mens sana in corpore sano, Teil 1

Ein Überblick, wie Geist, Körper, Seele und Gesundheit zusammenhängen.

Ein Unbefangener könnte fragen, was hat der menschliche Geist mit unserer Gesundheit zu tun? Viele kennen den Spruch "mens sana in corpore sano" (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper). Hat dann Krankheit etwas mit einem kranken Geist zu tun?  Der Überblick soll aufzeigen, inwieweit sich der menschliche Geist, dessen innere Worte oder Aussagen auf die menschliche Befindlichkeit, Wohlbefinden und Gesundheit oder als Krankheit auswirken. Das Wort „Psychologie“ faßt beides in einem Wort zusammen. Heute wird unter Psychologie die Lehre von der Seele verstanden. Psyche heißt aber  "Geist und Seele " und Logos heißt das "Wort, die Aussage oder Lehre". Eigentlich ist insofern jeder Mensch, der in seinem Kopf Aussagen formuliert, sein eigener Psychologe. Ich habe den Begriff Geist statt Psyche gewählt, weil der Geist im Zentrum steht, noch alle möglichen Geister eine tragende Rolle spielen und zur Psyche im Sprachgebrauch die Emotionen, Gefühle und Affekte hinzu gehörig gesehen werden.

Unser menschlicher Geist, seine Worte wurden in der Vergangenheit durch Erfahrungen bzw. erlebte Wahrnehmungen geschaffen. Geistige Prozesse werden in Sprache, Mimik, Gestik, Handlungen und als Körpersprache, aber auch in körperlichen Organen als Organsprache ausgedrückt. Diese Erfahrungen prägen sich als ein innerer Erfahrungsschatz – man könnte auch von einer inneren Erfahrungslandschaft sprechen – in einer körperlichen Materie, einem Körpersubstrat, hauptsächlich in den Gehirnzellen (Neuronen), ein. Nicht umsonst haben schon die Griechen von dem Charakter eines Menschen gesprochen, was in der Übersetzung schlicht "Prägung" heißt. Da der Mensch bis auf die in der Evolution geschaffenen Genomgrundausstattung als weitgehend ungeprägtes Wesen zur Welt kommt, prägen sich ebenso die Worte des frühen Umfeldes in diese Erfahrungen ein, vor allem, da die Worte durch entsprechendes Verhalten bekräftigt werden. Das Klavier des menschlichen Gehirns ist sozusagen vorhanden, aber die Melodie erlernt der Spieler im Sozialisationsprozeß.  Die Übernahme der Bilder und Überzeugungen ist ja auch der Sinn von Prägung und Erziehung. Das geprägte Selbst und Ich-Bewußtsein wird durch das auf uns gerichtete Verhalten, unsere Wirkung auf andere und durch Spiegelung in den Augen der anderen, vermittelt. So trifft "my mother myself" mehr oder weniger zu.

Durch diese Lernerfahrungen kommt die vertikale Ebene bzw. transgenerationelle Perspektive ins Spiel. Unser menschliche Geist beinhaltet also auch die Geister der Ahnen und Urahnen. Sie leben in ihm fort, sind in seinem Geist sozusagen Phantome und, falls sie böse Inhalte erfassen, Dämone.  Daher der Ahnenkult, der sich mit diesen Geistern gut stellen will. Tiefenpsychologen sprechen von Repräsentanzen, die den Geist und das Verhalten der frühen Personen aus dem Umfeld repräsentieren. Unser Geist und Körper bilden dabei eine Leib-Seele-Einheit, sodaß sich ein Ungeist, Dämon nicht nur in der Seele, sondern auch in einem Körperteil etwa als Schmerz repräsentieren kann.

Neben der angesprochenen vertikalen Ebene über Generationen hinweg  prägen auch die horizontalen, also die gegenwärtigen Wahrnehmungen und die Worte des Umfeldes sich in unseren Geist und dessen körperlichen Substrat ein. Der aktuelle Geist, dessen Worte und Aussagen ist also auch der Geist des Umfeldes, deren Worte in den Gehirnzellen gespeichert werden. Das, was die Familie, die Freunde und Bekannten, die Einflüsse der Medien meinen, prägt den aktuellen Geist und verflechtet sich mit den früheren Geistern.

Unser menschlicher Erfahrungsschatz im Laufe der Jahre und Generationen, gespeichert in Milliarden von Hirnzellen, ist ein ungeheurer, von dem immer nur ein kleiner Ausschnitt, eine Facette ins Bewußtsein bzw. ins inneren Gesichtsfeld dringen kann. Also ist ein Großteil für uns unbewußt und im inneren Bild unsichtbar. Jedoch dienen die sichtbaren und unsichtbaren Anteile dieses inneren Erfahrungsschatzes als Grundlage und Maßstab für die Erfassung bzw. Wahrnehmung der Außenwelt. Die Außenwelt wird also mit der Innenwelt, einem inneren Auge, wahrgenommen. Ebenso kann die Außenwelt nur ausschnittsweise wahrgenommen werden, wie etwa ein umherschweifender Blick immer nur Ausschnitte des Umfeldes und sehr kleine Ausschnitte der Welt erfaßt. Da also die Außenwelt nur in Ausschnitten wahrgenommen wird, noch dazu als Folge der Vergangenheitserfahrung durch die Brille der Ausschnitte der Innenwahrnehmung, wird die Wahrnehmung je nach innerem  und äußerem Ausschnitt verändert und ist von all diesen Aspekten abhängig.

Hinzu kommt, daß in unsere ursprünglichen Erfahrungen spätere Erfahrungen einfließen und diese die Erinnerungen verändern. Psychoanalytiker sprechen von Nachträglichkeit. Also können sich Erinnerungen durch die Nachträglichkeit und je nach Ausschnittswahrnehmung verändern und Erinnerungen verschiedener Menschen nie identisch sein. Eine gemeinsame Erinnerung kann nur partiell sein, ebenso ein gegenseitiges und gemeinsames Verständnis, das immer Unterschiede aufweisen muß.

Unsere Wahrnehmung ist vom Standpunkt des beobachteten Gegenstandes und vom Standpunkt des Beobachters, also der Perspektive abhängig. Weiterhin fließen die Beleuchtung, im Lichte der Vergangenheitserfahrung, die Interessen und der Zeitpunkt der Wahrnehmung ein. Zu verschiedenen Zeitpunkten können sich die Positionen, Perspektiven, Beleuchtungssausschnitte und Interessen verändert haben. Infolge dieser Beobachterabhängigkeit ist die Wahrnehmung fließend und veränderlich, bzw. die Ansichten sind fließend. Stellt dieses facettenreiche, komplexe Geschehen nicht die Souveränität, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und -verantwortung in Frage? Ich meine - ja! Und schafft das nicht Verwirrung und Chaos? Ja, für jemanden, der von einer einzigen, unabänderlichen und ewigen Wahrheit ausgeht.

Die Informationsvermittlung innerhalb unseres Körpers findet auf biophysikalischem (-elektrischem) und biochemischen Weg statt, von der Zentrale, den Nervenzellen des Gehirns, über die Verästellungen und Synapsen (Verbindungsstellen zwischen verschiedenen Organen), in deren Zwischenräumen über Botenstoffe (Transmitter) chemische meßbare Reaktionen stattfinden, bis zu den "Erfolgsorganen" wie den Gehirnzellen untereinander, Muskel-, Drüsen- und  Blutgefäßzellen. Umgekehrt melden die Erfolgsorgane ihre Informationen zur Zentrale zurück, etwa die von sinnlichen Wahrnehmungen, auch Schmerzen, diese wiederum diese an die Erfolgsorgane zurück, sodaß ein sich verstärkender Kreislauf stattfinden kann. Auf diese Botenstoffe kann man medikamentös einwirken, um etwa aus einer depressiven Stimmung eine euphorische Stimmung  (sog. Glückspillen, Drogen, Alkohol) hervorzurufen.

Neurowissenschaftlich läßt sich auf der Ebene der Nerven und deren Verästelungen in bildgebenden Verfahren und auf der Ebene der bioelektrischen und -chemischen Prozesse inzwischen vieles erfassen, aber die Ebene der Umsetzung von Materie in Geist bleibt ein Rätsel und ist eines der Geheimnisse der Evolution. Deswegen ist der Glaube an einen geistigen Schöpfer, der schon vor der Materie da war, genannt Gott, neuerdings "intelligent design", so naheliegend und verführerisch. Inwieweit gleichzeitig die Schöpfung eines Gottes Traumafolge sein kann, wird später erzählt.

Das sind fachlich selbstverständliche Vorgänge, die für die meisten Menschen gar nicht selbstverständlich, ja völlig unbekannt sind und infolge des Facettenreichtums und der Wechselhaftigkeit eine Bedrohung darstellen.

Bernd Holstiege

Glossar:

mens sana in corpore sano: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper
transgenerationell: über Generationen hinweg
Synapsen: Verbindungsstellen zwischen verschiedenen Organen, Umschlagsstelle
Trauma, Traumen: wortwörtlich Wunde, hier: starke seelische Erschütterung, die unterschiedlich verarbeitet werden kann, z.B. infolge Verdrängung aus dem Bewusstsein Zwangshandlungen oder Zwangsvorstellungen oder Fehlleistungen auslösen kann

Literatur: 

Dornes, Martin      Der kompetente Säugling    Fischer (TB.), Frankfurt  ISBN: 359611263X

Freud, Sigmund            Die Traumdeutung  Fischer (TB.), Frankfurt  ISBN: 359610436   und weitere Bücher von Freud

Ermann, Michael  Identität und Identitäten   Kohlhammer   ISBN: 3170186515

Glossar und Literatur: Claudia Schulmerich
 

Autor: Bernd Holstiege
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Abfassungsdatum: 06.03. 2006
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Quelle: Weltexpress
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Update: Berlin, 06.03. 2006