Weltexpress
Nachrichten aus aller Welt
Giovanni Bellini - Madonna degli Alberetti
(Madonna mit dem Bäumchen) um 1487
18. Dezember 09 , 15:44
Mein Sohn, Du gehörst zu mir! -
Serie: Über die Tragik von Missbrauch und Verstrickung in
der Mutter-Sohn-Beziehung (Teil 1/2)
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Wenn er seine 93 jährige, hochgradig demente
Mutter im Pflegeheim besuche, erzählt ein 65-Jähriger, höre er von ihr mehrfach
hintereinander „Ich hab’ dich lieb!“. Jedoch sei ihm die erklärte Liebe seiner
Mutter schon immer sehr unangenehm gewesen, und er habe sich unter Druck gesetzt
gefühlt. Er habe aber Mechanismen entwickelt, damit ihm die Pflichtbesuche des
Sich-Kümmerns um die Mutter nicht so schwer fielen. Da der Vater im Krieg
gefallen sei, sei er von Mutter und Großmutter als Einzelkind erzogen worden,
wobei die Großmutter die Vaterstelle vertreten habe. Das habe sich unter anderem
so geäußert, daß sie, als er elf war, erklärt habe „Ab heute trinkst du täglich
Bohnenkaffee, mein Junge, das schadet dir nichts!“. Bei der Großmutter galt der
Kaffee als Männlichkeits- und Erwachsenensymbol.
Ein 50-Jähriger erzählt, als er neben seiner Mutter auf dem Sofa saß, habe sie
selig lächelnd wie ein kleines Mädchen ihren Kopf an seine Schulter gelegt. In
ihm habe sich wie elektrisiert alles dagegen gesträubt. Er habe sich als
Vaterersatz missbraucht gefühlt. Die Beziehung seiner Mutter zu seinem Bruder
komme ihm manchmal wie bei einem alten Ehepaar vor. Der Vater der Mutter war
früh verstorben, und von ihrem Mann hatte sie sich getrennt und ihre Kinder
allein erzogen. Vor allem in der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, in der Väter
gefallen waren oder verspätet aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten, ergaben
sich Verhältnisse, wo die Söhne als Partner-, ja sogar als Vaterersatz dienten.
Karl Haag beschrieb in seinem 2006 erschienenen lesenswerten Buch „Wenn Mütter
zu sehr lieben – Verstrickung und Missbrauch in der Mutter-Sohn-Beziehung“ die
seiner Meinung nach inzestuöse Mutterliebe. Während der sexuelle Missbrauch von
Töchtern durch ihre Väter in der Öffentlichkeit breiten Raum einnehme, sei der
subtile Missbrauch der Söhne durch ihre Mütter noch tabuisiert. Er betrachtet
anhand eigener klinischer Fälle, der Geschichte (Katharina von Medice),
Literatur (Elias Canetti) und Gemälden (Hans Baldung von Grien) den
historisch-gesellschaftlichen Kontext. Der Titel ist dem 1986 erschienenen
Bestseller von R. Norwood „Wenn Frauen zu sehr lieben. Die heimliche Sucht
gebraucht zu werden“, wie er selbst schreibt, entlehnt.
Jeder Sohn hat zwangsläufig eine Mutter, die auch meist für ihn die wichtigste
Bezugsperson beim Heranwachsen und im Prägungs- und Erziehungsprozess darstellt.
Oft jedoch finden sich missbräuchliche Verstrickungen. In diesen kann der Sohn
meist in subtiler Weise zum Partnerersatz werden, oder er gerät in eine
Elternrolle, die sogenannte Parentifizierung, oder er wird für die Mutter zum
Vertrauten, der ihr Nähe und Geborgenheit vermittelt, eine symbiotische
(Symbiose: Enge Beziehung, in der Teile der Individualität infolge Kontrolle und
Überwachung verloren gehen) Beziehung. Er kann auch für sie Lebensaufgabe und
Lebenssinn, ihr ganzer Stolz und ihr Aushängeschild, darstellen. Oft genug wird
auch das Kind, Sohn oder Tochter, als Waffe im Ehekonflikt oder nach der
Scheidung eingesetzt. In allen Fällen wird der Sohn funktionalisiert, sicher
auch oft genug für den Vater, und in seinem eigenen Wert nicht mehr anerkannt.
Sicher haben alle Mütter und Eltern Erwartungen an ihre Kinder. Das ist auch gut
so. Wenn diese Erwartungen aber zu Ansprüchen heranwachsen, gehen die Kinder in
den Besitz der Eltern und Mütter über. Im Gegensatz zu Wünschen oder
Erwartungen, die nicht erfüllt werden müssen und noch Freiheit besteht, müssen
Ansprüche erfüllt werden. Bitten, Wünsche und Erwartungen werden oft mit
Ansprüchen gleichgesetzt und als solche verstanden. Beispiele wurden im
vorhergehenden Absatz erwähnt. Durch diese Inbesitznahme gehen sämtliche
Freiheit und Selbstbestimmung verloren, und die Kinder verlieren ihr eigenes
Leben. Diese Ansprüche lassen sich oft nicht trennen, überschneiden sich,
beziehungsweise mehrere Formen und Ansprüche der Mutter an das Kind spielen sich
gleichzeitig oder nacheinander ab. Das Kind ist für die Ansprüche der Mutter da
und wird von der Mutter für ihre Interessen ge- und ausge -nutzt. Man kann auch
von einer parasitären Beziehung sprechen, da der Nutzen mehr einseitig ist.
Die Mutter wendet sich also in unangemessener, dem Kind nicht förderlicher Weise
ihrem Kind zu. Neben der körperlichen Nahrung braucht das Kind für seine reife
Entwicklung sozusagen als seelische Nahrung zwei Formen von Zuwendung und
emotionaler Sicherheit., einmal im primären Bereich von Nähe, Geborgenheit,
Wärme und Körpernähe, zum anderen in der weiteren Entwicklung und sekundären
Phase im Bereich der Förderung von Ausprobieren, Selbständigkeit, Expansion,
Welterkunden und autonomen Lebensaufbau. Wird das Kind im ersten Bereich neben
emotionaler Vernachlässigung und mangelnder Zuwendung von Spannungen wie Angst
und Wut überschwemmt, findet es keine emotionale Sicherheit und innere Ruhe, auf
deren Hintergrund es in die zweite Phase eintreten kann. Auch wenn der erste
Bereich förderlich ist, kann es in der zweiten Phase von Ängsten und Ansprüchen
behindert werden, die eine autonome Entwicklung behindern.
Missbrauch findet sich nicht in allen Eltern-Kind- bzw. Mutter-Sohn-Beziehungen,
sondern nur mehr oder weniger unter bestimmten Bedingungen. Die Ursache dieses
missbräuchlichen Verhaltens und der seelischen Übergriffe sehe ich in einer (Psycho-)Traumatisierung,
also bösen oft wiederholten und alltäglichen Erfahrungen, der Mutter, meist aus
ihrer eigenen Kindheit, oft beider Eltern, wo sich ähnliche Umstände wie in der
Beziehung zu ihren Kindern abspielten, eventuell in späteren traumatisierenden
Erfahrungen, etwa in einem schwer belastenden Umfeld wie verletzenden Familien-
oder Ehepaarstreitigkeiten. Diese Belastungen ereignen sich aber meist auf dem
Boden früherer Traumatisierungen der Mutter. Es ist ja nicht so, daß aus einem
völlig verängstigten Menschen mit der Geburt des Kindes plötzlich ein völlig
anderer, souveräner Mensch werden kann, obwohl manche Mütter durchaus an Profil
gewinnen. Warum das so ist, wäre eines weiteren Artikels wert.
Allgemein bilden Erfahrungen den Maßstab für spätere Wahrnehmungen der Realität
in Gegenwart und Zukunft, werden folglich hineingesehen. Inwieweit die Macht der
Vergangenheit den Zukunftsentwurf prägt, ist für jeden durch die Tatsache leicht
nachvollziehbar und bekannt, dass gute Erfahrungen Hoffnung, schlechte das
Gegenteil machen. Wie neurobiologische Untersuchungen bezeugen, ist die die oben
dargelegte Traumatisierung nicht nur ein seelischer Vorgang, sondern ist auch
als organisches Substrat in den Nervenzellen, deren Verästelungen und
Verknüpfungen und den biochemischen und –physikalischen
Informationsvermittlungen als inzwischen eigenständiger Vorgang fest verankert,
so daß die Traumatisierung nicht so leicht aufzuheben ist. Jedenfalls ist eine
Beherrschung mit der Ratio kaum möglich, so daß der Mensch von den Gesetzen der
Traumatisierung automatisch beherrscht wird. Alles andere, etwa vorangegangene
Traumatisierungen und deren Folgen mit dem Verstand zu beherrschen, halte ich
für illusorisch.
Die traumatisierenden Erfahrungen müssen nicht selbst gemacht werden, sondern
können auch über Generationen hinweg übertragen und weiter vererbt werden. Da
die geprägte Person der Mutter auf ein in den psychosozialen Erfahrungen völlig
ungeprägtes Wesen, ihr Kind, trifft, nimmt dieses sie in sich auf, verinnerlicht
oder introjiziert sie, wie man den unbewussten Einbezug eigentlich fremder
Anschauungen psychologisch benennt. Einer von den bedrohlichen Inhalten ihres
Selbst- und Weltbildes bzw. ihrer –anschauung voll überzeugten Mutter, deren
Inhalte sie noch dazu ihrem Kind selbst vorlebt, kann ein Kind ohne eigene
Lebenserfahrungen wenig entgegen setzen. Diese verinnerlichten Bedrohungen
werden zu einer inneren Realität des Kindes.
Die Mutter bezieht in die als Folge der erlebten Bedrohungen resultierenden
Ängste automatisch das Kind, ihr Nächstes und ihr Liebstes, ein, oft umso
stärker, je mehr sie sich ihm verbunden fühlt und es liebt. Sie erlebt sich in
Gemeinsamkeit mit dem Kind, sich selbst im Kind und kann nicht mehr zwischen
sich und dem Kind unterscheiden. Das Kind wird von der Mutter besetzt, zum Teil
ihrer selbst, das Objekt Kind zum Selbst der Mutter und die Mutter zum Selbst
des Kindes. Selbstpsychologen sprechen vom Selbstobjekt und der projektiven
Identifizierung. Es findet also eine Differenzierungslosigkeit, Grenzenlosigkeit
oder Entgrenzung statt.
Diese Ängste können Verlassenheits-, Ansteckungs-, Krankheits- und
Sexualitätsängste, aber auch narzisstische Ängste vor Sünde, Schuld, Schmach,
Peinlichkeit, Blamage, Verachtung und Lächerlichkeit, die die Herabsetzung des
Wertes beinhalten, und vieles mehr sein. Die Ängste mischen sich, etwa, wer sich
verlassen und einsam fühlt, erlebt sich in seiner subjektiven Wahrnehmung und
oft genug in den Augen eines Umfeldes als nicht geliebt, wenig wert und
unattraktiv. Wer sich ansteckt, sieht sich unvorsichtig und leichtsinnig oder
wer seinen sexuellen Trieben nachgeht, ist triebhaft, flittchenhaft oder ein
Hurenbock. So jemand will die Mutter selbst nicht sein und soll ihr Kind auf
keinen Fall sein. Häufige Sätze sind „Was sollen die Leute oder die Nachbarn
denken!“ In den für andere harmlosesten Situationen, etwa wenn ein Kind frech
und laut ist, sich schmutzig macht oder ungezogen ist, was nicht traumatisierte
Mütter gelassen hinnehmen, darin können Mütter Katastrophen sehen und Dramen
veranstalten. Dieser Vorgang wird Katastrophisierung genannt.
In der Frühphase des Kindes, in der es noch mehr um Körperwärme, Hautkontakt und
Geborgenheit geht, strahlt eine verunsicherte und ängstliche Mutter alles andere
als Ruhe und Geborgenheit aus. Die Spannungen der Mutter gehen als Spannungen in
das Kind über, meines Erachtens ein häufiger Grund für eine Neurodermitis. Eine
innere Abwesenheit der Mutter etwa in einer Depression oder mangelnde Zuwendung
können zu einer Nahrungsverweigerung oder Magen-Darm-Störungen führen. Zur
körperlichen Nahrung gehört zum Gedeihen des Kindes auch die seelische Nahrung
der gelassenen Zuwendung. Wenn dann noch zusätzlich zur Verunsicherung der
Mutter innerhalb der Familie Streitigkeiten etwa um die richtige Fürsorge und
Pflege vorhanden sind, werden die Spannungen der Mutter und die des Kindes
verschärft.
In der Phase, wo das Kind mit eigenen Schritten zur Welterkundung anfängt, muß
die Mutter folglich alles tun, um ihre Ängste und Bedrohungen zu verhindern, und
je stärker diese sind, desto mehr Einfluss ausüben. Die Folge sind eine
Kontrolle und Machtausübung über das Kind bis zur Totalität. Absoluter und sogar
vorauseilender Gehorsam sind gefordert. Das Kind muß schon die Wünsche der
Mutter kennen, bevor diese überhaupt artikuliert sind. Das für das Kind wichtige
Ausprobieren, Selbsterkunden, um eigene Erfahrungen zu sammeln, kann nicht
zugelassen werden, da es zu sehr mit Ängsten besetzt ist. Die Bedrohungen für
das Kind sind auch Bedrohungen für die Mutter. Die narzisstische Gemeinsamkeit
und somit Verstrickung setzen sich somit fort. Schließlich will sie eine gute
Mutter sein, die alles Böse von ihrem Kind fern hält. Da die Mutter das Kind
bedroht sieht, wird das Kind eine Bedrohung für die Mutter und als Folge und
umgekehrt die Mutter für das Kind. In Extremzuständen wie bei schweren
psychischen Erkrankungen kann dann die Mutter wie die christliche „Alma mater“,
wo die Mutter Gottes Maria ihren schützenden Mantel ausbreitet, ihrem Kind den
Schutz anbieten für die Ängste, die sie ihm selber bereitet hat. Und das kann
dann eine Lebensaufgabe für die Mutter sein, die ihr Stabilität vermittelt. In
dem Artikel über die „Soteria“ habe ich einen selbst erlebten Fall erwähnt, wo
eine 80 jährige stabile Mutter ihren über 50 jährigen Sohn, ein menschliches
Wrack, täglich durch den Klinikpark führte.
Eine geängstigte Mutter vermittelt ihrem Kind auf diese Weise Ängste, die im
Kind ursprünglich nicht vorhanden sind. Da es die Urängste der Mutter sind, kann
sie das Kind nicht von diesen Ängsten nicht befreien, beruhigen und trösten. Da
die Mutter sich selbst im Kind und nicht das Kind als eigene Person sieht, also
nicht zwischen sich und dem Kind differenzieren kann, gehen Empathie bzw.
Einfühlungsvermögen verloren, und es geschieht eher das Gegenteil von Trost und
Beruhigung. Insofern kann ein Kind nicht mit seinen Ängsten und Sorgen zu einer
derartig geprägten Mutter gehen, zumal diese oft von der Mutter selbst stammen.
Unabhängig von der Mutter entstandenen Ängsten und Schmerzen, begegnet eine
ängstliche Mutter, wenn die Ängste in ihr etabliertes Bedrohungsschema passen,
mit Verstärkung. Oft kommt auch vor, dass sie das Kind aggressiv anfährt, es sei
eine Belastung für sie, und das Kind muß Angst vor der Mutter haben. Dadurch
würde es also nur noch mehr geängstigt und belastet. Deswegen müssen
traumatisierte Kinder und spätere Erwachsene ihre Ängste für sich behalten und
werden sprachlos und oft erinnerungslos, da sie keinen Adressaten haben, wie
besonders von sexuell missbrauchten Mädchen und Frauen bekannt ist, während der
meist subtile sexuelle Missbrauch von Jungen noch sprachloser und tabuisierter
ist..
Weiterhin spielen sich Teufelskreisläufe ein. Ein ängstliches, unruhiges Kind
ist oft nervig, aggressiv, was wiederum die Eltern ärgert und nervt, und sie mit
vermehrten Spannungen reagieren müssen. Auch geht beim Kind die Aufmerksamkeit
für Spielen oder Lernen etwa in der Schule verloren, da es ausschließlich mit
der Gewinnung der inneren Ruhe beschäftigt ist wie beim Aufmerksamkeits-Defizit-
Hypermobilitäts-Syndrom (ADHS). Durch das mögliche Schulversagen sehen sich die
Eltern im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung in ihren Ängsten
bestätigt.
Da es offenbar eine Anlage des Menschen ist, Freiheit und Selbstbestimmung zu
wahren, muß das Kind zwangsläufig zur Selbstbehauptung gegen die Gebote und
Verbote protestieren, trotzen, verweigern, sabotieren oder in einer reiferen
Position zu Gegenbeweisen antreten. Auch bei einem Kind mit kaum noch eigenem
Willen tritt die Verweigerung doch noch irgendwo auf. Das Unterdrückte schafft
sich irgendwie Bahnen, auch wenn diese noch so pervers oder paradox sind, etwa
bei der Magersüchtigen, die die Nahrung bis zum Tod verweigert, um ihren letzten
Willen aufrecht zu erhalten, oder bei dem Schizophrenen, der Arbeit und
überhaupt Kontakt verweigert, stattdessen in seiner Welt der Stimmen lebt. Das
psychische Überleben in der Selbstbestimmung ist der Magersüchtigen offenbar
wichtiger als das körperliche Überleben. Sie stirbt lieber körperlich und
beraubt sich aller Entwicklungsmöglichkeiten, als in ihrer psychischen
Selbstbestimmung unterzugehen und einen seelischen Tod zu erleiden, so paradox
es auch klingen mag.
Um die Gebote und Verbote, Trotz und Verweigerung können sich heftige
Machtkämpfe entspinnen, in denen das Kind als das Schwächere meist den Kürzeren
zieht, sozusagen platt gemacht werden kann. Aber ein Kind kann auch durch
Identifizierung auch von den Eltern lernen und mit den Waffen der Eltern
zurückschlagen. Die Tragik ist, dass die Mutter in ihren Bemühungen oft das
Gegenteil erreicht und gleichzeitig das Kind gegen die eigenen von der Mutter
übernommenen Ängste antrotzt. Durch dieses Wechselspiel von Angst und Trotz
gerät das Kind in eine innere Zerrissenheit. Beim Kind kann sich ein Wechsel von
Trotz, Gehorsam und Anpassung abspielen.
Die Verstrickung geht weiter, indem die Mutter für ihre in ihren Augen
berechtigten Bemühungen vom Kind Honorierung, also Dankbarkeit beansprucht,
andererseits bei Nichterfüllung etwa vorwirft, „Wie kannst Du mir so was
antun!“. Das Kind muß mit Schuldgefühlen reagieren und zu dessen Vermeidung
gehorchen. Jede Selbstbestimmung beantwortet es mit Schuldgefühlen. Manche
Mütter reagieren mit Leiden, Schmerz und ihren Tränen, in ihren Augen verursacht
durch das Kind. Da das Kind es nicht besser weiß und nicht anders kennt,
übernimmt es die Sichtweise der Mutter. Sowohl durch Stärke als auch durch
Schwäche erreicht die Mutter Macht über das Kind. Als Erwachsener wird das so
geprägte Kind große Angst haben, irgendwen zu verletzen, und sich bemühen,
jegliche Verletzungen zu vermeiden. In einem neuen Umfeld entsteht für den
Erwachsenen das Problem, daß andere Personen infolge anderer Prägungen anders
wahrnehmen und eventuell gar nicht verletzt sind oder an anderen Stellen als
angenommen verletzt reagieren.
Da die Mutter den Verlust der Selbstbestimmung als ihr Leiden kennt, leidet sie
mit ihrem Kind mit, das nun wiederum unter dem Leiden der Mutter leidet – ein
gemeinsames Leid, das beide in trauter Zweisamkeit, auch "folie à deux" genannt,
vereint. Eine weitere zentrale Folge der Traumatisierung ist die Spaltung, die
oft so ablaufen kann, daß der Eine leidet und der Andere ihn pflegt und versorgt
und beide wiederum vereint sind.
Aus dem Bisherigen ist zu entnehmen, daß als Folge der Traumatisierung
schicksalhafte Abläufe entstehen, wofür beide Seiten eigentlich gar nichts
können. Insofern ist Missbrauch eigentlich kein zutreffender Ausdruck, schon gar
nicht als bewusster Vorgang, sondern es handelt sich eher um eine tragische
Verstrickung. Der Begriff Missbrauch ist entsprechend dem gesellschaftlichen
Kontext, in dem bei tragischen Abläufen irgendjemand schuld sein muss, mit
Schuld verbunden. Diese wird dann in diesem Kontext am großen Erwachsenen
festgemacht, der es eigentlich besser wissen müsste, da Kinder als unschuldig
gelten. Dieser muß wiederum seine Schuld auf das Kind abwälzen. So machen etwa
sexuell missbrauchende Väter die Schuld meist an der Tochter fest, die sie
verführt hätte. Durch die Verinnerlichung wird das ursprüngliche Opfer zum Täter
nach den introjizierten Prägungen, und Missbrauch und Verstrickung können so
über Generationen weiter gegeben werden.
Im zweiten Teil des Artikels nach diesen mehr allgemeinen Ausführungen wenden
wir uns mehr der Verstrickung speziell zwischen Mutter und Sohn zu.
Literatur:
Karl Haag (2006): „Wenn Mütter zu sehr lieben - Verstrickung und Missbrauch in
der Mutter-Sohn-Beziehung“, Kohlhammer
Gerhard Amendt (1994): „Wie Mütter ihre Söhne sehen“, Fischer-Verlag
www.stern.de/panorama/:Das-Vaterbild-Männer-Söhne 2C/625840.html
Deborah P. Margolis (1996): “Freud and his Mother. Preoedipal Aspekts of Freud’s
Personality”
Von Bernd Holstiege
Vielen Dank für den Hinweis auf Ihr Buch, das ich noch nicht kenne. Ich werde es mir besorgen. In meinem Artikeln habe ich mehr auf die alltägliche subtile Bindung und Verstrickung zwischen Eltern und Kindern, speziell Mutter-Sohn in Form der Körper- und Sexualfeindlichkeit hingewiesen, ohne daß es zu einem offenen, dann tasbuisierten Mißbrauch kommt.Dieser ist, wie Sie in ihrem Buch nachweisen, auch häufige, tabuisierte Realität.Mein Problem ist durch den offenen Nachweis. daß die Mütter leicht in die Schuldrolle geraten, wo ich mehr eine tragische Beziehung und ein tragisches Schicksal sehe, in dem die Mütter, etwa alleinerzeihende Mütter, die aufgrund ihres Männerbildes verzweifelt sind, aufgrund eigener Traumatisierung nicht anders können. Als Abwehrreaktion dieser tragischen Beziehung sehe ich den Marien- und Mutterkult, etwa im 3. Reich und der christlichen Religion. Dies sind gesellschatliche Phänomene aufgrund gesellschaftlicher und kultureller Traumatisierungen.
Alexander Markus Homes schrieb am 19.12.2009 10:40
Zum Thema habe ich ein Buch geschrieben (Titel: „Von der Mutter missbraucht – Frauen und die sexuelle Lust am Kind“. Das Buch ist bei Books on Demand - BoD - (ISBN 3-8334-1477-4) erschienen.
ÜBER DAS BUCH: Ist die sexuell unbefriedigte Mutter, die, wenn nicht gar ausschließlich, so doch vorwiegend auf ihre Söhne und Töchter emotional und sexuell fixiert ist, bittere Realität? Das Buch gibt auf etliche Fragen im Zusammenhang mit Frauen und Müttern, die Kinder sexuell missbrauchen oder misshandeln, umfassend Antworten. Es belegt vor allem, dass eben nicht nur Väter, sondern auch Mütter ihre Kinder sexuell missbrauchen; dass Mütter vorwiegend ihre Söhne missbrauchen und dies offenbar vorwiegend „zärtlich“ tun; dass sie ihre Töchter missbrauchen, sie dabei aber häufig quälen; dass allein erziehende Mütter unter den weiblichen Missbrauchern überproportional vertreten sind; dass viele männliche Sexualstraftäter erst zu solchen wurden, weil sie in der Kindheit durch die eigene Mutter sexuelle Gewalt erfahren haben; vor allem aber, dass Mütter und überhaupt Frauen als Kindesmissbraucherinnen in der Gesellschaft, in den Medien und in der Forschung kaum wahrgenommen werden.
Wie das Buch beweist, muss mit Blick auf die dort aufgeführten Fakten die Geschichte des sexuellen Kindesmissbrauchs umgeschrieben, wenn nicht gar neu geschrieben werden. Hierfür spricht bereits folgender Tatbestand: Die Missbrauchsraten für weibliche Täter werden in internationalen Studien mit bis zu 80 Prozent und in nationalen (deutschen) Studien mit bis zu 40 Prozent angegeben. Dies zeigt unstrittig, dass in der gesamten Missbrauchsforschung und Öffentlichkeit dringend ein Umdenkungsprozess sowie eine Diskussion über Frauen und Mütter als Kindesmissbraucherinnen stattfinden muss.
Dieses Buch ist ein Beitrag dazu.
Hier einige Reaktionen zur 1. Auflage:
„Das Buch wird Furore machen und viel Emotion und Streit hervorrufen. Es ist insofern ein sehr wichtiges Buch, weil es ein Quasi- Tabu auf- und angreift: die ‘Beinah-Heilige Kuh’ Mutter und ihr verklärtes Bild in der Gesellschaft, die gern wegschaut, es sei denn Geld und Quote stehen zu Gebote.“
Dr. Rudolf Sponsel, Diplom-Psychologe
„Homes (weist) mit Nachdruck darauf hin, dass unterschiedlichen Studien zufolge Vergewaltiger in ihrer Kindheit zu einem hohen Ausmaß sexuelle Gewalt insbesondere durch ihre Mütter und andere Frauen durchleiden mussten.“
Arne Hoffmann, Buchautor
„Der Autor belegt auf ca. 650 Seiten anhand sämtlicher ihm zugänglicher internationalen Forschungsergebnisse und anhand zahlreicher „Fallbeispiele“ das Ausmaß der sexuellen und körperlichen Gewalt von Müttern an ihren Kindern, Söhnen wie Töchtern, ohne dabei auf irgendeine Weise die Gewalt von Vätern oder Männern zu verharmlosen. Darüber hinaus bringt er Beispiele aus (vor allem katholischen) Erziehungsheimen und ähnlichen Einrichtungen. Damit wird das Buch zu einem Kompendium über physische, psychische und sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen durch Frauen und Männer und zeigt so in einer verständlichen und gut lesbaren Sprache das reale Ausmaß von Kindesmisshandlung und ihren Folgen, sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft, ganz jenseits abstruser therapeutischer Theorien. Homes bringt aber nicht nur die Fakten; er wagt es, diese Fakten zutreffend und schonungslos zu interpretieren, eine Interpretation, der mir bekannte Forschungen zu dieser Thematik bislang verschämt auswichen: Die Familie, zeigt er, ist die Brutstätte von Gewalt, Kriminalität, Drogensucht, Pädophilie und Perversionen. Er macht unmissverständlich deutlich, dass und wie nicht nur Väter, sondern auch Mütter daran beteiligt sind. Nicht zuletzt hat er den Mut, die Ignoranz, Heuchelei und barbarische Haltung der sogenannten Feministinnen gegenüber dem Schicksal männlicher Kinder zu entlarven. Das Buch ist wertvoll für alle, die umfassende Informationen suchen und eine parteiliche, emotional beteiligte Haltung brauchen. Es liefert keine Weisheiten, sondern stellt auf durchaus provozierende Weise kluge und angemessene Fragen. Ich wünsche diesem Buch zahlreiche Leserinnen und Leser und eine größere Aufmerksamkeit, als es sie bislang vermutlich bekommen hat.“
www.Selbsthilfe-Missbrauch.de
Bernd Holstiege schrieb am 23.12.2009 23:41