fiel dieser alles Mögliche ein, wovon sie völlig überlastet war, mit Rückenbeschwerden reagierte, und ihr die Tochter alles abnehmen mußte und selber mit Rückenbeschwerden und Asthma reagierte. So übertrug sich die Symptomatik von der einen auf die anderen. Für ihre Krebsangst fanden sich noch andere Anhaltspunkte. Ihre Tante war an Krebs erkrankt und, da sie glaubte, daß alle Familienglieder an den gleichen Erkrankungen erkrankten, bekam sie Krebsangst.

Der Glaube an die Gemeinsamkeit ist ein Hinweis auf die gegenseitige Identifizierung und daraus erwachsenden Anspruchshaltung. Der Anspruch lautet, das was der andere hat, steht auch mir zu, gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Die fortwährenden Enttäuschungen der Ansprüche führen zu einem Gefühl der Verbitterung, das sich möglicherweise autoaggressiv verbreiten kann. Auf die Erbitterung weist hin, daß, falls der zweite Ehemann der Mutter das Haus erben sollte, sie unter ewiger Erbitterung über diese Ungerechtigkeit leiden müßte. Ich möchte noch einmal betonen, diese Gemeinsamkeit führt also zu besonderen Rechten und Ansprüchen. Die chronische Verbitterung halte ich für ein wesentliches Element der psychosozialen möglichen und von mir vermuteten Aspekte des Krebses.

Sie selbst schilderten erstaunt die Selbstverständlichkeit einer Zwillingsschwester, die überhaupt nicht dankbar war, daß ihre Schwester ihr Knochenmark gespendet hatte, weil sie dasselbe genauso getan hätte. Dies spricht für ihre unabgegrenzte Identität und gemeinsamen Rechte und Ansprüche, wo selbstverständlich der eine für den anderen einzutreten hat.                Ähnlich sehe ich den Fall, den Frau S. geschildert hatte, wo ihre Krebspatientin ihre Behandlungstermine  verleugnete und sie voller Ängste ihre Patienten daran zu erinnern hatte. Diese frühkindliche Gemeinsamkeit, einer für den anderen und die Gefühlsübertragung- und Gegenübertragung, findet sich in der Übertragungsbeziehung der Therapie naturgemäß wieder. In einer so intime Beziehungen wie einer Therapie übernimmt die Therapeutin sozusagen die Gefühle der Patientin, anders ausgedrückt, sie reagiert auf den inneren Kern ihres Gegenübers.

 

 Meine theoretischen Vorstellungen

 Zu meinen Vorstellungen über die Entstehungsbedingungen einer gemeinsamen zwischenmenschlichen Identität, Verschmelzung oder Fusion möchte ich mehrere Faktoren anführen. Diese gemeinsame zwischenmenschliche Identität kann sich in kleinen oder größeren Teilen bis zu weiteren Bereichen der Persönlichkeit offenbaren. Einfache Teile können gemeinsame Bewertungen und Bedeutungen wie in einer familiären oder völkischen Kultur als gemeinsame innerlich geteilte Realität beinhalten. Zu inneren Spannungen, Diskrepanzen und Widersprüchen führt sie jedoch nur, wenn negative, böse bis zu tief existentiell bedrohlichen Inhalten den Kern der Persönlichkeit treffen. Durch die Fusion geht die Wahrnehmung der Unterschiede, der verschiedenen Positionen, Sichtweisen Interessen verloren. Ich möchte jedoch betonen, daß diese Verschmelzung neben zwischenmenschlichen Konflikten zu vielen psychischen und körperlichen Erkrankungen führen kann, also ein erhöhtes Krankheitsrisiko darstellt und nicht unbedingt typisch für Krebs sein muß. In einem sehr komplexen, multifaktoriellen Geschehen kann ich selbstverständlich nur einige Faktoren anführen.

 Im psychischen Entwicklungsprozessen werden die Erfahrungen mit dem eigenen Selbst, den Objekten der Umwelt und der Beziehungen zum eigenen Selbst eingeprägt, verinnerlicht bzw. zu eigen gemacht. Im psychoanalytischen Sprachgebrauch spricht man von Selbst- und Objektenrepräsentanzen. Man kann auch von psychischer Realität sprechen, deren Wirklichkeit sich ständig durch die Einflüsse des Umfeldes und der zwischenmenschlichen Interaktionen verändert. Diese psychischer Realität als Inbegriff subjektiven Erlebens der inneren und äußeren Welt steht für die Gesamtheit bewußter und unbewußter Repräsentanzen. Sie stellt jedoch nicht nur das Resultat, sondern auch die Voraussetzung der Interaktionen mit den Objekten und der Umwelt dar (Peter Achilles).

Traumatisierung des narzißtischen Selbstbildes in einer bedrohlich erlebten Umwelt. In die Umwelt werden die früheren Verletzungen und Kränkungen hinein gesehen, sodaß diese bedrohlich erscheint. Unter bild verstehe ich eine feste innere Wirklichkeit, Wahrheit bzw. Überzeugung, die oft nicht bewußt wahrgenommen wird. Man könnte auch von narzißtischen Traumatisierungen sprechen, der Verletzung von Ehre und Stolz. So erzählte mir ein Sizilianer, die sizilianische Ehre sei sein größtes Unglück. Diese Wahrheiten können so fest verankert sein, daß sie unabänderlich sind " es kann nicht mehr anders sein als es früher und schon immer war ". Grobe Raster der Traumatisierung wie Vernachlässigung, Mißhandlungen, sexueller Mißbrauch oder Verlust und schwerer Krankheit der wichtigsten frühkindliche Bezugspersonen interessieren mich weniger als die alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen und Prägungen. Meiner Ansicht nach können sich die angeführten groben Traumatisierungen auf dem Hintergrund dieser allgemeinen alltäglichen Beziehungen abspielen  und führen zu einer verstärkten Traumatisierung.

 Der Zusammenhang von früherer Wahrnehmung bzw. Erfahrung und dem Zukunftsentwurf ist zwar für jeden leicht nachvollziehbar, wird aber trotzdem oft nicht realisiert. Das würde zu sehr auf die Abhängigkeit von früheren Erfahrungen, wo der Mensch seinem Umfeld völlig ausgeliefert ist und von diesem geprägt wird, hinweisen und das Souveränitäts- und Unabhängigkeitsbild bedrohen. Je stärker die Traumatisierung sind, desto stärker wird die frühere Abhängigkeit und Auslieferung an das Umfeld verleugnet und ein Souveränitäts- und Selbstbestimmungsbild oder Größenbild entgegengesetzt. Die Verletzung dieses bildes bedeutet Erniedrigung und Demütigung. Jegliche Wahrnehmung von Abhängigkeit kann in diesem Kontext zu Scham und Peinlichkeit führen. Jeder weiß und kann an dem leichten Beispiel nachvollziehen, gute Erfahrungen machen Hoffnung und Zuversicht, schlechte Erfahrungen wenig Hoffnung, Angst und Sorge, daß sich die üblen Erfahrungen wiederholen. Schlechte Erfahrungen stellen für die Zukunft also eine Bedrohung dar. Handlungen mit früheren schlechten Erfahrungen läßt man besser sein. Die Erfahrung und Wahrnehmung des Traumas hat eine Erwartung, Antizipation oder Prophezeiung und ein späteres Hinein- und Herauslesen in neuen Situationen, so genannten Triggersituationen, zur Folge. Das sind Situationen, in denen Ähnlichkeiten oder Parallelen vorhanden sind und die Unterschiede nicht wahrgenommen werden. Schließlich kann eine spätere Situation nie absolut identisch mit einer vergangenen sein. Teilweise werden sie bei massiv eingestanzten Traumatisierungen, wo sämtliche Differenzierungen verloren gegangen sind, sozusagen frei aus der Luft, zumindest aus der Sicht anderer, die Bedrohungen hineingesehen und mit Angst und Sorge reagiert.

 Durch die bedrohlichen Erfahrung der Vergangenheit ist die Wahrnehmung in Gegenwart und Zukunft stark eingeengt auf die Muster der Vergangenheit und dadurch besteht eine selektive Wahrnehmung der Gegenwart und der Zukunft . Durch die bedrohliche Vergangenheitserfahrung wird die Gegenwart oft hochstilisiert und wesentlich bedrohlicher erlebt als sie für Menschen wäre, die keine oder in diesem Bereich keine traumatisierenden Erfahrungen haben. Man spricht auch von Dramatisieren oder Katastrophisieren. Volksmundausdrücke sind etwa " aus einer Mücke einen Elefant machen ". Die selektive Wahrnehmung wird zusätzlich durch Verdrängung, Verleugnung oder einer Sonderform, der Bagatellisierung gefördert. So können etwa nukleare oder chemische Bedrohungen katastrophisiert oder bagatellisiert werden, sodaß es schwer festzustellen ist, was nun wirklich dran ist. Oft ist es sogar, daß ohne Vorerfahrungen keinerlei Wahrnehmung besteht. Die Wahrnehmung wird demzufolge sehr von den Vorerfahrungen geprägt. Auf diesem Zusammenhang weist auch die neurobiologischer Hirnforschung hin.

 Eindrücklich zeigt sich dies nach Traumatisierung von Erwachsenen in dem Begriff des posttraumatischen Belastungssyndroms. Der Begriff des PTBS wurde bei Traumatisierungen von Erwachsenen geprägt. Solche traumatischen Erfahrungen sind etwa bei KZ-Überlebenden, nach Katastrophen, bei Folteropfern, frühkindliche Traumatisierungen wie bedrohlich erlebter Krankheit und Verlust von Eltern, Mißhandlungen und sexuellem Mißbrauch zu beobachten. Diese Erfahrungen sind wie eingestanzt oder eingemeißelt, tauchen im späteren Leben immer wieder auf und werden in Gegenwart und Zukunft gefürchtet.

Um wie viel stärker müssen Traumatisierungen auf ein ungeprägtes Wesen treffen!  Auch neurobiologisch ist nachweisbar, das im Falle von Bedrohungen die neuronalen Verknüpfungen und Vernetzungen eingeschränkt sind und sich nicht frei entfalten können.

Inwieweit die eigene Wahrnehmung und das eigene Selbst verloren gehen, zeigen die Zusammenhänge bei Folterungen. Im Augenblick der seelische Überforderung stellen die Folterer für die Folteropfer die einzigen Personen dar, die emotionalen Halt zu bieten versprechen, sodaß die Opfer ihnen recht geben, sozusagen innerlich mit ihnen verschmelzen. Psychoanalytiker sprechen von einer Identifizierung mit dem Angreifer. Bei der Psychoanalyse von Folteropfern stellt diese Verschmelzung bzw. die innere Kumpanei einen Knackpunkt in Psychoanalysen dar. Die Wahrnehmung der Scham, sich selbst aufzugeben und dem Angreifer noch recht zu geben bzw. der Berechtigung der Folter zuzustimmen, ist ein starke Erschütterung im Selbstbild.  

 Bei einer frühkindlichen Traumatisierung sind die Inhalte der Bedrohungen oft nicht mehr erinnerbar, da sie in einem Alter eintreten, indem das menschliche Gehirn noch nicht so weit es, Wahrnehmung faßbar zu erinnern. Wegen der Bedrohungen können die Inhalte auch verdrängt oder wegen der existentiellen Intensität verleugnet werden. In allen Fällen bleibt nur noch die Angst vor der Bedrohung übrig. Diese wird zu einer frei schwebenden Angst oder allgemeinen Bedrohung. Da das menschliche Gehirn die Neigung hat, sich Erklärungen zu suchen, werden die Inhalte oft an Erklärungen wie in bestimmten Situationen bei der Phobie festgemacht. Oder die frei schwebende Angst kann sich auf alle möglichen Situationen, Personen und Inhalte beziehen. Sie wird zu einer Art Kettenreaktion, wobei sich eine Angst nach der anderen auftut. Auch Psychotherapien können sich schwierig gestalten, wenn die Angst zu stark ist. Da die Bedrohung als völlig real erlebt wird, ist der Zugang der subjektiven und persönlichen Sichtweise nicht möglich. Schon vorher findet eine Überschwemmung mit Angst statt, die im Vorfeld nur noch die Verleugnung, Verdrängung oder Ersatzreaktionen wie Süchte oder Perversionen zuläßt. Diese stellen einer Art Plombenfunktion vor Überschwemmung mit Angst und Zerfall der Persönlichkeit dar. In der transgenerationellen Perspektive wird die Bedrohung über die Generation weitergegeben und die Inhalte gehen verloren, sodaß Sinn und Ziel verloren gehen und die frei schwebende Angst zu einer diffusen Bedrohung verstärkt wird. Die erinnerbaren existenzbedrohlichen Erfahrungen und Inhalte etwa bei KZ-Überlebenden werden zu diffusen Ängsten späterer Generationen.

 Schon gesunde Elternpersönlichkeiten sind sehr an der Entwicklung des Kindes nach ihren Vorstellungen interessiert. Somit erleben sie sich mit ihren Erwartungen und Hoffnungen partiell in ihrem Kinde.

            Durch eigene bedrohliche und traumatisierende Lebenserfahrungen ist die Wahrnehmung der Welt der Eltern stark eingegrenzt und auf die Verhinderung dieser Bedrohungen fixiert. Die Traumatisierung wird in die Neurone sozusagen eingestanzt, und die Welt ist auf diese bedrohlichen Wahrnehmungen und deren Verhinderung fixiert, sodaß Unterschiede und Differenzierungen zwischen den Personen und des situativen Umfeldes verloren gehen und nicht wahrgenommen werden. Die Bedrohung gilt wie eine eine objektive und absolute Wahrheit unabhängig von Raum, Zeit und den Umständen. Diese Fixierung auf Bedrohungen läuft wie ein Automatismus ab. Ebenso wird die Verhinderung und Vermeidung der Bedrohung automatisch eingestanzt.

Dadurch ist die Mutter nicht in der Lage, offen zu sein und den Kindern eigene Lebenswege zuzugestehen, weil sie auf die früheren Bedrohungen fixiert sind.

Die Folge ist, es gilt nicht, daß die Wahrnehmung beobachterabhängig ist, das heißt vom Standpunkt des beobachteten Menschen oder Gegenstandes, vom Standpunkt des Beobachters, also der Perspektive, von der Beleuchtung, in die die Wahrnehmungen der Vergangenheit eingehen, von den Interessen und vom Zeitpunkt abhängen. Zu einem anderen Zeitpunkt haben sich die Standpunkte, die Beleuchtung, das heißt, es kommen zum beobachteten Menschen oder Gegenstand andere Dinge in den Sinn, und eventuell die Interessen verändert. Leicht läßt sich dieser Zusammenhang am Beispiel der Medaille aufzeigen. Setzen sich zwei Menschen gegenüber, sieht jeder je nach seiner Position eine Seite der Medaille. Durch die Position wird die Sichtweise und das bild geprägt. Wird die Position verändert, ändert sich das bild der Medaille. Bei der Medaille ist es leicht die unsichtbare Seite anzunehmen, wenn man sie auch nicht sieht. Menschen, die nur das Sichtbare realisieren, geraten leicht in Verwirrung, wenn die Medaille hin und her gedreht wird, wie diese nun wirklich aussieht. Oder ich zeige einem Patienten ein bild und weise darauf hin, daß zehn verschiedene Menschen zehn verschiedene bilder beschreiben und diese je nach Beleuchtung, Beschreibungsposition, Stimmung und Zeitpunkt anders aussehen.

 Beispielsweise bei einer Leistungsbewertung oder einer Benotung wie der Schulnote gilt nur noch die Note, nicht mehr die Umstände, unter denen sie erreicht wurde. Es gilt nicht, welchen Unterricht ein Lehrer durchführte, wir er erklären konnte, ob der Schüler einen schlechten Tag hatte, von den Eltern dermaßen unter Druck gesetzt wurde, daß vor lauter Angst sein Kopf aussetzte und er demotiviert war, ob er zufällig auf das falsche vorbereitet war, und somit ein weites Spektrum von Umständen und Befindlichkeiten. Ein Mensch, der weniger in der Note eine Bedrohung sähe, würde das Spektrum von Umständen durchaus mit einkalkulieren. Eltern, die in einer mäßigen oder schlechten Schulnote das größte Unglück sehen, fürchten meist einen weiteren linearen, abwärts erfolgenden Verlauf. Etwa nach einer drei, fürchten sie eine vier, dann eine fünf, weitere fünfen, dann bleibt das Kind sitzen, versagt in der Schule, später im Leben und sie selbst sind schuld, weil sie nicht alles getan haben, um das Unglück zu verhindern. Die Schuld wird meistens am Kind festgemacht, da sie selbst nur das Beste getan und gewollt hatten. Für die Eltern ist die Verhinderungsstrategie sozusagen Fürsorge. Unter Umständen ist die menschliche Tragik, daß gerade durch die Verhinderungsversuche das Unglück eintritt. Ein durch Angst und Bedrohung blockiertes Kind wird kaum seine geistigen Kräfte entfalten können. Dieses kleine Beispiel zeigt auf, wie gerade die Verhinderungsbemühungen der Bedrohung die Bedrohung selbst darstellen.

 Die Traumatisierung fährt sozusagen wie ein Keil in den Zusammenhang der Welt des Erlebens und der Wahrnehmung, sodaß die Teile unverbundene nebeneinander stehen, etwa wie ein Keil in ein Stück Holz. Treten in diesem unterbrochenen Zusammenhang Unterschiede oder verschiedene Aspekte der Wahrnehmung auf, gehen diese Zusammenhänge durch den Keil der Bedrohung verloren und sie werden aufgespalten etwa in entweder - oder, schwarz - weiß, gut - böse, richtig - falsch, Nähe oder Ferne, alles oder nichts, wobei diese unvereinbar sind. Diese Unvereinbarkeit steht im Widerspruch zu dem Zusammenhang, daß sich entweder - oder, gut und böse eigentlich gegenseitig bedingen. Auch dieser Zusammenhang gilt verloren. Diese Spaltungen in entweder - oder finden sich überall in Alltag und Kultur wie in der Alltagssprache, möglicherweise als Hinweis inwieweit Alltag und Kultur von Traumatisierungen geprägt sind. Etwa braucht man nur die Zeitung aufzuschlagen, um nach zu lesen, hat Herr X. oder Frau Y. aus diesen oder jenen Gründen so oder so gehandelt, wobei meist alle diese Gründe mehr oder weniger eine Rolle spielen.

Meiner Erfahrung nach wirkt sich der Keil der Traumatisierung nicht nur horizontal, wie eben beschrieben, sondern auch vertikal aus. Die Tiefe etwa der narzißtischen Entwertung führt zu einem Größenbild, einer Grandiosität, Idealisierung oder Heroisierung, perfektem bild o. ä., wobei beide Teile unverbunden übereinander stehen, so als ob sie gar nicht zusammen gehören und durch den Keil getrennt sind. Die Beziehung taucht erst dort wieder auf, daß in einem tragischem Kreislauf die Grandiosität als Wertmaßstab zugrunde liegt, demgegenüber alle Menschlichkeit um so mehr entwertet sein muß. Aus einer anderen Sicht werden die  verschiedenen Seiten und Aspekte der Persönlichkeit zu einem grandiosen bild zusammen geführt und die Differenzierungen zwischen guten und schlechten Anteilen verloren gehen.

Dies betrifft jedoch nicht nur die Selbst- oder Fremdwahrnehmung einer Person, Ansprüche an sich selbst und an das Umfeld, sondern auch die Zukunftsentwürfe, so daß grandiose Dinge und Ziele entworfen werden, damit verbunden grandiose Rechte, denen gegenüber sämtliches Sein nur banal, fade und entwertet sein kann. Dies spielt sich alles oft auf der Ebene der Selbstverständlichkeiten, Voraussetzungen an das Leben und einzelne Menschen etwa an Partner oder Vorgesetzte, an die übermenschliche Ansprüche gestellt werden, oder die eigenen Kinder automatisch ab. Welche Schwierigkeiten ein Mensch mit vermeintlich grandiosen Rechten im Leben hat, erklärt sich von selbst. Aus diesen grandiosen Vorstellungen an das Leben ergeben sich oft gegenteilige Verläufe, etwa von dem Ideal des einfachen Lebens. Dazu fällt mir Diogenes in der Tonne ein, wenn ich mich nicht irre, aus der Schule der Stoiker. Laut Sage lebte er in einer Tonne, als Alexander der Große an ihn herantrat, um den berühmten Philosophen für seine Feldzüge zu gewinnen, und Diogenes nach seinen Ausmalungen nur lapidar erklärte "geh' mir aus der Sonne!".

Setzen sich die Unterschiede und Unvereinbarkeiten fort, ist die Folge Verwirrung und Chaos in der durch die Spaltung und deren Absolutheit scheinbar geordneten Welt. Die Aufspaltung, das entweder - oder und nicht das sowohl - als auch, dient also der Schaffung von Ordnung und Klarheit in einer verwirrenden Welt. Leider ist die Folge, daß sie zusätzliche Verwirrung schafft, da sie nur scheinbar ist und die übrigen Anteile noch durchaus vorhanden sind und gefürchtet werden müssen. In der Verwirrung wirkt der richtige Weg wie im Mythos des Labyrinthes.

 Die Verwirrung wird also gefürchtet, weil sie zusätzliche Unsicherheit schafft. Unsicherheit und Unklarheit sind also vermehrte Bedrohungen. Man weiß also nicht mehr, wo man dran ist nur, und in dieser Unsicherheit wird die eingestanzte Bedrohung gefürchtet. Da Umstände und Zwischenglieder verloren gegangen sind, wird ein linearer Verlauf vorausgesehen und gefürchtet wie beim wenn - dann. Die Lineariät ist, wenn das eine geschieht, geschieht das andere, und die Möglichkeit anderweitiger Verläufe wird ausgeklammert. Bei der Aufspaltung, dem entweder - oder und dem wenn - dann, dem linearen Ablauf, gehen also die Dimension der Zeit, des Raums und der Umstände mit den wechselhaften Einflüssen verloren. Die Linearität ist also eine Form der Spaltung. Eine weitere Form ist der Reduktionismus. Aus einem Bündel von Teilaspekten und Teilwahrheiten wird ein Teil zur ganzen Wahrheit erhoben oder, wie mein Lateinlehrer sagte, ein Pars pro toto. Dadurch ist die Welt scheinbar im Griff. Und wenn man diesen Teil noch nicht einmal im Griff hat, müssen die anderen Anteile um so mehr gefürchtet werden.

 Eine häufige Reaktionsform auf die Verwirrung ist, ist eine Welt der Absolutheit, des Alleswissens und -könnens, der Perfektion dagegen zusetzen. In der Aufspaltung finden sich dann beispielsweise in der Familie die Alles- und Besserwisser und die Verwirrten wie etwa in Familien, wo Schizophrenie auftritt. Dies ist ein Beispiel, daß sich Spaltungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen und zwischen den Menschen abspielen. Oft werden die alles- und besserwisserischen bilder in die Zukunft projiziert, sodaß man schon vorher alles gewußt hat, im nachhinein ein Anlaß zu Triumph und Häme. Der Triumphierende ist also der Sieger und der Andere der Unterlegene oder der Besiegte. Wenn dieser nicht den gegenteiligen, unsichtbaren Hintergrund sieht, ist er seinen negativen Gefühlen völlig ausgeliefert. Triumph und Häme werden wiederum in sämtlichen Handlungen gefürchtet, sodaß eine Entfaltung stark behindert wird.

 Man könnte den Zusammenhang auch so sehen, daß durch die Bedrohung die Zeitabfolge, die Diachronie verloren geht. Das hin und her und auf und ab im Leben wird nicht mehr in der Zeitabfolge erlebt, sondern synchron, als ob alles gleichzeitig wäre. Der Verlust der zeitlichen Abfolge und der Diachronie ist also ein wesentlicher Bestandteil der Spaltung. Dadurch werden Unterschiede und Wechselhaftigkeiten zu unvereinbaren, unauflöslichen Widersprüchen und führen zu Zerrissenheit oder einer inneren Zerreißprobe. Als Folge sind im Alltag z. B. Widersprüche in der Ausrichtung nach verschiedenen Gesichtspunkten und das daraus erfolgende Hin und Her als Wankelmütigkeit aktiv verpönt. Es gilt nur eine absolute, ewige und unanfechtbare Wahrheit wie in manchen Ideologien und Religionen. Anfechtungen und in Frage stellen dieser absoluten Wahrheiten wäre eine erneute Bedrohung, die mit allen Mitteln verhindert werden muß.

In dieser Bedrohung der absoluten Wahrheiten stellt Nichtwissen wiederum eine Bedrohung dar. Der Zusammenhang wird außer Kraft gesetzt, daß mit jedem Wissen in einem unendlichen Universum des Mikro- und Makrokosmos sich immer neue Fragen stellen und eröffnen, die das Wissen in Frage stellen und das Nichtwissen offenbaren. Einer der berühmtesten Philosophen des Altertums, nämlich Sokrates, kam zu dem Schluß " ich weiß, das sich nichts weiß ", für seine Ehefrau allerdings unerträglich, die auf deutsch verballhornt Zanktippe genannt wurde.

 Häufige schicksalhafte Konfliktkonstellationen

 Im Folgenden möchte ich einige schicksalhafte Abläufe, Aspekte und Zusammenhänge in der kindlichen Entwicklung und in der Familiedynamik aus meiner Sichtweise darstellen. Diese Schicksale, Aspekte und Zusammenhänge überlappen sich oft gegenseitig und sind nicht scharf zu trennen. Ich hebe keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Die Sichtweisen sind auch allzu verschieden. Ich würde eine neue Form der Absolutheit beanspruchen.

 Für die Entwicklung des Kindes ist unter anderem entscheidend, daß in der Bedrohung die Differenzierung zwischen den Eltern bzw. der Mutter und dem Kind verloren geht. Die Mutter erlebt sich selbst dem Kind und sich selbst nicht mehr im Unterschied zum Kinde. Eigene Positionen und Interessen werden als die des Kindes gleichgesetzt und wahrgenommen. Anders ausgedrückt, die Mutter erlebt sich selbst sozusagen in dem Kind. Da die absolute Welt und die bedrohlichen Erfahrungen oft narzißtische Entwertungen wie in Schuld, Schande, Sünde, Verachtung, Scham und Lächerlichkeit voraussetzt, erlebt sich die Mutter sozusagen in diesen Eigenschaften projektiv in ihrem Kinde. Ihre Angst um das eigene narzißtische Selbst ist die Angst um das Kind. Alles, was ihr selbst geschehen ist, fürchtet sie im Kind. Typisch ist, daß sie ihrem Kind vor hält " Du machst mir Sorgen, Kummer und Ärger! ", für Dinge, bei denen andere Mütter keinerlei Sorgen und Ärger hätten, etwa eine mäßige Schulnote oder Trotz, Schmutz und Unhöflichkeit o. ä. Sie erlebt nicht, daß Sorge und Ärger von ihr ausgehen. Das Kind als eigenes kommt bei der Mutter nicht an.

Die innere Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zeigt sich oft, wenn die Mutter oder die Eltern glauben, sich selbst mit ihrem Kind zu blamieren. Die Blamage ist nicht nur die des Kindes, sondern auch1 die der Mutter. Die hintergründige mangelnde Differenzierung zwischen sich und dem Kind kann die Mutter wiederum nicht wahrnehmen, weil es für sie eine Blamage bedeutete. Die Blamage, Scham oder Peinlichkeit wiederum verletzt das eigene Unabhängigkeits- und Souveränitätsbild der Mutter.

 Typisch ist, die Mutter weiß, was in ihrem Kind vor geht, was es denkt, fühlt und wie es ihm geht. Diese Wahrnehmung braucht jedoch nicht der Befindlichkeit des Kindes entsprechen. Das Kind gerät in eine innere Verwirrung. Es fühlte etwas, was jedoch von außen ganz anders thematisiert wird. Es weiß nicht, was mit ihm los ist, weil es sich nicht um eigene, sondern um innere Vorgänge in der Mutter handelt, die sie in ihrem Kinde sieht. Oft genug genügt schon ihr Blick, um innere Vorgänge des Kindes erfassen, etwa wie es ihm geht, ohne daß diese jedoch in dem Kind vorhanden sind. -  Beispielsweise hatte ich einmal eine Mutter, die ein schwer hirnorganisch geschädigtes Kind besaß, und die sich größte Sorgen um die Zukunft ihres Kindes machte. Sie stellte sich vor, wie sehr das Kind darunter leidet, daß es mit anderen Kindern nicht mithalten könne, unter deren Spott und Ausgrenzung leide, obwohl das Kind auf Grund seiner hirnorganischen Schädigung zu einem derartigen Vergleich nie in der Lage sein wird. Sie sah in dem Kind sich selbst, so wie es ihr ergangen wäre. Die Spannungen der Mutter jedoch wird es spüren, darunter leiden und als zukünftige innere Spannungen verinnerlichen.

 Als Folge sind eine Probeidentifikation bzw. Empathie und Tröstung  in realistischer Weise nicht möglich. Oft entsteht eine falsche Empathie, da die Mutter sich nicht in das Kind, sondern mit sich selbst in das Kind hinein versetzt. Eigenes früheres Leiden wird sie als Leiden des Kindes fürchten, obwohl dieses eventuell gar nicht leidet, weil es die aktuelle Situation ganz anders erlebt und in ihm nicht das frühere Leiden steckt. So wird aber das frühere Leiden der Mutter zum Leiden des Kindes, obwohl dieses ursprünglich gar nicht gelitten hatte, und einer gemeinsamen Identität.

 Um eine eigene autonome Persönlichkeit zu entwickeln, ist das Kind auf Bestätigung der eigenen Position, Bedürfnissen und Interessen und eigenen Wahrnehmung und positive Spiegelung, der berühmte Glanz im Auge der Mutter, angewiesen. In der frühen Kindheit sind dies mehr Aufmerksamkeit, gelassene Zuwendung, man spricht auch von Wärme, Sicherheit und Geborgenheit, später mehr Bestätigung eigener Positionen, Ziele und Interessen im abnehmenden Wechsel zur Nähe, den nahen Bezugspersonen und der Familie. Also braucht auch der Heranwachsende für seine Autonomie Bestätigung, sozusagen den Segen seiner Eltern. Ist diese Autonomie jedoch von Ängsten seitens der Eltern massiv besetzt, können Sie diese nicht geben.

 Auch ist das Geben und Nehmen in nahen Beziehungen stark behindert. In entfernteren Beziehung fällt dies etwa beim Kauf leicht. Der Käufer erhält für sein Geld seine Ware. In nahen Beziehungen ist es jedoch notwendig, daß das Geben selbst Nehmen darstellt. Wenn etwa die Mutter etwas für ihr Kind tut, als es sorgt und pflegt, bekommt sie gleichzeitig etwas wie Freude und Stolz am Kind. Ist dieses Nehmen bzw. die Freude, also der innere Ausgleich oder das Einvernehmen jedoch durch Bedrohungen auf Grund früherer Traumatisierung unmöglich gemacht, erlebt sie sich nur als Gebende und bekommt nichts dafür. Sie wird etwas zu einem späteren Zeitpunkt erwarten und beanspruchen. Als Folge kann sie das Kind nicht freigeben, da in ihm noch ihre Ansprüche stecken. Dies Geben und Nehmen kann sich schon beim heranwachsenden Kind im Mutterleib abspielen oder häufig beim Stillen, wenn sich die Mutter ausschließliche als Gebender erlebt oder sogar ausgesaugt fühlt, wenn sie beispielsweise nicht die erotische Lust an der Brust und am Saugen erleben kann oder sich nicht daran erfreut, einen werdenden Menschen zu ernähren. Ähnliche Beziehungssysteme spielen sich häufig beim weiteren Heranwachsen des Kindes ab.

 Allein schon in der Spaltung kommt es zu einem entweder oder wie Nähe oder Ferne und dem Verlust eines kontinuierlichen wechselhaften Ablaufs zwischen Nähe und Ferne. Der gespaltene später erwachsene Mensch verliert die Dimension des zeitlichen Ablaufes. Für ihn heißt es entweder Nähe oder Ferne, etwa Verschmelzung oder Trennung und in gerät in Verwirrung, versteht sich selber nicht mehr, wenn er etwa in der Ferne die Nähe oder der Nähe die Ferne sucht. Ferne kann er nicht ertragen, da er auf zwischenmenschliche Nähe angewiesen ist, die Nähe nicht, da er dabei seine Identität und Unabhängigkeit verliert. Meine Erfahrung nach neigt ein Mensch in derartigen unauflöslichen zwischenmenschlichen Konflikten zu schweren Herzerkrankungen.

 Da das Kind noch keine eigenen bilder, Werturteile und Bedeutungen besitzt, es nicht anderes kennt, nimmt es die der Mutter in sich auf bzw. verinnerlicht sie, sodaß diese zu eigenen bildern und Bedeutungen werden. Es ist das Schicksal eines jeden Kindes, die Bewertungen und Bedeutungen des Umfeldes sowohl der eigenen Person als auch der Umwelt zu übernehmen. Bedrohungen des Umfeldes werden zu eigenen Bedrohungen. Mit positiven Bedeutungen lebt es naturgemäß wesentlich besser. Negative Bewertungen werden für das Kind je nach Intensität und Stärke zu einem mehr oder weniger großen Problem bis zum existentiellen Überlebenskampf. Im Falle intensiver Entwertung ist es auch später als Erwachsener ausschließlich mit der Aufrechterhaltung seines Selbstbildnis beschäftigt, wie später im digitalen Dialog ausgeführt. Die Mutter und das Umfeld gehen sozusagen in Fleisch und Blut über.

Die Übernahme, Einprägung und Verinnerlichung ist um so stärker, da die Mutter, die Eltern und das Umfeld ihre Welt mit ihren Bewertungen und Bedeutungen durch ihr eigenes Handeln dem Kind vorleben. Da es nicht anderes kennt, wird dies Leben, ohne es zu merken, zur Selbstverständlichkeit.  Es versteht sich von selbst, daß es so ist. Das Leben wird zum Funktionieren nach den bildern des frühen Umfeldes. Bei den Selbstverständlichkeiten fehlt die Fähigkeit zur Übernahme der dritten Position bzw. eine Triangulierung, das heißt sich selbst als Erlebenden und Handelnden in einem Bezugsrahmen bzw. Kontext wahrzunehmen. Unter Kontext verstehe ich etwa die Definition oder Zuschreibung eines Gedankens oder einer Handlung als Sünde, Schuld oder Blamage. Durch die Negativzuschreibungen, die in der Kindheit ein geschrieben und geprägt wurden wird die Handlung erst zu einer Bedrohung. Je nach Zuschreibung können dieselben Handlungen also wertfrei oder vernichtend bedrohlich werden.

 Gerade zu den in der frühen Kindheit am meisten anwesenden Primärpersonen, am häufigsten der Mutter, besteht am wenigsten Wahrnehmung. Die Mutter geht ungeprüft in das Kind über. Anders ausgedrückt, es besteht gegenüber der Mutter keinerlei Realitätsprüfung. Gegenüber weniger nahen Bezugspersonen, etwa gegenüber dem Vater, besteht mehr Distanz und deswegen mehr Wahrnehmung, auch im negativen Sinne. Durch die fehlende Wahrnehmung hat die Mutter für das Kind eine stärkere Realität, sodaß im Falle negativer Zuschreibung des Vaters diese das Kind übernimmt und ihn mit den Augen der Mutter erlebt. Jemand, dem Negatives zugeschrieben wird, verhält sich oft genug negativ, sodaß das von der Mutter übernommene Vaterbild des Kindes sich bestätigt und bewahrheitet.

 Wenn etwa eine Mutter von sich selbst glaubt, daß mit ihr niemand etwas zu tun haben wolle, weil sie so unattraktiv oder böse sei, so wird sie dies in ihrem Kind erleben und diesem einreden. Das Kind wird das Negative, Verletzungen und Kränkungen aus allem heraushören, entsprechend Negativ auf das Umfeld reagieren, dadurch garstig und böse wahrgenommen, oder um dies zu vermeiden, sich besonders gut darzustellen versuchen und zu den anderen verhalten, während es glaubt, böse zu sein. Unter Umständen kann es die positiven Reaktionen des Umfeldes nicht annehmen, da diese nicht in sein Weltbild passen.

Wenn die Mutter das Kind böse behandelt, dieses jedoch brav und gut reagiert, indem es sich bemüht, bei der Mutter ein gutes bild zu schaffen, kann die Mutter in ihrer Wahrnehmung in Frage gestellt und verunsichert werden. Das böse Kind ist plötzlich ganz lieb. Die Verunsicherung und Verwirrung der Mutter kann das Kind als Waffe benutzen und auf böses mit dem Guten zurückschlagen und in der Mutter etwa ein schlechtes Gewissen erzeugen. Das liebe Kind nimmt der Mutter die Bestätigung ihrer Wahrnehmung weg. Insofern widerfährt der Mutter im Kinde das, was ihr von ihrer eigenen Mutter widerfahren ist. Die Macht der Mutter über das Kind verwandelt sich in die Macht des Kindes über die Mutter. Die Welt wird sozusagen auf den Kopf gestellt. Umgekehrt wird das Kind in Verwirrung geraten, sich selbst als Böse und hilflos ausgeliefert erlebend, plötzlich als gut, stark übermächtig in Diskrepanz zu seinem inneren Selbstbild hingestellt zu werden. Das können die Kinder sein, die ihren Müttern auf der Nase rumtanzen. Die Tragödie kann weitergehen, das die Mutter versuchen wird, das Kind von dem Sockel herunter zu holen, auf daß es sie selbst gesetzt hat.

 Um sich vor ihrer Sorge und Ärger im Kinde zu schützen, neigt die Mutter oder die Eltern zu einer Verhinderungsstrategie und Vermeidungshaltung, das Kind in seinem Verhalten in Geboten und Verboten zu kontrollieren. Übertretungen der Gebote und Verbote werden bestraft, manchmal in grausamen Strafritualen, oder die Mutter wird traurig und enttäuscht sein, zu Vorwürfen neigen, wenn das Kind sich nicht nach ihren Maßgaben richtet, und und im Kind Schuldgefühle produzieren. Kürzlich habe ich den Spruch gehört, so oder ähnlich, die Tränen der Mutter sind wie ein Schwert, das das eigene Selbst zerschlägt. Das Kind wird unter Schuldgefühle leiden, seine Mutter traurig gemacht und enttäuscht zu haben, so wie die Mutter das Kind schuldig erlebte. Die Kontrolle ist um so stärker, je stärkere traumatisierende Erfahrungen bestehen. Unter Umständen verfolgt sie ihr Kind den ganzen Tag über, sodaß für dieses wenig Raum für eigenes besteht. Diese Kontrollen können als Automatismus ablaufen.

 Wenn das Kind brav ist, sich nach den Vorstellungen und Wünschen der Mutter verhält, ist die Mutter glücklich. Verhält sich das Kind anders, ist sie unglücklich, enttäuscht und traurig. Dadurch erhält das Kind mit seinem Verhalten Steuerungsmechanismen und Macht über die Mutter. Diese Situationen kann das Kind, meist unbewußt, ausnutzen, sich an der Mutter rächen und ihr heimzahlen für die eigene Folgsamkeit, Anpassung und Einengung, in der es dem Kind ganz schlecht geht "geschieht ihr recht, wenn's mir schlecht geht ". Durch den Triumph über die Mutter und die Macht wird das Kind verführt, an diesen Mechanismen fest zu halten, die ihm andererseits die Mutter in die Hand gibt. Die Rache kann der letzte eigene Bereich sein, an dem fest gehalten wird, den das Kind sich nicht nehmen läßt, bis zum tödlichen Untergang wie etwa in der Pubertätsmagersucht oder in der Drogensucht. Bedrohung, Kontrolle, Triumph und Macht kann zu einem wechselseitigen inneren Austausch und zu einer unendlichen Spirale führen. Wenn etwa die Mutter in der Männlichkeit und Sexualität ihres Sohnes eine Bedrohung sieht " Männer wollen nur das eine und benutzen Frauen als Sexualobjekte !", wie es gängig heißt, dann erlebt der Sohn seine Männlichkeit und Sexualität als Bedrohung und wird darauf verzichten. Unter diesen Verzicht leidet oft genug nicht nur er selbst, sondern auch die Mutter. Sie leidet darunter, daß er so wenig Männlichkeit gegenüber Frauen entwickelt oder nur in der Homosexualität Männern gegenüber und sie auf die ersehnten Enkelkinder verzichten muß. Positiv wird für sie sein, daß sie kaum Konkurrenz gegenüber anderen späteren Frauen um ihren geliebten Sohn, der ja so brav auf die Bedrohungen verzichtet, erleben muß, dafür aber neue schafft. Andererseits kann sich die Mutter dadurch an ihrem bösen Ehepartner rächen, der meist im Falle der Homosexualität Sohnes im Karee' springt. Neulich sagte mir ein Patient, dann ist das Christentum ja die Religion der Rache.

 Eine wichtige Form der Kontrolle ist die Verwöhnung und Infantilisierung. In ihrem Bemühen, das Böse zu verhindern, tut sie für ihr Kind alles Gute mit dem Ziel, daß dieses ja nicht auf den Gedanken kommt, irgendetwas Böses anzustellen. In der Verwöhnung schwingt jedoch immer die Bedrohung mit und wird gefürchtet. Durch die Verwöhnung und der zusätzlichen Bedrohung wird das Kind in seiner Entfaltung behindert und auf einer frühkindlicheren Stufe fest gehalten.

 Die Kontrolle wiederum provoziert im Kinde zur Erhaltung der eigenen Position Widerstand wie Trotz, Verweigerung, Rebellion und Sabotage, dies ebenfalls als Automatismus. Der Automatismus der Mutter dient der Verhinderung der Bedrohungen im Kinde und somit Kontrolle, und der Automatismus des Kindes, nämlich des Widerstandes und Trotzes, dient ebenfalls der  Abwehr der Bedrohung, nämlich des Verlustes des eigenen Selbst. Der Widerstand ist normalerweise von Entwertungen des Kindes begleitet. Die Mutter erreicht also durch ihre Kontrolle neben Anpassung und Unterwerfung oft das Gegenteil. Der Widerstand führt normalerweise zu einer Kränkung der Mutter. Sie sieht sich nicht in ihrer Position und ihren Zielen und deren Richtigkeit anerkannt, für sie eine erneute Traumatisierung. Um dieser Traumatisierung zu entgehen, verlangt sie sofortigen und unbedingten Gehorsam, das heißt, ohne zu überlegen und ohne wenn und aber. Dann kann die Kindheit und das spätere Leben für Mutter und des Kindes zu einem ewigen Kampf werden. Oft genug glaubt die Mutter, daß der Trotz des Kindes ihr gilt, dieses also absichtlich trotzig sei, um ihr zu schaden, sie zu treffen und über sie zu triumphieren. Sie sieht nicht den Beweggrund der eigenen Selbsterhaltung, sondern den der Vergeltung, Rache und des Triumphes. Die Selbsterhaltung kann wie oben erwähnt zu Macht und Triumph führen. In der Macht und dem Triumph des Kindes erlebt sie ihre eigene Ohnmacht und Niederlage auf dem Hintergrund eigener frühkindliche Erlebnisse in der Beziehung zu ihrer Mutter. Dies wird ihre eigene Rache und Bestrafung forcieren und das Kind sich vermehrt schuldig fühlen.

So ist es kein Wunder, daß in den meist gelesenen pädagogischen Büchern von einem Arzt namens Schreber im ausgehenden 19. Jahrhundert die Devise vertreten wird, der Wille des Kindes ist mit allen Mitteln zu brechen. Selbstbestimmung und der eigene Wille sind also das Böse. Insofern ist es für mich gut erklärlich, daß Generationen von gebrochenen Menschen in ihrer Wut und ihren Hass nicht auf ihre Eltern, denn diese sind nach dem vierten Gebot zu ehren und für die Kinder die Götter, sondern auf Stellvertreter und Sündenböcke wie Juden, Homosexuelle und Zigeuner losgehen. Durch die Anleitung dieser schwarzen Pädagogik, ich will es mal so nennen, wissen die Eltern, wo sie dran sind und was sie zu tun haben, sind also der bedrohlichen Unsicherheit der Frage nach der richtigen Erziehung enthoben.

 Als die weitere Tragik des Trotzes sehe ich an, daß die Inhalte und Themen durch die Eltern bestimmt werden, also fremdbestimmt sind. Der Versuch des Selbsterhaltes führt also zum Verlust eigener Wünsche und Ziele, etwa mit dem Umfeld in Harmonie und Übereinstimmung zu leben, stattdessen zu Konflikten und Spannungen. Wenn die Eltern etwa gebeten oder gefragt hätten, hätte das Kind ihre Wünsche gerne erfüllt. Aber auf Befehl und Anspruch sofortigen Gehorsams können sie nur mit Trotz und Widerstand reagieren. Wer aber in einem derartigen Umfeld geprägt wurde, wird in seinem späteren Leben aber eine Bitte oder einen Wunsch als Befehl auffassen und entsprechend reagieren. Der Wunsch oder die Frage stellt eine Triggersituation zu Trotz und Widerstand dar. Anders ausgedrückt, Bitte oder Wunsch sind mit der Erfüllung gleichgesetzt und an diese gekoppelt bzw. Automatismen, ebenso wie der dazugehörige Trotz und Widerstand. Ähnliche Koppelungen sind Verständnis und Verstehen des anderen gleich Eingehen auf die Wünsche des anderen und somit Selbstverlust. Somit können Verständnis für den anderen, Wünsche, Erwartungen und Fragen infolge der Selbstverlustes Bedrohung darstellen und verboten sein. Allein eine Frage oder eine Bitte kann Empörung über diesen Anspruch hervorrufen. Da die frühkindliche Beziehungen verinnerlicht und sich zu eigen gemacht werden, werden sie im Erwachsenenalter fortgelebt.

 Oft ist es in der Kindheit so, daß das Kind gegen die kontrollierende Mutter rebelliert, solange es noch Zuhause lebt. Zieht es aus, lebt es die verinnerlichten Werte und Verhaltensweisen der Eltern aus. Diese haben eine höhere Macht. So erzählte mir ein Patient, früher zuhause habe es ständig Streit um das Aufräumen gegeben, und er wäre fürchterlich unordentlich gewesen. Seit seinem Auszug sei er pedantisch der ordentlichste Mensch.

 Meines Erachtens läßt sich der Zusammenhang zwischen der Befindlichkeit der Mutter bzw. des Umfeldes und deren Aufmerksamkeitsausrichtung und der Befindlichkeit des Kindes recht gut an dem neuen Krankheitsbild des ADHS, dem Aufmerksamkeit- Defizit- Hypermotilitäts-Syndrom, veranschaulichen. Das Kind ist essentiell auf die positiv zugewandte Aufmerksamkeit der Mutter angewiesen. Fehlt ihm diese, fehlt ihm die innere Ruhe und Sicherheit bzw. Aufgehobenheit beim anderen, das Containing, sodaß es in einen Unruhezustand gerät bzw. voller Unruhe die Ruhe suchen muß. Manche Mütter und Eltern haben alles andere im Kopf, als ihren Kindern Aufmerksamkeit zu widmen. Ihnen geht es um die Verhinderung von Bedrohungen. Durch die Erfahrung der ausgebliebenen oder mangelnden Aufmerksamkeit ist das Kind auf diese fixiert, es braucht diese noch für sein inneres Gleichgewicht, und ist ausschließlich damit beschäftigt. Die Folge kann sein, daß es oft nicht mehr wahr nimmt, wo ihm diese zuteil wird. Diese Unruhe setzt sich oft bis ins Erwachsenenalter fort. Durch die langjährige Erfahrung, daß er in sich Ruhe und Aufmerksamkeit nicht finden kann, neigt der Erwachsene dazu, diese bei anderen zu suchen und gelingt ihm auch dies nicht, sich Ersatzaufmerksamkeiten,  -anerkennungen und -bestätigungen auf Ersatzgebieten zu suchen wie Alkohol und Drogen, Perversionen und grenzenlosen narzißtischen Bestätigungen. Diese dienen dazu, sozusagen Lücken im eigenen Selbst zur Erhaltung des innere Gleichgewichtes und der Ruhe zu stopfen.

 Das kann sich so fortsetzen, daß derjenige bei seiner Darstellung unbewußt mehr damit beschäftigt ist, ob ihm zugehört wird als mit seiner Darstellung, innerlich abblockt, Pausen einfügt und ihm schwer zuzuhören ist. Von einem Patienten hörte ich, daß er im Schulunterricht sich kaum mündlich melden konnte, weil bei etwas längeren Ausführungen sein Gehirn wie abgeblockt war. In seiner Kindheit hatte er wahrscheinlich wenig positive Bestätigungen seiner Aussagen und Handlungen bekommen, ihm wurde wenig zugehört, an dieser Stelle war für ihn sozusagen eine Leerstelle, die für ihn schon eine Bedrohung darstellt. Darüber hinaus können bei seiner Aussagen und sein Verhalten negative Reaktionen erfolgt sein, die er wiederum fürchtet. Er konnte sich nur in einem Wort oder einem kurzen Satz äußern. Insofern war die mündliche Beteiligung im Unterricht mangelhaft. Derselbe Patienten schilderte, bei einem Gespräch mit seiner Ehefrau habe er plötzlich überrascht festgestellt " sie hört mir ja zu! ", sodaß er realisierte, daß er unbewußt immer davon ausgegangen war, ihm werde nicht zugehört. Unbewußt blieb meines Erachtens deswegen dieser Vorgang, weil er sich schon in der frühen Kindheit abspielte und deswegen dazu keine Wahrnehmung bestand. Eine latente Depression mit körperlichen Begleitzuständen oder appellativer Aufmerksamkeitssuche ist deshalb allzu natürlich, wenn ein Mensch davon ausgeht, daß er bei anderen nicht oder negativ ankommt und ihm nicht zugehört wird.

            Aber nicht nur fehlende Aufmerksamkeit, sondern auch ungünstige Aufmerksamkeit wie Ängste und Sorge, Schuldgefühle und Aggressionen auf das Kind können diesen Zustand hervorrufen. Als Beispiel kann ich die Erfahrung eines Patienten schildern: Als er seiner etwa vier Wochen alten Tochter die Flasche gab, war ihm dies zu langweilig und er las  währenddessen Zeitung. Während des Zeitunglesens trank das Kind trotz aller Bemühungen nicht. Er mußte ihm volle Aufmerksamkeit widmen. Den Vorfall schilderte er mehrfach und hörte, das sei doch ganz klar -offenbar ist vielen Leuten dieser Zusammenhang völlig klar. Wenn ich mir den weiteren Fortgang vorstelle - hätte er sich nicht auf die Bedürfnisse des Kindes eingestellt und weiter Zeitung gelesen, wäre das Kind entweder verhungert oder hätte auf einen essentielles Bedürfnis verzichtet. Es wäre entweder körperlich oder seelisch verhungert, für das Kind eine lebensbedrohliche Falle. Und viele Mütter können sich nicht umstellen.

            Eine andere Reaktion auf diese Befindlichkeit der Mutter kann auch die Neurodermitis sein. Die Spannungen wie Ängste, Aggressionen und Schuldgefühle der Mutter übertragen sich auf das Kind, sodaß dieses im eigenen Spannungszustand mit der Haut, dem körperlichen Grenzorgan reagieren kann. Typischerweise steht bei der Mutter eine traumatische Erfahrung dahinter wie Verlustangst, wenn sie schon früher intrauterin während der Schwangerschaft oder später ein Kind verloren hat. Diesen Verlust fürchtet sie im weiteren Kind.  Kürzlich erzählte mir eine Bekannte, daß ihr zweijähriger Bruder ertrunken sei, während sich die Mutter wegen ihres Schreiens um sie als Säugling gekümmert hatte. Verschärfend kam hinzu, das die Mutter ihr an dem Tod ihres Bruders die Schuld gab. Später konnte sie deswegen kein Kind kriegen, weil sie fürchtete, es sterbe. Sogar wenn sie betreuend ein Kleinkind ins Bett bringt, fürchtet sie, daß dessen Atem aussetzt.

             Die Mutter kann ihr Kind auch nicht über die Hintergründe und Zusammenhänge aufklären, die mehr bei ihr selbst als beim Kinde liegen. Dafür fehlt ihr die Wahrnehmung Wenn sie dies täte, kämen die Entwertung wie ein Bumerang auf sie selbst zurück. Als Folge der Entwertungen erlebt die Mutter das Kind als böse und das Kind sich selber als böse, trotzig und die Mutter als die Gute, die es vor dem Bösen zu schützen versucht. Es ergibt sich eine Aufspaltung in die Gute Mutter und das Böse Kind. Es wird versuchen, gut zu sein nach den bildern der Mutter, und dann kann sich eine Rollenumkehr und eine Aufspaltung in das gute Kind und die böse Mutter ergeben.

 Normalerweise beansprucht die Mutter für Ihre Bemühungen Gratifikation bzw. Dankbarkeit. In ihren Augen und ihrer Wahrnehmung hat sie sich richtig verhalten und immer nur das Beste getan. " Ich habe immer nur das Beste gewollt... und Du..." Das Kind gerät in die prekäre Lage, das für seine eigene Entwicklung Falsche mit dem für die Mutter Richtigen zu beantworten. In dieser absoluten Welt ist es für die Mutter nicht vorstellbar und möglich, das für das Kind etwas anderes richtig ist, als sie selbst glaubt. Oft genug wird es mit dem Guten der Mutter sozusagen überrollt und kann sich höchstens mit Trotz und Verweigerung wehren. Dieser zwischenmenschliche Zusammenhang verläuft oft nach unausgesprochenen, ungeprüften und wie selbstverständlichen Maßstäben, sodaß von ihm sozusagen im vorauseilenden Gehorsam, oft im Wechsel mit vorauseilenden Trotz, ohne Gründe und Ziele zu kennen, das Richtige verlangt wird. Dadurch kann in dem Kind eine Angst vor Dingen entstehen, die es nicht weiß, nach Maßstäben, die es nicht kennt, vor Unbekanntem und vor Unausgesprochenem. Unbekanntes und Unausgesprochenes muß es als Verunsicherung besonders fürchten. Diese Verunsicherung ist es ohnmächtig und hilflos ausgeliefert. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit stellt wiederum die Bedrohung dar.

 Aber nicht nur die Mutter erwartet, besser noch beansprucht für Ihre Bemühungen Dankbarkeit, sondern auch das Kind beansprucht für seine Überanpassung und Selbstaufgabe ebenfalls Belohnung bzw. Gratifikationen. Der Anspruch auf die Erfüllung dieser Belohnung beinhaltet die weitere Bindung. Oft steigert sich das Kind in seinen Bemühungen, endlich doch die Belohnung zu erhalten, und die Ansprüche steigert sich ins Unermeßliche ebenso wie die Enttäuschungen, die in Erbitterung umschlagen können. Die Bemühungen, die Enttäuschungen und weiteren Ansprüche werden im weiteren Leben normalerweise auf andere Personen übertragen, die von diesen naturgemäß nicht verstanden werden können, da sie aus der Vergangenheitserfahrung stammen, und werden ebenso wie früher bei der Mutter als selbstverständlich und selbstgewollt angenommenen. Inhalte dieser Bemühungen können sein, sich den Regeln und Normen der Mutter, auf spätere andere Personen übertragen, anzupassen, aller Erwartungen zu erfüllen, niemanden zu verletzen, während die eigene Verletzung immer mit schwingt.

 Um aus einer Verunsicherung, Ohnmacht und Hilflosigkeit herauszukommen, braucht der später Erwachsene also dringend Sicherheit. Diese Sicherheit stellt für ihn oft das Sichtbare, Faß- und Greifbare dar. Unsichtbare Dinge sind eine Bedrohung. Dies spielt in der Medizin eine Riesenrolle, da Unsichtbares oft nicht als Realität anerkannt wird. Psychische und psychosomatische Erkrankungen, die meist nicht organmedizinisch durch Betrachtung, im Röntgenbild oder im Labor nachgewiesen werden können, können für den Kranken und oft genug für das Umfeld wie Familienangehörige und Ärzte nicht als reale Krankheit anerkannt werden. Er hat Beschwerden und Schmerzen und es ist nichts da. Durch diese Bedrohung können sich die Beschwerden wie in einer Spirale verstärken. Er gerät unter Legitimationsdruck, weil er sich seine Schmerzen selbst nicht glaubt und diese ihm nicht geglaubt werden. Er hält sich bzw. wird für ein eingebildeter Kranker und ein Simulant gehalten, wenn nicht noch stärkere Entwertungen wie Psychokrüppel o. ä. hinzukommen. Händeringend sucht er nach anderen faßbaren Erklärungen, die ihm in der Medizin als Veranlagung, organische Schäden wie etwa Bandscheibenvorfälle, Infektionen von Viren oder Bakterien oder einer Transmitterstoffwechselstörung angeboten werden. Dann weiß er wieder, wo er dran ist, ist erleichtert und entspannt und die Verspannungen und Schmerzen können sich lösen. Man könnte sogar zynisch sagen, derjenige zeichnet sich als guter Arzt aus, der auf völlig diffuse, indifferente Beschwerden eine klare, eindeutige und unanfechtbare Diagnose mit einem klaren erfolgsversprechenden Behandlungsplan stellt. Von Problemen oder Lebensschwierigkeiten will er demzufolge nichts wissen.

 Eine für das Kind unbefriedigende Mutter verbietet normalerweise diesem, woanders hinzugehen, um sich Befriedigung und Bestätigung zu holen, etwa zum Vater, zur Großmutter oder einer Nachbarin. Dies wäre für sie eine Kränkung in ihren Selbstbild als gute Mutter, und sie würde durch diesen Schritt an Bedeutung und Wichtigkeit für das Kind verlieren und in ihren Augen zu sehr mit ihrem eigenen Versagen konfrontiert. Aus der Sicht der Mutter bedeutet Fremdgehen Verrat, Illoyalität.  Im biblischen Mythos heißt es " du sollst keine fremden Götter neben mir haben ". Sie muß also gegen alles, Freunde, potentielle Partner, oft sogar gegen Hobbies sein, was einen größeren Einfluß als sie selbst haben und das Kind ihrem Einflußbereich entziehen könnte. Sie bekäme ein schlechtes Gewissen, nicht eine gute Mutter gewesen zu sein, und macht dem Kind für seine Suche nach Befriedigung und Bestätigung außerhalb ihr selbst ein schlechtes Gewissen.

Schritte von der Mutter weg rufen wegen dieses Verrates eine Loslösungsschuld hervor. Durch die Vermeidung der Loslösungsschuld ist das Kind um so mehr an seine Mutter gebunden, hängt an ihr, einmal, weil es seinem Weltbild entspricht, zum anderen, um das schlechte Gewissen zu vermeiden.

Weiterhin würde die Mutter, ebenso wie ihr Kind einen Teil ihres Selbst verlieren, der ja im Kind steckt, und stände ohne diesen abgespaltenen oder delegierten Teil leer da. In ihr und dem Kind, da die Mutter ebenfalls ein Teil von ihm ist, würden Verlustangst entstehen. Denn beide hätten Teile ihres Selbst verloren. Durch diese Aufspaltung in gut und böse, die jeweils Teil des anderen in der eigenen Personen beinhalten, sind sie fest aneinander gebunden. Loslösung und Autonomie, also eine eigene neue Gesetzlichkeit, sind schlecht möglich.

 Somit ist gut verständlich, daß unter Bedrohungen leidende Menschen wenig von diesen komplizierten Zusammenhängen wissen wollen. Schließlich ist kaum zu unterscheiden, wer eigentlich was ist, zu wem welche Eigenschaft gehört. Sie suchen lieber ihr Heil in vermeintlich klaren, eindeutigen, unanfechtbaren Sachverhalten wie etwa in einer somatisch-naturwissenschaftlich orientierten Medizin oder etwa in religiösen Inhalten und bei Gott. Die Erfahrung mit Teilerfolgen der Medizin haben ja auch aus dem mittelalterlichen Verständnis von Schuld und Sühne in Krankheiten durch klar definierte Erreger und erfolgversprechende Behandlungsschemata geführt. Die Psychologie erscheint ihnen wie ein unklares, schwankendes, nebulöses und somit bedrohlich erscheinendes Gebiet, indem man kaum weiß, was Sache ist. In diesen Ausführungen versuche ich darzustellen und aufzuhellen, wenn man die oft unbewußten Hintergründe und Zusammenhänge kennt und respektiert, verläuft die Psychologie nach erkennbaren Gesetzen und Regeln.

 Ein weiterer Grund für Ihre Verlustangst ist, da sie ihre von der eigenen Mutter übernommenen Entwertungen und bilder auf das Kind projiziert hat, in diesem also partiell ihre eigene Mutter erlebt, einen Entfernungsschritt des Kindes wie einen Verlust der Liebe ihrer eigenen Mutter erlebt, das Kind also Mutterfunktionen übernimmt.

In dieser Mutterfunktion wird das Kind oft zur Vertrauten der Mutter. Mutters Leiden wird auf ihm abgeladen. Durch diese Rollenumkehr, man spricht auch von Paternalisierung, ist es überfordert und es entsteht im Kind Wut und Hass. Da es das aber nicht anders kennt und noch keine innere Trennung zur Mutter vollzogen hat, wenden sich diese Gefühle gegen die eigene Person als psychisches Leiden wie die Depression und/oder körperliches Leiden oder als Ersatzmechanismen wie Drogen oder Perversionen, in denen in vielen Kulturen böses gesehen wird. 

 Oft wird dem Kind in der absoluten Welt seine eigene Wahrnehmung abgesprochen " bildest du dir ein ", sodaß es sich mit einer Fremdwahrnehmung identifiziert und in Verwirrung zwischen sich und dem anderen gerät. Deswegen legen Kinder später so großen Wert bzw. sind auf die Bestätigung ihrer Wahrnehmung durch die Eltern  angewiesen, haften an ihren Eltern, die diese aber nicht geben können, da sie eine völlig andere Wahrnehmung haben und in ihr leben. In ihrem weiteren Leben suchen Sie diese Bestätigung in dem Umfeld und geraten dadurch in narzißtische Abhängigkeit. Die Abhängigkeit entsteht dadurch, daß der andere einen Teil der eigenen Person darstellen soll.

 Das primäre Milieu, vor allem die Mutter nimmt ihr Selbstbild und Fremdbild projektiv und identifikatorisch in ihrem Kind wahr. Das Kind ist wie ein erweitertes Selbst oder ein Selbstobjekt. Daß sie wenig zwischen sich in dem Kind unterscheiden kann, hängt wie erwähnt mit ihrer eigenen Entwicklung zusammen, geht sozusagen über Generationen. Die Bedrohungen früherer Generationen in dieser transgenerationellen Perspektive können, etwa wie die früheren Untaten eines Vorfahren wie ein Schloßgespenst, später auftauchen. Die Erfahrungen mit früheren Personen und deren Eigenschaften werden etwa dem Kind zugeschrieben " du bist wie der Opa, die Tante, der Exmann, genauso egoistisch und nur auf deinen Vorteil bedacht... ". Das Kind übernimmt diese Zuschreibungen und verhält sich unter Umständen nach diese Beschreibungen. Dann sehen sich die Eltern bestätigt. Man könnte auch so sehen, daß das Kind ein Falsches Selbst entwickelt. Es übernimmt die Rolle eines Ahns oder Urahns.

 Oft werden die Handlungen der Eltern am stigmatisierten Kind festgemacht, etwa beim unehelichen Kind. Das Kind ist Träger für Dinge, für die es nichts kann und zu denen es nichts beigetragen hat. Diese Zuschreibungen erfolgen naturgemäß im Bedrohungsfalle, weil dann die Differenzierungen verloren gehen. Diese Stigmatisierung hat ihre Vorgeschichte oft in der Mutter und den Eltern selbst oder schwebt sozusagen als Zuschreibungen im kulturellen Raum des Umfeldes. In dieser Projektion erlebt die Mutter etwa ihre Ängste um sich selbst als Ängste um ihr Kind, ihre Selbstentwertung und Aggressionen auf frühere Bezugspersonen und die Definition des Umfeldes als Entwertung oder als Aggressionen auf das Kind.

 Oft nehmen die Eltern ihre Kinder unterschiedlich wahr. Der Eine wird hochgejubelt und der Andere entwertet, und beide nach diesen bildern behandelt. Die Kinder erleben diese Aufspaltung etwa in gut und böse in sich selbst. Dadurch entsteht in der Beziehung zwischen dem Guten und dem Bösen Zwietracht, Rivalität, Neid und Eifersucht unter den Kindern, die sie nicht gegenüber der Herkunft der Zwietracht, ihre Eltern, sondern untereinander austragen wie in der biblischen Geschichte von Kain und Abel. Der Schlechte oder der Böse fühlt sich gegenüber dem Guten benachteiligt. Während er selbst glaubt, der Böse zu sein und die Rolle des Bösen übernommen hat, wird er sein Recht einfordern, der Gute zu sein.

 Ebenso wichtig ist die Rivalität hauptsächlich zwischen Väter und Söhnen und Müttern und Töchtern. Die Väter beneiden ihre Söhne um ihre Jugend, Attraktivität und Zukunft, vor allem in Zeiten des Jugendkultes wie in Illustrierten und Arbeitswelt, vor allem, wenn sie selbst ihre eventuell überhöhten Ziele nicht erreichen, in ihren Augen versagt haben. In ihrem Neid werden sie meist nicht stillhalten, sondern ihrer Söhne demütigen und klein halten. Verstärkt wird Wut und Hass der Väter, wenn der Sohn von der Mutter hochgejubelt und der Vater entwertet wird. Schließlich sind nicht alle Väter so friedlich wie Joseph in der heiligen Familie, wenn der Sohn zum Gott erklärt wird. Neben der Wut der Väter auf ihrer Söhne wird in den Söhnen Wut auf ihre Väter erzeugt. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß im großen sozialen und kulturellen Rahmen am meisten der Mord der Väter an den Söhnen in Kriegen stattfindet, die die Väter anzetteln und die Söhne darin umkommen. Schließlich war auch in der Ödipussage als Folge der Prophezeiung dem Vatermord der versuchte Sohnesmord vorausgegangen, und Söhne wollen ihre Mütter meist höchstens in der kindlichem Fantasie heiraten. Gerade in der Ödipussage wird deutlich, daß erst als Folge der Prophezeiung und deren Verhinderungsstrategie die tragischen Folgen des Vatermordes und Inzest geschehen konnten. Hinsichtlich der Übersetzung von Mythen und Märchen auf den Alltag möchte ich mich anderweitig auslassen.

 Ein Stigmatisierter erlebt sich anders als sein Umfeld, verhält sich anders nach seinen bildern, fällt dadurch auf und wird oft genug gehänselt oder geschlagen. Er erlebt normalerweise nur die Aggressionen der Umwelt, erlebt aber nicht seine Verhaltensweisen, die diese Aggressionen produzieren. . Diese sind für ihn Selbstverständlichkeit, da es nicht anders kennt. Da aber oft noch in den Kindern und später im Erwachsenenumfeld ebenfalls Entwertung und somit Bedrohung in den einzelnen Personen vorhanden sind, sind diese froh, ihre Entwertung und und Aggressionen an einen delegieren und an ihm ablassen zu können, dem schwarzen Schaf oder Sündenbock. Dabei können sie sich groß und stark fühlen. In seinem späteren Leben fühlt der Delegierte sich oft als Außenseiter. Er sieht sich selbst im Unterschied zu den anderen, diese wie in einem Block, und kann nicht mehr deren Unterschiede und Hintergründe wahrnehmen. Wer nur die schlechtesten bilder beigebracht bekam, denkt und glaubt immer nur das Schlechteste, und wittert sozusagen überall die Bestätigungen.                    

 Ein häufiger Zusammenhang, den ich bisher in der Literatur nicht gefunden habe, ist, daß die Mutter zu eigenen Loslösung ihr Kind sozusagen als Stellvertreter für sich selbst ihrer Mutter überläßt. Das kann zu Dramen und Tragödien führen. Harmlos kann noch sein, daß die Mutter arbeiten geht und die Großmutter während des Tages das Kind beaufsichtigt. In manchen Fällen übernimmt die Großmutter die Mutterfunktion, und es ergibt sich zwischen Mutter und Großmutter eine Rivalität um das Kind, wer hat den größeren Einfluß. Da die Mütter sich oft nicht so sehr in der Erziehungsaufgabe sehen, können sie viel netter und großzügiger zu ihrem Enkel sein, woraufhin das Kind eher zur Großmutter geht und in den Augen der Mutter die Situation ausnützt. Die Wut und die Entwertungen bekommt das Kind ab. Als Folge kämpft das Kind um eine gute Mutter mit allen Anpassungs- und Selbstverlusterscheinungen. Durch den Streit zwischen Mutter und Tochter entsteht in der Familie eine erstickende Atmosphäre, in der das Kind oft Luftnot wie Asthma entwickelt. Bei Asthma ist häufig eine Oma in der Nähe.

Eine derartig erstickende Atmosphäre kann auch in dem Streit um die Einflußnahme und Beziehungspriorität entstehen, wenn ein Elternteil in die Familie des anderen ein geheiratet hat, etwa Ehefrau und Mutter des Ehemannes um den Einfluß auf den Mann streiten. Im Falle des des Asthmas des Kindes kann der Streit gelöst werden, wenn alle Beteiligten vereinigt sind in der Rettung des Kindes. Diesem Zusammenhang schilderte ich einem Bekannten, der früher als Kind unter Asthma gelitten hatte. Er meinte trocken und bitter " und wenn sie es geschafft haben, liegen sie sich glücklich in den Armen ".

 Da der Mensch, salopp ausgedrückt, nach dem lebt, was er glaubt, was ist, nach seinen inneren Realitäten, setzt er seinen Glauben und seine bilder in Handlungen um, sodaß sich die bilder oft genug bestätigen, selfful prophecy, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Zum einen wird das als " böse "apostrophierte  Kind ob dieser Zuschreibung böse und wütend, zum anderen verhält es sich nach seinem Selbstbild.

 Die Mutter erlebt sich in ihrer Verhinderungsstrategie als schützend und fürsorglich, andere sprechen von einer Affenmutter, und gerade durch diese Fürsorge wird das Kind wiederum zu Trotz, Verweigerung, Sabotage und Gegenbeweisen provoziert. Diese Gegenhaltungen sind zwar Versuche einer Autonomie, werden aber durch das Thema der Mutter bestimmt und beinhalten dadurch die Abhängigkeit. Das führt zu einem oft lebenslangen und tragischen Kampf um Selbstbehauptung und/oder eine Anpassung, Unterwerfung und Abhängigkeit. Ein Patient schilderte, seine ewig besorgte und behütende Mutter wurde von ihrer Schwester als Affenmutter bezeichnet, während seine Mutter diese wiederum, weil sie mehr Selbstständigkeit zuließ, als Rabenmutter titulierte. So setzten beide Schwestern über die Beziehung zu ihren Kindern ihren ewigen Kampf fort.

 Oft genug versucht das Kind im eigenen Interesse, eine ausgeglichene und zufriedene Mutter zu haben, die Mutter, vor sich, dem bösen Kind, und anderen Umweltgefahren zu schützen, sodaß sein Leben dem Wohlbefinden der Mutter gewidmet ist und es nicht mehr zu einem eigenen autonome Leben kommt. Es trägt sozusagen die Mutter als Last auf seinem Buckel wie im obigen Beispiel, was zu Schmerzen führen kann. Diese Rollenumkehr, daß also nicht die Mutter das Kind, sondern das Kind die Mutter schützt, kenne ich als den Begriff der Paternalisierung. So schilderte mir ein Patient, er sei als Kind die Treppe heruntergefallen und mußte seine Mutter " um Gottes willen das arme Kind !" zusätzlich zu seinen eigenen Schmerzen und Ängsten noch trösten und dadurch stabilisieren.

 Auch kann das Kind in seinen Ängsten und Schmerzen sich nicht mehr an die Mutter wenden, weil diese durch die Ängste der Mutter verstärkt und bei ihr Schuldgefühle hervorrufen würden. Es muß mit sich alleine fertigwerden. Für das Kind ist dies um so schwieriger, wenn diese Ängste, Schmerzen und Entwertungen von der Mutter und nicht aus dem weiteren Umfeld kommen.

In vielen Kulturen ist es für die Mutter das wichtigste, eine gute Mutter, gute Eltern zu sein. Obwohl das Kind Wut und Haß erleben muß, muß es die Mutter vor sich und sich selbst schützen, das Gute- Mutterbild aufrechterhalten, eine der größten Belastungen für Mutter und Kind. Die Mutter zu lieben ist in diesem Gute- Mutterbild für Mutter und Kind eine Selbstverständlichkeit getreu nach dem vierten Gebot " du sollst deine Eltern ehren ". Aggressionen und Hass müssen also in Liebe umgewandelt werden, für beide Seiten eine ungemein belastende Anstrengung. Die Liebe kann das äußere Verhalten prägen, während der Hass sich gegen den eigenen Körper und die Seele etwa in Depressionen wendet oder sich nur in kurzen Momentaufnahmen äußert. Diese liebevolle Beziehung wird später auf andere Personen übertragen in einer liebevollen Behandlung. So konnte ich zwei lesbische Frauen beobachten, als die eine plötzlich über Schmerzen klagte, in den Augen der anderen für eine Sekunde der blanke Hass aufleuchtete und sie dann liebevoll massierte. Das beidseitige Verhalten hat eine lange Vorgeschichte.

 Da die Mutter mit ihren Bemühungen oft das Gegenteil erreicht, muß sie auf Dauer frustriert und resigniert sein, vor allem da sich ähnliche Lebensmechanismen in anderen Beziehungen abspielen, aber am intensivsten in der Mutterkindbeziehung. Sie erlebt das Kind als Last und ihr Leben mit dem Kind als Last. So ist es kein Wunder, daß Mütter vor dieser Last Angst haben, so wie sie es in ihrer eigenen Mutterbeziehung erlebt haben. Schon beim Stillen kann es je nach Vorerfahrung passieren, daß die Mutter wenig Lust und Befriedigung empfindet, sondern sie kommt sich vor, als ob sie ihre Brust hinhält und ausgesaugt wird. Dabei kann sie das Kind wie ein Monster erleben. Das Kind identifiziert sich bzw. übernimmt die Wahrnehmung der Mutter und macht es zu seinem Selbstbild. Durch diese Wahrnehmung des Kindes als Last entstehen in der Mutter Ängste vor dem Kind und Aggressionen auf das Kind. Diese Gefühle werden normalerweise verdrängt und kommen etwa in einer Angst vor der Schwangerschaft, dabei zu Schwangerschaftsbeschwerden wie Blutungen bis zu einer unbewußten Abtreibung des Kindes. Oder es können Aggressionen und Vorwürfen auf das Umfeld entstehen wie etwa einer Geburtsklinik, wenn dort nicht alles bestmögliche getan wird.

 In diesem irdischen Jammertal beanspruchen die Mutter und die Eltern für Ihre Bemühungen Erlösung. Erlösungsmythen finden sich etwa im im christlichen Mythos oder in deutschen Märchen. Für die Erlöser- oder Erretterfunktionen des Kindes für das primäre Milieu und die Mutter habe ich viele Fälle. Die Heils- und Erlösererwartung spielt sich zugleich oder im Wechsel mit den Entwertungen ab. In der Erlöserfunktion ist das Kind zu besonderen Leistungen gezwungen, sich zu profilieren, herauszuragen, und der so geprägte Erwachsene steht in den Zwiespalt von dauerndem Leistungsdruck und Versagensangst. Die Mutter wünscht sich meist bzw. fordert von ihrem Kind das ein, was sie selbst nicht kann oder in ihren Lebenszielen nicht erreicht hat. Ein gutes Beispiel sind die so genannten Eislaufmütter. In dem Leben des Kindes nach ihren Wünschen will sie teilhaben und partizipieren. Sie lebt also durch ihr Kind wie ein Parasit. Für das Kind bedeutet es Selbstaufgabe.

 Für diese Erlöserfunktionen, in der sich für die Ziele der Mutter und des Umfeldes aufopfert, erhält das Kind Bestätigung, Lob und Beifall und wird somit in seinem Lebensweg bestärkt. Ich halte das für Beifall aus der falschen Ecke, da es Selbstaufgabe bedeutet und das Kind in immer stärkere Spannungen zum einen in der eigenen Person und zwischen sich und dem Umfeld gerät.

 Das idealisierte Kind kann normalerweise die Ansprüche seiner Eltern nicht erfüllen, sodaß es selbst und die Eltern den Absturz fürchten müssen. In der Idealisierung steckt also die Bedrohung. Oft genug sehen die Eltern in der Überhöhung ihres Kindes ihre eigene Entwertung, die sie wiederum fürchten müssen. Neben dem großartigen Kind müssen Sie sich selbst klein und dumm vorkommen. Dies ruft bei Ihnen Neid und Mißgunst hervor. In ihrer Ambivalenz der Überhöhung und der Selbstentwertung geraten sie in einen tiefen unvereinbaren Zwiespalt und einer inneren Zerrissenheit, die sich naturgemäß auch auf das Kind überträgt.

 Dieser Zusammenhang kann sich schon etwa, wie es oft geschieht, als idealisiertes bild des Kindes und zum Ausgleich der Unsicherheit der Mutter im Alltag im Anspruch widerspiegeln " du mußt wissen, was du willst!", sodaß das Kind die wichtige Entwicklungsfunktion zur Autonomiefindung, das Ausprobieren nicht ausüben kann. Dieser Anspruch muß das Kind naturgemäß völlig überfordern, da in den Vielfältigkeiten und Ambivalenzen des Lebens, alles hat seine Vor- und Nachteile, kaum ein Mensch eindeutig wissen kann, was er will, vor allem, wenn er noch nicht viele Erfahrungen hat wie ein Kind. Weiterhin wird das Ausprobieren durch die Ängste und Sorgen der Eltern verhindert.

 Oft erlebt eine Mutter unbewußt und heimlich Freude und Genugtuung, wenn ihr Kind sich doch nicht nach ihren Erziehungsintentionen verhält, also Gehorsam, Bravheit und Anpassung, den dies hat ihr nie an ihr selbst gefallen, sodaß sie diese Verhaltensweisen unbewußt und heimlich fördert. Das Kind wird für unbewußte Ziele und Wünsche der Eltern nach Widerstand und Rebellion eingesetzt. Dabei kann sich innerhalb der Familie eine Aufspaltung vollziehen, so daß der eine Elternteil Unterordnung fordert, der andere Elternteil das Gegenteil fördert. Dann kann der Streit der Eltern über die richtigen Verhaltensweisen und die Erziehung auf dem Rücken des Kindes ausgetragen werden.

Eltern, die ihrem Sohne oder ihre Tochter in den Himmel heben, oft in dieser Erlöserfunktion, müssen sich denen gegenüber klein und dumm vorkommen. Dadurch neigen sie dazu, diese wiederum von dem Sockel herunter zu holen, auf den sie sie gehoben haben, also zu entwerten. Die Kinder müssen die Entwertung fürchten. Auch in der Erwachsenenwelt wartet das Umfeld oft auf den Fall des Gepriesenen. Dabei machen sich Triumph und Häme breit, die wiederum gefürchtet werden.

 Eine Mutter, die sich laut ihrem Weltbild in ihrem Haushalt und Leben quält und überlastet ist, kann ein Wohlbefinden und Erfolge des Kindes nicht zulassen. Dies entspricht nicht ihrem Weltbild und würde zu sehr ihren Neid hervorrufen. Infolgedessen wird sie Wohlbefinden des Kindes zerstören - dafür gibt es viele Redewendungen wie " Bäume wachsen nicht in den Himmel, das dicke Ende kommt noch, Hochmut kommt vor den Fall "-  etwa wenn das Kind genüßlich am Daumen lutscht, vor sich hinspielt oder in einem Buch liest. Spaß, Freude " freu dich nicht zu früh " sind von Zerstörung und Absturz bedroht. Sie wird die Gefahren sehen, wo das wohl hinführen wird. Dies kann sich vielfältig abspielen, sodaß die Mutterkindbeziehung zu einer Tragödie, einem Feld der Verfolgung, der Zerstörung, der Zerstrittenheit und Negativprophezeiung ausarten kann. Ansätze habe ich in den obigen Fällen aufgezeigt.

 Die Angst vor diesen Zerstörungen läßt Fortschritte und Erfolge nicht zu. Das Selbstvertrauen ist dadurch, aber auch durch die Selbstentwertungen und durch das naturgemäße Versagen an den hohen Zielen und Idealen zerstört. Oft habe ich als Hintergrund von Versagen wie im Examen herausgefunden, daß das Kind umgekehrt den Eltern den Erfolg nicht gönnt. " Da haben sie mir lebenslang Knüppel zwischen die Beine geworfen und dann schmücken sie sich mit meinem Erfolg ". Dadurch erleben sie ihren Erfolg als ihnen weggenommenen, sich beraubt und dadurch zunichte gemacht. Ähnliches erleben sie, wenn sie sich nach den Vorgaben der Eltern richten, und verweigern dadurch den Erfolg. Die Zerstörung von Wohlergehen, Fortschritten und Erfolgen wird durch die Verinnerlichung zur Selbstinstanz, sodaß das Kind selbst diese durch eigene Negativprophezeiungen automatisch zerstört. So treten häufig gerade dann Mißerfolge und Krankheiten auf, wenn es eigentlich gut gehen könnte. In Psychotherapien ist meiner Erfahrung nach ein großes Problem, daß gerade Fortschritte mit Rückschritten geahndet werden und sogar ein Abbruch der Therapie droht oder eintritt, wenn der Patient gute Erfahrungen gemacht hat und an der Schwelle eines neuen Entwicklungsschritte steht. Der Patient gönnt sich selbst nicht seinen Fortschritt. Er würde sich auch aus seinem gewohnten Leben herausgegeben und ungewohntes macht aufgrund der damit verbundenen Unsicherheit Angst vor dem Unbekannten.

Die Angst vor dem Unbekannten und die Gewohnheit läßt Erwachsener bei der Partnersuche auf gewohntes zurückgreifen. Je stärker also die Traumatisierungen in der Kindheit sind, desto mehr wird der Partner nach den er früheren Erfahrungen mit den Eltern ausgesucht. Die Tragödie zwischen Anpassung und Unterwerfung und Kampf dagegen setzt sich fort.

 Ich spreche gerne von Mechanismen und Automatismen, da die frühere Welt sozusagen automatisch und reflektorisch in der späteren Welt wiederholt wird und diese dadurch wieder zur früheren wird und oft wenig Raum für neue Erfahrungen bietet. Freud spricht von Wiederholungszwang. So entstehen automatische Anpassung und Unterwerfung und automatischer Trotz und Verweigerung.

 Weitere Folgen sind, so sehr die Eltern Anpassung und Unterwerfung fordern, so wenig können sie mit den Folgen zufrieden sein. Eine unterwürfiges oder gebrochenes Kind entspricht nicht ihrem Ideal. Sie möchten ein stolzes, souveränes und selbstbewußtes Kind. Ihre Ergebnisse halten sie dem Kind wiederum entwertend und als selbstverschuldet vor.

 Ein weiterer Aspekt ist der der Beziehungskonstanz. Ein Sohn beispielsweise, der sich um die Anerkennung seines Vaters bemüht, erhält diese gerade nicht, weil er sich so sehr bemüht und dadurch einen selbstunsicheren Vater aufbaut. Ein Mensch, der im negativem, entwerteten Weltbild sozusagen in den Arsch kriecht, ist ja auch nicht anerkennenswert. Seine Tragik ist, er erwartet oder beansprucht Anerkennung und Dankbarkeit und erntet Mißachtung und Entwertung. Er fühlt sich verarscht. Da er aber dringend und essentiell auf Anerkennung und Bestätigung angewiesen ist, auch keine andere Wege kennt, bleiben die entstehenden Aggressionen in ihm stecken und wenden sich gegen die eigene Person. Außerdem, würde er sich nicht mehr bemühen und eigene Lebenswege geben, würde der Vater nicht mehr die Gratifikationen erhalten, deren Verlust und die eigene Lebenswege des Kindes für ihn wiederum eine Bedrohung darstellen würden. So ist der Kreislauf der Bemühungen und Entwertung für beide Seiten der weniger bedrohliche Weg, schafft aber durch die Bemühungen Ansprüche auf Belohnung und Anerkennung und im Falle der ausbleibenden zwangsläufigen Nichterfüllung und Enttäuschungen Erbitterung.

 Eine der wichtigsten Folgen der absoluten Welt ist Streit und Zerstrittenheit. In der subjektiven Wahrnehmung wird sich um die objektive und absolute Wahrheit gestritten, ein Streit ohne Ende und um Sieg und Niederlage. Der Sieger triumphiert und der Unterlegene sinnt auf Rache zum narzißtischen Ausgleich, ein Pyrrhussieg. Wenn der Eine recht hat, hat der Andere unrecht. Der Andere wird in seiner Wahrnehmung vereinnahmt und muß sich folglich zur Aufrechterhaltung seines Standpunktes wehren. In der Welt der nicht bedrohlichen und zugelassenen beobachterabhängigen Relativitäten wäre die Mitteilung der Wahrnehmung des anderen eher interessant und nicht bedrohlich.

 Ein Mensch, der infolge seiner Auffassungen durch Aussagen seiner Umwelt leicht gekränkt oder verletzt ist, wird erwarten oder beanspruchen, daß der Andere nichts sagt und tut, was ihn verletzen könnte. Seine Verletzungen sind also ein Tabu für den anderen. Ebenso werden Menschen mit der Neigung zu eigenen Verletzungen ihrer möglichen Verletzungen in anderen sehen, die Ursache der Verletzung liegt nicht in mir sondern im anderen. Das Differenzierungsvermögen ist verloren gegangen. Er wird nichts wagen zu sagen oder zu tun, was ihn selbst oder den anderen verletzen könnte.  Er wird die eigenen Verletzungen in anderen und überhaupt die Verletzlichkeit anderer ständig fürchten. Das Leben kann zu einem Seiltanz werden, in dem überall Fettnäpfchen aufgestellt sind. Im Sinne des Trotzes kann er die potentiellen Verletzungen verdrängen oder verleugnen und sich wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten.

 In Umkehrung des Spruches " jeder ist seines Glückes Schmied " könnte man im Falle von Traumatisierung sagen " jeder ist seines Unglückes Schmied". Alice Miller hat in ihrem zweiten Buch " Du sollst nicht merken " auf die Tabus und Verbote hingewiesen, denen Kinder ausgesetzt sind. Sie dürfen nicht merken, was mit ihnen geschieht. Ebenso dürfen es die Eltern nicht merken. Für die Mutter und die Eltern würde die Bloßstellung zu sehr Scham und Peinlichkeit bedeuten, für die sie dem Kind die Schuld gäben. Ebenso würde das Kind in seinem Souveränität- und Unabhängigkeitsbild getroffen, dessen Bloßstellung zu Scham führt. In einem Geschehen, an dem mehrerer beteiligt sind, würde sich jeder zu sehr bloßgestellt fühlen und schämen. Die Schuld, also die Sache an einem oder mehreren festzumachen, dient also der Abwehr und Kanalisierung der Scham. Die Scham wäre also das tiefste bloßgestellte und getroffene Gefühl, das hinter allem steht. Das Leben nach den Prägungen und Traumatisierungen könnte man mit einem Traum vergleichen und das Merken bzw. die Wahrnehmung der Zusammenhänge könnte man wie das Aufwachen aus einem Traum sehen.

In einer Psychotherapie geht es also um die Aufdeckung der Wahrnehmungen und Verhaltensweisen, deren Hintergründe und Zusammenhänge, und die Prägungen in der Kindheit. Dazu können die Erinnerungen förderlich sein. Wenn der Patient realisiert, daß eine Wahrnehmungen und Verhaltensweisen anders wären, wenn er anders geprägt wäre, kann er einen Erkenntnis - oder Wahrnehmungsgewinn verzeichnen. Aber jeder Mensch möchte in seinen Realitäten recht haben und je stärker er von Traumatisierungen geprägt ist und Unsicherheit und Angst entsteht, desto mehr wird er sich gegen Infragestellung wehren. Manchmal höre ich, daß die Wahrnehmung meiner Person exakt den Worten der Eltern entsprechen.

 

Im späteren Leben begegnet der inzwischen Erwachsene den vielfältigen Situationen des Lebens mit Mißtrauen, Angst und Sorge und einer Neigung zu Schuld und Trotz und Opposition. In seiner absoluten Welt und deren Richtigkeiten stellt dies beispielsweise eine Bedrohung dar, daß der so geprägte Erwachsene sich ständig bemüht,  nach eigenen Maßstäben alles richtig zumachen, die Erwartungen zu erfüllen, Fehler und Schwächen zu vermeiden, fürchtet die Gedanken anderer und versucht diese durch sein Verhalten zu beeinflussen. " Was sollen die Leute denken!". Er nimmt nicht die Unterschiede in den Positionen und Wahrnehmungen wahr. Er sieht nicht, daß er denkt, was die anderen denken, nicht alle Leute in demselben Moment das Gleiche denken, erwarten und für alle das Gleiche richtig ist. Abgrenzungen wie         " Nein " -sagen erzeugen ein schlechtes Gewissen. Und wenn er nicht Nein sagt, erzeugt er einen Zorn auf sich selber. Er steckt also in der Zwangslage, schlechtes Gewissen oder Selbstaggressionen, wobei bei vielen das schlechte Gewissen schlimmer sein kann.

Er wird immer Angst haben, andere zu verletzen, ohne zuerkennen, daß die gefürchteten Verletzungen nach seinen eigenen Maßstäbe erfolgen, und sieht nicht, daß Verletzungen nur ankommen, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen, insofern im Gegenüber schon vorhanden sind. Ist der Maßstab der Verletzung im anderen nicht vorhanden, wird dieser sie auf sein Gegenüber zurückführen. Vorwürfe wird er annehmen und sieht nicht, daß der Andere eigenes an ihm festgemacht (wie bei der Geste des vorgestreckten offenen Zeigefingers und der drei verdeckt zurück zeigenden Finger). Er lebt in dem Teufelskreislauf, durch Entschuldigung und Rechtfertigung die Schuld und das Unrecht zu bestätigen. Ansonsten wäre ja nichts zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Diese Zusammenhänge können sich in Teilbereichen der Persönlichkeit abspielen, vor allem in Konfliktbereichen, wo die Differenzierungen verloren gegangen sind, aber auch weite Bereiche bis zur Gesamtpersönlichkeit erfassen, sodaß ein derartig geprägter Menschen wenig lebensfähig ist.

 Da er mit sich selbst in dem noch Anderen identifiziert ist, sich selbst im Gegenüber wahrnimmt, wird er die Wahrnehmung eigener Interessen und Positionen als Rücksichtslosigkeit und Egoismus erleben. Rücksichtnahme auf sich selbst gilt nicht. Er ist sozusagen kein Mensch, der gilt. Er lebt ein Leben des Altruismus und der Aufopferung nach seinen eigenen bildern. Vom Umfeld kann er als egoistisch und rücksichtslos erlebt werden, da er nicht auf deren bilder und Anforderungen eingeht. Das, was er von anderen erwartet, macht er selber. Das Richten nach den Wünschen anderer ist ein Richten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen. Im Sinne der Gleichheit wird er andauernd Rücksichtnahme erwarten und beanspruchen, häufig enttäuscht und empört über die Rücksichtslosigkeit anderer sein, oft auf Dauer resignieren und sich zurückziehen, die entstehenden Aggressionen zur Erhaltung der guten Beziehung zu den wenigen übrig gebliebenen Bezugspartnern unterdrücken müssen, wie bei Magenkranken und Depressiven. Er wird seine Anstrengungen in einem Teufelskreis vermehren und das Gegenteil erreichen. Er sieht nicht, daß man viele Dinge im Leben einfach so bekommt, ohne viel zu tun, etwa bei Sympathie. Im Gegenteil, je mehr sich jemand um Sympathie bemüht, aber sein Bemühen nicht in das Weltbild des Gegenübers paßt, desto unsympathischer wird er. Er wird also nicht die Grenzen im Gegenüber kennen lernen, obwohl er von sich selbst wissen müßte, daß er nicht alle Menschen mag und sympathisch findet.

Denken und Fantasie sind für ihn Glauben,  Überzeugung und Realität, also Wissen. Widersprüchliche Gedanken sind für ihn unvereinbare und untragbare Widersprüchlichkeit in der Realität. Oft genug denkt, erwartet und handelt er zwar in seinem Sinne richtig, aber im Sinne anderer falsch und hat aufgrund dieser Erfahrungen in seiner Antizipation davor Angst. Er kann die Welt nicht mehr verstehen. Sollte er jedoch nur ähnliches hören und erfahren, so stellt dies eine Bestätigung seiner Welt dar, und er wird auf seinem oft tragischen Lebenswege verstärkt.

 Normalerweise beinhaltet die Wertlosigkeit Rechtlosigkeit. Entsprechend seiner Wertlosigkeit wird der Mensch sich rechtlos verhalten, eigene Positionen und Wahrnehmungen aufgeben, sich anpassen und unterwerfen, aber gerade dadurch erhöhte Rechte beanspruchen. Er gerät in einen Zwiespalt und Widerspruch seiner Rechtlosigkeit und seiner Rechte. Er wird sich oft genug ungerecht behandelt fühlen.

 Wenn der Erwachsene als Kind die Erfahrung hat, daß auf seine Wünsche und Interessen nicht eingegangen wird, geht er auch später davon aus, kann diese kaum artikulieren, oder ist überrascht, wenn dies doch nicht der Fall sein sollte. Hilflosigkeit und Ohnmacht entstehen. Ich erlebe oft genug, wie die Aussagen und Worte der Mutter und des Umfeldes als tiefe innere Überzeugung weitergelebt werden, etwa " das Leben ist ein Kampf, die Welt ist schlecht und du bist schlecht " oder " aus dir wird nie was! ". Projektiv wird das Schlechte an anderen festgemacht, wie bei vielen Mobbingopfern. Wem früher Freude und Erfolg madig gemacht und zerstört wurde, fürchtet die Strafe etwa durch Bloßstellung und Blamage " machst dich lächerlich ".

Früher mußte das Kind den Glauben der Eltern übernehmen etwa über das irdische Jammertal und die Anstrengungen des Lebens, heute fürchtet der Erwachsene, falls er seine Werte und Bedeutungen umdefiniert,  den Verrat, die Untreue als Lieblosigkeit gegenüber den Eltern. Oft genug sucht er die Erfüllung gerade im Gegenteil, wie ein Patient, dem fröhliches Herumhopsen verboten wurde, er jetzt afrikanische Tänze liebt, aber durch die Schuldgefühle sich die Freude wieder verdirbt. Durch die Verurteilung der Sexualität des Vaters durch die Mutter führt er entsprechend den Ansprüchen der Mutter ein zölibatäres Leben mit einem priesterlichen Gebaren.

 Stark verunsicherte, verzweifelte und hoffnungslose Menschen wenden sich in ihrer Erlösungs-, Heils- oder Rettungssuche  oft an andere, die ihnen einen starken, sicheren Weg zu versprechen scheinen. Menschen, die alles wissen, den richtigen Weg und die Wahrheit kennen, üben eine starke Faszination aus, vor allem in Religionen. Ähnliches sehe ich in der Faszination der naturwissenschaftlichen Medizin für den Kranken, die aus dem Schuld- und Geisterglauben des Mittelalters herauszuführen scheint, in der die psychischen und sozialen Faktoren und die Zwischenmenschlichkeit in der selektiven Wahrnehmung ausgeblendet sind. Jetzt weiß er hieb- und stichfest, wo er dran ist. Die in meinen Augen bedeutsamste nachteilige Folge ist, dass er einem mechanistischem Weltbild verhaftet ist " wo etwas wehtut, muß etwas kaputt sein ", dem oft genug die Ärzte wie ihre Patienten verhaftet sind, und eher, wenn organisch nichts gefunden wird, sich selbst seine Beschwerden nicht glauben kann und sich von den Ärzten nicht ernst genommen fühlt. Er hält seine Beschwerden und Schmerzen für Einbildung und gerät dadurch in einen Rechtfertigungsdruck, der die Schmerzen durch die innere Spannung verstärkt und aufrechterhält.

Insofern ist die Definition der Einbildung auch berechtigt, da die Vergangenheitserfahrungen ja wie ein Geist auftauchen und nicht der Gegenwart entsprechen. In einem Teufelskreislauf bestätigt die Bestätigungssuche leider den zugrunde liegenden Glauben.

Tief im Hintergrund stellt die Übernahme der Entwertungen und des Glaubens der Eltern für den Erwachsenen die größte Bloßstellung und Blamage da, wie er nur so naiv sein konnte, dies alles zu übernehmen. Gerade wegen dieser Bloßstellung und, da die Grundfesten seines Weltbildes erschütterten werden oder sein Weltbild zusammenbricht, wird er sich nicht Veränderungen und Neu- bzw. Umdefinitionen zugestehen. Und um je unheilvollere Tatsachen er dadurch geschaffen hat, wird er sich bestätigen, daß dies richtig und rechtens ist. In unserem kulturellen Kontext, etwa im der Organmedizin, wird oft nicht wahrgenommen, wie sehr die früheren Erfahrungen das spätere Leben prägen, obwohl Erziehung, der bewußte und gezielte Anteile der Prägung, ja gerade den Sinn der Prägung hat.

 Vor allem Entscheidungen machen große Angst und Lähmung. Herkules steht an Scheidewege. Sind Entscheidung getroffen, treten oft im nachhinein erhebliche Selbstzweifel auf, ob dies richtig gewesen sei, die zermartern können und weitere Entscheidungen blockieren. Im Inneren spielen sich oft Selbstzweifel, Gedankenketten und -maschinerien ab, die breiten inneren Raum einnehmen. Er sieht nicht, daß der Mensch sowieso in jedem Moment, ob er handelt oder nicht handelt, sich entscheidet oder nicht, er nicht darum herumkommt und immer nach seinem Wissen handelt. Er kann resignieren, egal was er macht, ist nicht richtig.

            Ein Mensch mit selbstentwertenden bildern muß immer um seinen guten Ruf, einen guten Eindruck, sein Image bemüht sein und sein Gesicht wahren. Ich nenne das einen digitalen Dialog im Gegensatz zum analogen Dialog, wo der Mensch ist, wie er ist und sich fühlt. Es gilt, die Fassade und die Maske zu bewahren, und er wird das Hervortreten seines wahren Selbst fürchten. Ebenso wird er dies auszublenden versuchen. In der griechischen Sage blendete sich Ödipus, um nicht seine Schande in den Augen der Umwelt zu sehen. Stimmen der Entwertungen finden sich in dem Umfeld immer und überall, und wenn sie nicht gehört werden, werden sie vermutet und angenommenen, weil der erwachsene Mensch es nicht anders kennt. Bestätigungen und Lob können deswegen oft nicht angenommenen werden.

 Ich teile die Meinung von Maaß, daß manche Krebsformen in der Situation einer bewußten oder unbewußten Bilanz eines verpfuschten und hoffnungslosen Lebens entstehen. Der ganze Lebenskampf war vergeblich.  Zum einen haben sie sich lebenslang für das Gute eingesetzt, erwarten Bestätigung und Gratifikationen, aber erhalten den gegenteiligen Lohn (Sisyphus), fühlen sich ausgenutzt und verarscht, deswegen die Erbitterung und Hoffnungslosigkeit, und möchten ihre Hoffnung nicht aufgeben. Gleichzeitig sehe ich in der Krankheit eine erneute Hoffnung, etwa in dem Traum der Seereise, die verhaßte Weiblichkeit zu entledigen, bei allem Haß und Streit endlich die Liebe und den familiären Zusammenhalt zu gewährleisten oder in einem späteren Leben den Lohn zu erhalten. Man könnte den Krebs auch als Selbstaufopferung für die Familie auffassen, oft allerdings, aber nicht nur zu Lasten der übrigen Familienmitglieder.

 Ich denke, ähnliche Beziehungen und Mechanismen finden sich bei vielen psychischen und somatischen Erkrankungen und als Risikofaktoren auch bei Gesunden. Sie müssen also nicht krebsspezifisch sein. Insofern kann man wohl kaum von einer Krebspersönlichkeit sprechen. Spezifische bilder und sind nur selten zu erfassen. Aus meiner Erfahrung sind mir nur einzelne Fälle erinnerbar.

Dazu möchte ich den Fall eines Sozialarbeiters schilderten, der öfter sonderbare Tagträume schilderte. Ein makabrer Traum war, daß er den zwischenmenschlichen Zusammenhang so sah, daß die Menschen im Kreis standen und jeder seinen Kopf im Arsch des anderen hatte. So den zwischenmenschlichen Zusammenhang zu sehen, war für mich oft nicht unzutreffend, sodaß sich den Traum gut in Erinnerung behielt. Ich hatte den Eindruck, dem Patienten nicht wesentlich helfen zu können. Mehrere Jahre später rief mich dieser Patient aus irgendeinem Grunde an und schilderte mir nebenbei, daß er einem Nasenkrebs entwickelt habe. Ich dachte spontan "kein Wunder bei den Gerüchen, die er auszuhalten hat ".                    Eine Lesbe erzählte mir den Traum einer Freundin, sie unternehme eine Seereise und werfe sämtliche weiblichen Attribute über Bord. Bald darauf wurde diese an Brust- und Unterleibskrebs operiert. Auf späteres Ansprechen konnte die Freundin sich an nichts erinnern, hätte sie auch nicht gedurft, dann wäre sie sich schuldig an ihrer Erkrankung vorgekommen.

 Über psychogenetische Faktoren kann man Krebspatienten nicht kommen, da sie sowieso schon massiv unter Schuldgefühlen und Aggressionen, vor allem der selbstdestruktivsten Form der Erbitterung, leiden. Sie sind deswegen tabu. Psyche und Psychosomatik gelten als Einbildung. Da ist auch auch insofern etwas dran, da oft genug die jetzige Wahrnehmung auf früherer Erfahrung beruht und die jetzige Realität eingebildet ist.

Sicherlich könnte ich noch viel schreiben, das ich anderweitig aufsetzen möchte und schon aufgesetzt habe, möchte mich aber beschränken.

 

Mit freundlichen Grüßen             Ihr                          Bernd Holstiege