Weltexpress
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29. Januar 10 , 15:20
Ausdauersport - Psychologische Faktoren zur Verletzungsanfälligkeit - Serie: Laufen am Limit (Teil 1/2)
Frankfurt am Main (Weltexpress) - So lange wie der
Mensch sich überhaupt bewegen kann, ist Ausdauersport und -bewegung praktisch in
jedem Alter möglich.
Aber so günstig wie er sich, vor allem zum Ausgleich eines überwiegend sitzenden
privaten und beruflichen Alltags, auf Seele und Körper auswirkt, diese
harmonisieren, Leistungsfähigkeit erhalten, Krankheiten vorbeugen - als bester
Schutz vor Übergewicht, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes und Alzheimer gilt -
oder diese sogar heilen kann, so sehr kann er sich auch ins Gegenteil verkehren.
Insofern sagte Winston Churchill nicht völlig zu Unrecht „Sport ist Mord!“
Diesen Satz im Kopf sind manche gegen Sport eingestellt oder haben sogar Angst
davor. Dies gilt umso mehr im fortgeschrittenen Alter. Die gesundheitlichen
Folgen des Bewegungsmangels für die Gesellschaft sind immens.
So lange wie der Mensch sich überhaupt bewegen kann, ist Ausdauersport und -bewegung praktisch in jedem Alter möglich. So günstig wie er sich, vor allem zum Ausgleich eines überwiegend sitzenden privaten und beruflichen Alltag, auf Seele und Körper auswirkt, diese harmonisieren, Leistungsfähigkeit erhalten, Krankheiten vorbeugen - als bester Schutz vor Übergewicht, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes und Alzheimer gilt - oder diese sogar heilen kann, so sehr kann er sich auch ins Gegenteil verkehren. Insofern sagte Winston Churchill nicht völlig zu Unrecht „Sport ist Mord!“ Diesen Satz im Kopf sind manche gegen Sport eingestellt oder haben sogar Angst davor. Dies gilt umso mehr im fortgeschrittenen Alter. Die gesundheitlichen Folgen des Bewegungsmangels für die Gesellschaft sind immens.
Man muss sich vor Augen führen und nur wenig bekannt ist,
dass nur knapp 20% der Nervenfasern zum Muskel motorische sind und der
Fortbewegung dienen, gut 40% sind sensorische, sind also das umfangreichste
sensorische Wahrnehmungssystem des Körpers und knapp 40% sind vasomotorische
Fasern. Auch dadurch erklärt sich der ungeheure Einfluss der Bewegung über die
alleinige Muskelbetätigung hinaus auf die Sensorik, über die Gehirnverknüpfungen
auf Psyche und Immunsystem und auf das gesamte Herz-, Kreislaufsystem. Auch
dadurch erklärt sich der günstige Einfluss allein durch Bewegung auf
Demenzerkrankungen, mehr noch als Gehirnjogging.
Psychologische Faktoren in jedem Alter
Schon im jugendlichen Alter kann hartes Ausdauertraining bei Überschreiten der
Gewebetoleranz, abhängig vom Bewegungsstil, den Schuhen, dem Untergrund,
muskulären Dysbalancen und einer plötzlichen Steigerung von Umfang und
Intensität, zu einer Überforderung und zu diversen Reizzuständen am
Bewegungsapparat führen.
Bei dieser Überforderung spielen psychologische Faktoren eine ausschlaggebende
Rolle und führen zu diesem Überschreiten der Gewebetoleranz. Zentral sind
gesellschaftlich und kulturell weit verbreitete Einstellungen wie ein rigides
Härte-, Erfolgs-, Leistungs- und Männlichkeitsdenken, sogar in Form von Idealen.
Innere verbreitete Sätze wie „nur Härte, Durchhaltevermögen führen zum Erfolg,
den inneren Schweinehund überwinden, das Letzte geben“ können dazu führen, da
Sportler rücksichtslos gegen sich selbst sind. Sie vergessen mit diesem Denken
völlig, dass Training aus einem Wechsel von Anspannung und Erholung besteht, und
überhören in dieser Leistungsausrichtung oft Warnsignale. Nämlich erst durch die
Erholung können Trainingsreize wirksam werden. Die innere seelische und
körperliche Balance kann durch das Auseinanderklaffen von Leistungsanforderung
und Erholungsbedürfnis oft nur schwer gefunden werden. Dieses Härtedenken stellt
eine Reaktionsbildung auf eine meist latente Angst dar, etwa zu versagen, ein
Schwächling oder Weichei zu sein. Je stärker die Angst ist, umso rigider muss
dieser vermeintliche Schutz im Härtedenken sein.
Auch dient dann der Sport nicht mehr dem Spaß, der Freude an der Bewegung, an
der Umgebung und eventuell der inneren, etwa beim Laufen den eigenen Gedanken
nachzuhängen, und äußeren Kommunikation etwa in der Unterhaltung, die unter
erhöhter Leistungsanforderung nicht mehr möglich ist. Der Sport dient allein der
Leistung, dem Erfolg, während die eben genannten Erfolge wie Spaß und Freude
ausbleiben müssen. Es entsteht ein Leistungsdruck.
Angstfolgen
Außerdem müssen rigide Leistungsideale innerhalb der Psyche zu einer Angst,
diese nicht zu erfüllen, also zu versagen, führen. Die menschliche Tragik ist,
daß der erhoffte Schutz vor den Ängsten in einem Teufelskreislauf zu vermehrten
Ängsten führen kann. Die Versagensangst, meist latent, im Härte- und
Männlichkeitsstreben häufig nicht bewusst eingestanden, – das gilt auch für
Frauen - führt zu vermehrten Reizen der motorischen Nervenfasern und zu
Muskelanspannungen, und zwar nicht nur bei der beim Sport benötigten Muskulatur,
sondern auch der gegenläufigen, die also immer latent dagegen arbeitet, dadurch
die Leistungsfähigkeit mindert und zu erhöhter Verletzungsanfälligkeit führt.
Auch gilt das physikalische Gesetz „Druck erzeugt Gegendruck“ für den Menschen.
Jeglicher Druck steigert sich durch den Gegendruck. Körper, Geist und Seele
greifen ineinander und sind nicht zu trennen.
Eine un-, vorbewußte und nicht eingestandene Angst hat ihre Wirksamkeit und
Folgen, ohne dass die Ursache erkannt wird, und demzufolge nichts gegen sie
unternommen werden kann. Eine eingestandene Angst verliert sich oft von selbst,
wenn die Ursache wahrgenommen wird und ein inneres Korrektiv erfolgen kann.
Dieses Korrektiv kann sein, sich selbst vom überhöhten Sockel der Leistung und
des Erfolgs herunter zu holen, sich Ruhe und Erholung zu gönnen. Oft ist sogar
der Lohn, dass sich die Leistung verbessert. Jedoch kennen viele Menschen nichts
anderes als Leistung und Erfolg.
Alltägliches Training
Da die weitaus meiste Zeit der Sportausübung im Training verbracht wird, ist es
dort besonders wichtig, die innere Balance zwischen Anspannung und Erholung für
Körper und Psyche zu finden und die Freude zu erhalten. Dann können auch
einzelne erhöhte Leistungsanforderungen etwa im Wettkampf gut verkraftet werden.
Nämlich gerade ein Dauerstress im Training führt zur Überforderung. Hinzu kommt,
je intensiver die Bewegung ist, desto mehr werden körpereigene Morphine, die
Endorphine, ausgeschüttet, die zu einer durchaus gewünschten Euphorie führen,
aber andererseits dazu führen können, eine Überforderung nicht zu spüren, die
sich dann erst später, wenn es vielleicht zu spät ist, bemerkbar macht. Eine
übermäßige Euphorisierung gerade im Training kann also eine Gefahr darstellen.
Erfolge führen zu einem rauschartigen Erlebnis, das in einer Eigendynamik nach
Wiederholung strebt und dann in einer Überforderung enden kann.
Angst vor dem Leistungsverlust
Im Leistungsdenken kann eine der Ängste sein, während der Regeneration die Form
zu verlieren. Diese Angst führt dazu, dass Sportler speziell vor Wettkämpfen den
Formverlust fürchten, wenn sie locker und regenerativ sich wenig belasten oder
ein paar Tage gar nichts tun, sodass sie bis zum Wettkampf viel zu heftig
trainieren. Da sie viel zu wenig erholt antreten, führt die Versagensangst
gerade bei Trainingsweltmeistern im Sinne einer sich selbst erfüllenden
Prophezeiung zum Leistungsversagen und einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit im
Wettkampf. Ähnliche Folgen können Schuldgefühle haben, mal zu wenig oder gar
nicht trainiert zu haben, so als ob man eine Schuld eingehe. Die Schuld ist
sozusagen ein imaginäres Versprechen zu Leistung und Erfolg. Schuldgefühle
stellen eine vermehrte Belastung von Psyche und Körper dar.
Als ich 1988 beim Ironman in Hawaii war, konnte ich diesen Zusammenhang bei
einigen mir Bekannten genau verfolgen. Diejenigen, die ich noch wenige Tage vor
dem Wettkampf heftig trainieren sah, waren alle deutlich schlechter als
erwartet. Diejenigen, die kaum was machten, waren erstaunlich gut. Ich selbst
war auch so ein Opfer meiner selbst, da ich am Wochenende vorher noch heftig
trainiert hatte, mich am Wettkampftag noch nicht erholt fühlte und mindestens
eine Stunde langsamer war als erwartet. Das war schon eine kleine Enttäuschung.
Gleichung: längere Strecke = mehr Training
Eine weitere verhängnisvolle Einstellung ist: Je länger die Strecke ist, desto
mehr muss trainiert werden. Danach muss ein Marathonläufer das mehrfache eines
10km-Läufers trainieren oder etwa ein 100km-Läufer das Doppelte eines
Marathonläufers. Dann kann es passieren, dass ein inzwischen völlig
überforderter 100km-Läufer, wenn er nicht durch sein vermehrtes Training
verletzt ist, wenig Leistung erbringt, aber dann noch wegen des mäßigen
Ergebnisses glaubt, zu wenig trainiert zu haben und sich vermehrt überfordert.
Ich selbst habe meine 100km-Bestleistung erbracht, als ich vorher relativ wenig
und locker gelaufen war, aber gut erholt und langjährig ausdauertrainiert
einfach teilnahm. Mancher leistungsambitionierte 10 km-Läufer kann sich kaum
vorstellen, einen Marathon zu laufen, wenn er von 10 km schon völlig fertig ist.
Dann sich vorzustellen „jetzt das noch drei mal“ – ein Graus. Wenn er das Ganze
lockerer angeht, ist es fast mit gleichem Training gut möglich. Mittelstreckler
trainieren auch nicht viel weniger als Marathonläufer, nur härter.
Verschleiß
Infolge dieser mangelhaften Regeneration wird weiterhin die Gewebetoleranz für
Gewebereize überschritten. Statt eines Aufbaus des Gewebes kann ein Abbau
erfolgen. Dann wird zwar oft von Verschleiß gesprochen. Jedoch ist das
körperliche Gewebe keine Maschine, die auf Dauer durch die Bewegung verschleißt,
sondern es ist ein lebender Körper, der sich durch adäquate Belastung eher
aufbaut. Das ist ja auch das Ziel des Trainings.
Eindrucksvoll war für mich: Ich habe einmal ein Röntgenbild der Oberarme eines
jugendlichen Tennisspielers gesehen. Der Tennisarm hatte einen wesentlich
stärkeren Knochen als der des anderen Arms. - Durch die Überforderung reagiert
das Gewebe irgendwo gereizt mit Entzündungen oder nur Schmerzen ohne Schwellung
und Rötung, evtl. einem Ermüdungsbruch, Sehnenansatzschmerzen,
Muskelverhärtungen, Meniskuseinrissen oder Knorpelabbau. Insofern sehe ich den
Körper als den klügsten Teil des Menschen an, der sich gegen die andauernde
Vergewaltigung durch den menschlichen Geist wehrt, protestiert und sich dadurch
die notwendige Regeneration verschafft. Reizungen und Schmerzen sind also nicht
nur negativ zu sehen, sondern stellen einen Schutz von Geist und Körper gegen
weitere Überlastungen dar. Diese weiteren Überlastungen können organische
Schäden sein, die dann wiederum als Verschleiß angesehen werden.
Schmerzmittel
Viele Sportler nehmen Schmerzmittel, weil sie glauben, ohne diese Training und
Wettkampf nicht mehr gewachsen zu sein. Für viele ist dies völlig
selbstverständlich. Beim letztjährigen Bonner Marathon wurden gut 1000 Starter
nach Medikamenten gefragt. Gut 60% gaben an, schon vor dem Start ein
Schmerzmittel genommen zu haben, meist aus Angst vor Schmerzen, beim
Jungfrau-Marathon auf Befragen hin ein Drittel und beim Boston-Marathon gut 50%.
Schon eine intensive sportliche Betätigung führt zur Minderdurchblutung von
Magen-Darm-Trakt und Nieren, sodass Blutungen auftreten können, und es eine
Sportleranämie gibt. Schmerzmittel forcieren Blutungen. Aber auch die
Schmerzempfindung wird reduziert mit der Folge von vermehrten
Überlastungsreizungen.
Erkältungsanfälligkeit
Aber nicht nur der Körper, sondern auch der Geist und die Seele reagieren
gereizt auf die überfordernde Belastung. Wie oben beschrieben, wirken die
sensorischen Muskelfasern direkt auf Psyche und Immunsystem ein, die durch
andauernde Überforderung geschwächt werden. Auch die Psyche und Immunsystem
wollen ihre Ruhe und Erholung und nicht dauernd unter Anspannung und Stress
stehen. Das Immunsystem kann über eine geschwächte Abwehr etwa mit einer
Erkältungsanfälligkeit reagieren. Deswegen sind viele Spitzensportler so oft
erkältet. Weiterhin kann die dauerhafte Überlastung zu einem psychischen Schmerz
führen. Auf einer tieferen Ebene sucht der Sportler geradezu die Ruhe, und wenn
es nicht anders geht, dann eben durch die Verletzung.
Innere Widersprüche
Oft genug steht er aber dadurch im inneren Widerspruch zu seinen
Leistungszielen. Dieser innere Widerspruch kann zu einer inneren Zerrissenheit
und deren Spannung wiederum den Schmerz forcieren. Wie so oft im Leben sind -
wohl meist unbewusst - in den Folgen die Ziele zu sehen. Der seelische Schmerz
des Stresses und des inneren Widerspruches kann im Sinne einer
körperlich-seelischen Einheit des Menschen auch einen körperlichen Schmerz
hervorrufen, wobei sich der seelische Schmerz als körperlicher äußert.
Akzeptiert der Sportler die Zwangsruhe, kann er sich erholen. Sieht er jedoch im
Schmerz ein Hindernis, sogar eine Katastrophe, seine Ziele nicht erfüllen zu
können, oder ist verzweifelt, dass alles nur schlimmer werden kann, versucht
noch dagegen anzukämpfen, statt sein Schicksal zu akzeptieren, kann sich ein
Teufelskreis einspielen, und es wird im Sinne einer sich selbst erfüllenden
Prophezeiung alles nur schlimmer. Dann kann sich in gewisser Weise zu Recht der
Sportler durch die Empfehlung eines kundigen Orthopäden „locker weiter laufen!“
missverstanden fühlen. Schließlich wünscht er sich durch eine exakte
Krankheitsdiagnose die Empfehlung der Ruhe und eines nichtläuferischen
Behandlungsplanes.
Motive
Ein weites Feld ist die Frage nach der Motivation, warum
der Sportler Leistung und Erfolg sucht. Geschieht dies, um andere vermeintliche
Misserfolge und Selbstwertdefizite im Leben wie im Beruf, in der Partnerschaft,
am Stammtisch oder im Bett zu kompensieren, um endlich die ersehnte Anerkennung
zu erlangen, ist der Sport nicht mehr Selbstzweck, sondern hat noch andere
Lebensziele zu erfüllen und ist dadurch völlig überfrachtet. Da dieser Mensch
ein Welt- und Selbstbild des Versagens in sich trägt, muss in dieser
überfrachtenden Überforderung immer die Angst vor dem erneuten Misserfolg
mitschwingen.
Sozialraum
Der Sportler ist nicht allein. Er hat ein Umfeld, Partner,
Familie, (Sport)Freunde, die alle in seinem Sport mitleben. Die oben erwähnten
psychologischen Einstellungen können auch durch Einflüsse von außen entstehen
und verstärkt oder vermindert werden. Sie mögen ihn warnen, da sie
möglicherweise vor allem die Gefahren des Sports sehen, ihn hochjubeln,
bewundern oder sich durch seine häufige Abwesenheit vernachlässigt fühlen, und
mit ihren Einstellungen und deren Folgereaktionen auf ihn einwirken. Die Palette
der Einflüsse ist eine unendliche. Dieses Einwirken des Umfeldes hat infolge der
Beeinflussbarkeit des Menschen immer Folgen für seine Sportausübung. Ist das
Umfeld dagegen, muß er sich behaupten, dagegen ankämpfen, das Gegenteil
beweisen. Dieses Ankämpfen kann alleine durch den Kampf der Selbstbehauptung zu
einer Überforderung und wiederum zu einer Verletzungsanfälligkeit führen. Aber
auch das Bewundern, Hochjubeln kann den Sportler so anspornen, dass er seine
Grenzen verliert, überzockt und wie im Ikarusflug abstürzt. Insofern kann man
die Ausübung des Sports als eine körperlich-seelisch-soziale Einheit ansehen.
Deswegen ist ein adäquat förderndes Umfeld so wichtig. Junge Sportler werden von
erfahrenen Trainern erst langsam aufgebaut, damit sich nicht nur der Körper,
sondern auch Geist und Seele an die neuen Verhältnisse anpassen können.
Mechanistisches Weltbild
Sind der Sportler, der inzwischen zum Patient geworden ist,
und sein behandelnder Arzt, wie das oft der Fall ist, unter Ausklammerung
psychosozialer Faktoren einem mechanistischen bzw. somatischen Krankheitsmodell
wie etwa „wo etwas weh tut, muss etwas kaputt sein“ verhaftet, suchen sie ihr
Heil in organischen Diagnosen, die sich oft genug finden, einer Palette
organischer Behandlungen und Operationen, die auch oft zum Erfolg, manchmal
leider zum Gegenteil führen. Oft müssen kleine Organveränderungen als
vermeintliche Ursache und Erklärung der Beschwerden herhalten. Viele Beschwerden
und Befunde sind aber so unspezifisch, dass keine exakten Befunde erhoben werden
können. Dann ist derjenige Arzt der Größte, der in einem nicht genau fassbaren
Geschehen und Beschwerdebild eine exakte, eindeutige, unanfechtbare Diagnose
stellt und einen klaren, erfolgsversprechenden Behandlungsplan aufstellt. Der
Patient ist, so paradox es klingt, beruhigt, entspannt sich, schöpft Hoffnung
und die unspezifischen Behandlungen und Selbstheilungstendenzen können zur
Genesung beitragen – wenn nicht andere Faktoren wie die oben angeführten
Überhand gewinnen und folglich alle Behandlungen wenig nützen.
Dass dieses mechanistische Krankheitsbild, wie überhaupt in der reinen
Organmedizin, völlig an den Realitäten vorbei geht und dem Kranken nur
beschränkt geholfen wird, ergibt sich aus dem vorher Beschriebenen. Das
Beschwerdebild, wie jede Erkrankung, eröffnet aber die Chance, von sich aus
durch die eigenen Erfahrungen oder durch Hinweise von außen wie in diesem
Artikel, dazu zu lernen.
Im zweiten Teil möchte ich mich den psychologischen Gründen zur
Verletzungsanfälligkeit im fortgeschrittenen Alter zuwenden.
Von Bernd Holstiege