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02. Mai 14 , 11:13

Die Beschneidung des Jungen (und des Mädchens) - Jahrtausende altes Glaubensgut versus Selbstbestimmung des Menschen als Beispiel für christliche Überlieferungen versus Selbstbestimmungsrecht

Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch, Leib & Seele
 

Frankfurt am Main, Deutschland (Weltexpress). Die Beschneidung eines Vierjährigen, die auf Wunsch der Eltern vorgenommen worden war, wurde am 7.5.2012 vom Kölner Landgericht als Körperverletzung und als Straftat gewertet. Auf den Sturm der Entrüstung hin, vor allem von Juden und Muslimen, die darin eine tiefe Verletzung ihrer Kultur sahen, ließ der Bundestag einen Gesetzesparagraphen hinzuzufügen „Beschneidung des männlichen Kindes" (§ 1631d BGB), der die Beschneidung ohne medizinischen Anlass erlaubte.
 

Besteck zur Beschneidung. © dapd

Befürworter

Dieser Paragraph blieb heftig umstrittenen. Die Befürworter, hauptsächlich Juden und Muslime, argumentierten mit einem jahrtausende alten Gedankengut bzw. Glaubensgut  (weil schließlich an die Gedanken geglaubt wurde) oder einer Überlieferung. Diese Tradition ist unhinterfragbar, vollkommen   selbstverständlich und kann deshalb keine Straftat sein. Die Gründe für diese Überlieferung sind im Dunkeln. Heute wird argumentiert, entweder religiös, zur Hingabe an Gott und den Bund mit Gott, oder modern medizinisch, zur Phimose-Behandlung (der Beseitigung der Vorhautverengung) und der Reinlichkeit oder sogar der vermehrten Krebsgefahr. Die Beschneidung soll zwar fachgerecht durchgeführt werden, am besten von Ärzten. Dies wird aber nicht überprüft und den Beschneidern selbst überlassen. Dem Missbrauch sind somit alle Türen geöffnet.

Gegner

Die Ablehner dieses Paragraphen halten dies für einen Kniefall vor den Juden, vor denen wir Deutschen immer noch ein schlechtes Gewissen haben, und der zunehmenden Anzahl von Muslimen, als Achtung vor deren Kultur. Der Überlieferung wird Vorrang gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht gegeben, der Religion und ihren Traditionen gegenüber einer Säkularisierung. Da unser Rechtssystem auf der Eigenverantwortlichkeit aufgebaut ist, bedeutet dies ein Gesetzesbruch per Gesetz, und es wird somit als einen Rückfall in die finsteren Zeiten des Mittelalters interpretiert. Sogar der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sprach sich dagegen aus. Die Phimose wird als eine physiologische Reaktion angesehen, und es erfordert bis zur Pubertät Geduld und Zeit, langsam die Vorhaut zurückzuziehen. Diese Zeit wird den Jungen nicht gelassen. Sie argumentieren, die Reinlichkeit ist sowieso erforderlich, das Glied muss auch hinter der Vorhaut regelmäßig gewaschen werden, und. dann besteht auch keinerlei erhöhte Krebsgefahr. Die Vorhaut sei auch kein unnötiger Hautfetzen und sei mit Nervenfasern durchdrungen, ähnlich wie die Fingerkuppen als Tastsinn. Manche Männer kommen sich nach einer Vorhautbeschneidung sozusagen halb kastriert vor.

Tradition

Da die Beschneidung im frühen Alter stattfindet, kann das Kind auch nicht gefragt werden, ob es überhaupt dazu bereit und gewillt ist, und wegen der Verjährung kann es auch später nicht das Selbstbestimmungsrecht einklagen. Im Gegenteil, da die Eltern durch das Elternrecht die Oberhoheit in der Selbstbestimmung des Jungen haben, glauben diese noch als erwachsene Männer ebenfalls, dass die Beschneidung rechtens und richtig war. Es besteht bei Menschen regelmäßig eine Identifikation mit dem Aggressor, und so kann die Tradition fortgesetzt werden. Die Kinder glauben ihren Eltern, und diese wiederum ihren Eltern und so fort. Dahinter kann man vermuten, die Kinder sollen es ja schließlich auch nicht besser als ihre Eltern haben in Ambivalenz zu dem Wunsch, dass ihre Kinder es besser als sie haben. Auch das hat seine Tradition, sozusagen in Neid und Missgunst.

Probleme des Umgangs mit dem Penis

Überhaupt ist der Umgang mit dem Penis des Jungen oft ein Riesenproblem, wird deswegen tabuisiert, und der Junge mit dem Problem allein gelassen. Man denke nur an die Peniswaschungen. Eine frigide Mutter, in Abwechselung zu durchbrechenden Impulsen, wäscht den Penis ihres Sohnes. Durch die Manipulationen wird der Penis steif, erigiert, und die entsetzte Mutter, der das unheimlich peinlich ist,  gibt ihrem Sohn eins drauf und verurteilt den Sohn und den Vorgang. Dann lässt sie entweder die Sache sein oder wäscht unermüdlich weiter. Die unermüdlichen Penisstimulationen bringen den Jungen noch mehr in die Zwickmühle, die Reizung mit dem gleichzeitigen Verbot werden vermittelt und zu einem Dauerzustand. So konnte Michael Amendt einen Artikel über die Vorliebe der Mütter für den Penis ihres Sohnes schreiben.

Ich spreche aus eigener Erfahrung: Bei mir war in der Kindheit da unten alles „bah, bah“, und ich ließ 10 Jahre lang die Finger davon. Als ich in der Pubertät anfing, daran herum zu spielen und zu manipulieren, zog ich nach langen Versuchen allmählich die Vorhaut zurück und eine dicke, stinkende, weiße Schicht Smegma, des Drüsensekrets, kam zum Vorschein. In der Folgezeit wusch ich als Folge des Tabus nur ab und zu, bis ich mich allmählich daran gewöhnte. Ich bin sicher, hätte ich meiner Mutter nur irgendetwas erzählt, wäre ich wegen einer Phimose sofort operiert, somit beschnitten worden. Meine Mutter und ich waren uns in dem Tabu, der Peinlichkeit und in der Verschwiegenheit sozusagen einig.

Fundamentalismus

Da ist es am einfachsten, das Häutchen einfach abzuschneiden, und alle Hygieneprobleme und Tabus sind gelöst. Die Mutter, Eltern sind glücklich, und der Arzt freut sich über den zusätzlichen Verdienst. Ich vermute, das Problem gab es schon vor Jahrtausenden, aber durch die Zeit erlangte es eine rituelle und religiöse Überhöhung. In aufgeklärten städtischen muslimischen Kreisen besteht das Beschneidungsgebot nicht so sehr, und die Juden hatten vor den Kriegen schon aufgeklärtere Phasen, in denen die Beschneidung nicht mehr zur rituellen Tradition gehörte. Der Schock des Holocaust ließ sie sich auf fundamentale Prinzipien besinnen. Wir Deutschen leiden ebenfalls noch unter dem Holocaust.

Sexualverstümmelung des Mädchens

Die Beschneidung des Mädchens, die hauptsächlich im mittleren afrikanischen Gürtel stattfindet, bis zur grausamen  und entsetzlichen pharaonischen Beschneidung - dabei werden die kleinen Labien (Schamlippen) vollständig, und die großen halb, manchmal bis auf den Knochen, herausgeschnitten und die Scheide bleistiftdünn zugenäht (Infibulation) -, ist in unserem Kulturkreis unumstritten als Genitalverstümmelung gebrandmarkt. Jedoch im Rahmen der Globalisierung findet sie auch bei uns statt. Die Leiden der Mädchen und der Frauen, dauernde Infektionen bis zu Todesfällen, da oft von dazu bestimmten Frauen nicht hygienisch operiert wird, sind groß. Die Männer haben ebenfalls große Mühe und müssen beim Sexualakt zur Kindererzeugung viel Rücksicht nehmen. Da erweist sich eine jahrtausend alte Tradition als grausam und höchst kontraproduktiv. Sie wird von den Müttern durchgeführt. Der Hintergrund ist wohl, treue und anständige Frauen zu gewährleisten, da man vom Gegenteil ausgeht, der Sexbesessenheit und Mannstollheit von Frauen. Der Ausweg ist wohl, in diesen Ländern ist der Analverkehr sowieso weit verbreitet. Ein schlimmer und bedrohlicher Zukunftsentwurf erfordert drastische Mittel.

Christliche Tradition

Aber mir geht es nicht darum, das Für und Wider der Beschneidung und deren Sinnhaftigkeit als Hochachtung vor den Kulturen abzuwägen, sondern anhand der Beschneidung darauf hinzuweisen, wie ähnliche jahrhunderte und jahrtausende alte Traditionen unser Leben bestimmen und Freiheit und Selbstbestimmung behindern. Unsere Kultur ist vom Christentum geprägt, dem Leitbild der Selbstaufopferung von Jesus Christus. Es fängt schon im Alten Testament in der biblischen Schöpfungsgeschichte an, wo das Pflücken eines Apfels, ein Sinnbild der Erotik, vom Baum der Erkenntnis, was frevelhafte Gottgleichheit bedeutet, streng verboten ist und mit dem Sündenfall und der Erbsünde bestraft wird. Christliche Fundamentalisten glauben fest daran. Für mich ist das ein Sinnbild der traditionellen und konservativen Familie. Gottvater stellt den Vater, das Gesetz und die Normen dar, und Selbsterkenntnis und –bestimmung sind eine Durchbrechung des Tabus und werden bestraft. Man stelle sich vor, in einer tief religiösen Familie der Juden oder Muslims sagt der Junge, er will nicht beschnitten werden. Das hätte ähnliche Folgen. Deswegen findet die Beschneidung in der frühen Kindheit statt, wo das Kind sich selbst nicht äußern kann.

Unsere Kultur ist von der Selbstaufopferung Christi, auch bei Nichtchristen, geprägt und durchdrungen. Man denke nur an Rücksichtsname, Verpflichtung oder Verantwortung, an sich 3 Worte, die aber unheimlich viel bedeuten. Unsere Kultur ist durchdrungen, dass sie jeweils nur für andere gelten. Selbstrücksicht, Selbstverpflichtung und Selbstverantwortung sind sozusagen Fremdwörter. Die Folge ist, sich für andere aufzuopfern, es den Anderen recht zu machen, den Leuten, den Nachbarn, den Kollegen, dem Chef, dem Ehepartner und sein eigenes Bild, Image, den Ruf von den Anderen abhängig zu machen, sein Selbstbild in den Anderen zu erleben und wahrzunehmen. Vermeintlicher Egoismus und Rücksichtslosigkeit sind zu vermeiden. Die Folge sind die gängigen Volkskrankheiten, u.a. Burnout, Depressionen und Rückenschmerzen. Der Kreuzschmerz bedeutet das Kreuz des Lebens, das der Kranke sich selbst auferlegt, aber nicht bereit ist zu tragen, das Kreuz Christi. Die Altruisten sind in ihrem Egoismus und in ihrem Selbstbestimmungsrecht beschnitten. Das ist wohl der tiefere Sinn der Beschneidung, die Beschneidung in ihrem Selbstbestimmungsrecht. Im Fundamentalismus wird an den Bund mit Gott geglaubt. In unserer Kultur wird auch beschnitten, und der Bundestag war gar zu schnell und ohne eine breite Diskussion in der Bevölkerung zum § 1631d BGB bereit.

Autoaggression

Aber das erzeugt Aggressionen, und da wir mit den Normen der Eltern identifiziert sind, sie uns zu eigen gemacht haben, die Eltern also sozusagen in uns sind, werden die gegen die Anderen sozusagen als Eltern gerichteten Aggressionen zu Autoaggressionen und Selbstdestruktionen. Die Volkskrankheiten sind Autoaggressionskrankheiten. Sie stellen einen inneren Streit zwischen der Überlieferung und dem eigenen Selbst, dem Selbstbestimmungsrecht dar.

Behinderung des Konsens

Auch sind der innere und äußere Dialog behindert oder sogar aufgehoben, einen Konsens zwischen sich und den Anderen zu schaffen, zu sagen, wozu man bereit ist und wozu nicht, und Alternativen aufzuzeigen. Das hat er/sie in der Kindheit nicht gelernt. Allerdings schafft der Kranke mit Hilfe der Symptomatik, was er ohne diese nicht schafft, mit Hilfe des Burnout oder der Rückenschmerzen nicht mehr auf die Anderen eingehen zu können, seine Ruhe zu haben und der Pflichten und der Fremdverantwortung zumindest vorübergehend enthoben zu sein– ein sekundärer Krankheitsgewinn. Da dies einen Vorbildcharakter für andere hat, wenn auch in verzerrter Weise und selbstdestruktiv, grassieren diese Krankheiten und nehmen den Charakter von Volkskrankheiten ein – ein tertiärer Krankheitsgewinn, auch eine Form des Konsens.

Gegenreaktion

Die Kehrseite der Medaille ist, sozusagen aus Trotz, Protest oder als Gegenreaktion, z.B. ein rücksichtsloser Liberalismus und Kapitalismus, nur an sich selbst und die eigenen Ziele zu denken und die Anderen überhaupt nicht mehr zu berücksichtigen. Manche sagen, die Tendenz breitet sich immer mehr aus, die Statistik sagt, die Schere zwischen arm und reich klafft immer mehr auseinander. Auch das halte ich für eine Folge des christlichen Altruismus, indem der Konsens zwischen den gesellschaftlichen Mitgliedern nicht geschafft wird.

Verantwortung der Eltern

In der Kindheit müssen die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, und in einem fließenden Übergang übernehmen die Kinder immer mehr die Verantwortung für sich selbst. Wenn sie erwachsen sind, sind sie selbstverantwortlich. Es gehört dazu, zwischen den verschiedenen Interessen einen Konsens zu schaffen. So ist die Theorie, und auf dieser Theorie baut unser Rechtssystem auf. In dem Punkte der jüdischen, muslimischen und christlichen Beschneidung im Sinne der christlichen Werte wird das Selbstbestimmungsrecht außer Kraft gesetzt. Die Eltern glauben fest daran, dass sie die Rechte dazu haben. Die Gesetze sind meist unbewusst, wie selbstverständlich, sie verstehen sich von selbst, zwar in einer Gesetzgebung zusammen gefaßt, die aber der Interpretation bedarf, deswegen die vielen Rechtsanwälte. Das Tabu wird erst deutlich, wenn es durchbrochen wird und dagegen verstoßen wird.

Als Beispiel für eine misslungene Prägung mag der allgegenwärtige erbitterte Streit dienen. Die Streithähne streiten sich in der subjektiven Wahrheit um die objektive und absolute Wahrheit. Wenn der Eine absolut recht hat, hat der Andere unrecht, und der Unterlegene muß das nächste mal recht bekommen. Ein Machtkampf ohne Ende. Man kann nach der Sage von einem Pyrrhussieg sprechen. Die Prägung ist, der Glaube an die objektive Wahrheit. Dabei wäre interessant, wie es der Andere sieht. Meiner Ansicht nach gibt es für den Menschen keine absolute Wahrheit, da er alles mit seinem subjektiven Geist und seinen Händen geschaffen hat. Wer im Besitz der objektiven und absoluten Wahrheit ist, ist göttergleich, hat den Bund mit Gott geschlossen, und ist gleichzeitig um viele mögliche Sichtweisen beschnitten.

Wenn etwa innerhalb von maffiösen Strukturen eine Kindheit geprägt wird, handelt der Verbrecher in seiner Sicht konform und legal, aber er gerät mit unserem Rechtssystem in Konflikt. Aber in diesem Rechtssystem handelt etwa der Banker, der sich ohne Rücksicht für die Folgen bei anderen bereichert, auch legal. Es fehlt auch bei uns ein Konsens des Machbaren. Infolge der Globalisierung werden wir mit den verschiedensten Kulturen und Rechtsauffassungen konfrontiert, auf die wir elastisch reagieren müssen. Dem Urteil des Kölner Landgerichtes können wir danken, da es einen Anstoß zur Diskussion geschaffen hat.

Von: Dr. Bernd Holstiege