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21. September 11 , 11:53
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Die Terroranschläge vom 11. September mit um die 3000 Toten und vor allem die Macht der Bilder trafen die USA ins Mark und erschütterten das amerikanische Sicherheitsgefühl und den amerikanischen Allmachtstraum. Sie hatten für die USA und die Welt weit schlimmere Folgen als die ursprüngliche Katastrophe selbst, eine Islamophobie, zwei Kriege in Afghanistan und Irak mit weit mehr Toten, die die amerikanischen Finanzen durch die Kriegskosten ausbluten ließen, als Folge eine wirtschaftliche Rezession und einen Abstieg der USA, durch den entstehenden Freiraum einen wirtschaftlichen Aufstieg von Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien, eine moralische Disqualifikation der USA durch staatliche, illegale Gefangenenlager und Folterungen, von denen Abu Ghoreib und Guantanamo am bekanntesten sind, und durch die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen für die Amerikaner selbst einen empfindlichen Verlust an Freiheit und eine weitere Rechtsradikalisierung wie in der Tea Party. Die traumatischen Folgen sind bis heute nicht überwunden.
Sicher, die USA konnte nicht wissen, ob noch weitere
verheerende Anschläge durchgeführt würden. Die größte Angst ist, dass
Massenvernichtungsmittel in die Hand von Terroristen geraten. Katastrophen und
als Folge die Befürchtung von Katastrophen erfordern naturgemäß drastische
Gegenmaßnahmen. Ohnmacht ruft Allmacht hervor, je tiefer die Ohnmacht umso
stärker die Allmachtssehnsucht. Jedoch resultieren aus den Gegenmaßnahmen oft
weit schlimmere Folgen. Das ursprüngliche Ziel der Verhinderung ruft
tragischerweise eine weit größere Katastrophe als die 3000 Toten hervor. Der
Zauberlehrling (nach Goethe) wird der Geister nicht mehr Herr, die er
hervorgerufen hat. Schon vor den 11. September hatte der Öl- und Machthunger der
Amerikaner, um ihren Freiheitstraum auszuleben, ihre Zusammenarbeit mit
diktatorischen Regimen und die Ausbeutung der Bevölkerung aus ohnmächtigen und
deswegen allmachtssüchtigen Menschen Selbstmordattentäter hervorgerufen, die
erst den 11. September ermöglichten. Aus den weiteren Maßnahmen rekrutieren sich
neue Selbstmordattentäter – ein teuflischer Kreislauf.
Schon vor dem 11. September war die USA zwischen den Ultrarechten und den
gemäßigten Demokraten tief gespalten und zerrissen. Der amerikanische
Psychoanalytiker und Psychohistoriker Lloyd deMause hat wahrscheinlich recht,
dass in jeder Nation die Konflikte in Zyklen eskalieren, nach Jahren
vorhersagbar, und dann nach außen einer Spannungsabfuhr bedürfen, meist in Form
von Kriegen. Die Kriegsstimmung kündigt sich vorher in den Medien an.
Staatslenker, die die Aggression nicht nach außen abführen, werden etwa als
unpatriotische Schwächlinge oder Weicheier beschimpft. In einer derartigen
Krisenstimmung hängt es von der Persönlichkeit der Staatsführung und dessen
prägender Kindheit ab, ob nun tatsächlich Krieg geführt wird oder zur
Befriedigung der Bevölkerung nur so getan wird als ob. Bush hatte eine schwer
traumatisierte Kindheit.
Die USA hätte wahrscheinlich auch ohne den 11. September diese Kriege geführt,
sie wurden nur beschleunigt. 9/11 war ein willkommener Anlass und sozusagen die
Lunte am Pulverfaß einer aufgeheizten Kriegsstimmung. Der Krieg gegen den Terror
wurde in die bestehenden politischen Auseinandersetzungen integriert, und die
extreme Rechte benutzt die Anschläge noch heute, Ängste zu schüren, um ihre
Pläne durchzusetzen. Dadurch erklären sich die Verschwörungstheorien, etwa, dass
der CIA selbst die Attentate durchgeführt habe. Ohne diese Kriegsstimmung und
eine dazu passende Staatsführung wäre im Antiterrorkampf wahrscheinlich der
Bedrohung durch eine einfache Geheimdiensttätigkeit und kleinere Aktionen in
Afghanistan erfolgreich begegnet worden. So schlimmes, wie befürchtet, ist von
Al Quaida auch nicht mehr ausgegangen.
Die Folgen gehen noch weiter. Tief verunsicherte und ängstliche Menschen neigen
zur Befriedigung ihrer Allmachtssehnsüchte zum Spielen und zum Zocken. Das
Zocken rief die Bankenkrise mit weltweiten Folgen hervor und verstärkte die
amerikanische Krise. Eine weitere Folge ist, daß das Pentagon militärische
Aufgaben und Dienstleistungen an gewinnorientierte Privatunternehmen, an denen
noch manche Regierungsmitglieder beteiligt waren und sind, im Werte von
Hunderten Milliarden US-Dollar öffentlicher Gelder übertrug, die der Ineffiziens
und dem Betrug Tür und Tor öffneten. Kürzlich wurde Präsident Obama von der
Ultrarechten mitten in der Rezession zu drakonischen Kürzungen der
Staatsausgaben gezwungen. Vor allem die Waffenindustrie ist der Kriegsgewinner
auf Kosten vieler sozialer Aufgaben.
Durch die Angst und deren weiteren Schürung und infolge des vermeintlichen
Schutzes und die Sicherheitsmaßnahmen treten pathologische und sogar paradoxe
Angstmechanismen – und kreisläufe in Aktion. Der Schutz verstärkt die Angst, da
es etwas Bedrohliches sein muß, wovor geschützt werden muß. Die
Sicherheitsmaßnahmen verstärken die Unsicherheit. In der Panik muß blitzschnell
gehandelt werden, so daß für Überlegung und Ratio kein Raum und keine Zeit mehr
bestehen. Man spricht dann von irrationalen Ängsten. Als Folge geschehen so
paradoxe Abläufe, daß zur Verteidigung der Menschenrechte diese aufgegeben
werden, für die Verteidigung des Rechtsstaates und der Freiheit dieser
aufgegeben und diese verloren geht und nicht die Tat muß dem Verdächtigen
bewiesen werden, sondern der Tatverdächtige muß beweisen, daß er die Tat nicht
vorhat oder nicht begangen hat. In ihrem Kampf gegen das Böse, das im jeweils
Anderen gesehen wird, erscheinen Bush und Osama Bin Laden wie ein
Zwillingspärchen und reichen sich die Hand.
Um die Radikalisierung und Kriegsneigung besser zu verstehen, müssen wir kurz in
die Geschichte der USA eintauchen und uns dort umschauen. Die amerikanische
Bevölkerung setzt sich meist aus ursprünglichen Auswanderern, zuerst aus
verschiedenen Völkern aus Europa, später anderer Ethnien zusammen. Auswanderer
wandern meist aus für sie unerträglichen Verhältnissen aus wie religiösen
Auseinandersetzungen, in denen kein Konsens gefunden werden konnte,
wirtschaftlichen und sozialen Benachteiligungen, radikaler Unterdrückung und
Überbevölkerung. Die Auswanderer waren und sind außerdem eine Auswahl des
aktiven und expansiven Teils der Heimatbevölkerung, die nicht in Resignation in
ihren Heimatländern verharrt. Infolge dieser traumatisierenden Verhältnisse
brachten sie andererseits ihre alten Erfahrungen und ihre Ängste mit, aber auch
die Radikalität und Dogmatisierung, wie sie sie vorher kannten, und hatten
gleichzeitig eine Sehnsucht nach einer besseren Welt und der Freiheit, kurz dem
Amerikanischen Traum. In ihrer Radikalität machten sie sich das Land nach ihren
Vorstellungen untertan, rotteten größtenteils die Urbevölkerung aus, holten
Sklaven, dezimierten die Tierwelt, bauten Monokulturen an. Andererseits in ihrem
Freiheitstraum bauten sie eine Demokratie auf, die jedoch nur für die
herrschende weiße Bevölkerung gilt - eine gewaltige Gefängnisindustrie zeugt
noch heute davon - und stehen zeitlebens im Widerspruch von Demokratie und
Radikalität. Nirgends gibt es so viele dogmatische Religionen und Sekten, in
denen das seelische Heil in einer bedrohlichen und zerrissenen Welt gesucht
wird.
Infolge der innereuropäischen Zerrissenheit und Kriege, des Abstiegs der alten
Kolonialmächte und der verinnerlichten und infolgedessen gelebten Bedrohung
ihres Freiheitstraumes konnten sie ihre Expansion, lange in Widerspruch und im
Kalten Krieg zum Ostblock, auf die ganze Erde ausweiten, stiegen zu einer neuen
Kolonialmacht auf. Vorläufer gibt es in der Geschichte der Menschheit viele wie
die Römer, die Hunnen, Alexander der Große, die europäischen Kolonialmächte oder
auch die Nationalsozialisten, die im Osten Europas den Raum und die Freiheit
suchten - und wie eine Sternschnuppe verglühten. Sicher gibt es bei allen
Gemeinsamkeiten gravierende Unterschiede. Aber gerade diese Expansion ruft
andere radikale und dogmatische Mächte auf den Plan, die sich gegen die
militärische Übermacht der USA in ihrer Hilflosigkeit und Not nicht anders zu
wehren wissen, als ihren Tod als letzte und offensichtlich wirkungsvolle Waffe
in Kauf zu nehmen. Sie nehmen die Mittel, die Flugzeuge, die ihnen die
Amerikaner in die Hand liefern, ähnlich wie einige Diktatoren mit den Waffen
gegen Amerika kämpfen, die sie zuvor von Amerika erhalten haben.
Ähnlich den religiösen Motiven und Versprechungen der Amerikaner hinsichtlich
des Seelenheils werden den Selbstmordattentätern, wiederum sehr menschlich und
irdisch, 77 Jungfrauen versprochen, die keine Periode und Migräne haben. Aus
diesem himmlischen Versprechen ist zu schließen, die Migräne und Periode ihrer
Frauen scheinen für die islamischen Männer ihre größte Crux zu sein.
Der Aufstieg und Fall ganzer Völker und Nationen füllt Geschichtsbücher. In den
Augen der Amerikaner scheint der 11. September das Symbol und die Initialzündung
des Absturzes, das Ende des Ikarosfluges zu sein und das Ende des Amerikanischen
Traumes, gegen das sie sich mit allen Mitteln wehren, tragischer- und
logischerweise mit Mitteln, die den Absturz beschleunigen. Aber jeder Kampf
schafft auch Hoffnungen auf den Sieg und die Fortsetzung des Traumes. Hitler
hatte auch den Endsieg versprochen. Im Zuge der Globalisierung wird nur
dummerweise die Weltwirtschaft mit hinein gezogen. Für uralte Kulturvölker wie
China und Indien ergibt sich wiederum die Chance zu neuer Hegemonie
aufzusteigen, das Trauma früherer Kolonialherrschaft zu überwinden. Gewichtige
Teile amerikanischer Papiere und Staatsanleihen sind schon jetzt in chinesischer
Hand. Das alte Europa, das sich zusammen gerauft hat und zu neuer Größe
aufzusteigen gewillt ist, scheint jetzt schon wieder zu zerfleddern.
Nun, das Rad der Geschichte dreht sich weiter. Außer den Propheten kennen wir
das Ende noch nicht. Wenn wir es kennen, dreht sich das Rad weiter. Für uns ist
es wichtig, die Dinge möglichst gelassen zu nehmen und uns nicht etwa durch
Panikverkäufe und –käufe noch mehr ins Unglück zu stürzen. Die europäischen
Völker haben laut Lloyd deMause auch jeweils andere Krisenzyklen, die nicht
unbedingt auf die der Amerikaner treffen müssen und mit ihnen gemeinsam
eskalieren. Schröder hat schon mit der Enthaltsamkeit im Irakkrieg die Wahl
gewonnen.