02. Mai 14 , 11:13
Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch, Leib & Seele
Befürworter
Dieser Paragraph blieb heftig umstrittenen. Die Befürworter, hauptsächlich
Juden und Muslime, argumentierten mit einem jahrtausende alten Gedankengut bzw.
Glaubensgut (weil schließlich an die Gedanken geglaubt wurde) oder einer
Überlieferung. Diese Tradition ist unhinterfragbar, vollkommen
selbstverständlich und kann deshalb keine Straftat sein. Die Gründe für diese
Überlieferung sind im Dunkeln. Heute wird argumentiert, entweder religiös, zur
Hingabe an Gott und den Bund mit Gott, oder modern medizinisch, zur
Phimose-Behandlung (der Beseitigung der Vorhautverengung) und der Reinlichkeit
oder sogar der vermehrten Krebsgefahr. Die Beschneidung soll zwar fachgerecht
durchgeführt werden, am besten von Ärzten. Dies wird aber nicht überprüft und
den Beschneidern selbst überlassen. Dem Missbrauch sind somit alle Türen
geöffnet.
Gegner
Die Ablehner dieses Paragraphen halten dies für einen Kniefall vor den Juden,
vor denen wir Deutschen immer noch ein schlechtes Gewissen haben, und der
zunehmenden Anzahl von Muslimen, als Achtung vor deren Kultur. Der Überlieferung
wird Vorrang gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht gegeben, der Religion und
ihren Traditionen gegenüber einer Säkularisierung. Da unser Rechtssystem auf der
Eigenverantwortlichkeit aufgebaut ist, bedeutet dies ein Gesetzesbruch per
Gesetz, und es wird somit als einen Rückfall in die finsteren Zeiten des
Mittelalters interpretiert. Sogar der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
sprach sich dagegen aus. Die Phimose wird als eine physiologische Reaktion
angesehen, und es erfordert bis zur Pubertät Geduld und Zeit, langsam die
Vorhaut zurückzuziehen. Diese Zeit wird den Jungen nicht gelassen. Sie
argumentieren, die Reinlichkeit ist sowieso erforderlich, das Glied muss auch
hinter der Vorhaut regelmäßig gewaschen werden, und. dann besteht auch keinerlei
erhöhte Krebsgefahr. Die Vorhaut sei auch kein unnötiger Hautfetzen und sei mit
Nervenfasern durchdrungen, ähnlich wie die Fingerkuppen als Tastsinn. Manche
Männer kommen sich nach einer Vorhautbeschneidung sozusagen halb kastriert vor.
Tradition
Da die Beschneidung im frühen Alter stattfindet, kann das Kind auch nicht
gefragt werden, ob es überhaupt dazu bereit und gewillt ist, und wegen der
Verjährung kann es auch später nicht das Selbstbestimmungsrecht einklagen. Im
Gegenteil, da die Eltern durch das Elternrecht die Oberhoheit in der
Selbstbestimmung des Jungen haben, glauben diese noch als erwachsene Männer
ebenfalls, dass die Beschneidung rechtens und richtig war. Es besteht bei
Menschen regelmäßig eine Identifikation mit dem Aggressor, und so kann die
Tradition fortgesetzt werden. Die Kinder glauben ihren Eltern, und diese
wiederum ihren Eltern und so fort. Dahinter kann man vermuten, die Kinder sollen
es ja schließlich auch nicht besser als ihre Eltern haben in Ambivalenz zu dem
Wunsch, dass ihre Kinder es besser als sie haben. Auch das hat seine Tradition,
sozusagen in Neid und Missgunst.
Probleme des Umgangs mit dem Penis
Überhaupt ist der Umgang mit dem Penis des Jungen oft ein Riesenproblem, wird
deswegen tabuisiert, und der Junge mit dem Problem allein gelassen. Man denke
nur an die Peniswaschungen. Eine frigide Mutter, in Abwechselung zu
durchbrechenden Impulsen, wäscht den Penis ihres Sohnes. Durch die
Manipulationen wird der Penis steif, erigiert, und die entsetzte Mutter, der das
unheimlich peinlich ist, gibt ihrem Sohn eins drauf und verurteilt den Sohn und
den Vorgang. Dann lässt sie entweder die Sache sein oder wäscht unermüdlich
weiter. Die unermüdlichen Penisstimulationen bringen den Jungen noch mehr in die
Zwickmühle, die Reizung mit dem gleichzeitigen Verbot werden vermittelt und zu
einem Dauerzustand. So konnte Michael Amendt einen Artikel über die Vorliebe der
Mütter für den Penis ihres Sohnes schreiben.
Ich spreche aus eigener Erfahrung: Bei mir war in der Kindheit da unten alles
„bah, bah“, und ich ließ 10 Jahre lang die Finger davon. Als ich in der Pubertät
anfing, daran herum zu spielen und zu manipulieren, zog ich nach langen
Versuchen allmählich die Vorhaut zurück und eine dicke, stinkende, weiße Schicht
Smegma, des Drüsensekrets, kam zum Vorschein. In der Folgezeit wusch ich als
Folge des Tabus nur ab und zu, bis ich mich allmählich daran gewöhnte. Ich bin
sicher, hätte ich meiner Mutter nur irgendetwas erzählt, wäre ich wegen einer
Phimose sofort operiert, somit beschnitten worden. Meine Mutter und ich waren
uns in dem Tabu, der Peinlichkeit und in der Verschwiegenheit sozusagen einig.
Fundamentalismus
Da ist es am einfachsten, das Häutchen einfach abzuschneiden, und alle
Hygieneprobleme und Tabus sind gelöst. Die Mutter, Eltern sind glücklich, und
der Arzt freut sich über den zusätzlichen Verdienst. Ich vermute, das Problem
gab es schon vor Jahrtausenden, aber durch die Zeit erlangte es eine rituelle
und religiöse Überhöhung. In aufgeklärten städtischen muslimischen Kreisen
besteht das Beschneidungsgebot nicht so sehr, und die Juden hatten vor den
Kriegen schon aufgeklärtere Phasen, in denen die Beschneidung nicht mehr zur
rituellen Tradition gehörte. Der Schock des Holocaust ließ sie sich auf
fundamentale Prinzipien besinnen. Wir Deutschen leiden ebenfalls noch unter dem
Holocaust.
Sexualverstümmelung des Mädchens
Die Beschneidung des Mädchens, die hauptsächlich im mittleren afrikanischen
Gürtel stattfindet, bis zur grausamen und entsetzlichen pharaonischen
Beschneidung - dabei werden die kleinen Labien (Schamlippen) vollständig, und
die großen halb, manchmal bis auf den Knochen, herausgeschnitten und die Scheide
bleistiftdünn zugenäht (Infibulation) -, ist in unserem Kulturkreis unumstritten
als Genitalverstümmelung gebrandmarkt. Jedoch im Rahmen der Globalisierung
findet sie auch bei uns statt. Die Leiden der Mädchen und der Frauen, dauernde
Infektionen bis zu Todesfällen, da oft von dazu bestimmten Frauen nicht
hygienisch operiert wird, sind groß. Die Männer haben ebenfalls große Mühe und
müssen beim Sexualakt zur Kindererzeugung viel Rücksicht nehmen. Da erweist sich
eine jahrtausend alte Tradition als grausam und höchst kontraproduktiv. Sie wird
von den Müttern durchgeführt. Der Hintergrund ist wohl, treue und anständige
Frauen zu gewährleisten, da man vom Gegenteil ausgeht, der Sexbesessenheit und
Mannstollheit von Frauen. Der Ausweg ist wohl, in diesen Ländern ist der
Analverkehr sowieso weit verbreitet. Ein schlimmer und bedrohlicher
Zukunftsentwurf erfordert drastische Mittel.
Christliche Tradition
Aber mir geht es nicht darum, das Für und Wider der Beschneidung und deren
Sinnhaftigkeit als Hochachtung vor den Kulturen abzuwägen, sondern anhand der
Beschneidung darauf hinzuweisen, wie ähnliche jahrhunderte und jahrtausende alte
Traditionen unser Leben bestimmen und Freiheit und Selbstbestimmung behindern.
Unsere Kultur ist vom Christentum geprägt, dem Leitbild der Selbstaufopferung
von Jesus Christus. Es fängt schon im Alten Testament in der biblischen
Schöpfungsgeschichte an, wo das Pflücken eines Apfels, ein Sinnbild der Erotik,
vom Baum der Erkenntnis, was frevelhafte Gottgleichheit bedeutet, streng
verboten ist und mit dem Sündenfall und der Erbsünde bestraft wird. Christliche
Fundamentalisten glauben fest daran. Für mich ist das ein Sinnbild der
traditionellen und konservativen Familie. Gottvater stellt den Vater, das Gesetz
und die Normen dar, und Selbsterkenntnis und –bestimmung sind eine Durchbrechung
des Tabus und werden bestraft. Man stelle sich vor, in einer tief religiösen
Familie der Juden oder Muslims sagt der Junge, er will nicht beschnitten werden.
Das hätte ähnliche Folgen. Deswegen findet die Beschneidung in der frühen
Kindheit statt, wo das Kind sich selbst nicht äußern kann.
Unsere Kultur ist von der Selbstaufopferung Christi, auch bei Nichtchristen,
geprägt und durchdrungen. Man denke nur an Rücksichtsname, Verpflichtung oder
Verantwortung, an sich 3 Worte, die aber unheimlich viel bedeuten. Unsere Kultur
ist durchdrungen, dass sie jeweils nur für andere gelten. Selbstrücksicht,
Selbstverpflichtung und Selbstverantwortung sind sozusagen Fremdwörter. Die
Folge ist, sich für andere aufzuopfern, es den Anderen recht zu machen, den
Leuten, den Nachbarn, den Kollegen, dem Chef, dem Ehepartner und sein eigenes
Bild, Image, den Ruf von den Anderen abhängig zu machen, sein Selbstbild in den
Anderen zu erleben und wahrzunehmen. Vermeintlicher Egoismus und
Rücksichtslosigkeit sind zu vermeiden. Die Folge sind die gängigen
Volkskrankheiten, u.a. Burnout, Depressionen und Rückenschmerzen. Der
Kreuzschmerz bedeutet das Kreuz des Lebens, das der Kranke sich selbst
auferlegt, aber nicht bereit ist zu tragen, das Kreuz Christi. Die Altruisten
sind in ihrem Egoismus und in ihrem Selbstbestimmungsrecht beschnitten. Das ist
wohl der tiefere Sinn der Beschneidung, die Beschneidung in ihrem
Selbstbestimmungsrecht. Im Fundamentalismus wird an den Bund mit Gott geglaubt.
In unserer Kultur wird auch beschnitten, und der Bundestag war gar zu schnell
und ohne eine breite Diskussion in der Bevölkerung zum § 1631d BGB bereit.
Autoaggression
Aber das erzeugt Aggressionen, und da wir mit den Normen der Eltern
identifiziert sind, sie uns zu eigen gemacht haben, die Eltern also sozusagen in
uns sind, werden die gegen die Anderen sozusagen als Eltern gerichteten
Aggressionen zu Autoaggressionen und Selbstdestruktionen. Die Volkskrankheiten
sind Autoaggressionskrankheiten. Sie stellen einen inneren Streit zwischen der
Überlieferung und dem eigenen Selbst, dem Selbstbestimmungsrecht dar.
Behinderung des Konsens
Auch sind der innere und äußere Dialog behindert oder sogar aufgehoben, einen
Konsens zwischen sich und den Anderen zu schaffen, zu sagen, wozu man bereit ist
und wozu nicht, und Alternativen aufzuzeigen. Das hat er/sie in der Kindheit
nicht gelernt. Allerdings schafft der Kranke mit Hilfe der Symptomatik, was er
ohne diese nicht schafft, mit Hilfe des Burnout oder der Rückenschmerzen nicht
mehr auf die Anderen eingehen zu können, seine Ruhe zu haben und der Pflichten
und der Fremdverantwortung zumindest vorübergehend enthoben zu sein– ein
sekundärer Krankheitsgewinn. Da dies einen Vorbildcharakter für andere hat, wenn
auch in verzerrter Weise und selbstdestruktiv, grassieren diese Krankheiten und
nehmen den Charakter von Volkskrankheiten ein – ein tertiärer Krankheitsgewinn,
auch eine Form des Konsens.
Gegenreaktion
Die Kehrseite der Medaille ist, sozusagen aus Trotz, Protest oder als
Gegenreaktion, z.B. ein rücksichtsloser Liberalismus und Kapitalismus, nur an
sich selbst und die eigenen Ziele zu denken und die Anderen überhaupt nicht mehr
zu berücksichtigen. Manche sagen, die Tendenz breitet sich immer mehr aus, die
Statistik sagt, die Schere zwischen arm und reich klafft immer mehr auseinander.
Auch das halte ich für eine Folge des christlichen Altruismus, indem der Konsens
zwischen den gesellschaftlichen Mitgliedern nicht geschafft wird.
Verantwortung der Eltern
In der Kindheit müssen die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder
übernehmen, und in einem fließenden Übergang übernehmen die Kinder immer mehr
die Verantwortung für sich selbst. Wenn sie erwachsen sind, sind sie
selbstverantwortlich. Es gehört dazu, zwischen den verschiedenen Interessen
einen Konsens zu schaffen. So ist die Theorie, und auf dieser Theorie baut unser
Rechtssystem auf. In dem Punkte der jüdischen, muslimischen und christlichen
Beschneidung im Sinne der christlichen Werte wird das Selbstbestimmungsrecht
außer Kraft gesetzt. Die Eltern glauben fest daran, dass sie die Rechte dazu
haben. Die Gesetze sind meist unbewusst, wie selbstverständlich, sie verstehen
sich von selbst, zwar in einer Gesetzgebung zusammen gefaßt, die aber der
Interpretation bedarf, deswegen die vielen Rechtsanwälte. Das Tabu wird erst
deutlich, wenn es durchbrochen wird und dagegen verstoßen wird.
Als Beispiel für eine misslungene Prägung mag der allgegenwärtige erbitterte
Streit dienen. Die Streithähne streiten sich in der subjektiven Wahrheit um die
objektive und absolute Wahrheit. Wenn der Eine absolut recht hat, hat der Andere
unrecht, und der Unterlegene muß das nächste mal recht bekommen. Ein Machtkampf
ohne Ende. Man kann nach der Sage von einem Pyrrhussieg sprechen. Die Prägung
ist, der Glaube an die objektive Wahrheit. Dabei wäre interessant, wie es der
Andere sieht. Meiner Ansicht nach gibt es für den Menschen keine absolute
Wahrheit, da er alles mit seinem subjektiven Geist und seinen Händen geschaffen
hat. Wer im Besitz der objektiven und absoluten Wahrheit ist, ist göttergleich,
hat den Bund mit Gott geschlossen, und ist gleichzeitig um viele mögliche
Sichtweisen beschnitten.
Wenn etwa innerhalb von maffiösen Strukturen eine Kindheit geprägt wird, handelt
der Verbrecher in seiner Sicht konform und legal, aber er gerät mit unserem
Rechtssystem in Konflikt. Aber in diesem Rechtssystem handelt etwa der Banker,
der sich ohne Rücksicht für die Folgen bei anderen bereichert, auch legal. Es
fehlt auch bei uns ein Konsens des Machbaren. Infolge der Globalisierung werden
wir mit den verschiedensten Kulturen und Rechtsauffassungen konfrontiert, auf
die wir elastisch reagieren müssen. Dem Urteil des Kölner Landgerichtes können
wir danken, da es einen Anstoß zur Diskussion geschaffen hat.