PSYCHOLOGISCHE ASPEKTE ZUM TRIATHLON IM HÖHEREN ALTER               

 

 

 

Beim Happurger Triathlon 90 - einem schönen, empfehlenswerten   Mitteltriathlon - kündigte am Ende der Siegerehrung der Veranstalter recht verlegen an, er habe noch einen Pokal für den ältesten Teilnehmer zu vergeben. Als sich herausstellte, daß ich mit meinen 48 Jahren diesen erhielt, warf ich jubelnd wie ein Sieger die Arme hoch. In mir machte sich der Gedanke breit, daß meine Zukunft dem Triathlon gehöre, während ich vorher in meinen Sporthauptinteressen zwischen Triathlon und Ultraläufen geschwankt und mehrere Jahre beides nebeneinander betrieben hatte.

 

Beim Herumerzählen dieser Geschichte fragte mich mancher, wieso ich mich gefreut habe. Das sei doch ein recht zweifelhafter Pokal. Offenbar ist in den Augen vieler die Konfrontation mit zunehmendem Alter kein beglückwünschenswerter Vorgang. Von Läufern kenne ich, daß sie sich neue Chancen ausrechnend alle 5 Jahre auf ihren Geburtstag freuen. Aber warum nehmen so wenig Ältere in kleineren Veranstaltungen an Mitteltriathlons teil? Beim Bodenseetriathlon 90, nicht ganz so deutlich in Gerardmer im Elsaß, war es ähnlich. Insofern sehe ich den Ältestenpokal in meinem Alter als einen schwachen und korrekturbedürftigen Pokal an. Der Trend scheint dorthin zu gehen, Triathlon als Sport für die Jugend anzusehen.

 

Aus meiner Sichtweise möchte ich kurz auf die Lebenssituation und -aufgaben im fortgeschrittenen Lebensalter eingehen. Beruflich ist meist der erreichbare Höhepunkt erlangt. Inwieweit dieser den Erwartungen und Zielen entspricht, Selbst- und Fremdachtung gewinnt, ist von wegbereitender Bedeutung in den nächsten Jahren, ob es möglich ist, sich auf den errungenen Lorbeeren auszuruhen und das Leben zu genießen oder auf dem Weg zu weiteren Zielen, grenzenlos in Arbeit und Aufstiegseifer zu ersticken. Die Kinder machen sich selbständiger oder gehen aus dem Haus. Es entstehen Freiräume, für die in dieser Lebensphase und als Vorbereitung für die spätere Lebensphase neuer Lebenssinn gesucht werden muß.

 

Um körperliche und geistige Rüstigkeit auch noch im fortgeschrittenen Alter zu erhalten und zu erwerben, sind Aktivitäten notwendiger als in jüngeren Jahren. Dabei wirkt sich Vielseitigkeit in körperlicher und geistiger Hinsicht günstig aus und wirkt der Altersstarrheit entgegen. Ausdauersportarten haben erwiesenermaßen günstige Auswirkungen auf Herz-Kreislauf, den Stoffwechsel und die seelische Ausgeglichenheit. 

 

Laufen allein ist die einfachste, jederzeit und überall betreibbare Sportart mit dem in der Zeiteinheit günstigsten Trainingseffekt. Der gemeinsame Lauf fördert Geselligkeit und ist von hohem kommunikativen Wert. Andererseits ist es leistungsmäßig betrieben orthopädisch belastend und besonders verletzungsanfällig. Radfahren und Schwimmen sind zeitlich aufwendiger, führen zu anderen und geringeren orthopädischen Belastungen und sind noch leichter in höherem Alter und sogar bei erheblichem Übergewicht betreibbar, wie die vielen RTF-Teilnehmer und Schwimmbadbesucher zeigen. Wettkämpfe erhöhen die Trainingsmotivation und stellen einen zusätzlichen kommunikativen Reiz dar. Triathlon als vielseitige Ausdauersportart sollte eine gelungene Kombination darstellen, die die Vorteile der Einzelsportarten vereint und die Nachteile vermeidet. Für den Hauptnachteil halte ich andererseits für den zeitlich Beanspruchten den Zeitaufwand. Zeit haben leider wenige, da, wenig Zeit zu haben, in unserer Kultur als eine Tugend, "Müßigkeit als aller Laster Anfang" gilt und Wichtigkeit und Bedeutung in den Augen anderer vermittelt.

 

Wie ich am eigenen Beispiel anfangs aufgezeigt habe, scheinen die Möglichkeiten dieser vielseitigen Ausdauersportart wenig in Anspruch genommen zu werden. Wo mögen die Gründe und Hintergründe liegen?

 

Triathlon ist anscheinend noch zu sehr vom heroischen Ironman-Image, "dem härtesten Wettkampf der Welt", behaftet - und das sei wohl nichts für Ältere. Das Altern gilt als Abbau, Krankheit und Siechtum und entsprechend dieser Realitätsvorstellung wird vielfach gelebt. Der Mensch lebt nach dem, was er glaubt, was ist, und setzt seine Überzeugungen, seine innere Realität, in seinem Leben durch seine Handlungen in die äußere Realität um - eine Sich-selbst-erfüllende Prophezeiung. Die Bevölkerung der Altersheime und der Pflegenotstand sprechen eine eindeutige Sprache. Dazu sagte mir neulich ein 80 jähriger Altphilologieprofessor "Meine Altersgenossen meinen, sie müßten alt und gebrechlich sein. Entsprechend leben sie. Mir geht es gar nicht so" - und zog genüßlich an seiner Zigarre.

 

Sport wiederum ist von vielfältigen Krankheitsängsten behaftet wie frühzeitigem (Gelenk)Verschleiß, Herzerweiterung usw. bis zum Slogan "Sport ist Mord". Für Krankheitsbegleiterscheinungen und Verletzungen versuchte ich in früheren Publikationen die Erfolgssucht, den Zwang zum Erfolg, das Härtedenken, Hochjubeln der Erfolge, auch durch die Umgebung, verantwortlich zu machen, die zur Angst vor dem Versagen, Verspannungen und Verkrampfungen, Angst vor dem Formverlust und übermäßigen Trainings bis kurz vor den Wettkampf, als Folge zu Überbelastungen des orthopädischen Apparates, Schmerz und latenter Depression, allgemeiner Krankheitsanfälligkeit (Psychoimmunologie!) wie Erkältungen und grippaler Infekte führen und letztlich oft den Mißerfolg vorprogrammieren (Ikarossyndrom). Der Erfolg gestaltet sich zum Fluch. Als tragischstes Beispiel deute ich den Tod von Birgit Dressel. Bei so verstandenem Sport sind passive Wunschvorstellungen - und dem Erfolgssüchtigen ergeht es in anderen Bereichen ähnlich - hinsichtlich eines geruhsamen Lebensabends nur allzu verständlich. Jedoch geht der Gewinn des geistigen wie körperlichen Wechsels von Anspannung und Ruhe zur Erhaltung der allgemeinen Rüstigkeit verloren.

 

Das Vorrecht der Jugend ist, Eindeutigkeit und Klarheit, hochstehende Ziele und Ideale im Leben zu suchen. Der Erfolg, gemessen an Zahlen und Plätzen, wird als eine eindeutige Sprache gesehen. Im Reifungsprozeß, falls dieser auf der psychologischen Ebene stattfindet, gehen die Eindeutigkeiten und Ideale verloren. Für manchen als Verlust empfunden, sehe ich dies jedoch mehr als Gewinn, da er mehr den Realitäten des Lebens entspricht. Jeder Gewinn ist von Verlust, jedes hohe Ziel vom Verlust anderer Ziele begleitet. Herkules steht am Scheidewege. Entscheide ich mich für Ausdauersport, speziell Triathlon, gewinne ich längeranhaltende Fitnes (laut Hollmann "20 Jahre lang fit wie 40"), verliere aber die Zeit für andere Interessen und Ziele. Die Folge ist zwangsläufig eine immerwährende Ambivalenz. Demzufolge ließ ich persönlich mir bisher immer offen, ob ich mich nicht anderen Zielen zuwende oder habe Urlaubsziele mit Sportzielen verknüpft wie Reisen zum Honolulu-, Manila- oder NewYork-Marathon. Beim Hawaitriathlon wurde mir die Überschattung des Urlaubziels durch die Erwartungsspannung des Sportziels am schmerzlichsten bewußt, vor allem da der überhöht vorgestellte Erfolg infolge eines Übertrainingszustandes ausblieb.

 

Das Inrechnungstellen und die Akzeptanz der Vor- und Nachteile, das Für und Wider, könnte man Ambivalenztoleranz und die Anerkennung der Ambivalenzen, Differenzierungen, Zusammenhänge und Hintergründe, also der Integration der Komplexität, als psychologische Reifung bezeichnen, die teils schon im jüngeren, oft nicht im höheren Lebensalter erreicht wird. Für das Erreichen der Reifung bzw. Nichtreifung halte ich traditionelle, kulturelle  Denkmuster für wegbereitend. So mag der jugendliche Triathlet sich durchaus seiner Ambivalenzen bewußt sein, ob er bei dem Zeitaufwand sich doch lieber mehr dem anderen Geschlecht, anderen Hobbies oder dem Beruf zuwende, ob der Aufwand sich lohne oder er sich bei der versuchten Vereinbarung mehrerer Ziele überfordert fühle. Die Umgebung mag von ihm eine vorzeitige Entscheidung fordern "Du mußt endlich wissen, was du willst!" und läßt ihm nicht die Zeit zur Reifung. Oft entscheidet er sich dann im Trotz gegen das, was er eigentlich möchte.

Häufig verlagert der Ältere seine eigenen Leistungsziele auf den Jüngeren, besonders bekannt am Beispiel der "Eislaufmütter", um stolz auf den anderen wie auf sich selbst zu sein - unter Zwang zur Kompensation eigener so angesehener Nöte und Defizite. Es mag sich ein Kreislauf von Anpassung, Trotz, Rache und Gegenbeweisen einspielen. Besser betriebe der Ältere selber Sport mit eigenen Zielen - z.B. im Triathlon.

 

Bei mangelhafter psychologischer Reifung unterliegt auch der Ältere einer Verleugnung der Komplexität, einer Spaltung oder Dissoziation. Z.B. neigen Ärzte und ihre Patienten dazu, nur den verletzten Körper ohne die komplexen Zusammenhänge,  hintergründigen Denkprozesse und Handlungsfolgen zu sehen. Im Spaltungsdenken müssen durch die Verleugnung anderer Seiten und der Ambivalenzen diese besonders gefürchtet werden. Der Vogel Strauß beschwört sozusagen die Gefahren, vor denen er den Kopf in den Sand steckt. Verstärkte Ängste, Überlastungen und vermehrte Arztbesuche sind die Folge. Weiterhin führen diese zu einer zusätzlichen Immobilisation, die also aus psychologischen Gründen die Altersstarrheit fördert. Zu den Verleugnungen kann der altersgemäße Leistungsabbau gehören. Es wird die Leistung an der absoluten Spitzenleistung, und nicht an der Altersgruppe, oder dort bei den Topleuten gemessen. Versagen, Quälereien und übermäßig Verletzungen sind die Folge. Es wird nicht gesehen, daß die Alterstopleute, solange sie ihre Erfolge nicht einigermaßen locker erbringen, meist bald von der bildfläche verschwinden. So gesehen gewinnt das Alter zusätzlich an Schrecken.

 

Kürzlich unterhielt ich mich mit einem Triathlonfreund und ehemaligen Radrennfahrer über seine und meine dauernden Ambivalenzen hinsichtlich des Triathlons. Er meinte, daß diejenigen, die den Sport glorifizieren, nur die Freude und Gewinn sehen, ihr Leben noch dazu ganz dem sportlichen Erfolg im Gegensatz zu ihren früheren Gewohnheiten unterordnen, meist Eintagsfliegen bleiben. Ich jedenfalls paffe weiterhin, esse Schweinefleisch und Kuchen, liebe  Kneipengänge, bin zwar kein Alkoholiker, aber auch nicht abstinent und mache gelegentlich einen drauf. Zu den Müsliasketen möchte ich nicht gehören oder Ausdauersport als moderne Form der Selbstkasteiung auffassen. Irgendwo hat die Leistung und der Erfolg seine Grenzen. Für die meisten der hier versammelten Zuhörer gilt dies, wie ich annehme.

 

Als Resümee möchte ich noch einmal auf die zentrale Bedeutung der Art der Denkprozesse für die Lebensführung bis ins hohe Alter, die Anerkennung der Ambivalenz hinweisen. Sehe ich das Ziel ausschließlich in der Leistung und im Erfolg und beachte nicht die anderen Seiten, sind meines Erachtens Qual und Verletzungen die Folge. Triathlon mit den möglichen positiven Begleiterscheinungen wird zu einer Eintagsfliege. Sehe ich das Ziel im Weg, der Sportausübung selbst, wobei Triathlon ein Teil des Lebensweges darstellt "der Weg ist das Ziel" und Erfolge gewünschte und reizvolle Begleiterscheinungen sind, kann er bis ins hohe Alter ausgeführt werden und erhält eine vermehrte Altersmobilität. Dabei unterscheide ich Begriffe wie Leistungsoptimierung, wobei andere, vor allem soziale Bezüge erhalten bleiben, von einer Leistungsmaximierung, einer "Leistung um jeden Preis".

 

Frankfurt, 15 .8.91