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04. April 11 , 16:44
Der Hochrisikofaktor Mensch in der Hochrisikotechnologie Kernenergie

Frankfurt am Main (Weltexpress) - Die Welt hält den Atem an, ob es in dem Atomkraftwerk Fukushima in Japan noch zum Supergau, der kompletten Kernschmelze, kommt. Eine partielle Kernschmelze hat schon stattgefunden, und die Folgen sind schon jetzt unermesslich. Kühlen, Kühlen, Kühlen in allen Formen der Improvisation ist angesagt, wie sie in keinem Handbuch für Störfälle stehen - ein Wettlauf mit der Zeit. 2002 kam ans Licht, dass Tepco, die japanische Elektrizitätsgesellschaft, 16 Jahre lang Unfälle nicht gemeldet, Reparaturen verschleppt und die Berichte gefälscht hatte. Daraufhin wurden die Reaktoren heruntergefahren und 2004 wieder angeschaltet. 2007 musste das firmengrößte Kraftwerk wegen Erdbebenschäden für 21 Monate abgeschaltet werden, wodurch das Unternehmen erstmalig Verluste verzeichnen musste. Auch seitdem sind Meldungen über Störfälle immer wieder bekannt geworden. Nur zehn Tage vor dem Erdbeben und dem Tsunami hatte die japanische Atomsicherheitsbehörde erhebliche Mängel bei der Inspektion und Wartung nachgewiesen. In dieser Hochrisikotechnologie menschelt es erheblich. Um des Profites willen waren Kosten gespart worden. Kostenersparnis aus Profitgier ist eine allgemeine menschliche Eigenschaft, nur äußerst gefährlich in einem Bereich dieses Hochrisikos.

Nun haben bekanntlich alle schlechten Dinge auch ihre guten Seiten. Die Tragik der Japaner wird zu einer Tragik unserer deutschen Atomindustrie, vielleicht mit weltweiten Folgen, und postwendend erhielten die politischen Steigbügelhalter ihre Quittung. Bei den Landtags- und Kommunalwahlen erhielten die Grünen erheblichen Zulauf, und die alte Antiatombewegung lebte wieder auf. Den Deutschen und der Welt waren der menschliche Faktor und die tragischen möglicherweise weltweiten Folgen der Kernindustrie vor Augen geführt worden. Natürlich sagt die Kernindustrie bei uns sofort, wir leben nicht in einem erdbebengefährdeten Gebiet, und Tsunamis sind in Deutschland kaum möglich. Die Japaner kannten dieses Risiko sehr wohl, hatten aber in ihren Kalkulationen nicht mit diesem Ausmaß gerechnet. RWE klagt sogar schon, angeblich im Interesse der Aktionäre, gegen die Schließung von Biblis A, die bei einem abgeschriebenen Atomwerk einen Verlust von etwa 700 000 € täglich bedeuten würde. Nach von der Kernindustrie mit Hilfe der Politik selbst gemachten Gesetzen hat RWE in diesem Gewinnspiel sogar keine schlechten Karten. Für Kernkraftgegner bedeutet das den Höhepunkt der Unverschämtheit, für das Kapital sind das verständliche Interessen. Für uns erhebt sich die Frage, mit welchen Risiken könnten bei uns die Vertreter der Kernenergie nicht rechnen?

Alle Technologie ist mit menschlichem Geist und menschlicher Hand, zwar nach Naturgesetzen, erfunden und geschaffen, und der Mensch ist mit Fehlern und Schwächen behaftet. Allein die Computertechnologie hat immer wieder Fehler. Microsoft, ein Weltkonzern mit vielen Technikern und Fachleuten, muss seine Programme immer wieder in einem Wettlauf mit Hackern und Kriminellen durch Updates sicherer gestalten. Auch die Kernenergie wird von Computerprogrammen gesteuert. Allein diese können schon fehlen. Hinzu kommt die menschliche Schlampigkeit und Schludrigkeit. Ein Wartungsfachmann, der 1000 mal sein Programm abgespult, das auf die Dauer leid hat und anfängt zu schludern, wobei wiederum 1000 mal nichts passiert sein mag, und dann passiert es mit tödlichen Folgen das eine Mal. Er ist dran, obwohl er sich rechtfertigt, die Kernenergie gilt doch als sicher, wie es immer geheißen hat. Die Werbung mit dem Ziel des hohen Profits bestimmt die Wahrheit.

In Japan wurde infolge Profitsucht und –gier systematisch geschlampt, Berichte gefälscht, lange geheim gehalten, bis wahrscheinlich nur einiges herauskam. Und was alles wird bei uns geheim, unter Verschluss gehalten und kommt irgendwann oder nie heraus? Die Profitsucht als menschlicher Faktor ist nicht nur in Japan verbreitet. Sie ist ein Kompensationsmechanismus für mangelnde Selbst- und Fremdakzeptanz und defizitäre positive emotionale zwischenmenschliche Beziehungen und umso stärker, je defizitärer diese sind. Die Profitgeier sind also emotionale Krüppel. Ihren Neid auf andere versuchen sie in Neid anderer auf sich umzuwandeln, was ja auch oft genug gelingt. Geld, Glanz und Macht hatten schon immer eine starke Verführungskraft und werden deswegen gesucht.

Sicher sind unsere Kernkraftwerke gegen zufällige Flugzeugabstürze und gezielte Selbstmordattentate wie 2001 in New York nicht ausreichend gefeit. Das hält die Kernindustrie auch nicht geheim. Wir haben in dieser Unsicherheit unsere Sicherheit. Verführt durch den hohen Profit versucht die Kernindustrie in ihrer Werbung die Risiken immer klein zu halten und spricht von einem äußerst geringen Restrisiko. Als menschlicher Faktor steuert das Interesse die Wahrheit und die Erkenntnis, für Kernkraftgegner die mangelnde Erkenntnis und Blindheit als Wahrheit. Wie im griechischen Altertum die "blinden Seher" macht die Profitgier die Lobbyisten und ihre politischen Vertreter zu blinden Sehern. Das kennen wir schon alles vom Bankenwesen. Der kurzfristige Gewinn macht blind gegenüber den Folgen und stürzte die Finanzwelt in eine globale Wirtschaftskrise. Nur sind diese Folgen nicht so gefährlich wie die potentiellen einer Kernindustrie. Auch schwingt immer die Hoffnung mit, es wird schon gut gehen.

Diese Hoffnung macht ebenfalls blind gegenüber den möglichen Folgen einer nicht gelösten Endlagerung der Kernindustrieprodukte. Hinsichtlich der ungelösten Endlagerung schwingt ebenfalls im Vertrauen auf den technologischen Fortschritt die Hoffnung mit, es wird sich schon eine technologische Lösung finden. Aber wenn nicht?! Die Folgen werden spätere Generationen vor unlösbare Probleme stellen. Nun denken viele und halten sich an diese Devise "nach mir die Sintflut!". Die soziale Verantwortung ist in der Kernenergie ähnlich wie im Bankenwesen und Gesundheitswesen, dort wo sehr viel Geld verdient wird, klein geschrieben. Diese Subkultur lebt in ihrer eigenen rauschartigen Welt des Profits und dadurch ermöglichten Konsums. Eigentlich sollte die soziale Verantwortung Sache der Politiker sein. Nur sind diese oft allzu sehr in ihren eigenen Interessen mit den Interessen der Kernindustrie verbandelt. Macht und Geld paaren sich. Das ist menschlich verständlich.

Es gibt immer wieder in unseren Augen verrückte Terroristen, Selbstmordattentäter und Amokläufer. Japan selbst hat eine Tradition in Kamikaze-Selbstmördern. Selbstmordattentäter und Amokläufer sind vorher meist unauffällige Menschen, über die keine Vorhersage getroffen werden kann. Sie können sich auch unauffällig in Kernkraftwerke einschleichen, dort jahrelang unauffällig ihren Dienst versehen und eventuell in einem psychischen Ausnahmezustand eines Tages zuschlagen. Brandstifter gehen auch gerne zur Feuerwehr. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, sondern auf Möglichkeiten hinweisen, die eine profitgierige Kernindustrie zumindest offiziell nicht einschließt und einkalkuliert. Der Bürger soll Vertrauen in sie haben, denn das garantiert sprudelnde zukünftig Gewinne. Alles, was ich in meiner abwegigen Fantasie an Perversitäten ersinnen kann, haben unter Milliarden von Menschen schon andere ersonnen und manchmal sogar schon durchgeführt. Wie kürzlich im Dortmunder Westfalenstadion können sich auch Erpresser die Kernenergie, in der ein unglaubliches Erpressungspotential steckt, zunutze machen. Das können Einzeltäter sein, am ehesten kundige Industrieangehörige, da nutzen auch die besten und sichersten Personenüberprüfungen nur beschränkt, verbrecherische Organisationen, wie in James Bond 007- Filmen anschaulich vorgeführt, oder Staaten sein. Es gibt auf unserer Erdkugel genügend Despoten, die potentiell zu allem fähig wären.

Setze ich meine perversen Fantasien fort, wäre ein guter Angriffspunkt für (Selbstmord-)Attentäter die Zwischenlagerung, die infolge fehlender Endlagerung der verbreitetste bisher gangbare Weg der Abfallbeseitigung und somit besonders störanfällig ist. Ein Attentäter könnte dort unglaubliche weltweite Schäden anrichten. Nicht umsonst werden Atomtransporte von einem Sicherheitsstab begleitet, nicht nur wegen der Protestanten. Vielleicht kommt jemand in einer guten Absicht, um ein Fanal für die Beendigung dieser gefährlichen Technologie zu setzen, auf die Idee, einiges hochgehen zu lassen. Ein unauffälliger Mitarbeiter hätte dazu die besten Chancen.

Kommen wir zu dem menschlichen Faktor der Ambivalenz und nach Freud des meist unbewussten Gegenwillens. Die Ambivalenz muss herrschen, da praktisch alle Dinge von Vorteilen und Nachteilen begleitet sind, und beides gleichzeitig nicht möglich ist. Der Gegenwillen ist eine Folge der Ambivalenz und dadurch gekennzeichnet, bewusst will der Mensch das Gute, die Ordnung und soziale Verantwortung, aber er handelt ganz anders. Die Ambivalenz gehört zu jedem Menschen, und der Gegenwillen ist auch bei jedem mehr oder weniger vorhanden. Das sind menschliche Gesetze. Der Messie ist beispielsweise meist unbewusst ein Sauberkeits- und Ordnungsfanatiker, lässt aber seine Wohnung völlig verwahrlosen und verdrecken. Manch chronisch Kranker sucht die Gesundheit, tut aber alles zu seiner Erkrankung wie Fressen, Saufen und Bewegungsmangel. Der Maniker schmeißt das Geld heraus, stößt sich und seine Familie in Schulden, während seine Familie dem Geiz frönt. Katholische Priester widmen sich höheren Zielen, der Reinheit und der sexuellen Abstinenz, aber einzelne Mitglieder vergehen sich an Kindern, nicht nur sexuell. Der Gegenwillen und die Doppelmoral sind ein Trotz-, Verweigerungs- und Oppositionsmechanismus gegen die einengende Herrschaft der Anpassung, Normen und nach den allgemeinen Regeln des Gut und Glatt-Funktionierens.

Dieser Faktor der Ambivalenz und des unbewussten Gegenwillens mag als menschlicher Faktor auch bei Mitarbeitern in der Kernindustrie eine Rolle spielen. Dann gestalten sie die Technik, die Wartungsarbeiten schlampig und fehlerhaft, geben gefälschte Berichte heraus oder sabotieren sogar das ansonsten gut funktionierende Räderwerk der Kernindustrie. Möglicherweise ist das schon in Japan geschehen, aus Gründen der Ambivalenz und des Gegenwillens, nicht nur aus Profitgier - und nicht nur dort. Der menschlichen Fantasie und potentiellen Realität sind keine Grenzen gesetzt. Im menschlichen Störfaktor stecken trotz aller technischer Absicherungen unkalkulierbare Risikofaktoren. Verstärkt wird also das Hochrisiko der Kernindustrie durch das Hochrisiko Mensch, gerade bei dem, der meint, sich Normen anpassen zu müssen und sich dagegen wehrt und sie unterläuft.

Die Kernindustrie kann auch zum Ausbau von Kernwaffen genutzt werden, wie dies schon seit langem im Iran gefürchtet wird. Kernwaffen beinhalten Macht und Erpressungspotential, das die etablierten Nationen für sich in Anspruch nehmen, aufstrebende Despoten und Machtcliquen auch für sich beanspruchen. Im Angesicht der Bedrohungen durch die Kernindustrie werden die Gefahren durch die Kernwaffen vergessen, wo noch ein unglaubliches Potential bereit steht, dieses teilweise infolge mangelnder Wartung vergammelt, aber gerade dadurch zur Gefahr wird. Zu Zeiten des kalten Krieges hatte dieses Potential wegen der weltweiten Bedrohung sich neutralisiert, und es war nichts Schlimmes passiert. Damals hatte ich in ernsthaften Zeitungen gelesen, dass mit 90% Wahrscheinlichkeit mit einem globalen Holocaust zu rechnen sei. Nach diesen Rechnungen haben wir Glück gehabt. Wir können aber nicht für alle Zeiten mit dem Glück oder, je nach Glauben, mit Gottes Hand und Schutz rechnen.

Hoffentlich hat das tragische Geschehen in Japan die positive Folge, uns allen die Augen für unser Hochrisiko zu öffnen. Die vergangenen und hoffentlich zukünftigen Wahlen sind ein erster Schritt. Weitere Schritte sollten der Verzicht auf die Kernindustrie, eine Einschränkung des Energiebedarfs und ein Ausbau der erneuerbaren Energien, bisher schon vielfältig erhobene Forderungen, und eine Verschrottung der Atomwaffen sein. Einige Mitglieder der konservativen Parteien wie die Kanzlerin Merkel scheinen sich des Risikos doch bewusster zu werden, plädieren für eine Energie-Wende, haben ein 3-monatiges Moratorium geschaffen und wollen einen Stresstest für alle Kernwerke durchführen. Oder sind das nur Scheinmanöver, um die Gemüter zu beruhigen und die ganze unangenehme und profitfeindliche Sache dem schnellen Vergessen anheim zu stellen, wie der Bundesumweltminister Röttgen laut Protokoll vor dem BDI in beruhigender Absicht angeführt hat?

Von Bernd Holstiege

1 Kommentar
Jürgen Strott schrieb am 28.04.2011 23:26

Ein Satz zur Statistik in der Kernenergie: Nach gängigem Bekunden ist in einem Kernkraftwerk alle 10.000 Jahre ein GAU zu erwarten. (Dabei sagt die Statistik nicht, wann innerhalb der 10.000 Jahre). Da wir derzeit aber etwa 500 AKWs haben, ist die Wahrscheinlichkeit 10000/500 = 20. D. h. Tschernobil und Japan liegen exakt im Erwartungskorridor. Dabei sind Harrisburg und Schweden nicht mit gezählt.

Zum Vergleich beim Lotto beträgt die Chance je Tipp 1:14.000.000 Bei ca. 45 Mio Tipps je Woche gibt es im Schnitt in Deutschland 3 Gewinner je Woche und selbst mit Superzahl (nochmal Faktor 10) gibt es noch alle paar Wochen einen Gewinner.

Fazit selbst bei sehr kleinen Wahrscheinlichkeiten führt die Masse der Versuche (od. Kraftwerke) zu einer recht großen Eintreffwahrscheinlichkeit