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28. February 11 , 14:26
Freiherr zu Guttenberg - Plagiatsvorwürfe und die Wissenschaftsgläubigkeit
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Die Wogen schlagen hoch, die Medien sind
voll mit den Plagiatsvorwürfen an die Adresse von Karl- Theodor von Guttenberg.
Spottlieder kursieren in Internetforen und werden 100tausendfach angeklickt. Der
Shootingstar der deutschen Republik hat die Würde und Ernsthaftigkeit der
Wissenschaft bloßgestellt und diese soll wiederhergestellt werden. Die
Opposition spricht sogar vom akademischen Hochstapler, Lügner, Täuscher,
Trickser und der Promotionslüge. "Lügner dürfen in unserem Land nicht
ministrabel werden", bringt es der Linkenabgeordnete Dietmar Bartsch auf den
Punkt. Die Saubermänner und Moralapostel haben Hochkonjunktur.
Dieses Jahr stehen mehrere Landtagswahlen an. Die
Opposition lacht sich ins Fäustchen und schlachtet dieses Thema weidlich aus.
Die Regierungsparteien werden gespalten sein, die Neider sich insgeheim freuen,
schließlich wird er schon als Nachfolger der Bundeskanzlerin gehandelt, aber als
Aushängeschild wird er noch dringend gebraucht. Deswegen stehen die
Regierungsparteien nach außen geschlossen hinter ihm. Inzwischen hat er
zerknirscht freiwillig, wohl weniger aus echter Reue, sondern wegen der
Medienkampagne, seinen Doktortitel zurückgegeben und von der Universität
Bayreuth wurde ihm dieser wegen Unwissenschaftlichkeit aberkannt. Womöglich
drohen ihm juristische Konsequenzen. Große Textpassagen, anscheinend den
Großteil seiner Arbeit, hat er einfach ohne erforderliche Kennzeichnung sogar
mit Schreibfehlern abgeschrieben oder sogar mithilfe eines Ghostwhriters
abschreiben lassen? Hat er bewusst oder fahrlässig getäuscht, oder sich einfach
nichts gedacht, was bei einem Volljuristen kaum anzunehmen ist, weil Abschreiben
allgemein üblich ist und oft nicht auffällt. Anzunehmen ist, dass ein
aufstrebender und beschäftigter Politiker mit Familie schon rein zeitlich kaum
in der Lage sein wird, ein derartig umfangreiches Werk fundiert abzufassen. Für
die Universität Bayreuth ist die ganze Geschichte ihres
Summa-cum-laude-Doktoranden und ihrer Werbeikone blamabel. Sie hat in ihrer
Aufsichtspflicht versagt und muss ihre Ehre und ihren Ruf wieder herstellen.
Ernsthafte Wissenschaftler und Professoren sind empört. Aber kommen wir doch von
dem hohen Sockel der Wissenschaft herunter! Getäuscht, getrickst und betrogen
wird in allen Bereichen der Gesellschaft, natürlich auch in der Wissenschaft,
denn diese betreiben Menschen mit allen ihren Schwächen und Fehlern. Manchmal
wird sogar auf Kongressen über Versuchsreihen berichtet, die sich jemand
ausgedacht, aber nicht durchgeführt hat. Solange es nicht auffällt, gehört es
dazu! Aufgefallen, und manches mehr, ist die fälschliche menschliche
Genomentschlüsselung eines koreanischen Wissenschaftlers. Es gibt Unternehmen,
die Interessenten, die sich mit akademischen Würden beweihräuchern wollen, für
viel Geld Doktorweihen vermitteln, wobei manche Professoren durchaus diesen
Nebenverdienst schätzen. Das hatte der Verteidigungsminister wohl nicht nötig.
Und das ist für mich das Interessanteste an der Affäre. Schließlich saß er bis
2002 im Aufsichtsrat der Rhön- Klinikum AG, an deren Aktienpaket seine Familie
zu einem guten Teil beteiligt ist. Diese hatte laut Frankfurter Rundschau rund
750.000 € an die Universität Bayreuth gespendet, die zum Aufbau eines neuen
Lehrstuhls für Medizinmanagement verwendet wurden, interessanterweise
angesiedelt nicht in der medizinischen Fakultät, sondern in der rechts- und
wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Wie ich schon am Ende des Artikels über
die Wahrnehmung und in den Artikeln über die Industrialisierung im
Gesundheitswesen erwähnte, ist die Röhn AG ebenso wie andere Konzerne bekannt
dafür, das Gesundheitswesen zulasten der Patienten zur Profitmaximierung zu
nutzen. Deswegen hat sie wohl großes Interesse an der Etablierung eines
Lehrstuhls innerhalb der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und
weniger eines Managements von Praxen und Kliniken an der medizinischen Fakultät.
Vor wenigen Jahren habe ich einen Artikel im Weltexpress über den Aberglauben in
der Medizin und über den neuen Aberglauben an die Naturwissenschaft geschrieben
(jetzt nur noch in meiner privaten Homepage unter www.bholstiege.de/weltexpress/aberglauben2.htm
nachzulesen). Sicher hat die Naturwissenschaft vor allen Dingen technisch die
Menschheit vorangebracht und in der Medizin den mittelalterlichen Aberglauben
überwunden, stattdessen aber einen neuen an sich selbst und die technischen
Wunder erschaffen. Mit dieser interessensgeleiteten Politik ist wesentlich mehr
Geld zu machen. Für den Menschen, seine Befindlichkeit, seine Seele und seinen
Geist und seine sozialen Bezüge sind diese Fortschritte eher ein Rückschritt.
Die naturwissenschaftlichen Erklärungen lassen ihn völlig draußen und behandeln
ihn mit Technik und Pillen. Dadurch hat eine Industrialisierung der Medizin und
im Gesundheitswesen stattgefunden, die uns noch eine Unmenge Geld kosten wird,
aber der Gesundheit nur bedingt nützt. Dass die Bevölkerung so viel älter
geworden ist, führe ich persönlich mehr darauf zurück, dass in Mitteleuropa über
Jahrzehnte keine Kriege geführt wurden mit all ihren Niederschlägen im
menschlichen Geist über Generationen hinweg. Ausgerechnet von Guttenberg hält an
dem Krieg in Afghanistan fest und verdient sich dort seine Meriten.
Manchmal mache ich mir Gedanken, warum von Guttenberg in der Beliebtheitsskala
so hoch angesiedelt ist, wahrscheinlich, weil er so markant, nach außen
geradlinig und fast militant auftritt, seine Attitüde, obwohl er bei der
Abschaffung der Wehrpflicht mal so redete und jetzt anders handelt. Er
verkörperte bis jetzt Tugenden. Das mögen die Deutschen, das preußische Erbe
steckt schon seit hunderten von Jahren in ihnen. Warum sie das mögen, dazu komme
ich in meinen Gedankengängen zu der Zunahme von Depressionen, Angstkrankheiten,
psychosomatischen und chronischen Erkrankungen, denen die naturwissenschaftliche
Medizin trotz aller hoch gepriesenen Fortschritte ziemlich hilflos
gegenübersteht. Hilflose, ausgelieferte Menschen schätzen Stärke, Geradlinigkeit
und Militanz, weil das für sie ein Versprechen bedeutet. Komplexe Weltsichten,
Ambivalenzen, Unsicherheit, Undurchsichtigkeit und eine unbekannte Zukunft haben
keine Hochkonjunktur. Darunter leiden schon viel zu viele. Schließlich möchte
jeder wissen, wo er dran ist, auch wenn dies nur Attitüde ist.
Die Würde und Ernsthaftigkeit der hohen Wissenschaft wiederherzustellen, dazu
ist von Guttenberg ein Bauernopfer. Obwohl Abschreiben allgemein auch in der
Wissenschaft üblich ist, das fängt schon in der Schule an, wenn auch nicht so
umfangreich und unverschämt wie bei von Guttenberg, wird an ihm ein Exempel
statuiert. Mir persönlich ist das eine Genugtuung, wenn er mir auch leid tut,
aber mehr aus dem Grunde, weil er so sehr mit den Konzernen verbandelt ist, die
so weit vom Menschen entfernt sind und ihm mehr schaden als nützen. Aber
wahrscheinlich wird er auch das überstehen. Er sinkt nur in der
Beliebtheitsskala und Guido von Westerwelle steigt. Meiner Ansicht nach gehört
es zum menschlichen Wesen, von anderen Menschen zu übernehmen. Da so viel gesagt
und geschrieben wird, wird eine Auswahl getroffen, die jeweils eine eigene
Kreation innerhalb der Auswahl ist. Das könnte man auch ein Plagiat nennen. Aber
in der Wissenschaft regieren besondere Regeln, zumindest die, die Auswahl zu
kennzeichnen. Dann wäre wohl nicht mehr viel von seiner eigenen Arbeit übrig
geblieben.
Von Bernd Holstiege