Weltexpress international

01. April 14 , 09:58

Pharmaindustrie am Pranger – Ghostwriter, gekaufte Professoren, Krankheitserfindungen, unterschlagene Arzneistudien - Profitmaximierung zum Schaden des Patienten

Kategorie: Wissenschaft, Aktuell, Mensch
 

Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland (Weltexpress). Das Vertrauen ist wegen des Placebo-Effektes der zentrale Bestandteil der Arzt-Patientenbeziehung. Zum Heilungserfolg des Patienten ist Misstrauen säen wegen des Nocebo-Effektes höchst unproduktiv. Aber was sich die Pharmaindustrie leistet es, zumindest nach einem Artikel von Dr. Joachim Seffrin, entnommen der KV. aktuell, Nr. 1, März 2014, Pharmakotherapie, einem Informationsdienst der kassenärztlichen Vereinigung Hessen) ist hanebüchend.
© dapd

Er schreibt in einem Artikel "Pharmafirma lässt Jubeltexte schreiben, Professor publiziert unter seinem Namen ", bereits 2012 berichtet das Journal „der Arzneimittelbrief" in einem sehr lesenswert Artikel über das Ghostwritings. Der Begriff meint, dass Firmen im Auftrag von pharmazeutischen Unternehmen Artikel zu einem Wirkstoff oder einem anderen gewünschten Thema schreiben bzw. schreiben lassen und den fertigen Artikel einen so genannten "Key opinion leader". Meinungfürer, vorlegen mit der Bitte, in der Öffentlichkeit als Autor zu fungieren.

Pharmafirmen planen manipulativen Informationsprozess weit im Vorfeld

In diesem Artikel des Arzneimittelbriefs wird darüber berichtet, das pharmazeutische Unternehmen schon lange vor Markteinführung eines Wirkstoffes in einem üblicherweise geheimen und sorgfältig geplanten und gesteuerten Informationsprozess den Boden für die Vermarktung bereiten. Dies mag sich konspirativ anhören, ist aber unbestrittene Realität, in der die Industrie mit immensem Aufwand die öffentliche Meinung zu manipulieren versucht.

Öffentliche wissenschaftliche Meinung wird nach Wunsch zurechtgebogen

In der Zeitschrift „Prescire international“ wird dieser Prozess in einem Aufsatz einmal ausführlicher dargestellt. Diese so genannte Publikationsplanung wird seit etwa Mitte der Neunzigerjahre benutzt zu einer Zeit, als die klinische Forschung zunehmend in die Hände von Forschungsfirmen übergegangen ist. Aber nicht nur die klinische Forschung, sondern auch die Public Relations wurden zunehmend aus dem Unternehmen in die Verantwortung spezialisierter Firmen übertragen. Eine dieser Firmen hat im Jahr 2013 ihre Dienste so beschrieben: "Publikationsplanung ist zentral für den Erfolg der Marketingstrategie jedes Produktes. Durch Maximierung der Unterstützung des Produktes in der wissenschaftlichen Literatur kann der Kunde die Vorteile der bedeutensten Kommunikationskanäle für Gesundheit und wissenschaftliche Publikationen nutzen. Darunter ist zu verstehen, dass durch Veröffentlichungen auf allen Kanälen, insbesondere den angesehenen, hochrangigen wissenschaftlichen Journalen, die öffentliche wissenschaftliche Meinung nach Wunsch zurechtgebogen wird.

Schlüsselbotschaften steuern das wissenschaftliche Volk

Um neue Märkte oder sogar Krankheiten zu erfinden, werden frühzeitig Veröffentlichungen entwickelt, die verschiedene Zwecke erfüllen soll, zum Beispiel die Ernsthaftigkeit oder Häufigkeit einer Erkrankung zu übertreiben oder unbewiesene Vorteile von Medikamenten herauszustellen, Nebenwirkung zu verharmlosen oder auch offlabel-news zu propagieren und mehr. Es geht also schon lange vor der Markteinführung darum, so genannte Schlüsselbotschaften unters (wissenschaftliche) Volk zu streuen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Studien häufig so angelegt sind, dass die Ergebnisse den Wünschen der Auftraggeber entsprechen. Dabei wird zum Beispiel gegen Placebo geprüft oder gegen eine unterdosierte Standardtherapie, nur um einfache Strategien zu erwähnen. Man kann es auch so machen, daß in der Diskussion seines Artikels die objektiven Ergebnisse regelrecht schön geredet bzw. gezielt fehlinterpretiert, ja verbogen werden.

Bei Ghostwriting ist festzustellen, dass die wahren Autoren häufig nicht genannt sind. Nebenbei bemerkt: es gibt Ghostwriting auch bei nichtindustrie-gesponserter Forschung. Um möglichst großen Einfluss in der Öffentlichkeit zu erreichen, werden so genannte Meinungsführer als Autoren rekrutiert. Dies sind aktive Wissenschafter, die durch viele Publikationen bekannt oder berühmt sind, allgemein großes Ansehen genießen und deren Wort als gewichtig gilt, spöttisch auch als so genannte Eminenzen bezeichnet. Diese werden unter den besonders einflussreichen Persönlichkeiten gesucht, damit deren Aussagen auch möglichst breit wahrgenommen werden.

Von dem berühmten Autor stammt kaum Satz

Um zu vermeiden, dass die Honorarautoren auf die Idee kommen, Änderung vorzuschlagen, bekommen Sie üblicherweise die weitestgehend fertig gestellten Version der Artikel vorgelegt. So ist es nicht selten, dass kaum ein Satz des Artikels vom benannten, gegebenfalls berühmten Autor selbst verfasst worden. Leider können wir nicht mit Unterstützung der Journale rechnen, da diese zum großen Teil von den finanziellen Zuwendungen in Form von Aufträgen der Pharmaindustrie abhängig sind. So berichtet der "Arzneimittelbrief" darüber, dass es zwei große internationale Fachgesellschaften für Publikationsplanung mit jeweils über 1000 Mitgliedern gebe. Bei der Jahrestagung hätten sich die großen medizinischen Zeitschriften die Klinke in die Hand gegeben, um für Veröffentlichung in Ihren Journalen zu werben. Ein kleines Schlaglicht zu den vielfältigen finanziellen Verflechtungen!

Gericht deckte auf: Editorial stammen nicht vom Autor, sondern von Ghostwritern der Pharmafirmen

Als erhellendes und bedenkliches Beispiel, wie so eine Publikationsplanung ablaufen kann, kann ein Gerichtsverfahren in den USA im Jahre 2009 dienen. Damals musste sich die Firma Wyeth gegenüber 14.000 Frauen mit Brustkrebs verantworten. In diesem Verfahren kam zu Tage, dass die Firma in den neunziger Jahren im großen Umfang Agenturen mit Ghostwritern angeheuert hat, um ihre Hormonpräparate zur Hormonersatztherapie zu vermarkten. Es wurde bekannt, dass zwischen 1997 und 2005 mindestens 50 wissenschaftliche Artikel zur Hormonersatztherapie nicht von den genannten Autoren verfasst, sondern von den Agenturen produziert waren

Wissenschaftler und Praktiker wurden falsch informiert, Patienten in Gefahr gebracht

Es handelt sich überwiegend um Editorials, Briefe an den Herausgeber und wissenschaftliche Abstracts, aber auch um klinische Studien, wie zum Beispiel die Women’s Hope-Studie. In all diesen Veröffentlichungen wurde der Nutzen positiv herausgestellt und die Risiken bzw. möglichen Schäden wurden verharmlost. Damit wurden die Leser der Artikel, Wissenschaftler wie auch behandelnde Ärzte fehl informiert und ihrer Patientinnen in Gefahr gebracht. Die Dienste einer Key-opinion-Leaderin wurden im Verfahren herausgestellt, unter anderen, wie sie von der Firma großzügig dafür belohnt - oder soll man sagen geschmiert-wurde.

25.000 $ für einen Artikel

Die Firma ging aber noch weiter und produzierte eine ganze Anzahl von Primärartikeln, d.h. Veröffentlichung von Ergebnissen wissenschaftliche Versuche: zum Beispiel vier unterschiedliche Arbeiten zur Hope-Studie. Dabei wurden für jeden Artikel 25.000 $ bezahlt. 1997 wurde die Agentur beauftragt, 50 Artikel zu schreiben, von denen jeder 20.000 $ kostete. Dabei wurden auch Sekundärveröffentlichungen produziert, die die Studie besprachen und beurteilten. Im Weiteren wurden auch CME-Artikel (wissenschaftliche Fortbidung für Ärzte) entwickelt, um die Ärzte entsprechend und ganz gezielt zu beeinflussen. In den neunziger Jahren wurden Artikel veröffentlicht, deren einziger Zweck darin bestand, die angeblich ernsthafte Natur der menopausalen Beschwerden groß herauszustellen und die dringende Notwendigkeit der Hormonersatztherapie zu begründen. Die entsprechenden Lügen zu den vielfältigen Wohltaten durch Hormone kennen nicht nur wir Ärzte, sondern auch das ebenfalls gezielt fehl informierte Laienpublikum.

Nachdem die WHI- Studie (Women’s Health Initiative) publiziert war, die die Nutzlosigkeit der Hormonersatztherapie für Herzerkrankung zeigte und sogar ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Brustkrebs nachweisen konnte, sah man sich bei der Pharmafirma genötigt, andere Benefits wie zum Beispiel bessere Sexualgesundheit durch Hormone zu erfinden. Im weiteren wurden Artikel veröffentlicht, die behaupteten, dass diese Brustkrebs Erkrankung weniger aggressiv als andere sein und eine bessere Prognose hätten. Man veranstalte sogar Konferenzen, um diesen Unsinn zu verbreiten.

Profit wichtiger als Wohl der Patienten

Diese Information werfen ein Licht auf die Pharmaindustrie, dass schlechter kaum sein könnte. Sicher muss ein Pharma-Unternehmen Geld verdienen und Gewinn machen können. Aber hier wird der finanzielle Profit über alles, auch über das Wohl der Patienten gestellt - und damit wird eine Grenze überschritten. Manche Firmen scheuen keinen finanziellen Aufwand, sind sich für nichts zu schade, um ihre Werbestrategien zu realisieren.

Wir Ärzte können aus diesen perfiden Strategien von Pharmakonzernen den Schluss ziehen, wir sind einem unerhört raffinierten, ausgeklügelten System der Informationsverbreitung und Informationsvermittlung weit gehend ausgeliefert. Es ist in diesem Dschungel ausgesprochen schwierig einen Durchblick zu bekommen bzw. zu erhalten. Auf der anderen Seite wird alles getan, um Fakten zu vernebeln, zu verdrehen und uns zu täuschen. Letztes Jahr musste Sanofi in Frankreich für diese Arzt-Verdummung Kampagne 40 Millionen € Strafe zahlen.

Wem kann man noch glauben, wenn auch die großen, hoch angesehenen, ja berühmten Medizinjournale bei diesem Treiben mitspielen? Man könnte den Autoren von Prescire, des Arzneimittelbriefes oder Dr. Seffrin vorwerfen, der Paranoia verfallen und mit Vorurteilen erfüllt zu sein. Aber diese Aussagen beruhen nun einmal auf gerichtlich festgestellten Tatsachen. Der Leser kann sich dank Internet von der Wahrheit dieser Angaben überzeugen.

Für den Arzt und seinen Patienten bedeutet das ganze, genau darauf zu achten, welche Quellen er für seine Informationsbeschaffung benutzt. Dies sind in erster Linie unabhängige Zeitschriften, die keine Werbung brauchen, um sich zu finanzieren. Daneben benötigt man leider eine große Portion Misstrauen, wenn einem ein neues Produkt oder eine neue Krankheit oder auch nur die Definition einer angeblich neuen Krankheit nahe gebracht wird. Auch neue Bezeichnung alter Krankheiten haben üblicherweise ihre Hintergründe. Man darf auch ohne schlechtes Gewissen so manchem kostenlosen CMI-Angebot widerstehen, da man andernfalls dem Risiko ausgesetzt ist, Dinge zu lernen, die vielleicht in den Hinterstuben vom großen Auftragnehmern der Pharmaindustrie extra für uns erfunden worden..

Studien für den Aktenschrank, noch immer werden die Ergebnisse vieler Arzneistudien unter den Tisch gekehrt

Seit einigen Jahren verlangt die FDA (die amerikanische Arzneimittelbehörde), das klinische Studien in einem Register aufgeführt und deren Ergebnisse auf der Internetseite www.clinicaltrials.gov veröffentlicht werden müssen. Amerikanische Forscher haben nun überprüft, inwieweit diese Vorgaben des amerikanischen Staates in die Tat umgesetzt wurden. Sie untersuchten 585 Studien mit mehr als jeweils 500 Partizipanten, mit einer Gesamtzahl von ca.1 Million Teilnehmern. Von den 585 registrierten Studien blieben 171, d.h. 29 % unveröffentlicht. An diesen 171 Studien nahmen ca. 300.000 Menschen teil. Er stellte sich in der Untersuchung heraus, dass Nichtveröffentlichung häufiger bei industriebezahlten Studien zu finden war (das heißt ca. 32 %) als bei anderen Studien, bei denen der 18 % der Studien unveröffentlicht blieben. Von den 171 nicht veröffentlichten Studien fanden sich bei 133 überhaupt keine bei clinicaltrial.com auffindbare Informationen. Mittlerweile ist übrigens für bestimmte Studienarten die Unterlassung der Veröffentlichung mit einer Verzögerungsstrafe bis zu 10.000 $ pro Tag bewehrt.

Es ist bemerkenswert, dass staatliche Vorgaben in einem so hohen Prozentsatz schlicht und einfach nicht umgesetzt wurden. Man fühlt sich fatal an die Anklagen von David Healy in seinem Buch "Pharmageddon" erinnert, wo Healy unter anderem schildert, auf welch respektlose Weise die Pharmaindustrie mit behördengesetzlichen Vorgaben umspringt. Riesige Zahlen von Studienteilnehmern werden letztlich hinters Licht geführt. Diese Teilnehmer haben in der Vorstellung und Hoffnung, auch anderen Menschen durch ihre Teilnahme helfen zu können, manches Risiko und Umstände auf sich genommen. Es ist in keiner Weise akzeptabel, Patienten für eine Studie zu rekrutieren, dabei ihnen alle möglichen Risiken einer Prüfung aufzubürden und diese Studien anschließend nicht zu veröffentlichen. Ein weiterer ebenfalls hoch bedenkliche Aspekt ist der, dass durch diese Nichtveröffentlichung von wichtigen Daten unter Umständen bedeutende Erkenntnisse für die Allgemeinheit verschollen bleiben und, noch viel schlimmer, über ein Publicationbias die Antworten wichtiger Fragen in der wissenschaftlichen Welt extrem verfälscht werden können.

Der mögliche Schaden dabei kann ganz profan im volkswirtschaftlichen Bereich liegen, in dem unter Umständen riesige Geldsummen für völlig nutzlose Medikament versenkt werden. Wir dürfen uns hier schmerzhaft an verschwendete Steuergelder für wahrscheinlich nur gering wirksame Grippepillen erinnern, oder an Antidiabetika, deren Zusatznutzen gegenüber Standardwirkstoffen zweifelhaft bzw. kaum nachweisbar ist.

Unterschlagene Informationen können Patientenleben gefährden

Aber noch viel gefährlicher ist, dass Wirkstoffe, die möglicherweise gefährlich oder im harmlosesten Falle nutzlos sind, in unsere Therapie eingeführt und damit an unserem Patienten eingesetzt werden. Durch solche Verfälschung von Ergebnissen können auch recht effektive Verfahren relativ schlechter erscheinen als sie in Wirklichkeit sind, womit sie gegen verfälschte Ergebnisse keine Chance haben. Es ist auffällig, dass in der ersten Untersuchung wesentlich mehr industriegesponserte Studien verschwunden bleiben. Für die Hersteller verschwinden missliebige Resultate und genehme Ergebnisse werden. publiziert, am besten gleich dutzendweise in verschiedenste Veröffentlichungen, von angestellten Ghostwritern, die quasi industriell wie am Fließband auf Bestellung produzieren.

Diese Gedanken kommen nicht von ungefähr, Healy gibt in seinem Buch seitenlange Beispiele und Namen von Agenturen. Nach einer ganzen Reihe von Milliarden Strafen gegen Pharma-Unternehmen wegen Betrugs ist ganz aktuell ein Strafverfahren des japanischen Gesundheitsministeriums gegen den Pharmariesen Novartis bekannt geworden, der angeblich wissenschaftlich gefälschte Studien für die Werbung für das bekannte Antihypertensivum Diovan verwendet haben soll. Die Ergebnisse dieser Studie sind elektrisierend und sollten dringend zu einer Verschärfung der wissenschaftlichen Spielregeln führen, dies nicht nur in den USA.