10. Mai 16 , 22:20
Weltexpress international
Zum Zeitpunkt der Entscheidung entscheidet der Mensch immer richtig, auch
bei Lüge und Verrat – Gilt das auch im Falle von Kriminalität, Terrorismus oder
Kriegstreibern?
Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch
Quelle: Pixabay, CC0 Public Domain
In Zeiten des Pluralismus aufgrund der Globalisierung, der Wissensvermehrung
und des entfesselten Raubtierkapitalismus klafft die Schere zwischen arm und
reich immer weiter auseinander. Etwa 1 Prozent der Bevölkerung besitzen bei
uns 70 Prozent des Volksvermögens. In den Entwicklungs- und Schwellenländern
klafft die Schere noch weiter auseinander. Jeder, der sich überproportional
Vermögen auf Kosten anderer aneignet, tut dies zum eigenen Wohl, zum Wohle
seiner Familie oder des Clans. Zum eigenen Wohl oder des nahen Umfeldes zu
handeln, ist an sich nicht verwerflich.
Nur hat er dabei nicht das Gesamte, den Staat oder die Weltbevölkerung im
Blick. Er denkt nur an sich selber und handelt danach. Aber die
Weltbevölkerung im Blick zu haben, wenn er sich gerade ein neues Finanzprodukt
zur Profitsteigerung, neue Steuerumgehungspraktiken ausdenkt oder seien Gülle
abläßt, die auf Kosten anderer gehen, wäre das für ihn wohl etwas viel
verlangt. Zumal er in der Kindheit nicht gelernt hat, über den Tellerrand
hinaus zu schauen. Das war damals einfach nicht drin, alle haben es so getan.
Zumal er schon sowieso sich immer benachteiligt fühlte und jetzt die Chance
hat, mal endlich zu den Gewinnern zu gehören. Frühkindliche Erfahrungen prägen
seine Handlungen.
Bei dem Kriminellen, dem Mörder, Räuber oder Dieb liegen wahrscheinlich
maffiöse Familienstrukturen vor, die er völlig verinnerlicht hat. Dabei war es
nicht üblich an andere zu denken, und es besteht keinerlei Unrechtsbewußtsein.
Er wird sich auch gegen ein Einreden eines Unrechtes wehren, wird es gar nicht
verstehen. Die frühere Prägung hat gegenüber dem späteren Umfeld Übergewicht.
Er würde also gegen sich selbst handeln, wenn er mit dem Unrecht konfrontiert
wird, und versucht wird, ihm ein schlechtes Gewissen einzureden.
Kürzlich standen 2 ausländische Jugendliche wegen wiederholten Straftaten vor
Gericht. Sie bekamen immer wieder infolge des Jugendstrafrechts und, um ihnen
die Chance zu geben, sich zu bessern, auf Bewährung ihre Freiheit zurück und
taten wieder dasselbe. Sie verlachten die Bemühungen und die Hilflosigkeit der
Gerichte. Wahrscheinlich lebten sie in einer völlig anderen Welt, in der diese
Straftaten allgemein üblich waren. Wenn die Richter als Vertreter unseres
Rechtssystems ausgelacht und gekränkt waren, würden sie sie nicht an diesen
Umstand denken. Es würde ihnen an Einfühlungsvermögen in andere Welten fehlen.
Delinquente Jugendliche haben auch ein Recht auf Einfühlung und Verständnis.
Man sollte nicht Verständnis mit Gutheißen oder Akzeptanz verwechseln, was
jedoch häufig geschieht.
Wenn junge Türken ihre Schwester umbringen, weil sie sich nicht an die Normen
ihrer Familie halten, sog. Ehrenmord, zeigt das, dass in dieser Kultur die
Norm vor dem Leben steht. Das Leben im Angesicht ihrer Gemeinde, der gute Ruf,
das haben sie so seit der frühen Kindheit verinnerlicht, und wenn sie auch
noch so sehr unter dem Verlust ihrer Schwester leiden. Aber vielleicht haben
sie seit der frühen Kindheit unter der Benachteiligung gelitten und sowieso
Mordgelüste, zumal ihre Schwester sich die Freiheit heraus nahm, während sie
selbst unter dem Joch des guten Rufes litten. Dann leiden sie noch durch den
von ihnen selbst herbei geführten Tod der Schwester und unter der Verfolgung
der Gerichte, also ein mehrfaches Leid.
Ähnlich verhält es sich bei dem Vodootod in fremden Kulturen, in dem der
Selbstmord Verübende sein Leben im Angesicht des Umfeldes verwirkt sieht. Das
Ansehen im Umfeld ist wichtiger als das eigene Leben.
Politiker, die an sich dem Gemeinwohl verpflichtet sind, denken bisweilen auch
nur an sich, an ihre Macht und Karriere. Sie denken und handeln oft im Sinne
einer Doppelmoral, nach außen nach den meisten Wählerstimmen, auf die sie auch
noch Einfluss zu nehmen versuchen, und nach innen nach sich selbst. Das zeigt
sich, wenn sie sich von Lobbyisten beeinflussen lassen, mit denen unter der
Hand oft sie zusammen arbeiten. Auch sie haben dies in der Kindheit
verinnerlicht. An sich selbst zu denken und mit anderen zusammen arbeiten, ist
an sich kein Verbrechen. Sie haben nur an den ursprünglichen Auftrag nicht
gedacht. Aber soweit zu schauen, das kann man wirklich nicht von einem
Politiker verlangen – oder doch? Zumindest zum Zeitpunkt des Handelns hat er
seinen Auftrag vergessen.
Terroristen oder sogar Selbstmordattentäter sind eine eigene Spezies von
Mensch. Es wird von Selbstmordattentätern erzählt, dass ihnen 77 Jungfrauen im
Jenseits versprochen werden, die keine Periode und keine Migräne hätten. Die
Periode und Migräne scheinen bei den Moslems ein besonderes Problem zu sein,
aber nicht nur dort – zur Verhinderung einer als sexuellen Missbrauch
empfundenen Sexualität. Ihr Geist scheint aufgrund früherer und späterer
Einflüsse so umnebelt zu sein, dass sie sich körperlich aufopfern. In ihrem
Umfeld werden sie als Märtyrer gefeiert. Ihr Geist und der des Umfeldes sind
regelrecht verhext. Eine besondere Spezies sind sie deswegen, weil alle
anderen noch die Hoffnung haben, je nach Perfektion des Verbrechens nicht
entlarvt zu werden, während sie im Jenseits die Belohnung finden.
Menschen, die Kriege auslösen, Kriegstreiber, haben sowieso die Wahrheit
gepachtet, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt, auch mit einem
Angriffskrieg. Sie haben in ihrer Kindheit ein hohes Maß an Ängsten
verinnerlicht. Je mehr sie Ängste haben, desto mehr greifen sie an, umso mehr
sehen sie sich im Recht und die anderen im Unrecht. Sie haben einen Geist, der
nach aufspaltenden Kriterien entweder – oder und nicht nach Sowohl- als- auch-
Kriterien beurteilt. Wahrscheinlich wurden sie von ihren Müttern immer in der
Rechthaberei unterstützt, dadurch verführt oder mußten sich als verlängerter
Arm der Mutter gegenüber einem Vater behaupten.
Auch Menschen, die ihre Aggressionen unterdrücken und stattdessen unter
Verspannungen und Schmerzen leiden, haben dies in der Kindheit erlernt.
Beispielsweise ein burnout, der sich seinem Leistungswillen aufopfert, wurde
in der Kindheit dazu verführt, seinen Willen allem anderen unterzuordnen und
dann ausgebrannt zu sein. Ambivalent steckt ein Selbstbehauptungswillen
dahinter gegenüber aller Vernunft.
Eine Ambivalenz, einerseits die auslösende Konfliktlage zu vertuschen,
andererseits durch die Symptomatik zu offenbaren, kommt bei allen Krankheiten
zum Tragen, im Unterbewusstsein nach bestem Wissen und Gewissen. Ich hatte mal
eine Patientin, die 12 Jahre (von 12 bis 24 Jahren) unter einer schweren
Anorexie (Magersucht) litt mit einem Durchschnittsgewicht von 28 kg. Ich
konnte es kaum glauben. Aber sie versicherte mir es. Sie hatte sich in der
Kindheit zwischen den Eltern auf den Knien flehend befunden. Sie landete in
Psychiatrien und mit 25 kg zur künstlichen Ernährung in Hamburg-Eppendorf. Als
sie jammerte, sie sei dort so einsam gewesen, sie sei nicht mal von den Eltern
besucht worden, antwortete ich „es gäbe doch sicher den einen oder anderen
Pfleger oder Schwester, die sie ins Vertrauen hätte ziehen können“. Sie
antwortete in einem hellen Moment „wie kann man auf einer Station Vertrauen
haben, wo 12 Magersüchtige Eltern und Personal rein zu legen versuchen!“ Die
12 Magersüchtigen hatten sich zum Suizid entschlossen, damit insgeheim
rechnend, vom Personal doch noch gerettet zu werden. Als sie aus dem
Elternhaus ausgezogen war, war die Anorexie nicht mehr nötig.
AfD und PEGIDA schüren Urängste, unter denen sie selbst leiden, Fremdenangst,
und natürlich kann man den nicht lieben, vor dem man Angst hat, und Fremdenhaß.
Das Fremde kam in sie in der frühen Kindheit hinein z.B. durch die
Erziehungsdevise „der Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen“, das sie
sich zu eigen machten und daraufhin gegen jegliche Vernunft vor den Fremden
Angst haben. Sie haben die Vorurteile zu Urteilen gemacht. Aber sie können
nichts für ihre Kindheit. Manche kann man überzeugen und Gelegenheit zur
Nachreifung geben.
Der Anthropologe und Evolutionsbiologe Volker Sommer vertritt in seinem
neuesten Buch „Lob der Lüge“ die These, dass an der Schwelle vom
Lügengenerator und Lügendetektor sogar das menschliche Gehirn reife und
intelligenter werde. Es setzt ein gerütteltes Maß an Taktik und Empathie
voraus, das die Sinne schärft, mich in den anderen hinein zu versetzen, den
anderen so zu erfassen, damit ich ihn belügen kann und den Betrug zu
vertuschen. Es würden sogar zum Zwecke der Verhinderung des Betrugs viele
Arbeitsplätze geschaffen, ähnlich wie eine regelrechte Gefängnisindustrie und
ein Gerichtswesen entstanden sind. Auch durch Selbsttäuschung und
Selbstbelügung, ein Lügengebäude, kann man sich selbst behelfen, dass man ein
durch und durch guter Mensch sei, wenn man glaubt, dass man es nicht ist.
Ich bin der Meinung, der Mensch hat ein Selbstbestimmungsrecht. Im Rahmen
dieses Rechts habe ich auch das Recht, etwas anderes zu sagen, als was ich
selbst für die Wahrheit halte. Da ist es eine Unverschämtheit, mich des Lügens
zu bezichtigen. Andererseits heißt ein Spruch „wer einmal lügt, dem glaubt man
nicht, und wenn er noch so oft die Wahrheit spricht“. Durch diese
Selbststigmatisierung tue ich mir keinen Gefallen.
In der Kindheit spielen sich oft Tragödien um die Lüge im Wechselspiel
zwischen Erwachsenen und Kind ab. Einerseits sehen die Erwachsenen dem Kind
die Lüge an, andererseits bemüht sich das Kind zu vertuschen, um nicht ertappt
zu werden. Dadurch wird das Kind regelrecht verführt. Dann mag es einem
späteren Erwachsenen als Erfolg vorkommen, die anderen herein gelegt zu haben.
Auch weiß man nicht, wen das Kind mit der Lüge schützt, jemanden aus dem
Umfeld. Dann mag sogar eine Notlüge sinnvoll sein, und das Kind eine gute Tat
getan haben.
Manche Zeitgenossen ziehen scheinbar alles Unglück der Welt auf sich, wie
Depressive, die sich an allem schuldig fühlen und das Leid der Welt an sich
ziehen. Man kann es auch so sehen, sie fühlen sich empathisch in die Welt ein.
Sie reagieren sozusagen weiblich, als Folge der verinnerlichten Grenzziehung,
und der Grenzöffnung für alle Welt. Männlich ist im patriarchalischen System,
an sich selbst zu denken und den eigenen Vorteil zu beanspruchen. Aber in dies
patriarchalische System werden sie hinein geboren.
Jeder Mensch hat das Recht geachtet zu werden. Das ist ein Menschenrecht, auch
bei Kriminellen, Kriegstreibern und Völkern. Wird der Mensch geachtet, wenn er
Schuld auf sich geladen hat und moralisch vom Staat bestraft wird? Da kehrt
sich hinsichtlich der Achtung die Fürsorgepflicht des Staates ins Gegenteil
um. Der Staat und seine Bürger beachten nicht elementare Menschenrechte. Aus
Gründen des Strafbedürfnisses des Staates wird der Delinquente daraufhin noch
zusätzlich bestraft. So als wenn er durch die Urteile der Leute und deren
Verurteilungen nicht schon genügend bestraft wäre.
Wie gesagt zum Zeitpunkt der Entscheidung, eine Untat zu begehen, handelt der
Mensch immer richtig. Hinterher – hat er sich möglicherweise von anderen
überzeugen lassen und bereut die Verbrechen, macht Wiedergutmachung, oder er
begeht sie erst gar nicht – aus Angst vor Strafe. Wenn diese Angst vor der
Strafe aber gar nicht im Weltbild drin ist, oder sogar Reue als Schwäche
ausgelegt wird, und Schwäche das Schlimmste ist, was einem passieren kann,
dann kann er nicht bereuen. Vom Staat wird er aber gezwungen zur Strafe gegen
sein eigenes Verständnis.
Die Angst vor Schwäche oder dem Schwächezeigen ist sehr weit verbreitet. Da
verüben manche eher Straftaten, um nicht feige und damit schwach zu wirken. So
hat jeder seine individuellen Hintergründe, die ihn je nachdem staatskonform
oder delinquent erscheinen lassen, ehrlich oder unehrlich handeln lassen.
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Volker Sommer. Lob der Lüge. Wie in der Evolution der Zweck die Mittel
heiligt. Hirzel, ISBN 978-3-7776-2537-9
Von: Dr. Bernd
Holstiege