05. February 14 , 09:03
Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch, Leib & Seele
Dabei hatte er sich erst nach seiner Fußballkarriere geoutet, entging so den
anzügliche Bemerkungen in der Umkleide und den Anfeindungen vor allem der
gegnerischen Fans. Während seiner aktiven Fußballerzeit war ihm heftig davon
abgeraten worden. Aber leise Stimmen wiesen darauf hin, dass dies keineswegs
bedeute, dass die Homophobie besiegt sei. Ausgrenzung, Diskriminierung und
Benachteiligung würden weiterhin eine Rolle spielen. Die Hype weist sogar auf
den latenten Charakter der Antischwulentendenzen hin. Ansonsten wäre nicht so
viel Aufhebens gemacht worden, und das Outen wäre gegenstandslos.
Die Homophobie ist in fast allen Kulturen seit Jahrhunderten tief verankert,
wesentlich stärker als bei uns, und die Homosexuellen werden verfolgt. Sie ist
sozusagen ins Kulturgut tief eingegraben. In Deutschland wurden die
Homosexuellen im Dritten Reich umgebracht, und vor ca. 20 Jahren wurde erst der
Paragraph 175 abgeschafft. Naturgemäß ist die Homophobie bei uns auf der unteren
Ebene, der un - und vorbewussten Ebene, oder auch offen noch weit verbreitet. Es
gilt ein Männlichkeitskult, überhöhter Kult, da andere sexuelle Ausrichtungen
ausgegrenzt sind. Homosexuelle werden mit Schwäche und Unmännlichkeit in
Verbindung gebracht und als Schwuchteln und Tunten stigmatisiert, obwohl das in
seltenen Fällen so ist. Bei Massenveranstaltungen wie ein Fußballspiel wird
diese untere Ebene des Verhaltens aktualisiert.
Als Reaktion auf die Diskriminierungen und im Kampf für die Gleichstellung
zeigen die Homosexuellen zum Beispiel beim Christopher-Street-Day ein schrilles
Verhalten, sozusagen ein Kontrapunkt und Protest gegen die Anpassung. Häufig
wechselnder Geschlechtsverkehr, Darkrooms und Klappen sind bei ihnen verbreitet,
so dass sie weiteren Vorschub zur Sündenbockfunktion und -strategie für die
homophoben Tendenzen unterliegen. Andererseits ist dies ein Zeichen ihres
gesteigerten Selbstbewusstseins, des Aufrechterhaltens ihrer Würde und ihrer
inzwischen entwickelten Subkultur und, dass sie in unserer Kultur nicht mehr um
ihr Leben fürchten müssen. Die Gesellschaft hat sich oberflächlich verändert im
Sinne der Aufgeschlossenheit gegenüber einer andersartigen sexuellen
Ausrichtung.
Doch eins vermisste ich im mir zugänglichen Blätterwald, nämlich den Hinweis,
dass die Diskriminierungen und Anfeindungen zuerst einmal eine Schande der
Anfeindenden selbst sind, und auf sie zurück fallen. Schließlich kommt das aus
dem Mund der Vorwerfenden, und gibt somit zuallererst Zeugnis über ihre eigene
Einstellung, ihre Schwulenfeindlichkeit. Eine Geste verdeutlicht diesen Umstand,
der Zeigefinger zeigt offen nach vorne zum anderen, und drei Finger zeigen unter
der Hand verdeckt und unsichtbar zurück. Je heftiger er mit dem Finger auf die
Schwulen zeigt, desto nötiger hat er es. Nötig – warum? Daß er nichts damit zu
tun haben möchte, weil er soviel damit zu tun hat, soviel Angst vor den Schwulen
hat, der Homophobie. Dies Auslassen deute ich als latente Homophobie, indem
Schwule nicht gefördert werden, sich zu wehren. Die Homosexuellen sollen
sozusagen die Diskriminierungen widerstandslos hinnehmen. Wie kommt es zur
Homophobie?
Schließlich kommt der Mensch wahrscheinlich ohne eine festgelegte sexuelle
Ausrichtung auf die Welt. Diese ist ein Kulturprodukt und zwar in ihrer
Eindeutigkeit, weil viele Menschen sonst in Verwirrung geraten. Die Suche nach
Eindeutigkeit und Klarheit sind eine Folge von Traumatisierungen, die häufig
schon über Generationen geht. Ich erinnere nur, dass vor über 100 Jahren in den
meist gelesenen pädagogischen Büchern des Orthopäden Schreber, der auch die
Schrebergärten kreiert hat, die Erziehung darauf ausgerichtet war, der Wille des
Kindes ist um jeden Preis zu brechen. Bedingungsloser, ja vorauseilender
Gehorsam und damit der Verlust der Würde waren gefragt. Das setzt sich
untergründig bis heute fort.
Weil die Kinder den Eltern glauben, das ist ihr Schicksal, entladen sich die Wut
und der Haß auf die Erzieher auf Außenseitergruppen. Da die Sexualität zentraler
Bestandteil des Menschen ist und der Fortpflanzung dient, ist sie besonders dem
Diktat der Eindeutigkeit ausgesetzt. Bei jedem Menschen sind beide Seiten der
Sexualität angelegt, aber eine Seite muß daraufhin verleugnet werden. Diese
Seite wird aber besonders gefürchtet und an den anderen, die sie ausleben, stark
bekämpft, der Homophobie. Man könnte auch Neid und Missgunst dahinter vermuten,
dass die Schwulen etwas ausleben, was sich die anderen nicht gönnen und wovor
sie Angst haben. Der Homophobe fürchtet also seine eigene Homosexualität. Ich
erinnere mich, dass ein Patient mir bekannte, früher wäre er über die Schwulen
hergezogen, jetzt müsse er zu seiner Schande gestehen, er habe selber
homosexuelle Fantasien. Er konnte sich inzwischen die Fantasien eingestehen, da
er überwiegend nicht schwul war.
Auf der anderen Seite wird ein Männlichkeitskult gepflegt, der alles andere als
Schwäche, Weichei und Weibischsein auslegt und verfolgt. Normale menschliche
Eigenschaften wie Schwäche, Weichsein, auch Verständnis für den anderen, Weinen,
wenn etwas trauriges passiert ist, Schmerzen, Verzweiflung, Unentschlossenheit
und Ambivalenz fallen diesem Ideal zum Opfer. Härte, Entscheidungsfreudigkeit,
Klarheit und Eindeutigkeit haben höchste Priorität.
Jungen, die etwa gelegentlich Mädchenkleider anziehen, werden gehänselt und
ausgelacht. Die Bezeichnung „Muttersöhnchen“ wird gefürchtet. Später lieben es
Transvestiten, in Frauenkleidern aufzutreten, und Transsexuelle fühlen sich im
falschen Körper, vertreten eine weibliche Identität, und lassen sich
umoperieren. Lesben, weibliche Homosexuelle, die beim Anerkennungskampf
unspektakulär im Kielwasser der Schwulen schwimmen, sind ja keine Männer. Es
geht ja um den Männlichkeitskult, und da stellen Frauen keine so große
Gefährdung dar.
Über die Hintergründe dieses Männlichkeitskults mache ich mir weiterhin so meine
Gedanken. In einer Gesellschaft, in der die Männer um der Karriere willen ihre
Zeit am Arbeitsplatz verbringen, sind die Kinder völlig den Müttern
ausgeliefert, evtl. sind diese noch alleinerziehend, - ich möchte das nicht
verallgemeinern, denn alleinerziehende Mütter können durchaus differenzíert und
anerkennend erziehen - machen sich deren Weltbild zu eigen und sehen die Welt
mit den Augen ihrer Mütter. Oft stimmen die Väter mit den Müttern überein,
meiden so Dissonanzen und Streitigkeiten. Die typische Konstellation ist, nach
außen vertreten die Männer die Familie, im Innenbereich herrschen die Mütter.
Dann ist das Bild, Imago, der tadellose Ruf das Wichtigste, alles andere wird
von Schmach, Schande und Feindseligkeit begleitet.
Wenn nun die Prägung von starken Verurteilungen, Ängsten, Angstmache und sogar
von Misshandlungen begleitet ist, identifizieren sie sich umso mehr mit dem
Aggressor, weil nämlich negative Erfahrungen wesentlich stärker gespeichert
werden als positive. Sie sind von ihren Müttern geprägt, also Muttersöhnchen,
und müssen in aller Heftigkeit diese Tatsche weit von sich weisen. Die Übernahme
der verurteilenden Mütter erzeugt Aggressionen und, da diese sich in der eigenen
Person befindet, sie mit ihr identifiziert sind, richten sie sich gegen die
eigene Person. Es entstehen Autoaggressionen. Diese können sich u.a. als
Depressionen, Angstzustände oder Schmerzzustände äußern.
Ich möchte eine Lanze für die Homophoben brechen. Schließlich können sie nichts
dafür, dass sie seit Generationen in der Kindheit so sehr durch Verurteilungen
bekämpft wurden, diesen Kampf verinnerlicht haben, und ihr Inneres nach außen
bringen müssen. Sie sind ein Opfer ihrer Prägungen. Leider sind später andere
ihre Opfer. Denn schließlich muss der Mensch zum Schutz vor der Autoaggression
seine Aggressionen irgendwohin nach außen unterbringen. In unserer jüngeren
Geschichte spricht der Holocaust eine deutliche Sprache. Dazu eignen sich
bestimmte Gruppen hervorragend wie zum Beispiel die Homosexuellen und zwar in
aller Eindeutigkeit, dass es nichts zu rütteln und deuteln gibt.