Weltexpress
Nachrichten aus aller Welt
18. Dezember 09 , 14:51
Wohin entgleitet uns das Gesundheitswesen auf dem Weg in die
Industrialisierung? Die technisch-prozessuale und strukturelle
Industrialisierung
Serie: Die Industrialisierung im Gesundheitswesen und die
Herrschaft der Ketten und Konzerne (Teil 1/6)
Mehr denn je bekommt der Patient
beim Arzt Wahres nur gegen Bares.
Frankfurt am Main (Weltexpress) - In einer Serie von Artikeln wollen wir dem
Weltexpress-Leser systemkritische Aufsätze zur aktuellen Entwicklung des
Gesundheitswesens zur Verfügung stellen. In der dreiteiligen Artikelserie über
den zunehmend häufigen Burnout bei Ärzten wurden einige Hintergründe, die auch
im System des Gesundheitswesen begründet sind, beschrieben. In dieser Serie soll
ausführlicher, fußend auf Beschreibungen und Feststellungen anderer Autoren –
die Texte wurden uns im bvvp (Bundesverband der
Vertragspsychotherapeuten)-online-Newsletter, Ausgabe Nr. 9/08, zugänglich
gemacht -, laut bvvp keine politischen “Extremisten“, sondern angesehene,
ernstzunehmende Kenner des Systems, auf die zunehmende Industrialisierung,
Mechanisierung und Technisierung der Medizin und des Gesundheitswesens, das
Zusammenwirken von Politik und profitorientierter Konzerne, hingewiesen und die
Augen für diese politische Entwicklung geöffnet werden. In dieser
Industrialisierung werden wohnortnahe Arzt- und Psychotherapeutenpraxen an den
Rand gedrängt, sterben vielleicht wie früher die „Tante-Emma-Läden“ völlig aus.
Durch diese entwickelt sich sozusagen auf leisen Sohlen ohne viel Aufhebens ein
Systemwechsel durch die Hintertür.
Gesundheitspolitik und Profit – jeder Akteur im Gesundheitswesen muß profitieren
und davon leben - sind ja an sich nichts Schlechtes, sind notwendig. Jedoch,
wenn profitorientierte Konzerne und die Strukturen der Industrie die Herrschaft
übernehmen, dies dazu von der Politik gefördert wird und beide eine Seilschaft
eingehen, geht der einzelne Arzt, der einzelne Patient und ihre einzigartige,
oft heilsame Beziehung – nach Michael Balint die „Droge Arzt“ – weitgehend
unter. Diese Möglichkeit der Heilung wird dem Altar der Profitorientierung und
-maximierung im Neoliberalismus geopfert. Anzunehmen ist, eine Zunahme von Streß
und Krankheit werden die Folge sein, durch die wiederum die Konzerne ihre
Gewinne maximieren können – für die Konzerne ein gewinnträchtiger - für die
Patienten ein Teufelskreislauf. Vor dieser Entwicklung ist also nur zu warnen.
Wohin überproportionales Gewinnstreben, das wie eine Walze über die Menschen und
deren Interessen hinwegfegt, hinführen kann, haben wir jetzt in der Bankenkrise
erlebt, und die Folgen sind immer noch nicht absehbar.
Georg J. Bruns, ein Psychoanalytiker, der auch Soziologie an der Universität
Bremen lehrt – der Soziologe ist unverkennbar! -, schreibt sehr nüchtern in
seinem Artikel „Industrialisierungsprozesse in der Medizin und ihre Bedeutung
für die Psychotherapie“ in unseren Augen in hervorragender Weise, weswegen wir
vieles fast wörtlich übernommen haben. Die Begriffe der verschiedenen Formen der
Industrialisierung haben wir von ihm.
Bruns beruft sich auf Max Weber, einen der frühen und bis heute bedeutendsten
Theoretiker der Moderne, der Vater der „verstehenden“ Soziologie. Als ein
zentrales Merkmal der Moderne habe er den Prozeß der Rationalisierung (Weber
1922) beschrieben, der das gesamte Leben ergreife und der auf dem seit dem
Beginn der Neuzeit zur Entfaltung gelangten Prinzip der formalen Rationalität
beruhe. Formale Rationalität zeichne sich durch Effizienz, Vorhersagbarkeit,
quantitative und qualitative Erfaßbarkeit, Kontrolle und durch Ersetzung der
menschlichen Arbeitskraft durch nichtmenschliche Technologie aus. Obwohl diese
Grundsätze zuerst in der Produktion von Wirtschaftsgütern verwirklicht worden
seien, seien sie nicht auf die wirtschaftliche Sphäre beschränkt geblieben.
Rationalisierungsprozesse hätten staatliche und private Verwaltungsstäbe erfaßt
und ihnen ihre spezifische Rationalität gebracht. Max Weber habe sie als
Bürokratien untersucht und die bürokratische Herrschaft als eine moderne Form
der Herrschaft aufgefaßt. Als eine den wirtschaftlichen Rationalisierungen
korrespondierende Geisteshaltung habe sich bereits im 16. Jahrhundert eine
spezifische Gesinnung entwickelt, die auch in der Welt der Überzeugungen, der
Normen und Werte die formale Rationalität als Grundlage angesehen habe.
Nach Bruns führte die Anwendung der Rationalisierungsprinzipien auf den Bereich
der Produktion zur Industrialisierung, zu immer weiter entwickelten und immer
stärker durchrationalisierten industriellen Produktionsweisen, zu deren
Umsetzung eine wirtschaftliche oder materielle Rationalität notwendig sei, so
daß die Produktionssphäre immer weitere Lebensbereiche auch in ihrer
Geisteshaltung bestimme.Da Industrialisierung in ihrer Komplexität und
Folgewirkung nicht nur den Bereich der Arbeitsorganisation, sondern auch weitere
gesellschaftliche Bereiche erfasse, unterscheidet er drei verschiedene Ebenen
der Industrialisierung:
1. Die technisch-prozessuale Industrialisierung (Arbeitsorganisation,
Arbeitsteilung, Standardisierung, Mechanisierung, Automatisierung, Zeittaktung;
Kontrollprozeduren)
2. Die strukturelle Industrialisierung (Schaffung ökonomisch rationaler
Produktionseinheiten)
3. Ideologische Industrialisierung (Veränderung ethischer und moralischer
Maximen, der gesellschaftlichen Normen und Werte) und wendet diese auf
Industrialisierungsprozesse in der Medizin an.
Eine prozessuale Industrialisierung habe in verschiedenen Gebieten der Medizin
dort seit längerem Einzug gehalten, wo die ärztlichen Verrichtungen technisch
basiert sind, insbesondere in der Labormedizin und Radiologie, wo die Analytik
selbst fast nur noch technisch-apparativ und von ärztlichem Hilfspersonal wie in
einer Fließbandproduktion durchgeführt werde. Die Aufgabe der Ärzte sei die
Befunderhebung aus der ungeheuren Datenmenge, wobei die Ärzte ihre Patienten oft
nicht mehr zu Gesicht bekämen, sondern sich auf technische Werte und Befunde
beschränkten. Dadurch ergebe sich eine Arbeitsteilung, wobei standardisierbare
Arbeitsvorgänge an kostengünstigeres Hilfspersonal delegiert werden.
Diese Feststellungen entsprechen auch unseren Erfahrungen. Wegen dieser
kostengünstigen Arbeitsteilung sind die höchsten Gewinne im Gesundheitswesen
gerade in den technisch-apparativen Sparten zu erzielen, und deswegen besteht,
menschlich verständlich, eine Neigung, diese lukrativen Bereiche zu
favorisieren.
Weitere Momente der Industrialisierung sieht er in der Gebührenordnung in der
ärztlichen Praxis, der Zeittaktung und der Standardisierung von Behandlungen
durch die Behandlungspauschalen, wobei erstmals im EBM 2000+ eine Kalkulation
der ärztlichen Leistungen auf der Grundlage des Zeitbedarfs und des technischen
Aufwandes für eine Leistung erfolge. Damit werde eine zeitliche Normierung
eingeführt.
Laut Bruns dienen in der Betriebswirtschaftslehre als kalkulatorische Grundlage
für die Berechnung der Kosten eines Gutes die Stückkosten, auf ein abgrenzbares
Stück oder auf eine definierte Einheit eines Gutes bezogen, aus denen sich der
Verkaufspreis für ein Gut umgerechnet auf ein Stück ergibt, der zur Erzielung
eines Gewinns notwendig ist. In der Einführung von Behandlungspauschalen sieht
er in der ärztlichen Praxis ein ähnliches Prinzip. Jeder Patient erhalte ein
begrenztes Stück des Gesamtgutes "Ärztliche Leistung", das die Krankenkasse über
zuvor kalkulierte Stückkosten pro Patient entrichtet. Der Arzt sei nicht mehr
ein freier Anbieter von Gesundheitsleistungen, sondern diese würden von der
Krankenkasse an die Versicherten verkauft. Er sei ein Zulieferer für die
Krankenkasse und unterliege wegen der monopolartigen Stellung der GKV-Kassen auf
dem Gesundheitsmarkt einem Preisdiktat wie die Zulieferindustrie im
Automobilsektor. Auch dort sei die Zulieferindustrie auf die wenigen Abnehmer
ihrer Produkte, die Automobilfirmen, angewiesen und habe wenig Möglichkeit einer
freien Aushandlung ihrer Preise.
Eine weitere Standardisierung ärztlicher Leistungen erfolge über die
Qualitätssicherung, die die Struktur des Qualitätsmanagement-Systems und seine
Überprüfung absichern soll. Sie ist inzwischen für Arztpraxen vorgeschrieben,
wobei die diagnostischen und therapeutischen Abläufe in Leitlinien festgehalten
werden. Die Leitlinien sieht Bruns als eine normative Potenz, relevant für
Regressforderungen, und nur bei gut begründbarer Abweichung von den Leitlinien
kann ein Regressanspruch an den Arzt abgewiesen werden. Das berge die Gefahr,
daß die Erfüllung der Leitlinien in der ärztlichen Praxis mehr zähle als die auf
den Patienten individuell abgestimmte Behandlung. Auch diesem Verständnis
ärztlichen Handelns liege laut Bruns ein industrielles Denken zugrunde, in einer
Voraussetzung, individuelle Prozesse des Lebendigen seien in Diagnostik und
Therapie standardisierbar zu steuern wie industrielle Prozesse.
In der strukturellen Industrialisierung sind nach unserer Auffassung zwei
entgegen gesetzte Interessensgruppen tätig, die jeweils sozusagen an den
verschiedenen Enden des Seils ziehen und die die Politik der Bundesregierung in
einem Spagat vertreten muß. Auf der einen Seite sind die Zahler im
Gesundheitssystem, die Krankenkassen, die nach horrend gewachsenen Kosten im
Gesundheitswesen durch die Schaffung von größeren Struktureinheiten Kosten
einzusparen suchen, auch um ihren oft beklagten hohen Verwaltungsaufwand zu
erhalten, auf der anderen Seite die Nutznießer, die Gewinne erzielen und davon
leben. Auf dieser Seite gewinnen Investoren und Kapitalgebern zunehmend an
Bedeutung, um die zu erzielenden Gewinne für sich zu vereinnahmen. Tatsächlich
gäbe es im Gesundheitssystem erhebliche Rationalisierungsreserven, wenn die
Zersplitterung des Gesundheitswesens in viele unterschiedliche Subsysteme und
Kleinststrukturen überwunden würde. Allerdings gehe dabei in den meisten Fällen
auch die persönliche Beziehung zwischen Arzt und Patient verloren.
Bruns weist als Beispiel für die Schaffung großer, auf Rationalisierungsgewinne
zielender Strukturen auf den Fresenius Konzern hin. Dieser sei aus einem
mittelständischen Betrieb für die Produktion von Krankenhausbedarf mit einem
Schwerpunkt auf Dialyseprodukten hervorgegangen und inzwischen zu einem
Gesundheitskonzern mit mehr als 10 Milliarden EUR Umsatz jährlich bei weiterhin
rasanten Wachstumsraten geworden. Seine ungeheuren Rationalisierungsgewinne
erziele er durch die Bündelung einer ganzen Produktions- und Versorgungskette in
einer Hand: Produktion von medizinischen Produkten, Durchführung medizinischer
Dienstleistungen im stationären und ambulanten Bereich für Dialysepatienten,
stationäre Akut- und Reha-Behandlungen in den Helios-Kliniken und den
Wittgensteiner Kliniken. Der nächste Schritt sei der Einstieg in die ambulante
Versorgung durch die Einrichtung medizinischer Versorgungszentren, der MVZs.
Damit wäre ein geschlossener Versorgungskreislauf vorhanden: Ambulante
Behandlung, Zuweisung zu den Spezialdiensten wie Dialyse, Belieferung der
Dialyseeinheiten mit eigenen Produkten, eventuell Einweisung in eine Akutklinik
des Konzerns, Anschlußheilbehandlung in einer Rehaklinik des Konzerns,
Rückverweisung bei Entlassung an das MVZ des Konzerns.
Eine ähnliche Entwicklung sieht er in den Röhn-Klinikum-Konzern, der seinen
Ausgang von Reha-Kliniken genommen habe, inzwischen der größte private
Klinikkonzern in Deutschland geworden sei und mit den Unikliniken Gießen/Marburg
ein Universitätsklinikum erworben hat. Auch andere Großkonzerne hätten den
Gesundheitssektor als ungewöhnlich lukrativ entdeckt. Als weiteres Beispiel aus
der medizinischen Hochtechnologie nennt er den Siemens-Konzern, und den
chemischen Großkonzern Bayer, der seit langem in der Pharmaproduktion tätig ist.
Den Siemens-Konzern beschreibt Bruns als einen in vielen Feldern tätigen
Konzern, der sich von einem Elektrotechnik-Konzern zu einem in nahezu allen
modernen Technologien tätigen Konzern weiterentwickelt, in den zurückliegenden
Jahrzehnten sich zunehmend in der Medizintechnik engagiert hat und z.B.
inzwischen einer der weltweit führenden Hersteller von Geräten zur
Computertomographie geworden ist. Der Bereich Medical Solutions sei einer der
ertragreichsten des Konzerns. Auch im Bayer-Konzern trage der Gesundheitsbereich
überproportional zum Konzerngewinn bei.
Der medizinbezogene Umsatz allein der drei Firmen Fresenius, Siemens und Bayer
soll im Jahre 2006 über 30 Milliarden € betragen haben, 5 Mrd € mehr als
insgesamt für ärztliche Leistungen im GKV-System gezahlt worden seien. Dieser
Betrag alleine zeige schon, wo die Unkosten im Gesundheitswesen hingehen und
verdeutliche, welche ökonomischen Interessen inzwischen im Gesundheitssektor
wirkten und wesentlich zu seiner Ökonomisierung beigetragen hätten. Der gesamte
industrielle Umsatz im Bereich des Gesundheitssektors in Deutschland liege
natürlich um ein Mehrfaches höher.
Für Bruns heißt freiberuflich zu sein ja nicht nur, ökonomisch frei zu sein,
sondern auch von einflußnehmenden Interessen frei zu sein, weswegen in der
Vergangenheit in der medizinischen Versorgung, zumindest im ambulanten Bereich
kleine Strukturen gefördert wurden, auch um den Beruf des Arztes und des
Apothekers als freie Berufe zu erhalten. Diese Position hat dem Arzt seine
Vermittlerrolle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermöglicht, etwa bei der
Frage einer Krankschreibung. So habe er gemäß medizinischen Kriterien und nicht
gemäß der Auftragslage eines Arbeitgebers über die notwendigen
Behandlungsmaßnahmen entscheiden können. Jedoch werde der Status des freien
Berufes für Ärzte mit der strukturellen Industrialisierung immer weiter
eingeschränkt. Es bestehe die Gefahr, daß Großorganisationen und
Gesundheitskonzerne über Ambulanzen und MVZs in die ambulante Versorgung
einsteigen und der selbständige Arzt verschwinde. Ohne Zweifel liege eine solche
Entwicklung im Interesse der Großindustrie, zum einen, weil sie dadurch die
bisher in den Arztpraxen verbliebenen Gewinne akquiriert, zum andern, weil damit
der medizinische Sektor als extraterritoriales Gebiet in den gesellschaftlichen
Machtkämpfen verschwindet, bisher geschützt durch Einrichtungen wie die
Schweigepflicht, die ärztliche Unabhängigkeit und die freie Arztwahl. Der
angestellte Arzt sei natürlich kein unabhängiger Arzt mehr, sondern er
unterliege den Einflüssen, im Sinne seines Arbeitgebers zu entscheiden.
Im Bereich der pharmazeutischen Versorgung scheine die Entwicklung etwas weiter
fortgeschritten zu sein als in der ärztlichen Versorgung. Der pharmazeutische
Großhandel habe sich in den zurückliegenden 10-15 Jahren immer weiter
konzentriert. Aus einer genossenschaftlichen Handelsorganisation für Apotheker
sei irgendwann eine Aktiengesellschaft, die Gehe AG, geworden. Sie expandierte,
indem sie andere Großhändler übernahm. Ab Beginn der 90er Jahre habe sie auch
Pharmafirmen wie Jenpharma, Aliudpharma u.a.m. übernommen, kaufte eine
Apothekenkette in Großbritannien, habe weitere Pharmagroßhandelsfirmen
übernommen und sich schließlich in Celesio AG umbenannt. Im Jahre 2006 habe die
Celesio AG einen Umsatz von 21,6 Mrd Euro erzielt. Um auch in Deutschland, wo
Apothekenketten noch verboten sind - die maximale Größe sind hier 4 Apotheken -
in den Einzelhandel einsteigen zu können, habe im April dieses Jahres Celesio
die größte europäische Internet und Versand-Apotheke, Doc Morris, mit Firmensitz
in den Niederlanden, gekauft. Damit sei jetzt die Kette von der Produktion über
den Großhandel bis zum Einzelhandel innerhalb eines Konzerns geschlossen. Ein
maximal profitabler Großkonzern sei entstanden, der bei einer weiteren Öffnung
des Apothekenmarktes mit Sicherheit auch Standortapotheken übernehmen wird. Auch
im Pharmabereich verschwinde mit den Apothekern ein freier Beruf des
Gesundheitsbereiches.
Angesichts dieser Entwicklungen sieht es Bruns für sinnvoll an, von einem
medizinisch-industriellen Komplex zu sprechen, der die Entwicklungen und
künftigen Strukturen im Gesundheitssektor wesentlich prägen wird.
Beim Lesen der Ausführungen des Psychoanalytikers Georg J. Bruns kann einem nur
angst und bange werden. Da ist vom Patienten als Ware in Stückkosten,
Standardisierung, Mechanisierung, Automatisierung die Rede. Wo bleibt der
Mensch? Er ist in seiner Not den Gesetzen der Industrieprozesse ausgeliefert.
Jedoch, bis auf kleinere Krankheiten, die der Patient mit Bettruhe, Aspirin,
heißen Wickeln, Tee, Umschlägen und Inhalieren selbst in die Hand nimmt,
bedeutet Krankheit häufig einen Zustand der Ohnmacht und Hilflosigkeit, der
ängstigt, in dem der Kranke größtenteils hilflos einem starken Partner, dem Gott
in Weiß, ausgeliefert, von diesem abhängig ist und sich von ihm, seinen Worten
und Handlungen Hilfe erhofft. Und dann wird dieser arme Mensch nach den Gesetzen
der Industrie entsubjektiviert, standardisiert, reglementiert, in Budgets
eingeteilt und im Qualitätsmanagement nach zugrunde gelegten Industriestrukturen
verwaltet. Man kann sagen, diese Form des Gesundheitswesens macht zunehmend
krank, wovon wiederum die Industrie profitieren kann.
Die Krankheit der Ärzte im Burnout, wenn sie und ihre persönlichen Diagnosen
wenig, sondern lediglich Standardisierungen und Reglementierungen gelten, sie
nur noch für schnelles Durchschleusen, viele technische Handlungen, aber wenig
persönliche Beziehung honoriert werden, trotzdem die Spannungen der Patienten
auf sie übergehen, sie aber keine Zeit zur inneren Auseinandersetzung haben, als
Folge ihre Motivation verloren geht und viele junge Ärzte ins Ausland flüchten,
wurden wir in einer weiteren Artikelreihe beschrieben. Dazu spielt die
Industrialisierung eine tragende Rolle. Demotivierte und kranke Ärzte werden
ihren Patienten umso weniger helfen können, nur die Industrie profitiert.
Im nächsten Teil der Serie wollen wir zu den geistigen Prozessen, den Werten und
Normen, nach Bruns der ideologischen Industrialisierung, Stellung beziehen.
Von Bernd Holstiege