Weltexpress
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29. August 10 , 21:15
Im Reich der Esskastanien - Serie: Eine Motorradreise durch das Département Ardèche (2/2)
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Nach Durchquerung des Païolive "Zauber"-Waldes
und Überquerung des romantischen Chassezac-Flusses mit ebenfalls hohen
Felswänden und glasklarem grünen Wasser gelangten wir nach Les Vans, unserem
nächsten Übernachtungsziel im Hotel-Restaurant Mas de l' Espaire, wo wir wie
immer vorzüglich speisten. Am nächsten Morgen besichtigten wir in der Nähe
zuerst eine Ölmühle, die gerade in neue Räume umgezogen war. Das Interessanteste
für uns Motorradfahrer war allerdings eine erstaunlich große Motorrad- und
Fahrradsammlung, eines Museums würdig, leider noch in den alten Räumen
untergebracht. Jedes Exemplar war ein Museumsstück, eine Rarität, leider
verstaubt und nicht exponiert aufgestellt.
Das Urigste war ein Fahrrad mit zwei Gängen, vorwärts trat man den kleinen Gang
und rückwärts den großen. Anschließend fuhren wir nach Banne, eines der
ausgebauten Orte mit Charme und Charakter. In dem Dorf sind noch Reste einer
alten Festungsmauer und die Ruinen eines früher imposanten Schlosses neben
antiken Häusern und Gassen zu bewundern. Auf kleinen abgelegenen Sträßchen
erreichten wir am Mittag das Restaurant La Table du Moulin in Brès nahe Payzac,
wo wir bei Celine in herrlicher Aussicht wie Gott in Frankreich speisten.
Anschließend besichtigten wir die daneben gelegene Olivenölmühle ihres Vaters,
wo wir sehen konnten, was man alles aus Oliven herstellen und dort kaufen kann.
Vorher hatten wir auf kleinen Seitenstraßen eine romantische uralte Kirche
entdeckt mit einem freistehendem Glockenturm und herrlichem weiten Ausblick. Aus
einem alten Bauernhaus traten Ostdeutsche, die ihr Domizil über TUI gebucht
hatten. Manchmal können die großen Reiseveranstalter auch Romantik pur anbieten.
Der Nachmittag gehörte dem Esskastanienmuseum in Joyeuse, dem Musee de la
Chataigneraie, durch das uns Ulla Falke, eine Deutsche, die dort seit über 30
Jahren lebt und es leitet, in für uns faszinierender Weise führte. Unterwegs
hatten wir schon viele gepflegte oder verwilderte Kastanienbäume und -plantagen
auf den Hügeln und neben den Straßen gesehen. Das Museum der Esskastanie – wir
sagen dazu auch Maronen - ist in einem alten Kloster aus dem 17. Jahrhundert
untergebracht, das mitten in der romantischen Altstadt liegt. Das Museum verfügt
über eine einmalige Sammlung von Gerätschaften verschiedener Epochen und lässt
uns die Arbeit von damals bis heute nachvollziehen, von der Pflege der Bäume im
Vorjahr, dem Sammeln der Früchte im Herbst bis zum Trocknen und Schälen im
Winter.
Das Holz der Edelkastanie, seinen Gebrauch und seine besonderen Eigenschaften
anhand zahlreicher Gegenstände und Möbelstücke lernten wir kennen , z.B. die aus
dem hohlen Baumstamm gefertigten « berles » aus dem 18. Jahrhundert. Heute
stellt die Edelkastanie einen dynamischen Wirtschaftsfaktor dar. Die Ardèche ist
ihr größter Produzent in Frankreich. Das Museum führt uns moderne Techniken zum
Ernten und Schälen vor und erklärt die Herstellung der berühmten „marrons glacés“
.
Frau Falke klärte uns über die Geschichte der Kastanie auf, in der die Kastanie
der „Brotbaum“ in den Cevennen war, und führte uns Werkzeuge und Apparate vor,
die alle aus Kastanienholz bestehen und mit denen die Kastanie be- und
verarbeitet wurde. Auch Möbel wurden daraus gefertigt. Am eindrücklichsten sind
mir noch ein Schrank in Erinnerung, hinten der fast unbearbeitete Stamm, vorne
kunstvoll Türen und Fächer eingebaut, und Geräte zum Schälen der gerösteten
Edelkastanien, wie Keulen aussehend, gleichend den früheren Kriegskeulen, und
mit Nägeln bewehrte schwere Holzschuhe. Mit diesen Geräten war die Ausbeute am
Inhalt der Eßkastanie naturgemäß sehr gering und stände heute in keinem
Preis-Leistungs-Verhältnis. Später wurden die Maschinen immer aufwändiger und
komplizierter, etwa die Maschine von Marius Monnier (1928), die schälen,
sortieren und abwiegen in einem Arbeitgang kann. Diese Geräte sind alle dort zu
sehen.
Weiterhin schilderte sie uns den verwirrenden Sprachgebrauch rund um die
Kastanie. Im Deutschen nennen wir die Esskastanie Marone, im französischen heißt
sie Chataigne und die Rosskastanie dagegen Marone. Es gibt weit über zweihundert
veredelte Esskastaniensorten, davon 65 an der Ardèche, bei ihnen hängt deren
Fleischkörper zusammen, während der der unveredelten in Teile zerfällt. Der
Stamm der veredelten Kastanie neigt zur Aushöhlung, während der der unveredelten
massiv bleibt. Sie schilderte uns die vielfältige Nutzung des „Brotbaums“, ob
als Suppe, Ragout, Püree, Gratin, Konfitüre, als Bierzutat, Kuchen oder Pudding,
ob geröstet oder gekocht – die Kastanie ist aus der lokalen Küche nicht fort zu
denken.
In einer kleinen Boutique in der Vorhalle können wir Produkte der Erzeuger und
Kunsthandwerker in phantasievoller Verarbeitung von Früchten und Holz erwerben
wie z.B. kleine und grosse Skulpturen aus Kastanienholz, Gemälde, Keramik oder
Töpferei, einfach alles was eine Beziehung zur Edelkastanie hat. Weiterhin hält
der Museums-Shop eine Vielzahl von Kastanienerzeugnissen für die Besucher
bereit, die alle naturbelassen sind wie Honigkuchen, Kastanienhonig, Kuchen und
Plätzchen mit Kastanienmehl, Kastanienlikör, Fleischpastete mit Edelkastanien,
Kastanienmarmelade natur oder mit Schokolade oder Apfel. Zum Schluss konnten wir
noch ein Maronenbier und einen Maronenlikör kosten.
Mehr als 1000 Jahre war die Kastanie ein Grundnahrungsmittel, das ähnlich wie
die Kartoffel als eine „Arme-Leute“-Nahrung galt, jedoch gegen Ende des 18.
Jahrhunderts an Wert verlor, da Maulbeerbäume zur lukrativen Seidenzucht
angepflanzt wurden und die Kastanie verdrängten. Jetzt konnte man nämlich
Getreide als Nahrungsmittel einkaufen. Als entdeckt wurde, dass die Kastanie
sehr viel Tannin enthält, das zur Färbung der Seide und als Gerbstoff für Leder
benutzt wird, wurden ganze Wälder abgeholzt und neben den Schädlingen wie der
Tintenkrankheit, die durch einen Pilz die Wurzeln zerstört, und beinahe der
Kastanie der Garaus bereitet. Es wurde rentabler, die Bäume zur Gewinnung von
Tannin zu fällen, als sie zu kultivieren und ihre Früchte zu ernten. Erst nach
der Entdeckung des künstlichen Tannins konnten die Wälder wieder wachsen.
Die Kastanienbäume wachsen auf den „Faysses", den uralten Terrassen im Parc
Naturel Régional des Monts d'Ardèche, und bis heute werden in der Ardèche mit
6.000 Tonnen jährlich die meisten Esskastanien Frankreichs geerntet. Zur
Blütezeit um 1860 dehnte sich die Kastanienproduktion auf 60.000 Hektar aus,
heute werden noch 34.000 Hektar von tausend Kastanienbauern bewirtschaftet.
Richtig salonfähig wurde sie aber erst als kandidierte Marone. 1882
industrialisierte Clément Faugier aus der Ardèche die Erzeugung der kandierten
Maronen, an denen man sich bereits unter Ludwig XIV. ergötzte. Diese
Industrialisierung brachte die Güte- und Herkunftssiegel mit sich. Die Häuser
Faugier in Privas, Sabaton in Labégude und Imbert in Aubenas bereiten bis heute
die vornehme Nascherei zu, die heute zu den beliebtesten Süßigkeiten in der
Weihnachtszeit gehört.
Die Ardècheregion ist der Hauptproduzent von Edelkastanien in Europa. Leider
sind wir für die „Castanades“, die weltberühmten Kastanienfeste, wo die
Gemeinden mit traditionellen Tänzen und Musik die Kastanie feiern, und
Produzenten, Künstler und Kunsthandwerker zu treffen sind, und der süße Duft der
Kastanie die Täler durchweht, ein paar Monate zu früh. Vom Eßkastanienmuseum
schreibe ich so viel, weil es mir so besonders gut gefallen hat, ich ein
Liebhaber bin und eine Marone im Garten stehen habe.
Das Abendessen und die Nacht verbrachten wir im Le Chêne Vert Hotel-Restaurant
in Rocher. Von dort fuhren wir ein romantisches Sträßchen entlang der Schluchten
des Flußes der Baume nach Balazuc, vielleicht der schönste Ort der "Villages de
Charaktere", eine sarazenische Gründung. Es liegt malerisch auf einem
Felsvorsprung oberhalb des Ardèchetales. Die ehemals von einer Ringmauer
geschützten Häuser und verschlungenen und steilen Gassen gruppieren sich um eine
Burg, von der ein Teil des Turmes noch aus dem 10. Jahrhundert stammt.
Von dort fuhren wir zum Mittagessen nach Labeaume, einem weiteren Charakterdorf,
das seit dem 12. Jahrhundert besteht und mit seinen steilen Felsen, seinen
üppigen Terrassengärten, Hühnengräbern und seinem alljährlich im Sommer
stattfindenden Musikfestivals "LabeauMe en Musiques" als eines der schönsten
Dörfer gilt. Das Bistrot e Pays liegt romantisch im historischen Ortskern auf
dem Kirchplatz, an der seit dem 14. Jahrhundert bestehenden katholischen Kirche
"Saint Pierre", deren Kirchturm von zwei großen Säulen mitgetragen wird. Es gab
ein wundervolles Essen. Das Dorf ist in den Hang der "Gorges de la Beaume"
gebaut, wobei der Dorfplatz direkt am linken Ufer des Flusses Beaume liegt, an
dem einige Badende zu sehen waren.
Über die Beaume führt eine ca. 100 Jahre alte Steinbrücke, die zum Schutz gegen
die Frühjahrs- und Herbsthochwasser aus den Cevennen geländerlos erbaut wurde.
Auf ihr machten wir viele Motorradphotos. Auf der Fahrt dorthin war mir ein
Mißgeschick widerfahren. Ich war zurück geblieben, wollte auf einem kleinen
Sträßchen wenden, und das Motorrad fiel dabei um. Ich konnte es nicht alleine
hochheben und mußte mindestens eine halbe Stunde warten, bis mir jemand half.
Nach der Karte fand ich dann nach Labeaume.
Von dort fuhren wir zur Weinprobe zu dem Weingut von Emmanuell und Denis Robert
nach Valvignères, einem ganz kleinen Weiler in einem abgelegenen Tal. Denis
Robert betreibt einen fast vollkommen biologischen Anbau, aber nur fast, für
Notfälle behält er sich doch noch Chemikalien vor. Er schildert uns die
Geschichte mit der Reblaus und zeigt uns die Veredelung von Weinstöcken.
Anschließend führt er uns durch seinen Weinkeller, die Weinpresse und
Förderbänder, Holz- und große Betonfässer, alles wirke auf dem neuesten Stand,
klärt uns über den Gärungsprozeß und die Kontrollen auf. Er persönlich fährt
mindestens zweimal im Jahr nach Deutschland, um seinen Kundenstamm zu beliefern,
und wird oft von deutschen Kunden aufgesucht, zu denen ein langjähriges
vertrauensvolles Klima herrscht. Zwei Jahre zuvor waren wir einem Solchen und
seinem uralten Wohnmobil recht belustig bregegnet. Anschließend kehrten wir in
unser erstes Hotel in Viviers zurück und genossen ein herrliches Menue. Wie an
allen Abenden konnten wir wieder reichlich dem vorzüglichen Wein zusprechen.
Am nächsten Morgen fand der Abschied statt. Wir halfen Jochen seine drei Enduros
auf den Anhänger aufzuladen. Mit einer 350er Yamaha war er uns nach
Räderwechsel, von Stollen- zu Straßenreifen, vorweg gefahren. Er veranstaltet ja
auch neben Mecklenburg in diesem Gebiet Endurotouren über Stock und Stein. Auf
seiner Homepage sind Videos zu sehen. Das ist nichts für mich, mehr etwas für
harte Kerle, halt richtige Endurofans. Er und die Schweinfurter fuhren zu einer
weiteren Motorradpressereise in das Departement Drome auf der östlichen Seite
der Rhone, Walter mit dem Autoreiszug zurück. Ich begab mich in Richtung Mont
Ventoux, einem östlich des Rhonetals eindrucksvoll hervorragenden Berg, auf den
ich schon immer mal hinauf wollte, allerdings mit dem Rennrad, ich hatte es mir
schwieriger vorgestellt, jetzt mit dem Motorrad, um, als es anfing zu regnen,
die ganze Nacht hindurch gut erholt nach Hause zu biken. Von den
Sehenswürdigkeiten habe ich noch das Städtchen Montbrun-les-Bains und die
Schluchten der Meouge in guter Erinnerung.
Fazit: Das Departement Ardèche, vor allem im Süden, ist ein landschaftlich
reizvolles und sehr abwechslungsreiches Gebiet mit mediteranem, warmen Klima, im
Sommer wohl etwas heiß, in dem der Reisende die hervorragenden Weine, die
sprichwörtlich ausgezeichnete französische Küche, Dörfer mit Charakter und
Charme, aber auch weniger renovierte reizvolle Orte, die Kastanienwälder,
Weinberge und Olivenhaine, die weißen Felswände über grünem Wasser genießen
kann. Über allem liegt der Duft des Südens. Für Kanufahrer ist die Ardèche
weltberühmt und beliebt.
Aber auch Motorradfahrer und Radfahrer kommen in den Kurven und im
Landschaftsgenuß voll auf ihre Kosten. Jochen Ehlers veranstaltet auch im Winter
Endurotouren. Auch für Kletterer sind die Felswände ein Eldorado und für
Höhleninteressierte gibt es eine Menge Naturwunder zu bestaunen. Weiter ist es
ein Eldorado für Wanderer, die wir häufig gesehen haben. Als Auch-Rennradfahrer
halte ich dort auch ein Radtrainingslager im Frühjahr oder als Radurlaub für
interessant. Das, was wir gesehen haben, war nur ein kleiner Ausschnitt, ein
Eindruck, es gibt noch viel mehr an der Ardèche zu bewundern und zu genießen.
Mit freundlicher Unterstützung durch den Fremdenverkehrsverband Ardèche und die
kompetente Führung durch Jochen Ehlers.
Info:
NDUROFUN Tours, Postfach 43, 25710 Burg / Dithmarschen,
Tel.: 0049 - 0 48 25 / 16 95. Es werden geführte On- und Offroadreisen
angeboten. www.endurofuntours.com
Informationen zum Gebiet: www.ardeche-guide.com, Ardèche Tourisme, 4, cours du
Palais, F-07000 Privas, Tel. +33 4 75 64 04 66 Fax : +33 4 75 64 23 93
Hôtel-Restaurant Relais du Vivarais, Mrs Michèle Matraire, 31 Faubourg des
Sautelles, 07220 Viviers, Tel +33 (0)4 75 52 60 41, www.relaisduvivarais.fr,
relais.viviers@wanadoo.fr
Domaine Notre-Dame de Cousignac, Mr Raphaël Pommier, Cousignac, 07700
Bourg-St-Andéol, Tel +33 475 54 61 41,
www.notre-dame-de-cousignac.com, ndcousignac@wanadoo.fr
Das Weingut von Denis und Emmanuell Robert in Valvignères, www.masdintras.fr
Lavendelmuseum Musée de la lavand Distillerie, 07700 Saint-Remèze, Tel, +33(0)4
75 04 37 26, www.ardechelavandes.com
Mas de l’Espaïre, Mr Blanc, Bois de Païolive, 07140 Les Vans, Tel +33 (0)4 75 94
95 01, www.hotel-espaire.com, espaire@wanadoo.fr
Esskastanienmuseum, Musée de la Châtaigneraie, 07260 Joyeuse, Tel +33 475 39 90
66, musee-chataigneraie@pays-beaumedrobie.com
Le Bec Figue, Place de l’Eglise, 07120 Labeaume, Tel +33 475 35 13 32, http://www.bistrotdepays.com/
spip.php?page=bistrot&id_rubrique=266
Hôtel Restaurant le Chêne Vert, Mr Jacquet, 07110 Rocher, Tel +33 (0)4 75 88 34
02, www.hotellechenevert.com, contact@hotellechenevert.com
La Table de Moulin, Celine Vincent, Bres, 07230 Payzac, Tel. +33 (0)4 75 35 99
Von Bernd Holstiege