04. October 13 , 18:04
Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch, Leib & Seele
Fallbeispiel (entnommen KV H-aktuell, Nummer 3/2013): Ein 26 jähriger Proband
einer Antidepressivastudie hatte zuhause ein Behältnis mit der täglich
einzunehmenden Studienmedikation. Weil seine Freundin ihn verlassen hatte,
wollte er sich umbringen und schluckte die verbleibenden 29 Tabletten auf
einmal. Darauf hin bekam er Todesangst, der Blutdruck sagte ab und konnte auch
zunächst nicht in der Klinik stabilisiert werden. Was er nicht wusste: die
eingenommenen Tabletten waren wirkstoffsfrei. Als sich dies im Krankenhaus
herausstellte, hatte er innerhalb kürzester Zeit keine Beschwerden mehr und war
- zumindest körperlich – kerngesund - ein klassischer Nocebo-Effekt.
Dieses Beispiel zeigt, dass alleine die Wirkung der Annahme bzw. die
Erwartungen, die tödliche Dosis eingenommen zu haben, lebensbedrohliche
Komplikationen hervor rufen können und den Blutdruck absinken lassen, und die
Annahme, dass die Medikamente wirkstoffsfrei sind, ihn sich stabilisieren
lassen. Die Annahme, die Erwartung, die Vorstellung, der Glaube oder die
Fantasie entfalten diese Wirkung.
Wenn nun Patienten die Beipackzettel von Medikamenten lesen, wobei eine
ellenlange Nebenwirkungspalette aufgeführt ist, und sie an diese Nebenwirkungen
glauben, dann treten alleine schon durch das Lesen die Nebenwirkungen auf - ein
Schreckgespenst. Die Folge ist, dass laut Studien 50 % der Patienten die
Medikamente gar nicht einnehmen und wegwerfen. Diese Medikamente sind ihnen viel
zu gefährlich. Da kann der Arzt und mit ihm im Verbund die Pharmaindustrie noch
so viel reden. Es ist eine Folge der Rechtsprechung, daß auf mögliche
Nebenwirkungen hingewiesen werden muss. Das sehen aber viele Patienten nicht.
Sie meinen die Nebenwirkung treten tatsächlich auf.
Angenommen, wenn nur die Medikamente verkauft werden, die tatsächlich genommen
werden, also etwa die Hälfte, würde die pharmazeutische Industrie, ein immens
wichtiger Wirtschaftszweig innerhalb des Gesundheitswesens, zusammenbrechen.
Also müssen sich die Patienten zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft und ihrer
Gesundheit – zumindest vermeintlich - den ungeheuren Luxus leisten, ihre Pillen
einfach wegzuwerfen. Manchmal werden unterschiedslos sogar lebensnotwendige
Medikamente fort geworfen, und dann schadet man sich selbst. Solch paradoxe
Wirkungen und Nebenwirkungen zeigen sich im Gesundheitswesen.
Laut obigem Artikel spielt die Wahl der Worte eine immense Rolle bei der
Auslösung des Nocebo-Effektes. Es wird empfohlen, der Arzt solle Ausdrücke
vermeiden wie "Sie brauchen keine Angst zu haben" oder "ich hole noch schnell
etwas aus dem Giftschrank" oder "10 % der Patienten haben die Nebenwirkung",
stattdessen sollte er sagen "die meisten Patienten vertragen das Mittel gut".
Über mögliche Nebenwirkungen sollte der Arzt erst gar nicht sprechen. Es ist
sozusagen ein erlaubtes Verschweigen. Das macht aber manchen Patienten besonders
Angst, weil sie nicht wissen, wo sie dran sind und das Unbekannte ihnen
besonders Angst macht. Ein pessimistisch dreinblickeder Arzt wird weniger Erfolg
haben als einer mit einer positiv, optimistischen Ausstrahlung. Auch das
Internet ist oft ein angstmachender Raum.
Die Angst spielt bei vielen Krankheiten und deren Behandlungen eine tragende
Rolle, erstreckt sich auch auf die Medikamentennebenwirkung und lässt die
Bedrohungen überdimensional erscheinen (Katastrophisierung). Ich hatte schon in
früheren Artikeln darauf hingewiesen, dass derjenige Arzt der beste ist, der bei
einem diffusen, völlig unerklärbaren Krankheitsbild eine klare, eindeutige,
unanfechtbare Diagnose trifft und eine erfolgsversprechenden Behandlungsplan
aufstellt. Nämlich dann ist der Patient beruhigt, die Verspannungen sind gelöst
und der (Selbst) Heilungprozeß kann sich entfalten. Magie und Suggestion spielen
eine tragende Rolle. Nur wird der nächste Patient diesen Arzt als Scharlatan
ansehen. Für ihn ist ein guter Arzt derjenige, der ihm offen reinen Wein
einschenkt, auch seine Behandlungsgrenzen zugibt. Aber das kann der Arzt nicht
wissen, wenn er seinen Patienten nicht kennt und in der 5 min-Therapie einer
übervollen Sprechstunde ist das kaum möglich.
Neben der Angst spielen unterdrückte Aggressionen bei sämtlichen
Krankheitsgeschehen eine Rolle, unterdrückt deswegen, um die äußere Harmonie zum
Umfeld zu gewährleisten, weil es ja sonst Streit gäbe. Auch spielen Angst vor
der Blamage eine Rolle. Das äußere Bild der Souveranität muß aufrecht erhalten
bleiben, und Aggressionen werden als Demütigung erlebt. Es gilt der Satz, wer
zuerst aggressiv wird, hat verloren. Um der äußeren Harmonie willen nimmt der
Patient eine innere Disharmonie in Kauf, eine innere Zerreißprobe zwischen sich
und dem Umfeld – und das macht krank. In der naturwissenschaftlichen
Schulmedizin spielen solche Faktoren allerdings keine Rolle. Man ist froh, einen
aggressionsfreien Patienten zu haben. Bleiben diese Aggressionen bei den
Behandlungen weiterhin unterdrückt, erhält der Patient in der Behandlung keinen
Aggressions- und Angstspielraum, hat die naturwissenschaftliche Schulmedizin per
se einen Nocebo-Effekt.
Aber nicht nur bei Medikamenten spielt der Nocebo-Effekt eine Rolle, sondern bei
allen medizinischen Behandlungen, auch Operationen. Wenn das Vertrauen fehlt,
der Patient von der Gefährlichkeit einer Operation überzeugt, kann eine
Operation nicht so gelingen, und es treten zu jedem postoperativen Zeitpunkt
Komplikationen auf. Das Wissen von Komplikationen und das Wissen um
Arztpfuschereien und gefährlichen Nebenwirkungen, wie ja immer wieder berichtet
wird, wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Deswegen gilt es für
Ärzte und Industrie immer wieder Vertrauen aufzubauen, von der Industrie in
einer gigantischen Werbung. Nur wer zuviel für sich und seine Medikamente wirbt,
macht allein durch die Werbung sich selbst unglaubwürdig.
Es müsste mehr auf die Persönlichkeit des Patienten eingegangen, psychosozialen
Faktoren berücksichtigt werden. Aber leider besteht der Trend zur biologischen,
naturwissenschaftlichen Medizin mit allen kontraproduktiven Nebenwirkungen. Der
Mensch ist in all seinen Entscheidungen zu achten.
Eigene Artikel zum Placebo Effekt:
www.bholstiege.de/weltexpress/placebo2.htm
www.bholstiege.de/weltexpress/placebo.htm