Weltexpress
Nachrichten aus aller Welt
10. Dezember 09 , 18:10
Emser Therme Triathlon oder Die härteste Langdistanz
Deutschlands - Serie: Bis an die Grenzen gehen: Die härtesten Wettkämpfe
Deutschlands hautnah miterlebt (Teil 1/3)
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Stolz ist der Veranstalter auf diesen
selbsternannten Titel. Nach 9 Jahren Triathlon-Sprint- bis Mitteldistanzen
wagten sich die Bad Emser erstmalig an eine Langdistanz als eine der kleinen
Alternativen zu Frankfurt und Roth. Ich selbst erfuhr erst wenige Wochen, weit
nach Ablauf der Anmeldefristen, zufällig davon, als ich über die
Quadrathlon-Webseite nach einem solchen suchte, den sie ebenfalls erstmalig
anboten. Ein Quadrathlon bei Biedenkopf, Ende Juli, war wegen der kanadischen
Algenpest, wegen der kein Schwimmen und Paddeln möglich war, abgesagt worden.
Die
Urkunde für den Autor.
Dabei las ich erstaunt von dem Ironman-Distanzangebot mit ca. 2500 Höhenmetern,
zwei mal bis zu 14% steil. Da ich die Lahn, Bad Ems und das romantische Ambiente
der Strecke vom Motorradfahren her kannte, war ich sofort interessiert. Ich
hatte schon mit dem Triple in Lensahn geliebäugelt, aber auf Anraten meiner
werten Gattin und meines doch etwas fortgeschrittenen Alters verzichtet. Ich
stellte mir einen romantischen Wettkampf vor, soweit man bei einer derartigen
Strecke von Romantik reden kann.
Beim Durchgehen der Starterliste stieß ich erstaunt auf den 71 jährigen Bernd
Malle von Spiridon, meinem Laufverein. Ich rief ihn an. Er sagte, "das ist
geheim, da er nicht wüsste, ob er 2 Wochen nach dem Allgäu-Triathlon das
überhaupt schaffen würde. Ich solle es niemanden sagen.". Die Emser waren von
bis zu 300 Startern einschließlich Staffeln ausgegangen, es traten aber nur 96
Einzelstarter und ca. 15 Staffeln an. Ich dachte mir, da müsste doch noch ein
Plätzchen zu ergattern sein. Peter Appelt, der Präsident des deutschen
Quadrathlonverbandes, meinte auch, er könne mir noch einen Startplatz besorgen.
Nach Immenstadt sah ich in der Ergebnisliste, daß Bernd nur mit dem Schwimmen
verzeichnet war, rief ihn wieder an, und er erzählte, er sei beim
Schwimmausstieg ausgerutscht und habe sich einen komplizierten Oberarmbruch
zugezogen. Pech! Er bot mir seinen Startplatz an, und am nächsten Tag stand ich
gut 1 Woche vor dem Start auf der Teilnehmerliste.
Anderthalb Wochen vorher fuhr ich mit Freimut Frohne mit dem Motorrad nach Bad
Ems, um mir die Radstrecke anzusehen, als ich noch nicht gemeldet war. In einem
Café kamen wir mit einem Herrn ins Gespräch, der meinte, dann würden wir uns an
der Laufstrecke sehen. Als ich ihm beim Wendepunkt begegnete, er war für das
Laufen zuständig, meinte er, daran hätte er nicht geglaubt, wohl deswegen, weil
er mich Zigarillos rauchen sah..
Martin Schytil fuhr 2 Wochen nach dem Triple in Lensahn mit mir hin. Er wollte
beim Quadrathlon starten, und ihm war von Peter Appelt ein Kajak zugesagt
worden. Wir zelteten in Dausenau, 4 km entfernt, direkt an der Lahn. Bei der
Wettkampfbesprechung am Vortag wurde mir ganz flau. Ich hatte nur negative
Gedanken im Kopf, "die knallharte Radstrecke, zu wenig trainiert, in der letzten
Zeit 2 Wochen nur 1 mal in der Woche radgefahren, insgesamt nur gut 3500 km
dieses Jahr, seit Anfang Juni, dem Mitteltriathlon in Steinberg, kaum mehr als
10 km am Stück gelaufen, wöchentlich knapp 40 km, und bei meinen beiden
Triathlons im Schwimmen nur letzter".
Ich hätte am liebsten gekniffen, musste mich innerlich zurecht pfeifen, und nahm
mir vor, das Ganze nur locker durchzuziehen. Der Veranstalter gab das Finishen
vor ohne Wettkampfcharakter, ohne Alterswertung und Siegerehrung, sprach von
einem Openend. Jeder würde bis zum Ende versorgt. Im Startpaket war neben einer
Tasche und einem Handtuch auch eine Stirnlampe. Neben dem sogenannten Ultra fand
noch eine Sprintdistanz mit Liga und 600 Startern statt, an der auch einige
Eintrachtler teilnahmen.
Am Morgen um sieben Uhr erfolgte der Start. Da mir bei einem Schnellstart leicht
die Luft wegbleibt, und ich in den letzten Jahren beim langen Schwimmen immer
eine Krampfneigung hatte, schwamm ich locker los, schaute mich nach ca. 200 m um
und sah niemanden mehr hinter mir. Oje, dachte ich, werde ich schon wieder
letzter. Aber in der 2. Runde, lahnaufwärts bis zur 3. Brücke um den
Mittelpfeiler und -abwärts, überholte ich ein paar Leute und zwei sah ich 50 m
vor mir aussteigen. Zu den Helfern beim Ausstieg meinte ich "ich bin nur deshalb
da, weil ein Freund sich beim Schwimmausstieg den Arm gebrochen hat". Auf der
Uhr sah ich 1.34 -- ganz zufrieden stellend. Ein paar Räder standen noch da. Von
einer Frau hörte ich, sie habe Krämpfe gehabt. Überraschend schnell saß ich auf
dem Rad.
Zwei große Runden mit je zwei dicken Bergen bis an den Rand von Montabaur und
durch das romantische Gelbachtal und zwei mal kleine Runden, die
Radsprintstrecke, waren zu absolvieren. Aus Bad Ems heraus ging es erst durch
ein romantisches Tal und dann bergauf. Fünf Leute überholten mich, denen ich
durchaus hätte folgen können. Aber ich sagte mir "mach' langsam". Den Einen
überholte ich wieder auf einer rasenden Gefällestrecke, wo durch ein Schild
Langsamfahren angemahnt wurde. Zum Beginn der 2. Runde geriet ich in den Sprint,
fuhr mit den Langsamen bergauf und sah die Spitze in rasender Abfahrt, darunter
einige Eintracht-Trikots, mir entgegen kommen.
In der 2. Runde wollte der Schaltgriff links nicht mehr recht herunterschalten
(den hatte ich von einem Sperrmüllunfallrennrad), aber es klappte doch noch nach
einigen Versuchen, und der rechte Syntace-Bügel lockerte sich und klappte nach
unten. Ich versuchte die Brücke wieder reinzustecken, aber auf einem kleinen
Stück Kopfsteinpflaster sprang sie mir heraus. Ich hielt an, las sie von der
Straße auf und gab mir endlich mal die Gelegenheit zu einem kleinen Bedürfnis,
dem Pinkeln. Beides störte, aber hielt nicht viel auf. Ansonsten genoss ich,
verhalten fahrend, die wunderschöne Strecke, so wie ich es mir versprochen
hatte. Nach dem Weg durch die "Grüne Hölle" und am "Hübinger Monster" rief ich
den klatschenden Zuschauern euphorisch zu "wo bleibt denn der versprochene
steile Berg!" Mit dem 3er-Kettenblatt und 30/25 war das für mich kein Problem.
In der 1. kleinen Runde spürte ich doch allmählich meine Oberschenkel. Zu Beginn
der 2. kleinen Runde stellte sich eine Krampfneigung ein. Ich hatte wohl zu
wenig getrunken und hatte trotz der wirklich guten Versorgung mit vielen Ständen
nichts mehr in den Flaschen. Ich kurbelte ohne Druck locker hoch. So ging es
ganz gut.
Die Radstrecke war ich in gut 7.20 gefahren -- also auch ganz gut. Ich hatte
vorher gedacht, es nicht unter 8 Stunden zu schaffen, da ich 1993 Embrun mit
3500 Höhenmetern, der wohl härtesten Langdistanz auf der Welt, in gut 8 Stunden
gekurbelt war. Damals konnte ich aber die 180 km in etwa 51/2 Stunden fahren und
heute in vielleicht 7 Stunden. Man hat halt so seine Vergleiche im Kopf.
Die Laufstrecke führte zuerst etwa 1/2 km lahnabwärts, über eine Brücke
lahnaufwärts bis zu unserem Campingplatz in Dausenau als Wendepunkt, zurück
größtenteils den gleichen Weg, dann am Bahnhof vorbei über eine romantische
Brücke durchs Kurviertel und die Hauptstraße an Cafés und am Ziel vorbei. Am
Kurhotel war ein Stimmungsnest und vom Kurorchester war erstaunlich fetzige
Musik zu hören. Das Ganze 4 mal. Man kam sich also viel entgegen. Die Versorgung
war perfekt, etwa 7 Verpflegungstände pro Runde. Die Lahn, die Berge, Hotels,
Kirchen und Türme waren herrlich anzuschauen. Deswegen war ich ja auch gekommen.
Zum Laufstart soff ich wegen der Krampfneigung erst mal richtig. Dann konnte ich
ganz normal ohne schmerzende Beinen loslaufen. Das letzte lockere Kurbeln und
Bergabfahren hatte den Muskeln wohl gut getan. Ich lief locker mein
durchschnittliches Trainingstempo, etwa 7 min/km, 2 Runden lang. Am Beginn der
3. Runde bekam ich zuerst Probleme, als ich 2 andere überholte, aber dann ging
es wieder. An jedem Wendepunkt gab es ein Bändchen. Martin begleitete mich vom
Wendepunkt aus ein Stück auf dem Rad. Ich ließ mir von ihm aus meinem Zelt
Vaseline und den Photo bringen, da es an einem Fuß rieb. Ich sah, von
Digitalphotographie hat er keinerlei Ahnung. Er knipste von viel zu weit weg,
oder hatte die Kamera schon abgewandt, wenn der Blitz kam.
Nicht nur von Zuschauern und den vielen Betreuern, auch von entgegen kommenden
Athleten, völlig ungewohnt, bekam ich viel anerkennenden Beifall. Aber, dachte
ich auch, bei fortgeschrittenem Wettkampf sah ich wohlmöglich immer älter aus,
und der Alte lief ununterbrochen weiter. Die Photos sprechen Bände. Ich wurde
bei jedem Zieldurchlauf mit vollem Namen und als ältester Teilnehmer
angekündigt. Die letzte Runde fiel mir schwerer, ich fühlte mich kaputter, der
linke Fuß hatte die Neigung wegzuknicken, so daß ich 2 bis 3 mal kurz gehen
musste. Dann konnte ich wieder laufen, und an den Ständen ließ ich mir mehr
Zeit. Einmal musste ich fast kotzen. Inzwischen hatten die Getränke, wohl das
viele Cola und das Iso meinen Magen angegriffen. Mehr Wasser wäre wohl besser
gewesen. Martin begleitete mich mit dem Rad vom Wendepunkt bis ins Ziel.
Bei einbrechender Dunkelheit lief ich überglücklich in 14.31 ins Ziel.
Verglichen mit Frankfurt und Moritzburg bin ich in 7 Jahren nicht langsamer
geworden. Ab 60 war nach einem Knöchelbruch und 8 Wochen Krücken der große
Muskelschwund und Kraftverlust eingetreten, aber nicht die Ausdauer.
Hauptsächlich muß ich aber deswegen beim Laufen und Radfahren verhalten
trainieren, weil ich sonst Kniebeschwerden bekomme, die mich in diesem Jahr
weniger, sonst aber teilweise begleitet hatten. Das eröffnet
Zukunftsperspektiven. Ich wurde 56. von 65 Finishern. 22 Gemeldete waren nicht
erschienen, auch ein anderer Gemeldeter in der AK65, und 5 hatten aufgehört. Der
langsamste Schwimmer mit 2.52 kam auch spät im Ziel an. Der war wohl am Anfang
schon so weit zurückgeblieben, daß ich ihn nicht mehr gesehen hatte. Es galten
halt keinerlei Limits. Im Ziel reizte das Bier meinen Magen, aber das Würstchen
und der Kuchen schmeckten. Der Sieger Christoph Streiß, angeblich ein deutscher
Spitzentriathlet, brauchte 9.25. Aber herausragend finde ich die Leistung von
Rolf Masius aus der AK60 mit 11.07 und dem 10. Gesamtplatz.
Martin war 5. beim Quadrathlon unter 11 Finishern. Nebenbei hörte ich vom
Veranstalter, daß der Quadrathlon eine Bereicherung dargestellt habe. Peter
Appelt animiert uns, am nächsten Samstag bei den deutschen Meisterschaften auf
einer Sprintdistanz in Arendsee (Sachsen-Anhalt) teil zu nehmen. Bis auf
Muskelkater fühle ich mich 2 Tage danach schon wieder recht fit, so daß ich mir
5 km Laufen am Schluss noch zutraue, und dann wäre ich als einziger Teilnehmer
(Ich sehe gerade, das stimmt nicht) in der AK65 deutscher Meister. Dieser
Gedanke schien Peter zu amüsieren. Ich habe mit ihm schon die Fahrt
abgesprochen.
Wir übernachteten noch in den Zelten und fuhren am nächsten Tag über die B 260
heim. Insgesamt war es ein nicht nur für mich gelungener Wettkampf, eine
herrliche Landschaft, gute Betreuung, eine echte Empfehlung für solche, die
nicht nur der Ironmanhype unterliegen. Vorhin hat auch Bernd Malle aus dem
Urlaub in Kroatien angerufen, um sich nach dem Ablauf zu erkundigen. Er meinte,
nächstes Jahr wolle er starten.
Zweieinhalb Wochen danach erhielt ich noch einen Brief aus Bad Ems mit 31/2
Seiten Zeitungsartikeln, einer Urkunde mit Bild und einem Bild.
Von Bernd Holstiege