Weltexpress

Nachrichten aus aller Welt

 

Reise, Europa

 

25. Oktober 10 , 14:22

Mit der Kawasaki VN 900 im Departement Gard und den Cevennen – ein Erfahrungsbericht

 

 

Frankfurt am Main (Weltexpress) - Als die Mitstreiter erfuhren, dass einer mit einer Kawasaki VN 900 in den Cevennen herum fahren wolle, hiess es „Was will der mit so einem Gerät in den Cevennen? Das ist doch kein Motorrad, eine Krankheit, höchstens eine Philosophie!“ Ja, für viele Motorradfahrer in unserer westlichen Hemisphäre  ist das Motorrad kein Gebrauchgegenstand zur preisgünstigen und zweckmässigen Vorwärtsbewegung, sondern eine Art Philosophie, ein Kult und ein Statussymbol, je hochvolumiger und mehr Drehmoment oder PS und Drehzahl, desto besser.

 

Die Einen schwören auf Oldtimer, verbringen viel Zeit mit Basteleien und auf Ersatzteilmärkten, andere auf Naked-Bikes, andere auf Rennmaschinen, um Geschwindigkeitsrekorde auf der Geraden oder mit gut gepolsterten, protegierten Knien in Kurven aufzustellen, der Kurvenrausch ist der Spass. Wieder andere lieben das Gelände, für sie ist das Off-Road oder die Enduro das Richtige, andere lieben den Kompromiss der Reisenduros als Übergang zu den klassischen Reisemaschinen. Seit dem Aufkommen von Großrollern steigt eine neue Szene auf diese um und schätzt den Komfort und die Kurvengängigkeit. Die Spitze des Kults ist, seit dem Film EasyRider hat sich eine Chopper- und Cruiser-Szene heraus gebildet, mit teilweise abenteuerlichen Umbauten nach dem Vorbild der Kultobjekte von Harley Davidson. Diese lieben den unnachahmlichen Sound und das beschauliche Dahingleiten, aber auch den hochvolumigen Kick aus dem Keller heraus. In typisch deutscher Manier neigen die jeweiligen Fraktionen die Anderen herunter zu machen (siehe oben). Allen Philosophien versuchen die Hersteller mit ihren Modellen gerecht zu werden, um sich ein Stückchen aus dem Kuchen heraus zu schneiden.

 

Als mich Jochen Ehlers von Endurofuntours anrief, ob ich wieder eine Motorradpressereise Mitte Oktober 2010, diesmal ins Departement Gard, südlich im Anschluss an die Ardeche, mitmachen wolle und noch eine Anreise mit dem Autoreiszug der Deutschen Bundesbahn in Aussicht stellte, sagte ich unter der Bedingung zu, mit dem Reiszug an- und zurück zu fahren. Ich dachte mir, im Oktober kann die lange An- und Rückreise schon recht unangenehm werden. Ich war bisher mit Jochen zweimal an der Ardeche und einmal in Korsika gewesen mit einer Kawasaki Versys und einer Honda CBF 600, jeweils sehr kurvenreiche Ritte in atemberaubenden Landschaften, und schätzte seine Organisation und menschliche Führung in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fremdenverkehrsämtern.

 

Die Autoreisezugbahnfahrkarten waren schon frühzeitig da, von Neu-Isenburg, in der Nähe meines Heimatortes Frankfurt, nach Narbonne. Als ich bei Kawasaki nach einer Testmaschine anfragte, wurde mir von Frau Urban von der Presseabteilung als erstes eine VN 900 angeboten. Das entsprach genau meinen Wünschen, einen Mittelklasse-Cruiser nach meiner Vorstellung nicht allzu schwer, aber mit genügend Bumbs. Mit den Kurven in den Cevennen würde ich schon zurecht kommen. Ich holte sie zwei Tage vor der Abreise ab. Mir bot sich ein doch recht gewaltiger Cruiser in schwarz an, ein breiter tiefer bequemer Sitz, Zweizylinder mit dicken Auspuffrohren und blubbernden, kernigem Sound, einem großen breiten Windschild, zwei stilgerechten Lederpacktaschen und Riemenantrieb, Zusatzscheinwerfern, Trittbrettern und Wippschaltung, ganz Harley nachempfunden.

 

Zuerst fuhr ich auf den Feldberg im Taunus, testete auf der Autobahn dorthin kurz die Höchstgeschwindigkeit, wie angegeben 160 km/h, und die Kurvengängigkeit, wobei einmal das Trittbrett aufsetzte. Ich musste also in Kurven vorsichtig sein, also wie anzunehmen kein Kurvenkünstler. Auch liess sie sich nicht so leicht in Kurven legen, blieb dann aber stabil. Meine langen Beine in der niedrigen und bequemen, entspannten Sitzposition standen auf dem Trittbrett leicht über 90 Grad angewinkelt. Gebeugte Knie mag ich nämlich nicht so gerne, bin mehr ein Chopperfahrer mit möglichst weit vorverlegten Fussrasten. Hinter dem Windschild bekam ich den Wind nur am Helm ab. Aber an die Wippschaltung habe ich mich nie richtig gewöhnt, habe deren Funktion nicht automatisiert und musste in Stressituationen gelegentlich nachdenken, ob ich vorne oder hinten schalten müsse. Eine normale Schaltung wäre mir lieber gewesen. Aber das ist bei einem grösseren Cruiser nicht stilgerecht.

 

Am Abend vor der Abreise rief eine Dame der Deutschen Bundesbahn an, wegen des Streiks in Frankreich führe der Zug nur bis Alessandria, zwischen Turin und Genua. Bei Google sah ich, von dort waren es 570 km nach Montclus, unserem Ausgangshotel, und von Narbonne 220 km. Ich mailte die Mitfahrer an, wie sie es nun mit der Reise halten würden. Der Eine schrieb zurück, er komme von Berlin und fahre bis Lörrach. Der Andere rief an, er komme mit dem Motorrad von Augsburg nach Neu-Isenburg und fahre auch bis Alessandria. Ihn traf ich auf dem Bahnhof. Nach der Verladung tranken wir zuerst einmal zum Kennenlernen zwei Bier. Unser Zugbegleiter war äusserst freundlich, wies uns das Abteil, eins für mich ganz alleine, holte hinter den drei Sitzplätzen das Bett heraus, versprach zu wecken und am Morgen gab es noch ein Frühstück. Bei dieser freundlichen Behandlung und familiären Athmosphäre liess es sich entspannt reisen, leider nur etwas kurz. Wegen der Nebensaison und der Verkürzung – andere Motorradfahrer wollten nach Spanien - war der Zug auch nicht so voll.

 

Ursprünglich wollte ich über der Ligurischen Küste und der Cote Azur in möglichst milden Gefilden die Autobahn fahren, um rechtzeitig in Montclus zu sein. Der Mitfahrer Erwin wollte aber über die Alpen. Wir beschlossen bis Cuneo zusammen zu fahren, dann uns eventuell zu trennen, verloren uns leider bald. Ich beschloss, auch über den Colle Maddalena, knapp 2000 m hoch, Barcelonette und Gap in Richtung Orange zu fahren, passte aber nicht auf, fuhr in Richtung Valence an der Drome entlang, an die 100 km zusätzlich. Bei sonnigem Wetter war es eine wunderschöne Fahrt durch atemberaubende alpine Landschaften. Auf dem Pass und in der Nacht wurde es mir jedoch kalt. Statt bis 20 Uhr kam ich erst gegen 22.30 an. Die anderen hatten sich schon Sorgen gemacht. 100 m vor dem Hotel war ich an der Abzweigung vorbei gefahren, umgekehrt und musste im spitzen Winkel abschüssig um die Kurve. Dabei kippte mir die Maschine um. Zu meinem eigenen Erstaunen konnte ich sie ganz alleine aufrichten. Der rechte Zusatzscheinwerfer war leicht beschädigt. Bei der wesentlich leichteren, aber hoch gebauten Versys hatte ich das nicht geschafft.

 

Die paar Tage der Tour durch die Cevennen stellten sich als noch kurvenreicher als an der Ardeche und in Korsika heraus. Teilweise fuhren wir auf kleinsten unebenen Strassen und Strässchen, gespickt mit Serpentinen und Haarnadelkurven, Pässe hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter, überquerten kleine Brücken in den Flusstälern. Vielfach war es ein Gewippe und Geholpere, das das Fahrwerk jedoch souverän wegsteckte. In mittleren Lagen waren die Strassen von Esskastanien gesäumt und die Schalen ihrer Früchte lagen auf der Strasse. Bei Nässe wäre das sicherlich gefährlich gewesen. Die Mitfahrer hatten schon recht, für dieses Gelände war diese Maschine nicht die Geeignetste, zu schwer, niedrige Trittbrette, zu wenig cruiserübliche PS. Aber es ging auch, wenn auch nicht so schnell wie bei den anderen versierten Fahrern und Kurventechnikern. Sie mussten halt an den Abzweigungen einen Moment auf mich warten. Aber auch mit der Versys und der Honda war es mir fast ähnlich ergangen. Ich schätze halt mehr das beschauliche Cruisen, den Landschaftsgenuss - dazu reicht mir eigentlich schon ein 125er Chopper -, und mit zunehmenden Alter wird man sowieso vorsichtiger und ängstlicher. Teilweise waren neu geteerte Strassen, nicht die in Deutschland übliche Flickschusterei, auf denen ich auch mal aufdrehen konnte. Das Wetter wurde zwar zunehmend bedeckter und kühler, aber es regnete nicht.

 

Bei einem Anruf in zu Hause erfuhr ich, wegen des Streiks war Narbonne wiederum gekanzelt. Ich könnte ab Lörrach mit dem Autoreisezug fahren. Das wäre laut Fred bis dahin 600 km. Auch hiess es, es gebe nicht überall Benzin. Also beschloss ich, geradewegs nach Hause zu fahren, fuhr ab Valence im Trockenen nur noch Autobahn und war am Abend gegen 23 Uhr in Frankfurt zu Hause. Die VN liess sich auf der Langstrecke angenehm fahren. Ich hatte Glück, es gab überall Benzin und in der Nacht anschliessend hatte es in Frankfurt geregnet. Der arme Fred, der Berliner, hatte Pech, am zweiten Tag sprang seine BMW, 120 000 km auf dm Buckel, nicht an. Er bekam vom ADAC die Zugreise bezahlt, und seine BMW wird noch nach Berlin transportiert. Werkstätten sind samstags ja nicht geöffnet. Die BMW von Erwin hatte schon 130 000 km gefahren. Mit ihr war er einmal um die Erde gereist. Mit von der Partie war noch ein französischer Journalist, Philippe, auf einer 600er Kawasaki mit über hundert PS. Er hat 24 Motorräder mit einem Wechselkennzeichen in seinen Garagen stehen. Jochen Ehlers, unser Guide, nahm noch eine Freundin, Birgit, eine ganz Nette, auf seiner bei Kawasaki geliehenen Versys mit, so dass wir anfangs fünf Motorräder waren.

 

Ach ja, der Benzinverbrauch ist mir wichtig. Anfangs in Italien verbrauchte die VN 41/4 l, über die Alpen 4 l, in den Cevennen offenbar durch Beschleunigungen nach den Kurven 5 l, um doch nicht so weit zurück zu fallen, gegen den stürmigen Mistral im Rhonetal bei verhaltener Fahrweise auch 5 l, bei aufgedrehtem Gashebel um die 140 km/h Autobahn 61/2 l und bei meist 120 wiederum 5 l, also in Anbetracht des Gewichts ein moderater Verbrauch.

 

Fazit: Bei der VN handelt es sich um einen attraktiven Mittelklasse-Cruiser, der sich in der Optik wenig von seinen grösseren Geschwistern unterscheidet. Sie lässt sich angenehm und entspannt fahren, kann in niedrigen Touren gleiten und beschleunigen. Der Benzinverbrauch ist moderat. Der Riemenantrieb lässt sich entspannt und relativ wartungsfrei fahren, setzt nicht so abrupt ein wie oft ein Kardan.

 

Daten der VN 900:

 

Flüssigkeitsgekühlter 2-Zylinder-Viertakt-V-Motor Hubraum 903 cm³ Bohrung x Hub

88,0 x 74,2 mm

Verdichtungsverhältnis 9,5:1

Ventil-/Einlasssystem SOHC, 8 Ventile, Gemischaufbereitung Elektronische Kraftstoffeinspritzung mit Doppeldrosselklappen, Zündung Digital, Elektrostarter, 5-Ganggetriebe, Zahnriemen, Doppelschleifen-Stahlrohr-Rahmen, Lenkkopfwinkel/Nachlauf 33º/182 mm,

Radfederweg vorn 150 mm, Radfederweg hinten 103 mm

Reifen vorn 80/90-21M/C4 87H,  Reifen hinten 180/70-15M/C 76H

Lenkwinkel links / rechts 36º/36º

Radaufhängung vorn 41 mm-Teleskopgabel

Radaufhängung hinten Uni-Trak-Federungssystem mit 7-fach einstellbarer Federvorspannung

Bremse vorn Gelochte Scheibenbremse 300 mm

Bremse hinten Gelochte Scheibenbremse 270 mm

Maße und Gewichte Abmessungen (L x B x H) 2.405 x 895 x 1.120 mm

Radstand 1.645 mm

Sitzhöhe 685 mm,  Tankinhalt 20 Liter

Gewicht fahrfertig 284 kg

Maximale Leistung 37 kW (50 PS) bei 5.700/min

Leistungsbeschränkte Version 25 kW (34 PS) gegen Aufpreis

Maximales Drehmoment 78 Nm bei 3.700/min

 

Ein Video auf Youtube von Fred:

http://www.youtube.com/watch?v=vSYnmVXG_0Y http://www.youtube.com/watch?v=vSYnmVXG_0Y

 

 

Hier ein Link zu meiner Bilderauswahl:

Gardbilder  

 

Info: 

 

ENDUROFUN Tours, Postfach 43, 25710 Burg / Dithmarschen

Tel.: 0049 - 0 48 25 / 16 95

http://www.endurofuntours.com

 

DB AutoZug GmbH

Königswall 21, 44137 Dortmund,Tel. +49 231 729-3330, Fax 729-3333, www.bahn.de/autozug
www.bahn.de/citynightline-
Eine von vielen möglichen Strecken ist Neu Isenburg nach Narbonne.

 

Kawasaki Deutschland: www.kawasaki.de/

 

Lysianne Boissy d’Anglas: www.gard-tourismus.com

 

Bernd Holstiege