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LEIB & SEELE

 

27. April 10 , 12:04

John Virapen’s Buch „Nebenwirkung Tod - Die Wahrheit über Scheinwissenschaftlichkeit, Bestechung, Manipulation und Schwindel in der Pharmawelt“

 

John Virapen, der Expharma-Spitzenmanager, klärt in einer Art Lebensgeschichte über Korruption und Verschleierung in der Pharmaindustrie auf. Das Buch liest sich gerade wegen der Daten und Fakten wie ein Thriller. Er selbst war für Verschleierung, Betrug, Irreführung der Öffentlichkeit und der Gesundheitsbehörden verantwortlich, hat Produkte skrupellos auf den Markt gedrückt, egal ob dabei Patienten umkamen. Er hat für Konzerne gearbeitet, die von sich behaupten, ethisch zu handeln, und Mittel verkaufen, von denen sie wissen, dass sie tödliche Wirkungen haben, allein aus dem Grund, Umsatz und Gewinn zu maximieren, auch wenn sie dafür über Leichen gehen. Er gesteht „Ich habe schwedische Professoren bestochen, um das Medikament Prozac so schnell und teuer wie möglich registriert zu bekommen."

 

Virapen, 67 Jahre alt, ein indischstämmiger Mann aus British-Guayana, arbeitete seit 1968 bei den Pillenproduzenten, diente sich vom kleinen Ärztevertreter bis zum „Landesleiter Schweden“ für den Pharma-Multi Eli Lilly & Company hoch. „Dass ich willig mitmachte, ist die große Last, die mich quält. Von Angst

Spannend wie ein Krimi, nur                             durchgeschwitzte Pyjamas – das ist der Motor der Selbsterkenntnis. Ich war ein Schwein. Ich habe die Zulassung von Medikamenten      

dass "Nebenwirkung Tod" keine Fiktion ist        forciert, obwohl ich wusste, daß sie den Menschen schaden.“

                                                                                          

Er ist ein moderner Saulus, der zum Paulus wurde. Er beschreibt seine Gewissensbisse „Nacht für Nacht versammeln sich schattenhafte Wesen an meinem Bett. Irgendwann in den frühen Morgenstunden schleichen sie ins Zimmer. Sie schlagen die Köpfe gegen die Wände, ritzen Arme und Hals mit Rasierklingen. Schweißgebadet erwache ich. Ich habe dazu beigetragen, daß diese Menschen, deren Schatten mich verfolgen, gestorben sind. Ich habe den Tod von Menschen mit zu verantworten, die ich nicht kannte. Ich habe sie nicht eigenhändig getötet. Nein, ich war ein williges Werkzeug der Pharmaindustrie.“

 

Virapen hat Angst, nicht davor, dasselbe zu erleben wie Alfredo Pequito, ein ehemaliger Bayer-Mitarbeiter in Portugal, der für das Auspacken unbequemer Wahrheiten mit dem Messer angegriffen wurde und mit 70 Stichen wieder zusammengeflickt werden musste. Er hat Angst, „daß mein Sohn ebenfalls zu dem gemacht wird, wie die Pharmaindustrie den Menschen am liebsten sieht, ein williger Pillenschlucker, der für erfundene und eingeredete Krankheiten Medikamente einnimmt, tödliche Nebenwirkungen im Preis inbegriffen. Die Pharmaindustrie verändert das Denken der Menschen der kommenden Generationen. Wir Verbraucher werden besser gegen Pfusch am Auto geschützt als gegen Pfusch am Körper, an Gesundheit und Leben?“

 

Er stellt folgende Fragen an potentielle Patienten und Ärzte:

Wussten Sie, dass große Pharmakonzerne 35.000 Euro pro Jahr und niedergelassenem Arzt ausgeben, um den Arzt dazu zu bringen, ihre Produkte zu verschreiben?

- dass sogenannte Meinungsführer – also anerkannte Wissenschaftler und Ärzte – mit teuren Reisen, Geschenken und ganz schlicht mit Geld gezielt bestochen werden, um über Medikamente mit schwerwiegenden Nebenwirkungen positiv zu berichten und um die berechtigte Besorgnis bei Ärzten und Patienten zu zerstreuen?

- dass mehr als 75 Prozent der führenden Wissenschaftler in der Medizin von der Pharmaindustrie bezahlt werden?

- dass Medikamente im Handel sind, bei deren Zulassung Bestechung im Spiel war?

- dass die Pharmaindustrie Krankheiten erfindet und sie in gezielten Marketingkampagnen bewirbt, um den Absatzmarkt für ihre Produkte zu vergrößern?

- dass es für viele neu zugelassene Medikamente keine Langzeitstudien gibt und niemand weiß, welche Auswirkung eine dauerhafte Einnahme hat?

- dass die Pharmaindustrie zunehmend Kinder im Visier hat?

 

Blockbuster, der Prozac-Krimi

 

Er beschreibt, Anfang des 20. Jahrhunderts, als viele der heutigen Pharmariesen mit ihrem Aufstieg begannen, ging es noch darum, für die Menschen Mittel zum Heilen herzustellen. Als die Entdecker des Insulins 1923 den Nobelpreis erhielten, teilten sie diesen noch freiwillig mit Kollegen, die maßgeblich an der Entwicklung beteiligt gewesen, jedoch vom Nobelkomitee nicht berücksichtigt worden waren. Sie verkauften ihr kostbares Patent zum symbolischen Preis von einem Dollar an die Universität Toronto.

 

Spätestens seit den 1980er Jahren gehe es nun darum, „Blockbuster“ zu finden, welche in möglichst kurzer Zeit Milliardenumsätze bringen. Virapen: „Ein Blockbuster ist viel mehr als einfach eine milliardenfach verkaufte Pille. Ein Blockbuster ist eine Pille, bei der die Krankheit, die geheilt werden soll, völlig zweitrangig ist, einfach, weil Kranke ein „relativ kleiner Markt“ sind. „Stellen Sie sich vor, man könnte Pillen auch denjenigen verkaufen, die gar nicht krank sind! Dann erst haben Sie eine neue Dimension des Marketings betreten. Das ist die Qualität des Blockbusters.

 

Fluoxetin (Prozac) sollte diese Rolle spielen. Das war eher Zufall, denn es war für diese Rolle eigentlich nicht geeignet. Fluoxetin ist ein Wirkstoff, der die Wiederaufnahme des Botenstoffs Serotonin im Gehirn unterbindet, und somit am Regler der Serotoninbalance dreht und angeblich den ausgeglichenen, idealen Zustand wieder herstellt. Er sollte daher als Antidepressivum dienen.“ Prozac ist der erste Blockbuster und brachte die SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die inzwischen am meisten verbreiteten Antidepressiva) auf die medizinische Landkarte. Virapen hält SSRI für nutzlos, teuer und sehr fragwürdig, schreibt von Schwindel, dem falsche Annahmen zugrunde liegen – für ihn eine an sich unglaubliche Geschichte.

 

Er stellt fest, mittlerweile wisse man, daß sich der Serotoninspiegel im Gehirn gar nicht messen lasse, und Studien ebenfalls ergeben haben, daß Fröhlichkeit oder Traurigkeit eines Menschen nicht von biochemischen Vorgängen im Gehirn abhängen. (Biochemische Vorgänge im Nervensystem sind die Informationsvermittler und nicht die Ursache von Gefühlen und Befindlichkeiten). Versuche mit Fluoxetin hatten jedoch einen interessanten Nebeneffekt gezeigt. Einige der Probanden hatten Gewicht verloren – ein Aspekt, den die Konzernchefs für viel lukrativer hielten. Dicke, die es vor allem auf dem lukrativen Markt der USA massenweise gibt, sind ein hervorragender Absatzmarkt. Schlecht wäre nur gewesen, daß es weiterer umfangreicher Studien und Tests bedurft hätte, um die Zulassung als gewichtsreduzierendes Medikament zu erreichen. „Eli Lilly aber hatte es eilig“, bemerkt Virapen, „Jeder verlorene Tag, den das neue Wundermittel nicht auf dem Markt war, kostete Geld.“

 

Also entschloß Lilly sich, die Zulassung des Wirkstoffs Fluoxetin erst mal als Antidepressivum anzustreben. Ist ein Medikament einmal zugelassen, ist es leichter, später die Zulassung auf weitere Anwendungsgebiete auszuweiten. „Das ist ein ganz üblicher, wichtiger Trick der Pharmaindustrie, den Sie immer wieder beobachten können.“ Da Schweden in der Zulassung als weltweit besonders seriös galt und eine Vorbildfunktion erfüllte, war es seine Aufgabe, die Zulassung dort durchzuboxen. In seinem Buch beschrieb er, wie er sich an den zuständigen Regierungsbeamten heran machte, dessen Leben, Vorlieben und Schwächen auskundschaftete und ihn gezielt ansprach. Dieser war allerdings nicht lange zu umwerben und stellte gleich seine Geldforderungen. Die Lifestyledroge Prozac wurde zum Welterfolg und brachte Lilly Milliarden.

 

Ein Wissenschaftlerteam um den britischen Psychologen Irving Kirsch fand zweifelsfrei heraus, daß Antidepressiva der SSRI-Gruppe etwa so wirksam sind wie Zuckerpillen. Kirsch konnte solch ernüchternde Ergebnisse publizieren, weil er dank des amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes Zugang zu unveröffentlichten Studien hatte. Als die Droge im Jahr 1988 in den USA auf den Markt kam, kürte das Time Magazine Prozac zur „Pille des Jahres“; die New York Times berichtete von einer „beginnenden legalen Drogenkultur“ und Prominente wie Woody Allen priesen es; der Rapper Vanilla Ice widmete ihm gar einen Song.

 

Weg der Zulassung eines Medikamentes

 

Virapen beschreibt, der Weg der Zulassung eines Medikaments läuft über bestimmte Stationen. Zuerst wird der Wirkstoff im Labor, dann an Tieren auf Wirkungen und Nebenwirkungen untersucht. Danach wird der Mensch getestet, ist sozusagen „Versuchskaninchen“, meist in Kliniken. Solche Testreihen nennt man im Fachjargon „Protokolle“. Verläuft ein Protokoll nicht wie erhofft, bricht man es ab. Jedoch müssen abgebrochene Testreihen – also „Protokolle“ – und ihre Ergebnisse nicht an die Zulassungsbehörden weitergegeben werden. „Eine Versuchseihe wird abgebrochen, wenn es Schwierigkeiten gibt, etwa weil zu viele Patienten das Medikament nicht vertragen, sich umbringen oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nicht weiter am Versuch teilnehmen möchten“, schreibt Virapen. „Gerade diese Informationen, von großer Wichtigkeit für Zulassungsbehörden und Patienten in spe, verschwinden in den Schränken der Pharmamanager.“

 

Das nächste „Protokoll“ kann die Pharmafirma dann so aufsetzen, daß die Resultate positiver ausfallen werden. Sie verändert beispielsweise die Teilnehmerstruktur; nimmt weniger oder keine Alten, Kranke und psychisch Labile als Testpersonen auf. Ein weiterer Trick ist, Teilnehmer, die zu positiv auf Placebo reagieren, ebenfalls aus der Studie herauszunehmen. Oder sie vergleicht das eigene Medikament mit einem anderen, bei dem das eigene vergleichsweise besser abschneiden kann.

 

Anschließend werden die Ergebnisse der unterschiedlichen Protokolle in einem Datenpool zusammengeführt, laut Virapen die „Zahlenjonglage“. „Hier lässt sich alles glatt bügeln und aufpolieren, was in klinischen Versuchen nicht so gut oder sogar gefährlich aussah.“ Er weist nach, im Falle von Prozac blieben von angeblich 11000 Studienteilnehmern nach strenger Beurteilung nur noch 286 tatsächliche Probanden übrig. Seit 1984 wusste Lilly, dass in manchen Studien schwere Nebenwirkungen auftraten wie Depressionen, die es eigentlich beheben sollte, und eine hohe Zahl von Selbstmordrisiken. Die Erfahrungen dieser Studien wurden dann wiederum als abgebrochene Studien eingestuft. Schon 1999 sollen nach der Einnahme von Prozac 250000 Menschen weltweit versucht haben sich umzubringen, und ca. 10 Prozent haben es geschafft. Der Datenberg landet schließlich bei der nationalen Zulassungsbehörde. Spezialisten, die auf Honorarbasis arbeiten (also weder fest angestellt, noch Beamte sind) sollen die Daten kritisch und kompetent durchleuchten und ein unbestechliches Urteil fällen. Von ihrem Urteil hängt ab, ob sich für den Konzern die Tür zu einem Milliardengeschäft öffnet oder aber verschlossen bleibt.

 

Aussergerichtliche Abfindungen

 

Der einzige Ort, an dem die Pharmaindustrie gezwungen werden kann, Informationen herauszurücken, ist der Gerichtssaal. Meist gelingt es jedoch, die Kläger mit sehr viel Geld zur vorzeitigen Beendigung des Prozesses zu bewegen. Die gefährlichen Nebenwirkungen fallen also normalerweise durch aussergerichtliche Einigungen unter den Tisch. Die Argumentation der Pharmafirma kann etwa lauten „Nun ist der Opa gestorben. Sie erwecken ihn nicht mehr zum Leben. Machen Sie sich wenigstens mit der schönen Summe Geld ein schönes Leben“. Das zieht meist, und schon sind die Nebenwirkungen nicht mehr publik und fallen aus der Statistik. Werden die Unterlagen doch mal geöffnet, ist der nächste Trick, sie als „vertraulich“ einzustufen. Wenn sich die Klagen vor Gericht häufen und ein Medikament irgendwann vom Markt genommen werden muß, ist der Gewinn längst eingefahren. Nach ein paar Jahren versucht man es mit dem gleichen Medikament in einem anderen Land.

 

Ein weiterer Blockbuster von Eli Lilly ist Zyprexa, ein für die Schizophrenie zugelassenes Medikament. Sein Umsatz betrug 30 Milliarden Dollar, 4,2 Milliarden allein im letzten Jahr. Da es aber nicht genügend Schizophrene gibt, wurde die Indikation auf Alte und Kinder ausgeweitet. 70 Prozent des Umsatzes wurden in USA durch Gesundheitsprogramme erzielt, an denen sogar George Bush in seiner Zeit als Gouverneur in Texas beteiligt war. Die zugrunde liegenden Studien waren unzureichend. Gerade mal 2500 Probanden nahmen an einem 6 wöchigen Versuch teil, von denen noch 2/3 vorzeitig wegen der Nebenwirkungen abbrachen. Es gab offenbar 20 Tote, davon 12 Suizidfälle. Die Hauptnebenwirkungen sind Gewichtszunahme und erhöhtes Risiko für Diabetes. Virapen vermutet sogar, dass Lilly es auf die Nebenwirkungen absah, um noch dazu Insulin verkaufen zu können. Bei Zyprexa ist die Zahl aussergerichtlicher Einigungen besonders hoch. In 26500 Fällen wurden 1,2 Milliarden Dollar Schadensersatz gezahlt.

 

Die „Insulin-Schweinerei“

 

Insulin wird seit fast 90 Jahren von Schweinen gewonnen – eine für Diabetiker segensreiche Erfindung, aber eine unappetitliche Vorstellung, worüber sich aber niemand Gedanken machte. Ein seit gut 25 Jahren künstlich gentechnisch hergestelltes Insulin wurde werbewirksam „Human-Insulin“ genannt. Nur in sehr kleinen Studien wurde es erprobt. Ärzte und Patienten glauben bis heute allein durch die Namensgebung sie bekämen menschliches statt tierisches Schweineinsulin, ein ungeheurer psychologischer Trick. Ein Heer von Buddhisten, Arabern und Vegetariern hätte wohl erhebliche Bedenken, Hilfe von toten Schweinen zu bekommen. Langzeitstudien belegen, daß die Nebeneffekte eher höher sind als beim Schweineinsulin. Hersteller leugnen die allergischen Nebenwirkungen. Die Diabetiker können das Gefühl für das Absinken des Blutzuckers schlechter wahrnehmen, was zur plötzlichen Bewusstlosigkeit mit allen Folgen führen kann. Das billigere Schweineinsulin ist inzwischen kaum noch zu bekommen. Jeder kann es herstellen, während patentiertes Human-Insulin allein durch das Patent teurer verkauft werden kann. Virapen liest während seiner langjährigen Tätigkeit in der Karibik anhand von Computergeschenken heraus, dass ähnliche Korruptionstechniken, wie er sie beim Prozac angewandt hatte, eine Rolle spielen.

 

Umsatzverluste durch ein auslaufendes, weil nicht mehr patentgeschütztes Medikament können durch kleine Molekülveränderungen patentgeschützt als Novität auf den Markt gebracht werden. Die neuen Einnahmen wandern in Werbemaßnahmen und Bestechungsgelder. Eine Erweiterung des Insulinmarktes kann auch dadurch stattfinden, dass Familienangehörige, die nicht oder noch nicht krank sind, über den Begriff der familiären Prädisposition als gefährdet mit ins Boot geholt werden und ihnen prophylaktisch Insulin verabreicht wird. Allerdings sind die Nebenwirkungen auf einen gesunden Körper noch nicht erprobt.

 

Off-Label-Marketing

 

Jeder Wirkstoff hat ein Wirkungsprofil, erzeugt im menschlichen Körper voraussichtlich diese oder jene Wirkungen. Etwa kann ein beruhigender Wirkstoff zu Verstopfung führen, der die Unruhe begleitende Durchfall oder dünne Stuhlgang kann zusätzlich bekämpft werden. Zur Umsatzsteigerung kann an verschiedene Zielgruppen verkauft, und diese massiv umworben werden. Anhand von Prozac wurde neben der Stimmungsaufhellung das Mittel zur Gewichtsreduktion und gegen Fettleibigkeit auf den Markt geworfen. Durch die Off-Label-Reaktion, also für Wirkungen, für die es nicht am Markt zugelassen ist, kann ein Medikament leicht zum Blockbuster aufsteigen.

 

Virapen wurde in das Geschäft mit Wachstumshormonen einbezogen. Ursprünglich für Kleinwüchsige gedacht, tut sich ein riesiger Markt für Muskelmänner und Leistungssportler auf. Als das Osteoporosemittel Evistra Eli Lilly nicht genügend Umsatz einbrachte, wurde es als Mittel gegen Brustkrebs umworben, ein riesiger Markt. Der Strafe wegen Falschwerbung hat Lilly locker zugestimmt und sich noch dazu auf seine ethischen Standards berufen. Das Epilepsiemittel Neurotonin wurde von der Firma Parke Davis Ärzten für alle möglichen Krankheiten aufgeschwatzt. Diese wurden sogar dafür bezahlt, so dass 90 Prozent des Umsatzes Off-Label waren. Der San Francisco Chronicle berichtete 2005, daß etwa die Hälfte aller Verschreibungen Off-Label sind.

 

Fragwürdige Informationen im Wartezimmer

 

Experten des Kölner Instituts für evidenzbasierte Medizin analysierten 175  Broschüren und Werbeprospekte mit 520 konkreten medizinischen Aussagen, die renommierte Pharmakonzerne in den Wartezimmern der Ärzte auslegen liessen. In 94 Prozent der Publikationen fanden die Forscher unbelegte, irreführende und falsche Produktinformationen. Für den Patienten ist es fast unmöglich, die Aussagen zu überprüfen. Wissen es auch die Ärzte nicht besser oder spielt Loyalität gegenüber den spendablen Pharmafirmen eine Rolle? Sicher spielt eine Rolle, man mag es einfach nicht glauben, dass Hochglanzbroschüren so wenig Wahres enthalten. Die Broschüren liegen ja auch in der Praxis des wertgeschätzten Arztes aus. Der Arzt sollte es wissen, er hat ja schliesslich lange studiert und grosse Erfahrungen. Das Wesen der Heilung von Krankheit ist Vertrauen, und dies Vertrauen wird von der Industrie zum Zwecke der Profitmaximierung schändlich missbraucht.

 

Eine weitere fragwürdige Information sind die Hinweise auf Zusatzimpfungen, die die Krankenkasse nicht bezahlt. In diesen erfolgt der Zugriff auf die Familie. Der psychologische Trick ist über die Gefahren zu „informieren“, so Ängste zu schaffen und die Impfung als Heilmittel notwendig zu machen. Etwa, die lebensgefährlichen Pneumokokken, deren Übertragbarkeit, Geschwisterkinder gefährdet, über die guten Gründe, alle anderen Kinder zu schützen, die Risikoerhöhung um das Dreifache, speziell bei Kindern wirksam und gut verträglich.

 

Die Korruption im Gesundheitswesen ist laut der Darlegung der Organisation „Transparency International“ nicht die Ausnahme, sondern die Regel und in ihr werden enge Bezüge zu den Finanzierungsproblemen im deutschen Gesundheitswesen gesehen. Virapen spricht von dem Bermuda-Dreieck, Industrie, Ärzte und Politik. In Virapens Buch steht noch viel mehr, und es kann nur einiges in einem Artikel heraus gegriffen werden.

 

Gesundheitsminister Rösler versucht in einem erneuten Versuch (dem wievielten?) die im Vergleich zum europäischen Raum völlig überhöhten Arzneikosten in Deutschland einzudämmen. Teilen der deutschen Ärzteschaft sind die Machenschaften der Industrie inzwischen auch nicht mehr geheuer, und sie nehmen sich in den letzten Ausgaben ihres Zentralorgans, des „Deutschen Ärzteblatts“, diesem Thema an. Sie kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie Virapen, etwa die Manipulationen der Industrie und die engen Verflechtungen zwischen biomedizinischen Unternehmen und akademischen Institutionen und Wissenschaftlern. Ein Beispiel für die gewünschten Studienergebnisse der Industrie: In fünf Studien hat die Firma Lilly ihr Präparat Olanzapin mit Risperidon (Ergebnis  5:0 für Olanzapin) und in 4 Studien die Firma Janssen ihr Ripseridon mit Olanzapin (Ergebnis 3:1 für Risperidon) verglichen. Wie heisst das Sprichwort „die Statistik ist wie eine Hure, die sich dem zuneigt, der am meisten bezahlt!“.

Virapen kommt in seinem Buch der Verdienst zu, die Wissenschaft mit seinem Lebenslauf, einer Art Beichte, mit menschlichen Erfahrungen und Ängsten zu kombinieren und dies zu einem persönlichen Buch in Form eines Krimis zu machen.

 

Die Machenschaften der Industrie sind trotz aller Vertuschungen noch relativ leicht aufzudecken, wenn sie auch infolge der interessensgeleiteten Zusammenarbeit aller Beteiligten, dem Bermuda-Dreieck Industrie-Ärzte-Politik, schwer zu verändern sind. Ungleich schwieriger wird es mit den profitgeleiteten Indikationen der Ärzte, die sich dort versammeln, wo besonders viel Geld zu verdienen ist, etwa in Radiologie, Labor, Vorsorgeuntersuchungen, Herzkatheter und Knieoperationen. Sie nutzen das mechanistische oder Maschinenweltbild des Menschen aus „wo etwas weh tut, muß etwas kaputt sein und repariert werden“, teilen es sogar. Nichts soll ununtersucht und unbehandelt bleiben. Sie schimpfen und empören sich zwar übereinander, aber wehe!, es wird an dieser Stellschraube gedreht. Dann sind sich alle einig. Ihre Macht ist unantastbar. Die armen Patienten, die zum Heilungserfolg auf Vertrauen angewiesen sind und dieses Weltbild teilen, müssen die Zeche der zunehmenden Gesundheitskosten bezahlen.

 

Literatur:

Dr. John Virapen „Nebenwirkung Tod – Die Wahrheit über Scheinwissenschaftlichkeit, Korruption, Bestechung, Manipulation und Schwindel in der Pharmawelt“, 2009, 5., überarb. u. aktualis. Aufl., 237 Seiten, Familienverlag Buchner, ISBN-13: 9783934246041

 

Bernd Holstiege

 

Schweinegrippe-Virus im Labor gezüchtet? – Verträge zwischen Impfindustrie und europäischer Regierung schon vor der angekündigten Pandemie – Ein Gespräch mit John Virapen - 04-04-10 14:37
Über die Tricks der Pharmaindustrie - Serie: Die Industrialisierung im Gesundheitswesen und die Herrschaft der Ketten und Konzerne (Teil 6/6) - 18-01-10 15:14