Weltexpress
Nachrichten aus aller Welt
18. Januar 10 , 15:14
Über die Tricks der Pharmaindustrie -
Serie: Die Industrialisierung im
Gesundheitswesen und die Herrschaft der Ketten und Konzerne
(Teil 6/6)
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Die Neigung von Ärzten und ihren Patienten,
Krankheiten fast ausschließlich als organische Defekte aufzufassen, „Wo etwas
weh tut, muß etwas kaputt sein“, ist ein idealer Nährboden für die
Biowissenschaften und deren Verwerter wie Pharmaindustrie und
Medizintechnikkonzerne, ihre Produkte an den Leidenden zu bringen. Viele
Krankheiten als Folge des Geistes, der Seele, der kindlichen Prägungen,
Erfahrungen und der sozialen Beziehungen mit den dazugehörigen körperlichen
Auswirkungen zu erklären, würde die „sprechende“ Medizin favorisieren und wäre
für die Industrie nicht lukrativ. Wie hohe Gewinne dabei erzielt werden, wurde
in den Artikeln dieser Serie schon beschrieben. Welche Ticks dabei angewandt
werden, soll hier auszugsweise beschrieben werden.
Die einen schlucken bittere Pillen,
die anderen produzieren sie.
Über den persönlichen Zugang: Ich selbst schrieb Ende der 60er Jahre meine
Doktorarbeit über die Tumordiagnostik in der Chirurgie. Die Auswertung der
Versuche mit Ratten und Mäusen erschien mir schon damals dermaßen subjektiv,
willkürlich, von Sichtweisen, Stimmungen und Befindlichkeiten abhängig, so dass
ich am eigenen Beispiel den Glauben an die Objektivität und Seriösität der
objektiven medizinischen Wissenschaft verloren hatte. Hätte ich die Vorliteratur
vor den Versuchen und nicht erst bei der Zusammenstellung der Arbeit gelesen,
hätte ich sowieso die Finger davon gelassen. Immerhin bekam ich meinen
Doktortitel. Das war ja auch was.
Wenn ich als Student bei manchen Krankheiten wie dem Magengeschwür über die
Ursachen nachlas, wurde eine lange Latte von möglichen Ursachen und als letzter
Punkt „Neurose“ angeführt. Ich sah im medizinischen Lexikon nach, was das wohl
war, und las „abartige Reaktion“, wusste aber nicht, was ich mir darunter
vorzustellen hatte. So unbefleckt war ich nach einem medizinischen,
naturwissenschaftlichen Studium. Aber schon bei meiner Tätigkeit in der
Frauenheilkunde war mir klar, dass manches Problem und manche Krankheit mit der
Persönlichkeit und dem Umfeld zu tun hatte. Schon als Assistent in einer
Allgemeinpraxis erlebte ich etwa, daß eine herzkranke, lange bettlägerige, von
uns Ärzten schon aufgegebene 80 jährige Frau plötzlich wieder gesund war, als
ihr Sohn sich mit ihr versöhnt hatte.
Weil ich annahm, dass die Psyche bei Krankheiten wichtig war, ich aber wenig
Ahnung davon hatte, ging ich an eine psychotherapeutische Klinik. Beim
Kennenlernen dieser medizinischen Disziplin verfestigte sich meine Meinung, dass
die Psychologie im Krankheitsbereich ein wesentlich exakterer Bereich als die
naturwissenschaftliche Medizin ist, ein Bereich, der ansonsten als vage,
unwissenschaftlich und subjektiv angesehen wird. Die naturwissenschaftliche
Medizin muss bei der Erklärung vieler Krankheiten passen, hat keine Antworten,
redet von essentiell oder idiopathisch wie bei der häufigsten Ursache des hohen
Blutdrucks. Aber wenn man die Determinanten von Prägungen in der Kindheit,
psychosozialen Beziehungen und Unbewusstem kennt und dessen Gesetze, dann geht
es in der Psychotherapie exakt und folgerichtig zu.
Ein mit mir befreundeter Apotheker, der länger als wissenschaftlicher
Mitarbeiter an einer Universitätsklinik gearbeitet hatte, berichtete, sein
Professor habe sich Versuchsreihen ausgedacht und auf Kongressen darüber so
berichtet, als ob sie stattgefunden hätten, ohne sie je durchgeführt zu haben.
Wenn die Bundesregierung eine Gesetzesänderung plant, stehen als erstes die
Industrielobbyisten auf der Matte, um ihren Einfluß gemäß ihren Interessen
geltend zu machen. Geld paart sich zu Geld. Beispielsweise wurde schon ab 1992
versucht, eine Positivliste (Präparate mit hohem therapeutischen Nutzen und
Bewährungsgrad bei gutem Nutzen- und Kostenverhältnis, nur diese sollten von den
Kassen bezahlt werden) einzuführen, die jedoch gegen die Interessen der
Pharmaindustrie nicht durchgesetzt werden konnte. Diese besteht in den meisten
Ländern der EU. Jedoch soll hier nicht beschrieben werden, wie Politik und
Industrie untereinander am Biertisch oder Buffet kungeln, obwohl sicher auf
diesem Weg viele Gesetze entstehen, sondern mit welchen Tricks die Industrie
direkt Einfluss auf Wissenschaft und Gesundheitswesen nimmt.
Einer der wichtigsten Tricks der Pharmaindustrie ist die ausschließliche
Erklärung der Ursachen von Krankheiten in der körperlichen Anlage, den Genen,
und der körperlichen Informationsvermittlung. Man könnte auch von
Krankheitserfindungen oder einer ideologischen Industrialisierung nach Bruns
sprechen.
Junge Mediziner glauben heute oft tatsächlich, dass die Depression eine
Transmitterstoffwechselstörung sei. Da hat der medizinische Laie wesentlich mehr
Realitätszugang. Nämlich, bei einer Studie, einer Befragung von ein paar tausend
Laien nach den Ursachen der Depression, sahen 85 Prozent die Ursache in der
Persönlichkeit des Kranken und seinen Umweltbeziehungen, ganz im Gegensatz zur
medizinischen Wissenschaft, die die Ursache in einer
Transmitterstoffwechselstörung (Transmitter sind Botenstoffe zwischen den
Nervenzellen und Erfolgsorganen, eine biochemische Informationsvermittlung)
sieht.
Mein Vergleich ist: Wenn zwei ein Telefongespräch führen und der Hörer einen
Wut- oder einen depressiven Anfall bekommt, liegt das nicht an der Aussage des
Sprechers oder an der Auffassung des Hörers, sondern am Telefondraht oder der
Luftübertragung von Muschel zu Ohr. Depressive haben kränkende Auffassungen und
unterdrücken oft ihre Wut (Depression stammt aus dem Lateinischen, deprimere =
unterdrücken, wie das Wort schon aussagt), um nicht die gute Beziehung zu
stören. Richtig ist, wenn ein Kissen zwischen Muschel und Ohr gehalten wird,
gibt es keinen Wutanfall. Genau das geschieht bei Antidepressiva. Sie verändern
die an sich aussagegerechte biochemische Informationsübertragung, und das wird
als organische Störung deklariert.
Ich lernte noch den Begriff der „vegetativen Dystonie“ kennen, heute nicht mehr
üblich. Heute spricht man mehr von somatoformen oder Somatisierungs-Störungen.
Wenn also ein Mensch unter inneren Spannungen stand, vielleicht aus Angst vor
dem Versagen, der Blamage oder etwas falsch zu machen oder seinen Ärger über die
erlebten Kränkungen unterdrückte, hieß es, sein Nervenkostüm sei angespannt,
dystonisch, und er müsse ein Beruhigungsmittel nehmen, das die Pharmaindustrie
noch heute sofort gewinnträchtig zur Verfügung stellt. Die Frage, warum er in
Spannungen geriet, über seine Auffassungen und Aussagen, deren Prägungen und
Geschichte, stand nicht mehr zur Debatte. Ausserdem verliert der Dystoniker als
Nervenbündel seinen Wert und muß weiterhin fleißig schlucken, um nicht negativ
aufzufallen. Allein durch diese Form der Diagnose gerät der Kranke unter
Rechtfertigungsdruck, der zu seiner Krankheit beiträgt und der Pharmaindustrie
vermehrt Gewinne verschafft. Allein die Bezeichnung "vegetative Dystonie" geht
also völlig an den eigentlichen Bedürfnissen des Kranken vorbei.
Der nächste verbreitete Psychotrick von Hoffmann La Roche war das Krankheitsbild
der „larvierten Depression“, heute auch nicht mehr üblich. Körperliche Störungen
wurden als Ausdruck einer latenten Depression aufgefasst und zwar als einer
endogenen, also anlagebedingt. Sicher sind körperliche Störungen oft Ausdruck
einer Depression, wobei die seelische Komponente verdrängt, nicht wahrgenommen
wird oder beides nebeneinander auftritt, aber wohl meist nicht als Folge eines
Gendefektes. Die Verbreitung von Depressionen in Familien wurde und wird als
Beweis der körperlichen Vererbung gesehen, ungeachtet der Tatsache, daß
Weltbilder und Verhaltensweisen über Generationen weiter gegeben werden, was man
auch als Erbschaft bezeichnen kann, und somit Depressionen, aber auch andere
Krankheiten über die gesamte Krankheitspalette in Familien gehäuft auftreten.
Neuerdings ist der Begriff des Sissi-Syndroms populär nach der österreichischen
Kaiserin Sissi, wenn Depressive sich in vielfältige Aktivitäten flüchten, um
ihre Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit
nicht zu spüren. Alle erfundenen Krankheiten sind alleine durch die
Krankheitsdefinition eine Werbung für entsprechende Pharmaprodukte.
Bei Krankheiten, die ehemals als psychosomatische Krankheiten galten wie das
Magengeschwür, werden Bakterien wie der Heliobakter pylori gefunden, die als
alleinige Ursache deklariert werden, wobei die anderen Ursachen unter den Tisch
fallen, um teure Antibiotika zu verkaufen. Nun ist das sicherlich der harmlosere
Weg als aggressive Operationsmethoden wie 2/3-Magenentfernungen, wo die
Chirurgen und nicht die Pharmaindustrie die Hauptgewinne davontragen. In der
Statistik der Nachfolgeerkrankungen taucht bei geringem Magenrest mangels
Magensubstanz das Geschwür natürlich nur noch selten auf, aber andere
Nachfolgekrankheiten wie Alkoholismus, seelische und andere körperliche
Erkrankungen sind dort nicht erfasst. Ein Mensch, der so sehr seine Aggressionen
herunter schluckt, dass sich als Folge ein Loch in die Magenwand frisst, wird ja
nicht durch Antibiotika oder Operationen geheilt und muss mit anderen
Krankheiten reagieren. Etwa kann der ehemals Magenkranke sich seinen Frust
versüssen, an Gewicht zunehmen, unter Hochdruck einen hohen Blutdruck
entwickeln, dessen Ursache man naturwissenschaftlich nicht erkennen kann, mit
Übergewicht und Bewegungsmangel ein sogenanntes metabolisches Syndrom und
Diabetes entwickeln, dann herzinfarktgefährdet sein und Kompensation in Rauchen
und Saufen suchen, was er vorher häufig sowieso schon getan hat.
Beim Herzinfarkt sucht man emsig und meinte auch schon das auslösende Bakterium
gefunden zu haben, aber offenbar vor den zulassenden Behörden noch nicht so
überzeugend, um endlich antibakteriell die Menschheit von dieser Crux zu
erlösen. Würde man es finden, hätten Herzkliniken wesentlich weniger zu tun.
Also alleine durch die Ursachenerklärung verdienen ganze Industrien viel Geld
oder werden arbeitslos, so dass über Krankheitserklärungen ein regelrechter
Wettbewerb um die Fleischtöpfe herrschen muß. So könnten bei der Durchsetzung
einer Positivliste einige Firmen nur noch in geringem Umfange ihre Arzneien
loswerden.
Da man neuerdings das Papillomavirus bei Gebärmutterhalskrebs gefunden und
dagegen eine Impfung entwickelt hat, sieht man diesen Virus als Hauptursache an,
und Mütter, die ihre Töchter nicht vorbeugend impfen lassen, müssen sich als
Verbrecherinnen empfinden. Flächendeckend alle Mädchen impfen zu lassen, was die
Kasse auch noch bezahlt, ist natürlich für die Impfindustrie ein astronomischer
Gewinn. Inzwischen hat es diese Impfung schon auf Platz 1 der Hitliste aller
Impfungen gebracht. Auch operiert die Industrie mit absoluten Zahlen, ca. 60 000
Neuerkrankungen im Jahr, um die Bedrohung heraus zu stellen. In relativen Zahlen
sind das aber nur 0,012 Prozent und andere Ursachen fallen unter den Tisch, die
die Impfungen in keiner Weise rechtfertigen lassen.
Ein weiterer Trick ist, ein zukünftiges Medikament, von dem man noch nicht weiß,
ob es den Sprung auf den Markt schafft, massiv zu bewerben. Wenn es dann im
Munde aller ist und sich viele Hoffnungen damit verknüpfen, kann die
Zulassungsbehörde kaum noch nein sagen. Ein Sturm der Entrüstung würde sich vor
allen in den Selbsthilfegruppen chronischer Krankheiten erheben. Deswegen sind
gerade der Zugang und das Sponsoring von Selbsthilfegruppen für die Industrie
sehr profitabel.
Auch ist es ein Trick, die Grenze zwischen gesund und krank, den Grenzbereich Gesundheit in den der Krankheit zu verschieben, etwa Befindlichkeitsstörungen zu Krankheiten zu erheben, und dadurch neue Märkte zu eröffnen. Dazu gehört auch, leicht erfassbare Werte wie Blutdruck und Cholesterin im Blut möglichst niedrig anzusetzen, leichte Erhöhungen von Idealwerten als krankhaft und behandlungsbedürftig hinzustellen. Beim Blutdruck wird von der Industrie und den beeinflussten Ärzten eine Untergrenze von 90 mmHg und eine Obergrenze von bis zu 140 mmHg definiert, obwohl jeder weiß, daß schon beim Anblick des Arztes, der Weisskittel-Hypertonie, der Blutdruck ansteigt in der gespannten Erwartung, was dabei heraus kommt. Kaum ein Arzt kann sich innerhalb der 5-min-Medizin die Zeit leisten, den potentiellen Patienten erst mal zur Ruhe kommen zu lassen. Aber auch zu Hause bei der privaten Messung ist der Blutdruck oft infolge der gespannten Erwartung leicht erhöht. Beim Cholesterin wird vom Idealwert von unter 200 mg/dl ausgegangen, obwohl kaum ein Mensch im fortgeschrittenen Alter diesen Wert aufweist. Bei einer Normgrenze unter 250 wären wesentlich seltener Medikamente zu verkaufen. Die Pharmaindustrie ist genauso erfinderisch wie die Finanzindustrie, immer neue Produkte und Märkte, bis kein Mensch mehr durchblickt, und das System in Gefahr kommt, finanziell zusammenzubrechen. Um das zu vermeiden, muss gespart werden, aber bitte nicht an den Einnahmen der Industrie, sondern durch Leistungskürzungen und Zuzahlungen für den Patienten.
Die "Anwendungsbeobachtungen" sind immer mehr in die Kritik geraten und
sollen sogar ganz verboten werden. Bei ihnen werden Ärzte lukrativ dafür
honoriert, dass sie bestimmte Medikamente an ihren Patienten anwenden und ihre
Erfahrungen beschreiben. Die Beobachtungen erfolgen meist nicht nach
wissenschaftlichen Kriterien und haben mehr das Ziel und den Sinn, das
Medikament unter die Patienten zu bringen, bekannt zu machen und so den Umsatz
zu steigern. Die finanzielle Verführung für Ärzte ist natürlich groß, dieses
Medikament möglichst oft zu verschreiben, unabhängig von den Kosten für die
Krankenkassen, häufig auch in Fällen, wo sie etwas anderes verschreiben würden,
das für diesen Krankheitsfall angebrachter wäre. Der einzelne Arzt gerät dabei
in die Falle von Gewinnstreben und Ethik und Moral.
Etwa, um gewinnträchtige Medikamente wie Ritalin zu verkaufen, werden
Krankheiten erfunden. Was früher der Zappelphilipp war, eine zugegebenerweise
für alle Seiten lästige Angewohnheit, wird heute zum Krankheitsbild, dem
Aufmerksamkeits-Defizit-Hypermotilitäts-Syndrom (ADHS) erhoben, das
wissenschaftlich als Gendefekt oder Transmitterstoffwechselstörung geoutet wird.
Allein die bandwurmartige Bezeichnung hebt den Krankheitscharakter hervor und
beunruhigt die Eltern. Sie müssen schon ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn
sie ihre Kinder nicht mit den Aufputschmitteln, die paradoxerweise beruhigend
wirken, fast ein Diagnostikum, zu braven, ruhigen, aufmerksamen Schülern machen.
Interessanterweise nennt allein die Bezeichnung schon die Gründe. An den Kindern
wird das festgemacht, was an gelassener, anerkennender Aufmerksamkeit den Eltern
fehlt. Gerade durch diesen Mangel suchen sie aufgeregt die Ruhe und
Aufmerksamkeit – ein Teufelskreislauf. Aber das als schwerwiegendes
Krankheitsbild zu bezeichnen - es gibt halt ruhige und aufmerksame und weniger
ruhige und unaufmerksame Kinder, gute und schlechtere Schüler - kann nur den
Köpfen von Interessensvertretern entspringen.
Ärzte als Verschreibende nicht nur mit Anzeigen, kleinen Assessoirs wie
Kugelschreibern und anderen kleinen Schnickschnacks, mit Pharmavertretern und
Probepackungen, Einladungen zu Kongressen und Schiffsreisen, als kleiner Dank
für Studien, zu umwerben, sind alte Hüte. Schon vor 40 Jahren dachte ich mir
oftmals, wenn nur eine von den vielen Probepackungen erneut geordert wird, haben
sich all diese wegen der wohl geringen Herstellungskosten rentiert. Die
Zeitschrift „Stern“ prangerte vor einiger Zeit den Konzern „ratiopharm“ an,
neben anderen unlauteren Praktiken auch die Ärzte für von ihrer Firma
verschriebene Medikamente zu honorieren. Allein dieser Artikel minderte den
Absatz von ratiopharm erheblich, bis wieder Schnee darüber gewachsen ist,
Da das Gesundheitswesen streng hierarchisch organisiert ist, Ärzte in ihrem
Ausbildungssystem autoritätshörig erzogen sind, ist es für die Pharmaindustrie
wichtig, anerkannte Professoren als Vorreiter für Studien zu gewinnen. Bezahlung
und Bestechung, sogar von Behörden, sind dabei allgemein üblich. Brigitta von
Lehn schreibt entsprechendes am 8.Januar 09 in der Frankfurter Rundschau in dem
Artikel „Die Tricks der Pillendreher - Ein ehemaliger Pharmamanager verrät mehr
über die Branche als ihr lieb ist – zum Beispiel, warum Krankheiten erfunden,
aber nicht geheilt werden“ über das Buch eines Insiders, eines erfolgreichen,
weil umsatzsteigernden Pharmamanagers, John Virapen „Nebenwirkung Tod“ (Mazaruni
Publishing). Für Virapen besitzt „Marketing einen zentralen Stellenwert. Es
beinhaltet die ganze Spanne; angefangen mit teurem Nippes für Ärzte, Reisen für
Meinungsführer, über Geld für gekaufte Artikel in wissenschaftlichen
Fachzeitschriften, die Vorbereitung und Durchführung von wissenschaftlichen
Fachkongressen bis hin zu Bordellbesuchen für besonders pflegebedürftige
Manager. Und schließlich gehörte auch Bestechung von Behörden zu meinem
traurigen Repertoir“. Bordellbesuche gehören halt nicht nur bei VW zum Geschäft.
Medikamente zu finden, die Krankheiten heilen, sind logischerweise nicht im
Interesse der Industrie. Sie sollen Symptome bessern, aber nicht heilen, damit
die Kranken möglichst lebenslang am Tropf der Pharmaindustrie hängen, etwa
Antirheumatika gegen Schmerzen, Insulin bei Diabetikern oder Psychopharmaka
gegen psychische Störungen. Man könnte dasselbe auch den Ärzten unterstellen,
denn auch sie leben von der Krankheit und weniger von der Gesundheit. Aber sie
sind wesentlich näher am Kranken, durch den unmittelbaren Kontakt leiden sie
mehr mit ihm und freuen sich eher über seine Genesung als eine krankenferne
Industrie, in der hauptsächlich das Marketing und die Industriemechanismen der
Profitmaximierung gelten. Außerdem beinhaltet die ärztliche Tätigkeit auch die
Vorsorge. Aber etwa Bewegungsprogramme für Diabetiker anzubieten, um den
Zuckerverbrauch zu erhöhen und den Insulinbedarf zu verringern, was bei
Altersdiabetes oft gut klappt, ist nicht im Interesse der Industrie und seltenen
Ärzteinitiativen überlassen. Für die Ärzte findet eine immerwährende Produktion
von Krankheit statt, so dass sie immer genügend zu tun haben. Die Industrie
folgt aber den Gesetzen des freien Marktes, das heißt eine Erweiterung der
Produktion, Eröffnung von neuen Märkten mit all den beschriebenen
Folgeerscheinungen.
Virapen selbst wandte sich angeekelt von diesen Methoden ab und ihn peinigten
Schuldgefühle. „Mein Job war es, die Obergockel bei Laune zu halten. Schließlich
ging es um gezielte Desinformation. Das Fälschen von Informationen.
Fehlinformation in Fachblättern. Todesfälle werden kaschiert. Vertuschungen
seien gängige Praxis“. In den 50er Jahren führte schon die Vertuschung von
Fehlbildungen beim Schlafmittel „Contergan“ zu einem Skandal und noch heute zu
vielen sichtbaren Krüppeln. Gewinnstreben kann skrupellos machen.
Jedoch, die Interessen der Industrie, jegliche Krankheiten als anlagebedingt,
Gendefekt oder angeborene Überleitungsstörungen zu erklären, um möglichst
lebenslang ihre Produkte zu verkaufen, kommt auch Interessen von Patienten
entgegen. Krankheit, vor allem chronische, psychische und psychosomatische, ist
von Schuld und einem Rechtfertigungs- oder Legitimationsdruck begleitet. Das ist
das Charakteristikum und Wesen von Krankheit. Wenn etwas schief läuft, an dem
viele ursächlich beteiligt sind, ist gesellschaftlicher und kultureller Kontext,
die Schuld an einem oder einer Gruppe fest zu machen. Dieser wird stigmatisiert.
Diese Schuld wird oft verschoben, auf die anderen, die Umstände – es sind ja
auch oft die Umstände, die Prägungen im Elternhaus, das sich niemand aussuchen
kann, die gesellschaftlichen Umstände wie die Struktur des Gesundheitswesens,
der Leistungsdruck am Arbeitsplatz -, die Gesellschaft. Diese Schuldzuweisung
führt zu massiven zwischenmenschlichen Konflikten. Bei einem Gendefekt sind alle
aus dem Schneider, keiner ist schuld. Die medizinische Naturwissenschaft, die
Pharmaindustrie und die Medizintechnik sind die Erlöser von der Schuld. Das
erklärt auch einen Teil ihrer Erfolge. Nur, diese Situation trägt den Realitäten
wenig Rechnung, und das Gesundheitswesen hängt am Tropf der Gewinnmaximierung.
Neuerdings am 17.12.09 schreibt Annika Joeres in einem kurzen Artikel in der
Frankfurter Rundschau "Wirbel um Sawicki, Pharmakritiker muß um Posten
fürchten", dass der Leiter des Kölner Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) - ja, so etwas gibt es auch noch!
- unter der schwarz-gelben Regierung möglicherweise seinen Hut nehmen muß. Das
Institut, noch 2004 gegründet unter der damaligen Gesundheitsministerin Ulla
Schmidt, analysiert und wertet internationale Studien aus, untersucht, ob neuere
und teurere Arzneien älteren und billigeren oder der Zuckerpille, dem Placebo,
überlegen sind, maßgebend für die Erstattung von Medikamenten und Therapien.
Beispielsweise wurden das Antidepressivum Rebotexin als unwirksam entlarvt oder
Insulin-Analoga für Diabetiker aus dem Leistungskatalog gestrichen. Darüber
hinaus macht der Internist Peter Sawicki noch die Machenschaften der
Milliardenindustrie publik. "Manche Hersteller verdrehen Tatsachen, bestechen
Wissenschaftler, kaufen Zeitungsartikel und verschweigen unliebsame Ergebnisse
von Experimenten. Ich kämpfe für das Vertrauen von Patienten in die
Pharmaindustrie, das sie in den vergangenen Jahrzehnten verspielt hat." Insofern
gilt Sawicki als Schreck der Pharmaindustrie. Im Gerangel um Sawicki fürchten
manche den Eindruck, daß er unter dem Druck der Industrie abberufen wird. Am
18.12.09 schreibt Brigitta von Lehn unter dem Titel "Geschönte Ergebnisse,
Pharmafirmen halten negative Studien zurück/ Experten fordern Regeln"
ausführlicher ähnliches und, dass ein Gesetz wie in der USA gefordert wird,
Registrierung und Veröffentlichung zur Pflicht zu machen.
Auffallend in der letzten Zeit ist, daß vor allem in den öffentlich rechtlichen
Fernsehanstalten fast nur noch mit Arzneien, weniger mit der vorher üblichen
Werbepalette geworben wird. Ist diese Tatsache ein Gradmesser dafür, dass so
viele Fernsehzuschauer Gebrechen haben, so dass sich diese Investitionen lohnen,
etwa durch vermehrte Krankheiten im Zuge der Wirtschaftskrise, des Druckes am
Arbeitsplatz und als Folge der Prosperierung der Pharmaindustrie bei
gleichzeitigen mangelnden Geldern anderer Wirtschaftszweige?
Am Ende dieser Serie fällt mir auf, daß ich wenig über die Tricks der
Medizintechnikindustrie geschrieben habe. Dazu habe ich auch weniger Zugang.
Trotzdem ist auffallend, welche horrende Kosten durch Operationen und
Röndgenuntersuchungen, vor allem dem MRT bzw. der Kernspintomographie anfallen.
Im MRT können Gewebe wesentlich genauer dargestellt werden als im normalen
Röntgenbild oder der einfachen Tomographie. Schließlich wollen jeder Arzt und
Patient genauer wissen, was los ist, obwohl dies in vielen Fällen für die
Therapie völlig unerheblich und demzufolge die Untersuchungen überflüssig sind.
An diesem genauen Wissen werden im Sinne der Profitorientierung Milliarden
verdient.
Von Bernd Holstiege