Weltexpress international
05. November 15 , 13:15
Wie sag ich's meinem Kinde? - dem Kinde in mir selbst!
Serie: Über die Diskrepanz der frühkindlichen Erfahrungen
und Wahrnehmungen und dem späteren Erleben und der späteren Wahrnehmung
(Teil 1/3)
Kategorie: Leib & Seele, Wissenschaft, Aktuell, Mensch
© dapd
Die eingefleischten frühkindlichen emotionalen Erfahrungen nennt man das
Embodiment (Verkörperung). Die Emotionen drücken sich im Körper aus, der
Körpersprache, die eine Verbindung zwischen Gehirn und Körper darstellt. Ja
sogar während der Schwangerschaft wirken sich seelische und körperliche
Konflikte der Mutter auf das Kind aus, beispielsweise in
Durchblutungsstörungen der Placenta, dem Mutterkuchen, und können zu einem
Absterben des Fötus führen. Je nachdem wie diese Kindheit war, wie die
Eltern, vor allem die Mutter und vor allem sie selbst waren, mit sich selbst
umgingen und das Kind behandelten, wird das weitere Leben geprägt, ja sogar
vorbestimmt, ob es nun glücklich oder von Konflikten, Schmerzen und
Krankheiten bestimmt ist. Das hat eine transgenerationelle Dimension und
Perspektive, die sich sozusagen in den Genen verankert und vererbt ist. So
werden Menschenwürde, Freiheit und Selbstbestimmung erheblich eingeschränkt.
Dann stehe ich in Diskrepanz zu meiner späteren Wahrnehmung, frage mich,
wieso ich so bin, warum ich diese Ängste habe, ich habe doch kein Grund
dazu. Man spricht von Dystonie, den dystonischen körperlichen Beschwerden.
Aber diese Erfahrungen können auch synton ablaufen, vor allem im
Schambereich. Dann halte ich für selbstverständlich, dass etwas Scham
besetzt oder peinlich ist. Bei dem einen ruft ein bestimmter Inhalt Scham
und Peinlichkeit oder Angst hervor, bei anderen aber nicht. Das hängt
jeweils von den frühkindlichen Erfahrungen ab, also, wie er oder es jeweils
besetzt ist.
Gerade die durch die frühkindlichen traumatischen Erfahrungen
hervorgerufenen Krankheiten laufen erstmal von selber ab. Das ist das
Schicksal eines jeden Menschen. Aber dann kann die Reflexion einsetzen, eine
Konfrontation mit dem eigenen Selbst, der Dimension der eigenen körperlichen
und emotionalen Erfahrungen, vor allem denen in der frühen Kindheit, und der
psychosozialen Erfahrungen. Ich habe das Konzept der Triangulierung
angeführt und darüber geschrieben, d.h. der Betroffene muss sich auf ein
Außenposition von sich selbst begeben und sich betrachten, zum Beispiel wie
der eines wohlmeinenden und unterstützenden Vaters, das kann aber auch die
unterstützende Mutter sein, und sich selbst bzw. der Mutter in sich, den
Kopf zurecht setzen. Dabei lernt er zu differenzieren zwischen sich selbst
und dem Anderen, zwischen den Eltern und dem Kind. Aber das ist gar nicht so
einfach, diese Erfahrungen sind ja unbewusst und eingefleischt, entziehen
sich der Erkenntnis, Wahrnehmung und Einsicht, und dann erhebt sich die
Frage, wie sag ich's meinem Kinde in mir. Das Kind in mir soll es mir auch
glauben. Es soll in seiner ganzen Emotionalität etwas bewirken und zu einer
Veränderung führen, einer emotionalen Korrektur.
Eine emotionale Korrektur ist auch deswegen notwendig, da die frühkindlichen
Emotionen, vor allem die Aggressionen, meist die Hauptschlagkraft im Sinne
des Embodiments gegen das eigene Selbst entwickeln, also zu Krankheiten
führen. Sie führen als Autoaggressionen sozusagen ein selbständiges Leben.
Der Mensch lässt sich nicht vollständig niederbügeln, gibt sich nicht
vollkommen auf, und in den zu Krankheiten führenden Autoaggressionen meldet
er seinen Protest an und zieht einen sekundären Krankheitsgewinn.
Beispielsweise kann er durch Erkältungen, (Selbst)Verletzungen und durch
Rückenbeschwerden die ersehnte Auszeit, sozial anerkannt, sich genehmigen.
Aus den Folgen der Erkrankungen können Rückschlüsse auf die Motive geführt
werden, die aus der Zwangslage heraus führen sollen, natürlich normalerweise
völlig unbewusst, sozusagen wie selbstverständlich oder automatisch.
Überhaupt werden die frühkindlichen Erfahrungen von Mechanismen und
Automatismen beherrscht. Dazu ein längerer Aufsatz von mir vor über 20
Jahren.
http://bholstiege.de/spalt_wissen.htm
Dem stehen große Hindernisse im Weg. Ein Hindernis ist, wenn ich das ganze
Leben danach gelebt habe, dann kann ich das nicht einfach ändern. Dann hätte
ich unrecht gehabt, und jeder Mensch will
recht haben. Dann hätte ich das ganze Leben wie ein Don Quichote gegen
Windmühlen angekämpft und in diesen Feinde gesehen. Oder ich hätte als
Sisyhus ganz umsonst den Felsen nach oben gestemmt, anstatt ihn einfach
unten liegen zu lassen und ihn von allen Seiten zu betrachten. Das stellt
die ganze Souveränität und Selbstbestimmung infrage. Dann würde ich mich
lächerlich machen, und das erzeugt Scham, eine Scham, den anderen mehr als
mir selbst geglaubt zu haben, Aggressionen, also Konflikte zwischen mir und
dem Umfeld, das widerspricht dem Harmoniestreben, und Ängste vor dem Umfeld
und mir selbst. Die Selbstbehauptung ist mit Angst besetzt, Angst vor den
anderen und vor mir selbst.
Als weiteres Beispiel möchte ich unser etabliertes, naturwissenschaftliches
Gesundheitswesen anführen, dass allein die körperliche Dimension in den
Vordergrund stellt und völlig die psychosoziale Dimension vernachlässigt. Es
durchleuchtet den Körper, panscht im Blut und Urin herum, um irgendwelche
Werte (das ist natürlich übertrieben!) heraus zu finden, die es für die
Ursachen der Krankheiten hält, operiert und verabreicht Tabletten,
neuerdings sucht es sogar in den Genen - eine Riesenindustrie und eine
Verführung ohne gleichen. Mit den Genen hat es sogar recht, auf der Basis
der Epikgenetik. Das Gesundheitssystem steht sozusagen auf der Stufe eines
Kleinkindes, das seinen eigenen psychosozialen Bedingungen hilflos
ausgeliefert ist. Deswegen möchte ich nicht alle Erfolge und Fortschritte
weg reden, das aus dem Denken und dem Geisterglauben des Mittelalters
herausgeführt hat. Ich meine nur die vernachlässigte psychosoziale Dimension
und die Betonung des Körpers - die Verkörperung. Psychosozial sage ich
deswegen, weil in der Psyche des Einzelnen und in seinem Körper andere mit
ihren Meinungen aufgrund ihrer Erfahrungen mitmischen.
Ich kam auf die Idee der obigen Überschrift durch einen langjährigen
Patienten, dem Versicherungsangestellten, den ich schon in 2 Artikeln
erwähnt habe, der sich gerade mit dieser Frage herum quält. Rational sind
ihm schon seit langem die Zusammenhänge zwischen seiner Kindheit und seinen
Verspannungen und Schmerzen klar. Aber tiefergehend emotional ist ihm dies
noch nicht klar geworden. Es fehlt ihm die tiefergehende emotionale Einsicht
und Korrektur. Mit meiner Hilfe und vorher in einer psychosomatischen Klinik
sucht er sie immer wieder und von den verschiedensten Seiten her zu
beleuchten.
Ich möchte noch einmal sein Schicksal zusammenfassen. Er wurde als erstes
Kind seiner 17 jährigen Mutter und seinem 25. jährigen Vater geboren. Diese
waren Schülerin und ihr Lehrer, und sie heirateten daraufhin
gezwungenermaßen. Die Geburt galt im Umfeld als Schande, an ihm selbst
wurden die Schande und der Makel festgemacht, und er musste lebenslang
stigmatisiert dafür geradestehen. Er durfte in keiner Weise negativ
auffallen, negativ in den Augen der Eltern, nicht laut, sozusagen
quietschtvergnügt, musste immer brav sein. Ansonsten reagierte die Mutter
mit einem schmerzvollen Gesicht, das jegliche lebhafte Lebensäußerungen
verhinderte. Später hörte er vom Vater " reiß’ dich zusammen". Wenn er
später sich zu beschweren versuchte, hieß es „wir haben das beste für dich
getan“. Zuflucht hatte er bei der Oma gesucht, die ihm erstmal Geborgenheit
schenkte, aber über die bösen Männer herzog, „diese Säufer, Schläger und
Vergewaltiger, so einer sollte er nicht werden“. Sie hatte entsprechende
frühere Erfahrungen. Als Folge hatte er heute mit Mitte 50 noch keine intime
Beziehung eingegangen. Er gab sozusagen sich selbst zu Gunsten der Eltern
und der Oma auf.
Am besten lasse ich ihn selbst zu Wort kommen: „Als ich hier eben saß,
spürte ich eine Traurigkeit. Ich müsste erklären, was mit mir los ist.
Dagegen spüre ich einen Widerwillen, denke, ich müsste es, aber ich will
nicht. Ich kann nicht einfach so sein, wie ich bin. Ich muss mich
rechtfertigen und das sogar wegreden, weil es nicht akzeptiert wird. Ich
soll irgendwie anders sein. Wenn ich traurig bin, soll es nicht sein, als
wäre mir der Grund entzogen, als wäre falsch, wie ich fühlte. Als ob eine
Drohung bestände, wie kannst du es wagen, dass es dir schlecht geht, wo wir
doch alles für dich machen. Es besteht die Erfahrung und die Gewissheit,
dass mir das weggeredet wird. Ich darf nicht so fühlen, wie ich fühle.
Darüber werde ich wütend, dass man mich nicht hören und verstehen will. Dann
ist das wie eine Betäubung der ständigen Wut.
Das ist der affektive, gefühlsmäßige Teil, das ich nicht so kann wie ich
bin, weil die Mutter mit Angst reagiert hat. Meine Traurigkeit und Wut waren
für sie bedrohlich. Die Traurigkeit war sogar mehr bedrohlich als die Wut,
weil sie eine Kritik an der Mutter darstellt. Sie wird sogar verleugnet, es
gibt keinen Grund dafür. Wenn mir schlecht geht, ist was falsch, ich mache
etwas falsch, dann ist das mein Fehler, und ich bin schuld und habe
Schuldgefühle. Das bleibt unaufgelöst so stehen, in mir verkapselt und
versteckt. Ich bin doch undankbar, dann habe ich ein schlechtes Gewissen,
ist doch Egoismus, wenn es mir schlecht geht. Dann bin ich völlig
verzweifelt.
Es gibt ein richtiges und falsches Empfinden, das darf ich oder nicht. Das
ist schon in einem präverbalen Stadium passiert. Dort wurde ich allein
gelassen mit meinen Lebensäußerungen. Manchmal ist ein Empfinden in mir, ich
könnte stundenlang schreien. Jedoch wenn diese Bilder mir wieder ins
Bewusstsein kommen, das könnte mir helfen. Schon ganz früh ist diese
Verkrampfung da, mit Worten nicht erfassbar. Aber es gilt, das
Unaussprechliche aussprechbar zu machen. Ich durfte nicht wütend sein, dabei
ist das nichts Böses und Schlechtes. Aber ich glaube in der Tiefe seiner
Seele immer noch daran. Ich traue mich nicht loszulassen, denn dann kommt
die Verzweiflung, aus der ich nicht mehr herauskomme, weil es schon immer so
war. Zumindest fürchte ich das.
Ich traue mich nicht, dann werde ich aus- und weggelacht "mach dich nicht
lächerlich, reißt sich zusammen". Wenn alles um mich herum angespannt ist,
könne ich doch nicht locker lassen, das drückt alles auf mir. Diese Sätze
habe ich nur vom Vater gehört, aber nicht von der Mutter, sie sagt nichts,
sie guckt nur und wird traurig. Dann konnte ich auch nur traurig sein. Die
Traurigkeit und Verzweiflung mußte ich unterdrücken, und zwar wegen der
Eltern.
Ich erwarte noch Lob und Anerkennung, weil ich es so gut hingekriegt habe.
Nichts habe ich dafür bekommen, dass ich es für die Mutter gemacht habe. Die
Folge ist ein innerer Schrei, den ich aber unterdrücke, als wäre es
unerträglich, diese Verzweiflung, eine stumme Verzweiflung. Ich gebe mich
selber auf, verzichte, sehe keinen Ausweg, kriege nichts dafür. Das sei
alles sinnlos, weil die Mutter sage, ich verlange doch nichts von dir,
deswegen kann ich auch nichts machen. Das bilde ich mir doch nicht alles
ein, ich bin doch nicht verrückt. Ich mache es für die Mutter, und dann sagt
sie, ich verlange doch gar nichts von dir. Dann verstehe ich gar nichts
mehr, was los ist, kriege keine Erklärung. Das führe zu einer tiefen
Verunsicherung und Zerrissenheit in mir. Ich bestehe sozusagen aus zwei
Teilen, aus der Mutter und aus mir selbst, und dieser Teil wartet auf eine
Erklärung der Mutter. Sie wollte jedoch gar nicht, und dabei entsteht in mir
ein Gefühl, ich werde alleine gelassen.
Dass der Wille der Mutter bestimmend für mich sei, dann merke ich, wie
wütend ich bin, das ist so gemein, unfair, dann seien Aggressionen da, die
ich jedoch unterdrücke. Diese Wut hat die Mutter von vornherein durch ihren
traurigen Blick unterbunden. Sie verlangt von mir Sachen, die sie dann
verleugnet. Um diese Verhältnisse zu durchschauen, stecke jedoch nicht das
Wissen des Kindes drin, das kann es nicht, sondern die Allmacht des Kindes,
das alles auf sich bezieht. Dies sei wie eine Kapsel, wie eine Zeitkapsel,
die ich mit mir rumschleppe. Aber das Kind sieht nur die allmächtigen
Eltern, weil sie nicht wollen, das schleppe ich mein ganzes Leben mit mir
herum.
Eben habe ich bemerkt, dass die Tränen hoch stiegen, ein Gefühl von
loslassen, das tut gut, und dann verkrampfte ich mich wieder. Ich will
nicht, ich darf es nicht zeigen. Die Urteile sind vorweggenommen, sie sind
in mir drin. Ich möchte weinen, aber ich darf es nicht und ich möchte es
aber doch. Selbst die Halsmuskulatur, die Zunge ist verspannt, wie ein
dunkler Fleck, ein Knoten, ich darf mich nicht äußern und nach außen gehen,
als ob ich gegen die Regeln verstoßen, ein Störenfried bin. Das hält mich
zusammen, ein Gefühl, das von früher ist. Es war schon da, es wurde nur
verstärkt durch die Bemerkung " mach dich nicht lächerlich". Das hätte nicht
in den Rahmen gepasst.
Meine Mutter konnte gar nicht mitschwingen, keine Resonanz, ich bin auf
Verunsicherung und Ängstlichkeit gestoßen, das ist so in Fleisch und Blut
übergegangen. Das ist die Ambivalenz der Mutter, dabei treffe ich auf kein
Mitschwingen. Aber sie möchte, dass es mir gut geht. Auch Neidgefühle
schwingen mit, wenn es mir gut geht. Ich habe ängstlich reagiert, was von
ihr kommt, wie reagiert sie. Es fehlt die Basis, die Resonanz, in ihr war
sie auch nicht. Die Mutter konnte sozusagen nicht mithalten. Sie hatte
Schwingungen, die ich auslöste, ich bin böse, schlecht, darf nicht,
Schuldgefühle, und ich muss mich zurückhalten. Da taucht Abwehr auf,
Widerwillen, Ekel. Das ist für mich eine Zeitreise, ich bin wie ein
Kleinkind, das Kleinkind in mir.“
Diese Ausführungen sind Auszüge aus den letzten Stunden. An sich spricht
dieser Text für sich selbst. Er drückt seine inneren Widersprüche, seinen
Selbstzweifel, seine Verzweiflung und Verwirrung und gleichzeitig seine
Schuldgefühle aus. Aber er wiederholt sich ständig, kreist um dieselben
Probleme, beleuchtet diese aus verschiedenen Perspektiven. Der Patient hat
ja schon hunderte von Stunden hinter sich. Deswegen ist sein Bericht neben
seinen Rückfällen in die alten Zustände durchsetzt von Erklärungen und
gleichzeitig Wünschen, um sich selbst und mir die Genese zu erklären, um
sich selbst zu verstehen und eine Selbstachtung zu erringen. Dies versucht
er aus verschiedenen Perspektiven, mit verschiedenen Worten, und erlebt
immer wieder Rückfälle in die alten Zustände. Manchmal ist ein Wort oder
eine Perspektive wie ein Zauberwort für ihn zutreffend und befreiend. Er
litt ja schwer unter seinen Entwertung, seinem Selbsthass, seinem Selbstekel
und hatte diese Lebenslagen und Befindlichkeiten nicht nach außen bringen
können, hatte sie verdrängt und wurde erst durch seine körperlichen
Schmerzen darauf aufmerksam gemacht.
Viele Stunden der Anfangszeit der Therapie hat er zwar rational über seine
Probleme gesprochen, aber sie waren ihm nicht emotional zugänglich. Er hat
sozusagen im präverbalen emotionalen Stadium verharrt. Er drückt das aus
mit" tief in mir drin, in Fleisch und Blut übergegangen, die Urteile
vorweggenommen" oder „Schwingungen und Zeitkapsel". In dieser Zeit sagte er
häufig " ich versteh das nicht", was ihm heute inzwischen durchaus
verständlich ist. Er ist inzwischen im verbalen Stadium angelangt, wo er
seine Inneren Widersprüche, seine Befindlichkeit, aber auch seinen
Standpunkt artikulieren kann. Dann tauchen Tränen auf, Wut auf die Eltern,
Widerwillen und Selbstekel, Selbsthass und wiederum seine Verzweiflung und
Verwirrung. Ebenfalls blieb die erwartete Dankbarkeit für ihn aus. Am
Schnittpunkt der Wahrnehmung seines Standpunktes entstand Trauer, aber auch
für die verlorene Lebenszeit.
Aus der Sicht der Eltern waren alle ihre Handlungen sozusagen eine
Selbstverständlichkeit und zum Besten des Kindes. Diese
Selbstverständlichkeit war in ihn lange synton übergegangen, bis er in
fortgeschrittner Therapie die Diskrepanzen wahrnahm, die ihn sozusagen
zerrissen, die Dystonie. Der Vater war sozusagen der Wächter der Mutter, zog
mit ihr am gleichen Strang, und das Kind hatte keine Chance, anders als ein
hilfreicher Vater. Dieser wird in Religionen als Gott verehrt. Die Mutter
war für ihn allmächtig, und gleichzeitig so schwach. Ihre Schwäche war ihre
Stärke. Sie wurde ja auch nicht vom Vater korrigiert. Denn dann hätte es den
gefürchteten Streit gegeben. Gleichzeitig erlebte er sein Größenbild, das
alles auf sich zu bezieht, was an ihm fest gemacht wurde. Er sah sich im
Zentrum der Welt, und die Eltern hatten keine eigenen geprägten
Persönlichkeiten. Sie waren ebenfalls erzogen, geprägt worden, und diese
Prägungen gingen ungeprüft in ihn über. Das ist das Schicksal eines Kindes
und dessen Eltern.
Er erlebt aber auch, dass ihn das Aussprechen und seine begleitenden
Emotionen weiter bringen. Denn dann erringt er einen eigenen emotionalen
Standpunkt und kann sich gleichzeitig die Befindlichkeiten der Eltern
erklären und sie verstehen, Verständnis offenbaren.
In der frühen Kindheit, dem Vorerinnerungsalter gehen die Befindlichkeiten
und Gefühle der Mutter, meistens ist die Mutter zuständig, Ängste, Sorgen um
das Kind und Aggressionen auf das Kind, Neid auf das Kind, auf den Vater und
das weitere Umfeld ungefiltert in das Kind über. Die Psychoanalyse spricht
dann von einem Embodiment, weil sich die Befindlichkeiten und Gefühle
vorwiegend im Körper ausdrücken. Sie haben noch keine Repräsentanz in den
Gefühlen oder Emotionen. Im Erinnerungsalter, sozusagen ab drei, kann das
Kind sich zwar ausdrücken, seine Gefühle zeigen, trotzig sein, aber das Kind
glaubt der Mutter mehr als sich selbst. Das ist doch kein Wunder, wenn man
die Größenverhältnisse betrachtet, hier die große Mutter und der große Vater
und da das kleine Kind. Es hat noch keine Selbstrepräsentanz erworben, in
der es selbstbewusst eigene Bilder und Standpunkte, vermittelt durch das
weitere Umfeld, vertreten, und Widerworte geben kann. Diese bildet sich
langsam erst heraus und ist durchwoben von den Erfahrungen im
Vorerinnerungsalter und dem Glauben an die Mutter.
Ebenfalls wirken der Vater und das sonstige Umfeld einmal zur Stabilisierung
oder Destabilisierung der Mutter, und auch sie selbst mischen mit ihren
Befindlichkeiten und Gefühlen mit. Da die Mutter sozusagen im Kind ist,
wirken sich die Ängste und Sorgen als Sorgen um sich selbst und die
Aggressionen auf die Mutter als Autoaggressionen aus.
Im zweiten Teil dieser Ausführung werde ich über das Größen- und
Souveränitätsbild, die das größte Hindernis der differenzierten Wahrnehmung
in den Zufällen des Lebens, ob die Mutter so oder so ist, mit allen ihren
Schwächen und Stärken, darstellen. Das Größenbild wehrt sich gegen diese
Wahrnehmungen der unterschiedlichen Bedingungen im Falle zu großer, aber für
den Einzelnen nicht wahrgenommener Traumatisierungen, weil es es nicht
anders kennt.
Von: Bernd
Holstiege