Erfahrungsbericht mit der Honda CBF 600

Auf zwei Rädern durch’s Departement Ardèche und Korsika


Für einen, dem im fortgeschrittenen Alter eine 125er Chopper (für Motorradlaien; der Motorradtyp mit dem breiten, hohen Lenker, den vorverlegten Fußrasten und gestreckten Beinen, der niedrigen Sitzposition, dem fehlenden oder spartanischen Soziussitz und den seitlichen Lederpacktaschen, Schnürhosen und möglichst viel Fransen und Emblemen – neben Motorradfahren ein Kult. Der höchste Kult ist eine Harley Davidson mit seinem unnachahmlichen blubbernden Sound) zum beschaulichen Cruisen meist vollkommen ausreicht, könnte es eine interessante Erfahrung sein, mal eine schnelle Straßenmaschine unter sich zu fühlen und den Rausch der Geschwindigkeit und der Kurven zu erleben. Da kam mir das Testangebot von Honda an die Redaktion des Weltexpress` und das gleichzeitige Angebot an die Redaktion zu  einer Motorradpressereise an die Ardèche (unter dem Motto „Wein und Maronen“) und nach Korsika durch Jochen Ehlers von Endurofantours und den beiden Fremdenverkehrverbänden gerade recht, beides miteinander zu verbinden.

Als ich die Honda in Offenbach abholte, bot sich mir eine schmucke, halbverkleidete Straßenmaschine in Grau-Anthrazit mit vier breit nebeneinander liegenden Zylindern, vier gewaltigen Auspuffkrümmern, die in einem Rohr münden, mit ABS und G-Kat nach dem aktuellem Stand der Technik. Diese Honda ist mit 78 PS und Höchstgeschwindigkeit 213 eingetragen - für mich mehr als genug. Als Tourenpaket waren zwei Halbschalenseitenkoffer (je 29 Liter) und ein Topcase (35 Liter) angebracht. Ich setzte mich erwartungsvoll auf die Maschine, im rechten Oberschenkel bekam ich fast einen Krampf. Sie sprang sofort an und mit seidenweich surrenden Zylindern, die mit einem satten Sound beim Gasgeben aufheulten, bewegte ich mich erst einmal vorsichtig heimwärts, ein ganz anderes Gefühl als meine, mir jetzt grob erscheinenden Ein- und Zweizylinder-Chopper. Die Schaltung funktioniert hondatypisch leichtgängig und exakt, ebenfalls die Bremsen. Die Dämpfung und Federung sind auch überraschend komfortabel, aber gleichzeitig stabil. Zuhause probierte ich aus, was so alles in die Koffer, und das Topcase hineinpasst. Die Koffer sind für einen Helm zu schmal, dafür aerodynamischer, und in das Topcase passt ein Helm und einiges mehr. Zum Auftakt fuhr ich gleich von Frankfurt aus zu meinem Freund Kurti nach Bad Kreuznach, alles Autobahn, aber mit Geschwindigkeitsbeschränkung, so daß ich die 140 nicht überschritt. Der Wind brauste im Helm, ansonsten fühlte ich mich gut geschützt. Kurti war auch sehr interessiert und angetan, fährt selbst eine 800er Straßenmaschine ohne Verkleidung.

Als ich Jochen Ehlers anschrieb, ob er mir die Telefonnummern anderer Teilnehmer angeben könnte, damit ich eine gemeinsame Hinfahrt an die Ardèche organisieren könnte, bot er mir an, mich mitsamt Motorrad in seinem VITO mitzunehmen. Er kam aus Schleswig-Holstein, hatte schon eine Testmaschine eingeladen, und wir luden meine dazu. Um die Honda durch die Ladeluke einladen zu können, mussten wie das Windschild und die Spiegel abmontieren. Der Gepäckträger ragte etwas hinaus, aber die Klappe ging wider Erwarten trotzdem zu. Wir fuhren am nächsten Tag in einem Rutsch an die Ardèche.

Am nächsten Tag, einen Tag vor dem offiziellen Programm, machten wir eine Erkundungsfahrt durch die herrliche, romantische Landschaft, hoch hinauf auf zwei Pässe in 1300m Höhe und karger Landschaft, teils über winzige Sträßchen, Kurven über Kurven und dann besuchten wir einen Landwirt, der tatsächlich mehrere Oldtimer-Motorräder sein eigen nennt. Aber der wirkliche „Oldtimer“ wurde auf einmal ich selber. Es war passiert. Das Malheur. Gerade bei solch einer rechtwinkeligen, abschüssigen Einbiegung eines der kleinen Sträßchen noch am ersten Tag kippte ich plötzlich mit der Maschine um, sofort lief Benzin aus und der Bremshebel war halb abgebrochen. Ein freundlicher Postfahrer half mir sofort, die Maschine aufzuheben, aber das Motorrad sprang nicht mehr an. Erst als wir die Zündung komplett ausschalteten, konnte ich erneut starten. Überraschend wenig geschockt fuhren ich, bzw. wir weiter. Der halbe Bremshebel funktionierte Gott sei Dank einwandfrei.

In den drei bis vier Tagen Rundtour mit Übernachtung in wechselnden Hotels und einem abwechslungsreichen Programm mit Weinproben, Museumsbesuchen und –führungen, reichlichem Essen - „Wie Gott in Frankreich“- und Weintrinken, den wir natürlich nur abends voll auskosten konnten, besuchten wir die Höhle von Orgnac, ließen uns von der wildromantischen Landschaft beeindrucken, was wir in weiteren Artikeln beschrieben, verluden wir nach viel zu kurzer Zeit die Fahrzeuge wieder in den VITO, um die Fähre Nizza-Korsika zu erreichen und hinüberzusetzen. Einmal tauschten Jochen und ich probeweise die Maschinen. Für mich ließ sich seine Soft-Enduro mit dem höheren Sitz, steilerem Lenkkopf und breiteren Lenker leichter durch die Kurven fahren. Inzwischen hatte ich mich längst an meine Honda gewöhnt, spürte keinen Krampf mehr oder kaum die befürchteten Kniebeschwerden.

Auf Korsika erwarteten uns noch mehr Kurven, ebenfalls eine herrliche, aber anders geartete Landschaft, mal gute, mal schlechte Straßen. Jetzt waren wir eine etwas größere Gruppe, absolvierten in drei Tagen wieder ein Programm. In den Kurven konnte ich den anderen nicht folgen, versuchte es auch gar nicht erst. Die Gruppe musste immer wieder einen Moment auf mich warten, aber auf den seltenen Geraden konnte ich locker aufschließen. Da ich vom Choppern niedere Touren gewohnt bin, kam ich meist aus den Kurven mit 2000 Umdrehungen heraus. Dabei beschleunigte die Honda zwar schon gleichmäßig, aber erst ab vier- bis fünftausend Touren ging es richtig los. Ein mit Motorrädern besonders erfahrener Mitfahrer meinte, einen kräftigen Schub würde es noch mal ab 7000 Touren geben. Aber im kleinen Gang mit hohen Touren zu fahren, um möglichst schnell die Kurven zu durchfahren, ist nicht so meine Sache.

Auf der Rückfahrt mit dem VITO ließ ich diesen und unseren Führer Jochen in Filderstadt bei Stuttgart und stieg bei regnerischem Wetter dick eingepackt wieder auf meine Honda um. Auf der dreispurigen Autobahn bei Heilbronn mit Geschwindigkeitsbegrenzung 120 km/h erlebte ich keinen Autofahrer, der schneller als 140 fuhr. Bei Darmstadt entledigte ich mich meiner Regenklamotten, um mal aufzudrehen, und klemmte mich hinter schnell fahrende Luxuslimousinen, von denen es auf der kurzen Strecke einige gab. Schnell erreichte ich über 200 km/h, aber versuchte es nur kurz, da mir der Wind zu böig war. 160 bis 180 km/h gingen aber ganz gut. Man kann sich an diese Geschwindigkeit gewöhnen. Aber trotzdem halte ich die Geschwindigkeitsbeschränkung für besser, um nicht der Raserei Vorschub zu leisten.

Fazit: Die Honda ist in meinen Augen eine schmucke, alltagstaugliche, auch für Touren geeignete (vor allem mit dem Tourenpaket) Straßenmaschine - wohl nichts besonders Aufregendes für PS- und Hubraumfetischisten, die allerdings sehr zur Freude der Hersteller in der Motorradwelt weit verbreitet sind - , die sich auch gemütlich, niedertourig und angenehm fahren lässt und mit der man auch mal zu niedrigen Kosten schnell fahren kann. Das Zündschloß ist etwas hakelig, und die Maschine ist etwas mühsam auf den Hauptständer zu heben. Der Wendekreis ist mit 2,8 m erfreulich gering. Der Benzinverbrauch, worauf ich Wert lege, hielt sich mit etwa 4,5 Litern auf allen Strecken in Grenzen. Bei meinem Verbrauch dürfte die Reichweite des Tanks bei gut 400 km liegen, wobei die Tankanzeige bei 15 l Nachtanken schon länger im roten Bereich war. Sie, beziehungsweise der Fahrer, fühlen sich aufgrund der leichten Handhabung und des guten Geradeauslaufes auf der Geraden oder in lang geschwungenen Kurven am wohlsten. Für Kurvenfreaks und auf engen, kurvigen Strecken erscheint mir eine Halb-Enduro geeigneter, auch wegen der besseren Beschleunigung im niederen Drehzahlbereich. Aber dann fehlt der typische Vierzylinder-Sound, wobei dieser jedoch Geschmackssache ist, und die Geschmeidigkeit eines Vierzylinders. Und das Wichtigste für Stammtische, diese Honda soll von null auf hundert in 4,2 Sekunden beschleunigen, was ich jedoch nicht ausprobiert habe.

Daten:
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertaktreihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, Bohrung x Hub 67 x 42,5 mm / Hubraum 599 ccm, Verdichtung 11,6 : 1, Leistung 57 kW / 78 PS bei 10 500 U/min, kostenlose Drosselung auf 34 PS möglich, Maximales Drehmoment 59 Nm bei 8 250 U/min, PGMFI Einspritzung, Euro 3, G-Kat, 6 Gänge, Stahlrohrrahmen, Sitzhöhe 785 mm + - 15, Variositzbank, Tankinhalt 20 Liter, Federweg vorn/hinten 120 mm / 125 mm
Reifen vorne 120/70-17, hinten 160/60-17,
Bremsen vorne 296-mm-Doppelscheibenbremse mit Doppelkolbenbremszangen, Bremsen hinten 240-mm-Einscheibenbremse mit Einkolbenbremszange, Gewicht fahrfertig 222 kg, zulässiges Gesamtgewicht 417 kg, Höchstgeschwindigkeit 213 km/h,
Listenpreis: EUR 6.440,00, Aufpreis für Verkleidung 300,00, Aufpreis für ABS inkl. Hauptständer 600,00, Ausstattungspaket 'Travel 633,00
Honda Motor Europe (North) GmbH  Sprendlinger Landstr. 166
63069 Offenbach am Main   Tel. 069 - 8309-0 Fax: 069 - 832020
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Autor: Bernd Holstiege
E-Mail: bernd.holstiege@weltexpress.info
Abfassungsdatum: 20.11. 2008
Foto: © Bernd Holstiege
Verwertung: Weltexpress
Quelle: www.weltexpress.info
Update: Berlin, 21.11. 2008