150 Jahre Freud: Der Deuter des Unbewußten, Teil1/3

 

Pionier, Vater und Großvater der Psychoanalyse.

 

Am 6. Mai jährte sich Freuds Geburtstag zum 150. Mal. Der Junge, der in so bescheidenen Verhältnissen zur Welt kam, sollte die Vorstellung des Menschen von seinem Geist und von der Macht, die er über ihn ausübt, revolutionieren. Die tschechische Stadt Pribor feiert den 150. Geburtstag ihres berühmtesten Sohnes, Sigmund Freud. An seiner späteren Wohn- und Arbeitsadresse, Berggasse 19 in Wien, befindet sich heute das Freud-Museum, in dem nicht nur teilweise die Originalmöblierung, sondern auch seine Bilder und Kunstsammlung zu besichtigen sind. Zum Jubiläum wird dort die Sonderausstellung "Die Couch" gezeigt.

 

Der Welt gilt Freud heute als Wiener, also Österreicher, da er die wesentlichen Phasen seines Lebens und Wirkens in der dortigen Hauptstadt verbracht hat. Er stammte jedoch aus dem kleinen Ort Friedberg in Mähren. Sein Vater Jakob, ein verarmter Wollhändler, war in dritter Ehe mit der deutlich jüngeren Amalie Nathanson verheiratet. Sigmund war der erste Sohn des Paares, das danach noch weitere sieben Kinder bekam. Freud verwies später oft auf die wichtige Prägung in der Welt des assimilierten Judentums der bürgerlichen Kleinstadt.

Wirtschaftliche Schwierigkeiten zwangen die Familie zum Umzug in die Großstadt Wien. In den ersten Schuljahren fiel Freud als aufgeweckter, intelligenter Schüler mit breiter Begabung auf. Er blieb Klassenbester bis zum Abitur 1873 und liebäugelte mit einem Jura-Studium. Daß er sich dann für Medizin entschloß, geschah nicht primär aus Interesse am Arztberuf, wie er selbst festhielt: «Eher bewegte mich eine Art von Wißbegierde, die sich aber mehr auf menschliche Verhältnisse als auf natürliche Objekte bezog.»

Er promovierte 1881 und strebte eine Forscherkarriere an. Doch um seine heimliche Verlobte Martha Bernays aus Hamburg (1861-1951) heiraten zu können, kehrte er zunächst der wenig lukrativen Forschung den Rücken und trat 1882 eine Assistenzstelle im Wiener Allgemeinen Krankenhaus an.

Zunächst versuchte Freud die kathartische Methode und die Hypnose zur Neurosentherapie einzusetzen. Später bildete vor allem die Traumdeutung und die Methode der freien Assoziation die Grundlage seiner Therapie. Er beschäftigte sich mit der Behandlung von Hysterien, erhielt bei einer Studienreise nach Paris bei dem Urvater der Hypnosetherapie  Jean-Martin Charcot Einblick in die Methoden der Hypnose und Suggestion. Mit seinem Lehrer Josef Breuer entwickelte er die «Sprechtherapie» als Vorstufe der Psychoanalyse. Er habilitierte 1885 als Dozent für Neuropathologie an der Universität Wien, wurde 1902 außerordentlicher und 1920 ordentlicher Professor. 1886 eröffnete er eine private Praxis und kann nach fünfjähriger Verlobung endlich heiraten. Martha und Sigmund Freud bekamen sechs Kinder. 1891 übersiedelte die Familie Freud mit damals drei Kindern in die Berggasse 19, wo sie bis zur Emigration 1938 bleiben sollten. Drei weitere Kinder folgten in den nächsten vier Jahren, bis die Familie mit sechs Kindern komplett war. Der Familie gehörte auch seine Schwägerin Minna Bernays an, deren Rolle in Bezug auf Freud bis heute ungeklärt ist. Mit ihr hatte einen regen Briefwechsel und sie war für ihn ein intensiver Gesprächspartner.

1902 gründete Freud die Psychologische Mittwochsvereinigung, der u. a  Sandor Ferenczi, Alfred Adler, Carl Gustav Jung und Wilhelm Reich angehörten. Aufgrund seines autoritären Stils entzweiten sich diese mit ihm und gründeten eigene Schulen mit teilweise anderen Diagnose- und Therapieformen. In Abgrenzung zu den Dissidenten hatte die psychoanalytische Gemeinschaft in Phasen ihrer Entwicklung den Charakter einer Glaubensgemeinschaft. "Die Annahme unbewußter seelischer Vorgänge, die Anerkennung der Lehre vom Widerstand und der Verdrängung, die Einschätzung der Sexualität und des Ödipuskomplexes sind die Hauptinhalte der Psychoanalyse und die Grundlagen ihrer Theorie, und wer sie nicht alle gutzuheißen vermag, sollte sich nicht zu den Psychoanalytikern zählen", so Freud 1923 in "Das Ich und das Es". Damals war ihm die Rolle des Bewahrers der Wahrheit näher als die Rolle des Wahrheitsuchers. Ihren Namen hat die Mittwochsvereinigung von dem Wochentag, an dem regelmäßig neueste Forschungsergebnisse diskutiert wurden und die neue Kunst der Deutung geübt wurde.1908 berief  Freud den Ersten internationalen psychoanalytischen Kongreß nach Salzburg ein, dem weitere Kongresse folgten. 1910 gründete Freud die "Internationale Psychoanalytische Vereinigung" (IPV), es folgten 1911 die "amerikanische psychoanalytische Vereinigung" sowie 1919 die "britische psychoanalytische Vereinigung“.

 

Zu bedeutenden Psychoanalytikern der ersten Generationen zählen neben Freud noch Karl Abraham, Alfred Adler, Siegfried Bernfeld, Helene Deutsch, Paul Federn, Otto Fenichel, Stekel, Sandor Ferenczi, Ernest Jones, Carl Gustav Jung, Hermann Nunberg, Sandor Rado, Otto Rank, Theodor Reik, Wilhelm Reich. Wichtige Vertreter der Ich-Psychologie sind Heinz Hartmann, Anna Freud, Erik H. Erikson, Margaret Mahler, René A. Spitz. Exponenten der Objektbeziehungstheorie sind D.W. Winnicott, Melanie Klein, Michael Balint, W.R.D. Fairbairn. Einer ihrer heute bedeutensten Vertreter ist Otto Kernberg. Die Selbstpsychologie wurde von Heinz Kohut begründet. Bedeutende Vertreter der Psychoanalyse in Frankreich sind Jacques Lacan, André Green, Jean Laplanche. Die so genannte Neo-Psychoanalyse ist mit den Namen Karen Horney, Harry Stack Sullivan und Erich Fromm verbunden. Bedeutende zeitgenössische Psychoanalytiker sind Otto Kernberg, Peter Fonagy, Daniel Stern. Als Begründer der Bindungstheorie, welche auch außerhalb der Psychoanalyse weite Verbreitung fand, gilt der Psychoanalytiker John Bowlby.

Mit der wachsenden Anzahl der Analytiker wuchsen jedoch auch die Erweiterungen und Modifikationen der Psychoanalyse auch bei denen, die im Gegensatz zu Adler und Jung die Grundprinzipien Freuds akzeptierten, sie aber abwandelten, indem sie Faktoren hervorhoben, die Freud ignoriert oder als nebensächlich betrachtet hatte. Dies war vor allem das vermehrte Einbeziehen von soziopsychologischen Faktoren durch Analytiker wie Fromm, Horney und Sullivan, in Deutschland der Nachkriegszeit Alexander Mitscherlich und Horst Eberhard Richter, die die soziopsychologische Realität für die Psychoanalyse zu entdeckten. Als weitere Modifikation entwickelte Melanie Klein eine Technik, Kinder zu analysieren.

Die langjährige Verbindung zu Wilhelm Fließ war ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Psychoanalyse. Mit Fließ führte Freud seine Selbstanalyse durch. Die Freundschaft zwischen Freud und Fließ blieb nicht bestehen, da beide sich zunehmend entzweiten. Aus seinen Beobachtungen vor allem bei Behandlungen mit der posthypnotischen Suggestion entwickelt Freud die Vorstellung von einem «Unbewußten» als jenem seelischen Bereich, der nicht der bewußten Kontrolle unterliegt. Hier vermutet er die Ursache der sogenannten Neurosen und sah freie Assoziationen und Traumbilder als einen Weg, dieses Unbewußte analytisch zu erfassen und zu deuten. Als Hauptantrieb sah er die "Libido" (Lust, Begierde, Geschlechtstrieb), der er später den "Todestrieb bzw. Thanatos" als Antagonisten zur Seite stellte. Dazwischen stehen die "Verdrängung", das "Unbewußte", das "Ich" und "Über-Ich", die "Neurosen" (siehe weitere Artikel in Leib und Seele). Den Ödipuskomplex konnte Freud auch in seiner eigenen Kindheit erkennen: "Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht auf den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit, wenn auch nicht immer so wie bei den hysterisch gemachten Kindern."

1899 erscheint seine Schrift «Die Traumdeutung», das Erscheinungsdatum gilt als Geburtsstunde der Psychoanalyse. In der Traumanalyse sieht Freud einen wichtigen Bestandteil der Psychoanalyse. Der Traum ist für ihn ein Phänomen, in welchem " krankheitserregende" Fakten eingebaut sind, und diese wiederum helfen zum Verständnis des Unterbewußten. Durch Mechanismen wie Entstellung, Verschiebung, Verdichtung, Neuzusammensetzung und Symbolisierung entsteht der Trauminhalt. Hinter ihm verbirgt sich der Versuch einer Wunscherfüllung, die durch einen "inneren Zensor" verhindert wird. Nach Freud ist die wissenschaftlich systematische Traumdeutung der "Königsweg" zum Unbewußten eines Menschen.

1901 konzentrierte sich Freud weniger auf die Traumdeutung, sondern wendete sein Interesse der Psychopathologie des Alltagslebens zu. Seine Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie riefen mit deren Veröffentlichung ein großes Ärgernis hervor. Gründe dafür waren, daß die Gedanken und Gefühle, vor allem die unbewußten, einer jungen achtzehnjährigen Dame nicht mehr dem Reinheitsbild entsprach und diese Theorien das Bild der "Unschuld" des Kindes gründlich zerstörte.

In «Das Ich und das Es» (1923) beschrieb Freud sein Drei-Instanzen-Modell der menschlichen Psyche als Zusammenspiel von triebgesteuertem Es, bewußtem Ich und gesellschaftlich-kulturell geformtem Über-Ich. Aus seiner Theorie des Unbewußten leitete Freud auch seine Religionskritik ab und erklärte Religion zur Zwangsneurose. Nach Freud unterlag auch die Gesellschaft der Triebdynamik.

Im damals prüden Wien des ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhunderts erweckte seine psychoanalytische Lehre Abscheu und Faszination zugleich. International gewann er rasch Anhänger und Kritiker. In den 20er Jahren war Freud einer der weltweit bekanntesten Wissenschaftler, der mit Schriften wie »Massenpsychologie und Ich-Analyse« (1921) oder »Das Unbehagen in der Kultur« (1930) heftige Debatten auslöste. Gleichzeitig brachte der zunehmende Antisemitismus Freud und seine Familie immer mehr in Bedrängnis.

An seinem 70. Geburtstag wurde Freud noch zum Ehrenbürger Wiens ernannt, 1930 erhielt der anerkannte Wissenschaftler den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main. Dann fielen seine Schriften der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer. 1938 emigrierte der 82-Jährige mit seiner Familie nach London. Seine jüngste Tochter Anna begleitete ihn als seine rechte Hand und Nachfolgerin. Sie machte sich einen Namen als Kinderanalytikerin.

 

Der seit 1923 an Gaumenkrebs leidende starke Raucher Freud führte seine Arbeit bis zuletzt fort. Am 23. September 1939 bat er nach zahlreichen (22)  Operationen seinen Hausarzt um eine tödliche Dosis Morphium und starb. Durch den Gaumenkrebs wurde eines seiner wichtigsten Instrumente, das Sprechen, massiv behindert, also das Zentrum, wofür er gelebt hatte. Seine Instrumente auf ihn selbst angewandt, könnte als Folge seiner frühkindlichen Traumatisierungen bedeuten, daß auch bei ihm sein Unbewußtes körperlich zuschlug und ihn, also er selbst, für die Ungeheuerlichkeiten und den Frevel, kulturelle Tabus zu durchbrechen und das auch noch als Wissenschaft zu verbreiten, bestrafte. So dankbar wir auch dafür sein müssen.

 

Seine bekanntesten Werke sind die „Traumdeutung", "Studien über Hysterie", "Die Abhandlungen zur Sexualtheorie" oder "Jenseits des Lustprinzips". In Deutschland wurde die Psychoanalyse und analytische Therapie sogar als Kassenleistung anerkannt.

 

Bibliographie:

 

Gesammelte Werke. 19 Bände mit 8759 Seiten, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3596503000

Peter Gay: Freud - eine Biografie. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3596171709

Hans-Martin Lohmann: Sigmund Freud zur Einführung. 5. Auflage, Junius, Hamburg 2002, ISBN 388506362X .

 

Zur Biographie von Freud ist unter folgenden Links zu lesen:

 

http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/FreudSigmund/index.html

http://www.buber.de/christl/unterrichtsmaterialien/freud.html

http://www.uchtspringe.de/frd1886.htm

 

Wikipedia berichtet ausführlich über seinen Lebenslauf, seine Theorie, nennt seine Bücher, Schriften und Bücher über Freud.

http://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Freud

 

Glossar von Claudia Schulmerich:

 

Ich-Psychologie: Identitätsentwicklung (psychosoziale Geburt) in Entwicklungsphasen in der Auseinandersetzung mit dem Selbst und der Umwelt von einer symbiotischen Phase mit der Mutter bis zur Loslösung und Individuation und einer emotionalen Objektkonstanz und Differenzierung zwischen Selbst und Objekt. Diese psychosoziale Geburt, die Wahrnehmung der eigenen Identität, findet während des ganzen Lebens in der Auseinandersetzung mit der Umwelt statt.

 

Objektbeziehungstheorie: Sie wird auch als Kopernikanische Wende psychoanalytischer Persönlichkeitsforschung  bezeichnet,  weg von den Trieben zu frühkindlichen Entwicklungen und Mutter-Kind-Interaktionen. Es besteht eine angeborene existentielle menschliche Notwendigkeit zu Beziehungen. Die menschliche Wahrnehmung wird durch die frühen Bezugspersonen (Objekte) geprägt, die geliebt und gehaßt werden.

 

Selbstpsychologie: Das menschliche Selbst entwickelt sich im Austausch mit den Objekten, dessen Art von Beziehungen zum Aufbau des Selbst und den Störungen führen. Ein zentraler Begriff ist das Selbstobjekt, die Wahrnehmung des Selbst im Objekt und des Objekts im Selbst. Bei Störungen des Selbst besteht durch Selbstobjektübertragungen eine unzureichende Differenzierung zwischen Selbst und Objekt und zwischenmenschliche Verstrickungen.

 

Neo-Psychoanalyse: Weiterentwicklung der Psychoanalyse durch Integration von Konzepten der Individualanalyse nach Alfred Adler und Einbeziehung soziokultureller Einflüsse und interpersonaler Bezüge.

 

Bindungstheorie: Sie befaßt sich mit der Auswirkung früher Kindheitserfahrungen auf die spätere Persönlichkeit und seiner Form der Beziehungen. Sie unterscheidet zwischen der sicheren und autonomen Bindung, der unsicheren-vermeidenden Bindung und der unsicher-ambivalenten Bindung.

 

Bernd Holstiege