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30. Januar 16 , 12:32
Das Hohe Lied auf das Matriarchat - Das mütterliche Prinzip ist besser für
die Welt
Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch
Angela Merkel (Archivbild). © dapd
Der jüngster Film "wo die freien Frauen wohnen" beschäftigt sie sich mit einem
Matriarchat in China, den Mosuo. Die Frauen sind dort frei, wie nirgendwo
sonst auf der Welt, auch freier als in unserer Gesellschaft, wo wir uns
männlichen Werten unterordnen. Die Frauen leben in Harmonie, sind wohlwollend
zueinander, es gibt keine starke Aggressionen und Egozentrik. Insofern ist
dies von allen Gesellschaftsformen, die sie kennen gelernt hat, für Frauen und
auch für Männer der schönste Ort. Ein Clan lebt auf dem Hof, mit Mutter und
Großmutter als Oberhaupt. Nach ihrem Tod geht die Großmutter in die Reihe der
Ahnen ein, die verehrt werden und Schutz gewähren. Die Babys werden von allen
gehalten und sind damit umfassend umsorgt. Als Kinder kümmern sich von von
klein auf um andere. Sie lernen das von den Alten, es gibt kein Trotzalter und
keine Pubertätskrisen. Sie können sich frei entfalten, es wird kein Wissen in
sie hineingestopft. In dieser Fülle wachsen anders konditionierte Menschen
heran. Sie sind nicht neidisch, handeln aus Liebe. Weil sie satt sind, müssen
sie andere nicht beurteilen oder belehren. Privatbesitz hat keine Bedeutung
und kein Prestige, er wird auch oft weitergegeben.
Die Söhne bleiben bei der Mutter und übernehmen die harten Aufgaben,
beispielsweise Handel, anstrengende körperliche Arbeiten, auch das Schlachten
von Tieren. Frauen erledigen die Hausarbeit und bestellen die Felder. Die
Frauen sind körperlich sehr fit. Die Arbeit ist nicht schwer, weil sie
gemeinsam und selbstbestimmt erledigt wird. Entscheidungen werden im Konsens
getroffen. Das Leben ist nicht aufgespalten in Arbeit, Freizeit und
Sozialkontakte wie bei uns. Man sieht sie singend bei der Feldarbeit, es wird
nie eine Schuldige angeprangert, wenn etwas schief geht. Bei uns lasten oft
alle Aufgaben auf einer einzigen Frau. Das ist ein enormer Druck. Die Mosuo
sind ziemlich autark und gut beschützt vor äußeren Einflüssen. Sie leben vom
Fischfang und haben fruchtbares Land. Es gibt zwar Handys und Fernseher, aber
es herrscht eine vorindustrielle Wirtschaftsweise.
Auf die Frage, wie sieht es mit der romantischen Liebe aus, antwortet sie, die
stärkste Bindung, die lebenslang hält, besteht zur Familie. Damit haben sie
eine Zweierbeziehung nicht so nötig. Menschen verlieben sich schon, leben aber
nicht zusammen. Die Frau lässt sich auf einen Mann ein, er bleibt über Nacht
und kehrt am nächsten Tag zum Hof seiner Mutter zurück. Solche Beziehungen
wechseln häufiger, können eine Nacht, ein paar Wochen oder Jahre dauern, aber
sie sind nicht wichtig. Sex muss nicht als Ersatz für Zärtlichkeit und
Berührung herhalten, denn sie haben die Frauen in ihrem Familienverband immer.
Es gibt keine Liebesdramen, da das Glück ja nicht von einem einzigen Menschen
abhängt. Wenn sich eine Frau allzu sehr nach einem Mann sehnt oder traurig
ist, weil er nicht mehr kommt, wird sie von der Familie aufgefangen. Es gibt
keine Eifersucht. Bei uns basiert die Familie auf der erotischen
Paarbeziehung. Bei den Mosuo passiert Sexualität außerhalb der Familie,
deswegen kommt auch kein Missbrauch vor. Kinder kennen nur den Mutterbruder,
der sich um sie kümmert. Der Mann als Liebhaber zeugt zwar das Kind, aber er
hat keine unmittelbare Bindung zu ihm und keinen Erzeugerstolz. Musuo-Frauen
sind sehr wählerisch und finden nicht die dominanten, abenteuerlustigen Typen
attraktiv, sondern Männer, die charmant sind, sie unterstützen, gut aussehen
und gute Sänger und Tänzer sind. Männer müssen ja ihre Kräfte messen, das
machen sie auf spielerische Art, zum Beispiel bei Bootswettkämpfen. Auch wenn
sie provoziert werden, reagieren sie nur verbal schlagfertig, sie haben es
nicht nötig, einen Kampf anzufangen.
Sie denkt, dass in alter Uhrzeit die Gesellschaften matriarchalisch
organisiert waren. Die Dominanz der Männer ist nicht entwicklungsgeschichtlich
angelegt. Es gebe die These von einer Naturkatastrophe, die ein großen
Ressourcenmangel verursachte. Um zu überleben, haben sich Horden gebildet, die
friedliche Stämme überfallen und beraubt haben. So hat sich das auf Gewalt
basierende Prinzip durchgesetzt. Heute ist der Mangel vorprogrammiert, zum
einen materiell, weil einige wenige alles haben, zum andern emotional, durch
die vielen Termine und den Druck, den wir erleben und auf die Kinder
übertragen. Wir geben Ihnen Konsumgüter, um sie abspeisen, statt sie zu
umfangen. Auf die Frage, es gebe auch Naturvölker, die im Einklang mit der
Natur und ohne Besitzanhäufung leben, die keine Matriachate sind, hängt diese
ganzheitliche Lebensweise nicht stärker von den Produktionsbedingungen ab als
von den Geschlechterverhältnissen? antwortet sie, nein, in patriarchalen
Strukturen herrsche immer eine gewisse Strenge und Unterdrückung, bedingt
durch die männliche Dominanz.
Sie meint, die Frauenbewegung ist noch lange nicht am Ende, sie ist weltweit
die größte soziale Bewegung überhaupt. Im Sinne des Gleichheitsfeminismus hat
sie viel erreicht. Frauen haben Zugang zu fast allen Institutionen, sie sind
präsent, dass sei schon mal gut, aber wir wollen ja die Institutionen nicht
lassen, wie sie sind, so entfremdet, unterdrückerisch und hierarchisch. Sie
müssen weiblicher werden. Beim Thema Emanzipation geht es derzeit
hauptsächlich um Chancen in Führungspositionen, Quoten und um bessere
Kinderbetreuung. Frauen müssten eigentlich mit mehr als 50 % in allen
Schlüsselpositionen sein, sie vertreten ja die Kinder. Aber wenn die
Strukturen bleiben, haben wir gar nichts gewonnen, dann wird sich nichts
ändern, die Ausbeutung der Erde wird weiter gehen. Sie sei auch nicht dafür,
dass wir den ganzen Tag die Kinder im Krippen stecken. Kinderbetreuung müsse
zuhause stattfinden, allerdings in einem Kollektiv, damit sich immer jemand
kümmern kann. Eine einzige Frau wird nie genug geben können. Auf die Frage,
eine vorindustrielle Kultur kann noch kein Modell für unsere Gesellschaft
sein? antworten sie, warum nicht, Grund und Boden gehören in Mütter Hand, das
Männliche muss zurückgehalten werden. Sie spreche von einer fehlgeleiteten
zerstörerischen Männlichkeit, die Krieg verursacht, Aggressionen, Missbrauch,
Sexismus, übertriebenen Wettbewerb mit allen negativen Folgen der
Wachstumsgesellschaft. Für die Ausgebrannten werden immer mehr Heiler
gebraucht. Frauen müssten den Männern auf die Finger schauen und sie zuhause
einsperren, wenn sie Krieg machen wollen, das habe schon Erich Kästner
vorgeschlagen. Auf die Frage, wie es sich das erkläre, im Moment führen Frauen
bei uns, eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin, Krieg in
Syrien, antwortete sie, diese haben das mütterliche Prinzip auf ihrem Weg nach
oben aufgegeben und in männlich-patriarchalen Strukturen verinnerlicht. Sie
kenne kein Matriarchat, dass jemals einen Krieg angefangen hat. Sie beschreibt
sogar ein muslimisches Matriarchat in Westsumatra in Indonesien, das durchaus
mit dem muslimischen Glauben zu vereinbaren ist.
In dem Artikel vom 25.3.2014 "Warum sind so wenig Frauen in den Chefetagen der
Wirtschaft? - Weil in den Frauen die Mütter gefürchtet werden" habe ich
geschrieben:
"Laut der Headhunterin Sylvia Tarves (Frankfurterin Rundschau am 22.3.2014)
sind Frauen eher kooperative Führungskräfte, die ein partnerschaftliches
Miteinander motiviert und die sich auf soziale Aspekte im Unternehmen
konzentrieren. Sie zeigen eine hohe persönliche Lernbereitschaft, stellen sich
und ihre Entscheidungen mehr infrage. Sie sind zumeist umsichtige Entscheider;
hinterfragen mehr als Männer. Sie können motivieren, die Stärken jedes
einzelnen Mitarbeiters fördern, die richtigen Leute an die richtigen Stellen
setzen.
Das können Frauen schon aufgrund ihrer Sozialisierung mindestens so gut wie
Männer. So beschrieben, wären Frauen die idealen Führungskräfte. Aber die
Seilschaften der Männer lassen Frauen nicht in die Führungsetagen herein,
wollen strikt unter sich bleiben. Es besteht eine gläserne, aber
undurchdringliche Decke. Meist wird als Grund angegeben, dass sie Kinder
bekommen und eine Auszeit nehmen.
Aber wenn die Frauen nicht so sind, wenn sie eher männliche Eigenschaften,
mehr Ellenbogen entwickeln und die Männer in die Pfanne hauen, dann kann das
fatale Auswirkungen haben, weit mehr als bei Männern, die das von ihren
Geschlechtsgenossen her kennen und nicht so darunter leiden, weil es nicht so
sehr ihr Selbstwertgefühl trifft. Ich habe bisher mehrere Patienten gehabt,
die sehr unter Frauen, Chefinnen, Vorgesetzten oder anderen einflussreichen
Persönlichkeiten, gelitten haben. Einer berichtete sogar, ein Mann habe unter
dem Einfluss einer Frau Selbstmord gemacht, ein anderer sei in die Psychiatrie
eingewiesen worden, und er selbst habe heftige Symptome entwickelt. Die
Empfänglichkeit für diese Frauen konnte ich regelmäßig auf den Einfluss ihrer
Mutter zurückführen."
Madeiskys Einwendungen klingen idyllisch und in unseren Ohren ungewohnt,
manche würden illusionär, weltfremd und zu radikal sagen, so sehr hat sich das
patriarchalische Weltbild über Generationen bei uns eingegraben. Aber sie hat
in vielerlei Hinsicht recht. Wir verstehen und haben es so seit der Kindheit
verinnerlicht, daß das Matriarchat eine Herrschaft der Frauen bedeutet, die
nach dem patriarchalischen Prinzip organisiert ist. Dann werden die Mütter zu
recht in den Frauen gefürchtet, und deswegen werden sie nicht in die oberen
Etagen herein gelassen. Das heißt, nur ein Gebot und Verbot gilt, und es gilt
nicht eine Allseitigkeit, zum Wohle aller. Schon in der Kindheit entstehen
dadurch Benachteiligungsgefühle, Streit um knappe Ressourcen, es gilt ja nur
eins und das ist wenig. Das hat zur Folge, dass Gewinnsucht, Ellenbogen, der
Kampf um Macht und Einfluß sich in der Kultur breit macht. Jeder ist sich
selbst der Nächste, und die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter
auseinander. Das sollen die Werte der westlichen Kultur sein?, die wir den
Flüchtlingen beibringen wollen. In der aktuellen Flüchtlingsangst und in dem
Rechtsruck der Gesellschaft kommt dies zum Ausdruck.
Mich interessiert auch das Patriarchat aus medizinischer Sicht. Ständiger
Druck führt zum Burnout, vor allem, wenn damit die Hilflosigkeit verbunden
wird, und zu anderen Krankheiten über die gesamte Krankheitspalette.
Beispielsweise führen frühkindliche Benachteiligungsgefühle zu erbitterten
Streitigkeiten, die im Erbfalle eventuell zum Schlaganfall führen. Beim
Schlaganfall ist der Kranke in einem allseitigen Verständnis immer noch für
die anderen da, indem er sich selbst mit der Krankheit bestraft. Ich habe
kürzlich einen Artikel über die Empathie, ein liebevolles Verständnis des
Kindes für das Umfeld geschrieben. Es ist allseitig für alle da, das ist
vorbildlich die menschliche Anlage, vorbildlich, da es die Allseitigkeit
dokumentiert. Aber wenn es dabei zu kurz kommt, keiner für es da ist, die
Allseitigkeit verloren geht, da nur die Mutter oder Eltern gelten, Gebote und
Verbote vorherrschen, und es keine Rechte hat, ist es mit der Liebe vorbei.
Das führt zu Krankheiten wie Depression und Schmerzen, ein Überbleibsel der
Liebe. In der menschlichen Anlage ist anscheinend die Allseitigkeit
vorgeprägt, aber im Patriarchat verloren gegangen.
Man könnte auch den Übergang vom Polytheismus zu Monotheismus so sehen, den
Übergang von der Vielgötterei zu dem Glauben an einen allmächtigen Gott. Ich
vertrete auch die These, dass es zu einem schrecklichen Unglück gekommen sein
mag, das einen solchen Ressourcenkampf zur Folge hatte, dass die Menschen
aufeinander losgingen, ein Trauma, wie es auch in den Familien passiert. Das
ist eine Parabel für die Kindheit, wenn das Kind sich nur nach einer
Bezugsperson orientieren darf und kann und nicht mehrere Bezugspersonen es
versorgen, wie Madeisky es für die matriarchalische Gesellschaft beschrieben
hat. In dieser Gesellschaftsform kann und darf es sich an mehreren Personen
orientieren, darf, da keine Neid und Eifersucht erzeugt werden.
In einer extrem patriarchalischen Gesellschaft wie dem 3. Reich herrschte ein
regelrechter Mutterkult. Das erinnert mich daran, dass im griechischen Mythos
die Erynnien, die Rachegöttinnen in Eumeniden, die Wohlgesonnen umbenannt
wurden. Kein Wunder, da in der Tradition der meistgelesenen pädagogischen
Bücher des Orthopäden Schreber Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Motto "der
Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen!" der Wille und Trotz des
Kindes gebrochen wurde, also eine furchtbare Kindheit. Das war und ist, da es
noch andauert, ein traumatisches Erlebnis. Diese Erziehung wurde von den
patriarchalisch glaubenden Müttern und den Vätern vermittelt, die im
Hintergrund völlig verwirrt waren und nach einer dringenden Leitlinie suchten.
Bei und herrscht auf der unteren Ebene in der Latenz auch ein Matriarchat.
Dafür spricht der Mutterkult der Nazis und die Umbenennung der Erynnien in
Eumeniden, aber auch das Krankheitsgeschehen. Das Patriarchat ist sozusagen
die Abwehr des Mütterlichen, solange damit negative Erfahrungen gemacht
wurden, und das hat die Kultur verinnerlicht. Auch bei uns, besonders um das
Mittelmeer herum, ist latent die wichtigste Beziehung die zur Mutter.
In der Flüchtlingskrise hoffe ich, dass Frau Merkel besonnen und standhaft
bleibt, daß sie sich nicht von den weit verbreiteten Ängsten anstecken lässt
und eine Willkommenskultur, getragen von vielen aufgeschlossenen und
mütterlichen Menschen, aufrecht erhält. Eine nach patriarchalischen Prinzipien
sich nach oben boxende Frau, die anderseits nach außen so mütterlich wirkt,
zeigt ihre mütterliche, aufnehmende Seite.
Von: Bernd Holstiege