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11. März 16 , 18:21
Der Gefühlsklumpenantikörper - Ein aggressives und autoaggressives
Konglomerat
Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch, Leib & Seele
CC0 Public Domain, Quelle: Pixabay 2016-03-11
Im Einzelnen setzt sich der Gefühlsklumpenantikörper zusammen: 1. Die Gefühle
der Eltern, besonders der Mutter, gehen sozusagen übergangslos in das
Kleinkind über. Es fühlt sich empathisch in die Eltern ein und hat
gleichzeitig ihre Gefühle. 2. Laufen diese Gefühle seinem Bedürfnissen nach
Wärme, Geborgenheit und Sicherheit zuwider, entstehen im Kleinkind aggressive
Gefühle, eine Art Trotz oder Gegenwillen, die den Antikörper beinhalten und
3., da die Eltern sich in ihm befinden, das ursprünglich Fremde ist gar zu
vertraut, es sich mit ihnen identifiziert, sich zu eigen macht, wenden sich
diese aggressiven Gefühle gegen das eigene Selbst, werden zu Autoaggressionen,
und zwar auch auf der körperlichen Ebene, auf dem Boden des Embodiements, der
frühen Phase der menschlichen Entwicklung, wo Gefühle, Emotionen und Körper
eins sind, den Körper mit erfaßt. Das ist einfach so, in späteren Lebensphasen
spielt es mit hinein, und kein Mensch kann sich davon frei machen.
Auch die negativen Gefühle, beispielsweise die Ängste der Eltern gehen in das
Kind übergangslos über, so daß sein Sicherheitsgefühl bedroht ist, und dann
muß es gleichzeitig vor den Ängsten der Eltern Angst haben und vor sich
selbst, seinen eigenen Identifikationen. Gleichzeitig entsteht in ihm Wut
gegen diese Vereinnahmung, Übergrifflichkeit, dass die Eltern vom Kind Besitz
ergreifen, die es fürchten muß. Ähnliches verläuft mit Scham und Peinlichkeit,
die die Eltern im Kind vor sich selbst und vor der Umwelt erzeugen. Bei der
Peinlichkeit wird es besonders deutlich, wie sehr das Kind den Eltern glaubt,
dass ihm seine Existenz überhaupt und dies oder jenes Verhalten vor der Umwelt
peinlich ist. Bei Schuldgefühlen ist die Sache verzwickter. Zum einen
übernimmt das Kind die Schuld der Eltern, dann ist sie in ihm, und es ist
selbst an den Schuldgefühlen schuld. Bei der Schuld bewahrheitet sich also
transgenerationell die Erbsünde der Schöpfungsgeschichte, und dafür sollte
sich der Gläubige eigentlich schämen.
Die Scham ist ein universelles, zugrunde liegendes Gefühl. Je intensiver die
negativen Gefühle der Eltern und des Kindes sind, umso mehr muß das Kind ein
Souveranitäts- oder Größenbild dagegen setzen, über allem erhaben,
unangreifbar, unversehrt zu sein. Dann hat es gegenüber diesem Größenbild
Scham und Selbstverachtung bei jeglicher Schwäche oder Fehlern. Aber auch die
Größenbilder der Eltern sind in es übergegangen. Dann ist es an jeglicher
Schwäche selbst schuld.
Die natürliche Ambivalenz der Eltern gegenüber einem Kind, denn ein Kind
bedeutet nicht nur Freude oder Stolz, sondern auch Verlust der Freiheit und
eine Belastung für die Eltern, erzeugt in den Eltern Aggressionen, eine
Abneigung gegenüber dem Kind, beispielsweise vor der Körperlichkeit, dem Kot
und Urin des Kindes, und das Kind mag nicht oder haßt sogar in Identifikation
mit den Eltern selbst seine Körperausscheidungen und seinen Körper. Infolge
des Gute-Mutterbildes oder -anspruchs, ein Gegenbild, das in der Kultur weit
verbreitet ist, kann die Mutter nicht zu ihren Aggressionen stehen und sie
akzeptieren. Unterdrückte Aggressionen sind umso heftiger. Das Kind übernimmt
sie, und sie werden zu Autoaggressionen.
Der christliche Satz „die Wege des Herrn (Gottes) sind unergründlich,
unerforschbar“ stellt eine Metaphorik, Parabel der Eltern-Kind-Beziehung dar.
Das kleine Kind kann die Hintergründe des Handelns der Eltern nicht erkennen,
bekommt sie aber voll ab und wehrt sich in irgendeiner Form dagegen. Sie sind
den Eltern selbst nicht oder nur partiell klar. Teilweise besteht sogar das
Verbot des Merkens.
Auf der Ebene des eigenen Selbst, der Seele und des Körpers, rufen die
Antikörper eine überschießende Reaktion, eine Allergiereaktion oder eine
Immunreaktion, die sich gegen den eigenen Körper und gegen die Körperzellen
wendet, so dass sich eigentlich harmlose Pollen zu einem Heuschnupfen oder
Asthma, an dem der Kranke fast ersticken kann, entwickeln. Die ursprünglich
seelische Reaktion ist also eine körperliche Reaktion. Aber auch die Seele
leidet unter dem Körper, und je heftiger, desto mehr ein Größenbild besteht.
Auf der Ebene der Zwischenmenschlichkeit, der Intersubjektivität, merkt der
Patient nicht, dass er als Folge der Verinnerlichungen die Gefühle selbst
hervorruft, daß sie ein Teil seines Selbst sind. Er nimmt sie entsprechend der
Genese als fremd wahr, das ursprüngliche Opfer aufgrund der Prägungen und
Verinnerlichungen der Täter ist, die Wut statt nach außen nach innen geht, er
implodiert statt zu explodieren, er sozusagen daran erstickt. Er quält mit
Verspannungen, Schmerzen und auf der seelischen Ebene mit Depressionen und
Ängsten sich selbst. Er ortet sie als von außen kommend. Ansonsten hätte er
kein Ziel und litte unter Schuld- und Schamgefühlen. Und somit wird das
subjektiv Innere als das objektiv Äußere wahrgenommen, und dann hat er das
Gefühl, und das ist die inneren Realität, er müsse gegen äußere, fremde Mächte
ankämpfen.
Nach einer traumatisierenden Kindheit erkläre ich mir somit Fremdenangst- und
Fremdenhaß. Der oder das Fremde ist sozusagen in mir und, um nicht am
Selbsthaß zugrunde zu gehen, wird die Angst, Wut und der Haß nach außen
abgespalten und projiziert. Bei einer prägenden Erziehung in unserer Kultur
„der Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen“ ist die Fremdenangst und
–haß immer latent vorhanden und bedarf nur einiger Auslöser. Ich weiß von mir
selbst, das, was in der Kindheit mit aller Macht an mir bekämpft wurde, taucht
in den eigenen Kindern als unerträgliche Spannung, Wut und Haß wieder auf, und
es besteht die Neigung, es dort wieder zu bekämpfen. Die Tragik ist, dass es
dadurch hervorgerufen wird, da das Kind in einer Trotzreaktion mit dem wehren
muß, gegen das angekämpft wurde. Die Trotzreaktion kann nur durch ein
vollkommenes Niederknüppeln, Brechen des Kindes unterdrückt werden. Aber auch
dann gibt es noch Wege, sich dagegen zu wehren, und wenn es der Selbstmord
etwa bei der Anorexia nervosa ist.
Wenn die Eltern das Kind entwertet haben „du bist nichts und du kannst
nichts“, gerät das Kind in einen Zwiespalt, wem es glauben soll, im
Zweifelfall immer den Eltern, dann kommt es sich vor beispielsweise wie ein
Mogler oder ein Hochstapler. Wenn es etwa das Abitur schafft, glaubt es, es
hat sich irgendwie durchgemogelt, jedenfalls nicht den Anforderungen genügt,
bei Anforderungen, die nicht höher waren, und es hat völlig normal das Abitur
gepackt.
Und dann sucht der Traumatisierte noch eine innere, verborgene Absicht, um
nicht den Zufällen ausgeliefert zu sein. Dadurch verfällt er leicht den
Verschwörungstheorien. Er ist lieber Opfer von geheimen Plänen als das Opfer
von Zufällen, den Zufall seiner Geburt und den aufgrund ihrer Prägungen
jeweiligen Befindlichkeiten der Eltern. Dann hat er ein Thema, gegen das er
sich wehren kann, und ist nicht seinem Gefühlsknäuel ausgeliefert.
In der frühen Kindheit können die Gefühle selbstverständlich nicht
unterschieden bzw. differenziert werden, von wem sie ursprünglich kommen, also
von den Eltern oder mir selbst. Das Kind glaubt den Eltern alles, sie haben
die Definitionshoheit, und nicht sich selbst. Bei sich selbst bleibt ein
vages, undifferenziertes Gefühl übrig. Dann kann man von einem Gefühlsklumpen
sprechen und durch die autoaggressiven Gefühle von Antikörpern. Damit ist die
körperliche Ebene mit erfasst. Nicht nur die typischen
Autoaggressionskrankheiten wie Sklerodermie, Lupus Erythematodes, chronisches
Rheuma, Magen- oder Darmgeschwür, Asthma, sondern Krankheiten über die gesamte
Krankheitspalette, wofür eine Krankheitsanfälligkeit besteht, treten nach
einer traumatischen Kindheit vermehrt auf.
Falls dieser Gefühlsklumpen nicht allzu verhärtet ist, also die Kindheit nicht
allzu traumatisch ist, kann man als Erwachsener diese Differenzierung
nachholen und lernen. Dazu gehört als 1. Schritt, mich selbst zu akzeptieren,
anzuerkennen oder Wert zu schätzen, auch wenn ich noch zu sehr zu
Schuldgefühlen neige. Ich habe meine Gründe, bewußt und unbewusst, nach denen
ich handele. Dann kann ich die Eltern betrachten und sie auf ihre Hintergründe
hin abklopfen, warum sie das tun oder sagen. Aber das ist schon tabuisiert.
Ich verweise nur auf das Buch von Alice Miller „Du sollst nicht merken“. Auf
jeden Fall waren die Eltern selbst Kinder und haben ihre Motive.
Von: Dr. Bernd
Holstiege