Kein Bild mit Seltenheitswert in der islamischen Welt: Mann mit Peitsche

 

 

Das Patriarchalische Weltbild und die Geschlechtertrennung als Traumafolge

 

Serie: Psychotraumatisierung in unserem heutigen Alltag  (Teil 4/4)

 

Eine 19jährige hübsche Türkin wurde von den Frauen der Familie als Hure beschimpft und durfte das Haus außer zur Arbeit nicht verlassen. Die Beschuldigung war von der Oma bei einem Türkeibesuch ausgegangen und von der Familie übernommen worden. Als sie mir in der Therapiestunde zu nahe rückte, bat ich sie um etwas mehr Abstand, woraufhin sie verführerisch lächelte „Das macht mir gar nichts aus!“ Die befreundete Kollegin, die sie mir überwiesen hatte und im Stadtteil allbekannt war, meinte trocken, die Beschuldigungen seien (in türkischen Augen) zurecht, denn die junge Türkin sei mit ihrer Tochter zur Schule gegangen und habe sich wie die deutschen Mädchen verhalten. Außerdem erzählte die Kollegin, der Vater der jungen Türkin, ein attraktiver Türke, habe sie selbst auf der Straße aufgefordert, mit ihm zu schlafen. Die Patientin berichtete weiterhin, ihrer Cousine sei es vor ein paar Jahren ähnlich ergangen. Daraufhin sei sie verschwunden, nach wenigen Jahren mit einem Iraner verheiratet wieder aufgetaucht und in Gnaden in die Familie aufgenommen worden. Ich meinte, dann bliebe ihr nichts anderes übrig. Die Therapie war zu Ende, denn sie war verschwunden.

 

Wie in Teil 3/4 beschrieben, vermag das Patriarchat auf traumatisiertem Hintergrund dazu dienen, angeblich klare Verhältnisse, Eindeutigkeit, Schutz, Erlösung, Errettung und Hoffnung zu vermitteln und aus Verwirrung, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ausgeliefertsein herauszuführen. Deren Schattenseiten wurden erwähnt.

 

Dem Studium des Patriarchats, sozusagen in Reinkultur, dessen Wechselwirkungen und Traumatisierungskomponenten, dienen die folgenden Ausführungen von Mahrokh Charlier, einer geborenen Iranerin,  „Geschlechtsspezifische Entwicklung in patriarchalisch-islamischen Gesellschaften und deren Auswirkungen auf den Migrationsprozeß“ in der Zeitschrift „Psyche“, 60. Jahrgang, Februar 2006. Sie sieht als Ursache der geschlechtsspezifischen Unterschiede die Geschlechtertrennung und deren Auswirkungen auf die innerpsychische Entwicklung. In patriarchalischen Gesellschaften, in denen die Trennung der Geschlechter in eine innere Frauen- und eine äußere Männerwelt zentraler Bestandteil des ethnischen Unbewußten sei, verfüge die Frau in der inneren Welt der Familie über die physische und psychische Macht. Das könne man innerfamiliär als Matriarchat bezeichnen.

 

Die primäre Frage in einer islamischen Ehe seien die Kinder. Dadurch finde die ansonsten entwertete Frau ihre Erfüllung, gewinne in der Familie eine Machtposition und erhalte die Herrschaft über die Kinder. Ein indisches Sprichwort besagt, eine Frau müsse drei mal geboren werden, ihre eigene Geburt, ihre Heirat und die Geburt ihres Kindes. Die Geburt seines Kindes beweise die Potenz des Mannes und sichere dessen männliche und zugleich ihre weibliche Identität. Eine weiterhin zentrale Frage sei das Geschlecht des Kindes, denn dadurch werde der Grundstein für das konflikthafte Erleben der Geschlechtertrennung gelegt.

 

In der Mutter-Sohn-Beziehungsdynamik sei der Junge widersprüchlichen Erfahrungen ausgesetzt. Er erlebe die Rollenverteilung zwischen der entwerteten, aber im Innenfeld der Familie mächtigen Mutter und dem nach außen mächtigen Vater. Als Frau empfinde die Mutter hochambivalente Gefühle gegenüber dem Sohn, einerseits aufgrund ihrer eigenen Entwertung und ihres Ausgeschlossenseins aus der Männerwelt unbewußte Aggressionen, Haß und Neidgefühle, andererseits sei sie stolz auf ihn, erlebe ihre eigene Aufwertung und neige zur Verwöhnung, Verführung und Teilhabe an der Macht des Patriarchats, woraus eine Idealisierung des Jungen erfolgen könne. Die emotionale Dichte zur Frauenwelt bedinge heftige ödipale Wünsche des Jungen zur Mutter und den weiblichen Geschwistern. Zugleich müsse er fürchten, dasselbe Schicksal zu erleiden und aus der Männerwelt ausgeschlossen zu sein, wenn er sich nicht von der Frauenwelt distanziere. Dies gehe mit sozialen Ängsten und Schamgefühlen einher. Dadurch werde im Sohn die Ausdifferenzierung einer realistischen männlichen Identität erschwert.

 

Die Spaltung einer paradiesisch verwöhnenden, aber auch verschlingenden Mutter, somit einer unaufgelösten Ambivalenz gegenüber der Mutter, werde im Islam durch den gesellschaftlich-religiösen Spaltungsmechanismus der Geschlechtertrennung etwa ab dem 6. Lebensjahr zementiert. Charlier erklärt sich den Schleier islamistischer Frauen als Verdinglichung nicht nur aus Angst vor den sexuellen Reizen und ödipalen Ängsten, der Trennung zwischen einer sittlichen und unsittlichen Frau, sondern vor allem dem Schutz vor archaischen Ängsten vor der dominanten aggressiven Mutter der frühen Kindheit, um sich sozusagen unsichtbar zu machen.

 

Für den Sohn sei der Vater ein ehrwürdiges, mächtiges und angsteinflößendes Objekt. Er werde als rettendes Objekt aus der engen Mutter-Sohn-Beziehung phantasiert. Da der Vater aber nicht konkret in einer ödipalen Auseinandersetzung  mit seinen Geboten und Verboten einbezogen ist, bleibe er außerhalb in einer strengen unnahbaren Position als idealisiertes Vaterbild, nicht als konkreter Mensch, erhalten, gegenüber dem nur eine Unterwerfung und latente gleichgeschlechtliche Bindung übrig bleibe. Dies verspreche eine Teilhabe an der Macht und Dominanz der Männerwelt ohne Infragestellung der väterlichen Macht. Durch die Ferne, seiner Unnahbarkeit und mangelnden Verinnerlichung des väterlichen Objekts bleiben die inzestuösen Wünsche an die Mutter präsent und müßten durch projektive Mechanismen in Schach gehalten werden. So verstehen sich alle Muslime als Brüder und Schwestern in einer einzig großen Familie, in der schon der Blick auf eine fremde Frau ein Verstoß gegen das Inzesttabu bedeute. Die fest gefügte Gesellschaft übernehme die Elternrolle, forme und führe den Einzelnen und helfe ihm bei allen wichtigen Entscheidungen.

 

Die Beziehung der Mutter zur Tochter sei ebenfalls von Ambivalenz geprägt. Sie bevorzuge aufgrund der erfahrenen Unterwerfung einen Sohn zur Kompensation ihrer Ohnmacht. Die Töchter dienten der Mutter als narzißtisches Selbstobjekt, in denen sie neben der symbiotischen Illusion einer unauflöslichen emotionalen Zusammengehörigkeit ihre aggressiven und sadistischen Neigungen  und all ihre Selbstentwertungen unterbringen können.

 

Als idealisiertes, unnahbares und gefürchtetes Objekt fehle der Vater als ausgleichendes und regulierendes Objekt in der Mutter-Tochter-Beziehung. Die auf den Vater gerichteten libidinösen Wünsche der Tochter erweckten bei ihm sexuelle Ängste und Phantasien, die aus eigenen früheren Erfahrungen mit der verwöhnenden, aber auch inzestuös verführenden Mutter herrühren. Diese seine Empfindungen könnten mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und Machtverlust einhergehen. Für Charlier ist die Besonderheit der Beziehung zwischen Vater und Tochter die Herausbildung einer narzißtischen Symbiose. Die Tochter spüre sehr früh, dass die Ehre des Vaters von ihrer Unterwerfung unter die Gebote von Sittlichkeit wie Einhaltung der Kleidervorschriften und Bewahrung der Jungfräulichkeit abhängig sei. Sie werde als sexuelles Wesen zugleich entwertet und überbewertet und könne nur mit der Unterdrückung ihrer Weiblichkeit die Gunst und Liebe des Vaters erlangen. Dadurch entstehen eine gegenseitige narzißtische Abhängigkeit und innere Verbundenheit. Alles Körperliche, das mit weiblicher Sexualität in Verbindung gebracht wird, werde speziell vom Vater genau kontrolliert und beäugt. Das Ideal der männlichen und väterlichen Ehre sei abhängig von der umfassenden Kontrolle der Weiblichkeit und Sittlichkeit des Mädchens. Falls sie sich nicht unterwerfe, müsse sie mit Repressalien bis zur Lebensauslöschung, dem Ehrenmord, rechnen. Dabei könne es schon zuviel sein, sich zu wild körperlich zu bewegen oder auf der Straße den Blick nicht gesenkt zu halten. Dann könne schon ein Gefühl der Verzweiflung und Erniedrigung beim Mädchen hervorrufen, wenn der Vater denken könnte, sie würde sich unsittlich verhalten, und umgekehrt lasse die Sittlichkeit der Tochter ihn stolz und aufrecht gehen.

 

Mit der Implantierung von Geboten und Verboten, eingebettet in das ethnische Unbewusste, werde die Entfaltung der weiblichen Identität gehemmt. Das Mädchen und die Frau verbleiben in der ihnen zugeordneten Frauenwelt, ohne sich an der Männerwelt beteiligen zu können, und die Unterdrückung der eigenständigen weiblichen Identität verhinderten auch durch die frühe Verheiratung und Geburt des Kindes, in der das Mädchen zur Mutter wird, den psychosexuellen Reifungsprozeß. Aus Angst vor den neu gewonnen körperlichen Empfindungen, dem Drang nach Autonomie und den Repressalien kehre sie mit Hilfe der ritualisierten Normen in die enge Mutter-Kind-Beziehung zurück und verbleibe im Besitz der Familie und des Ehemannes - oder sie warte auf eine eigene Entwicklungschance (wie im obigen Fallbeispiel beim Aufeinanderprallen der Kulturen).

 

Ähnliche Verhältnisse können durchaus auch in unserer westlichen Kultur vorliegen.

Die Geschlechtertrennung kenne ich noch in der Nachkriegszeit aus meiner Schulzeit. Ich war ausschließlich in Jungenklassen. Mädchen waren für mich bis zur Pubertät dumme Gören und Männlichkeit wurde ausschließlich unter Jungen gesucht. In unserem kulturellen Kontext ist die Geschlechtertrennung inzwischen äußerlich aufgehoben, lebt aber noch als kulturelle Überlieferung in der Tiefe fort. Diese findet sich auch bei uns noch oft genug, wenn beispielsweise der Mann den ganzen Tag arbeiten geht und die Frau alleine die Kinder erzieht. Leider sind Mütter in all ihrer Macht nicht nur gute Mütter, obwohl die „gute Mutter“ zum Ideal erhoben ist und Mütter bei dessen Infragestellung massive Schuldgefühle empfinden.

 

Charlier beschreibt in der hochambivalenten Mutter-Sohn-Beziehung die libidinösen Wünsche des Sohnes an die Mutter und die libidinöse Verführung des Sohnes durch die Mutter. In der Ödipussage heiraten Mutter und Sohn, und der Sohn ermordet seinen Vater, als grundlegender Konflikt in der Freudschen Psychoanalyse dargestellt, so als wenn es sich in der kindlichen Libido um reife Sexualität und eine Rivalität unter Männern um die Frau handele. Die Nähe- und Körperlichkeitswünsche des Sohnes, sein Wunsch sich auf dem Schoß anzuschmiegen, seine Aussage der Zuneigung, die Mutter heiraten zu wollen, wird oft mit Sexualität verwechselt und gleichgesetzt. Es handelt sich jedoch um ein Nähe-, Geborgenheits- und ein narzißtisches Anerkennungsbedürfnis, grundlegende Bedürfnisse zur narzißtischen Reifung. Bei den Grundbedürfnissen spielt das Geschlecht noch keine große Rolle, so daß diese auch die Tochter an die Mutter und Tochter und Sohn an den Vater herantragen. Diese Verwechslung kann sogar bei traumatisierten Eltern dazu führen, das Inzesttabu zu durchbrechen bis zum sexuellen Missbrauch, wobei etwa der Vater glaubt, die Tochter habe ihn verführt, und er keinerlei Schuldgefühle verspürt.

 

Noch häufiger ist bei der Verwechslung von libidinöser Körperlichkeit und reifer Sexualität die Angst vor dem Inzesttabu, der verbotenen Sexualität, und führt zu einem allgemeinen Berührungstabu, so daß Nähe, Zärtlichkeit und Körperlichkeit zwischen Eltern und Kindern verboten sind und verloren gehen. Auch im Islam innerhalb der intimen Frauenwelt wird die Balance zwischen Verführung und Nähe- und Körperlichkeitstabu äußerst schwierig sein. Die Angst vor Nähe entspringt auch der Angst vor Vereinnahmung und Verschlingung, in dieser Nähe sich ganz nach der Mutter ausrichten zu müssen und sich dabei zu verlieren. Werden jedoch diese grundlegenden Bedürfnisse nicht erfüllt, ist eine Loslösung erschwert und lassen die Kinder an ihren Eltern, wie von Charlier im Islam beschrieben, vor allem an der Mutter haften, um doch noch die basalen notwendigen Bedürfnisse, die sie dringend für ihren autonomen Reifungsprozeß benötigen, erfüllt zu bekommen.

 

Eine prekäre Situation zwischen Mutter und Sohn sind die häufigen Peniswaschungen. Einerseits besteht das Gebot zur Reinlichkeit, andererseits erschrecken vor allem prüde Mütter, wenn der Sohn dabei ein steifes Glied bekommt, das er auf keinen Fall bekommen darf. Die Reinlichkeit wird mit einem sexuellen Verbot gleichgesetzt. Der Sohn lernt, mit seiner Lust, zu der er auch noch verführt wird, Schrecken hervorzurufen. Auch wenn die Jungen in einer Lebensphase etwa mit 2 bis 3 Jahren sich ständig an das Glied fassen, um sich ihres Gliedes und ihrer Männlichkeit zu vergewissern, bekommen sie von den Eltern eins auf die Finger, so daß ihr Glied ein Tabu wird. Manche Kulturen haben diesen Zwiespalt bei den Jungen mit der Beschneidung gelöst. Andere Kulturen, vor allem im mittleren afrikanischen Gürtel, beschneiden rituell sogar ihre Töchter, um die sexuelle Lust abzutöten und anständige und treue Ehefrauen zu erhalten. Dahinter steckt die ethnische Überzeugung, daß Frauen mannstoll und sexbesessen sind.

 

Vor allem, wenn in einer traumatisierten Familie die Kinder sich vollkommen nach den Wünschen der Eltern richten, brave und pflegeleichte Kinder sind, im Bestreben, doch noch die narzißtischen Gratifikationen in Liebe und Anerkennung zu erhalten, beanspruchen die Kinder diese umso mehr, haften an der Erfüllung und dadurch an den Eltern und bleiben frustriert und narzißtisch gekränkt bei Nichterfüllung zurück. Auf das spätere Leben übertragen versuchen sie den Erwartungen des Umfeldes, Partnern, Freunden, am Arbeitsplatz gerecht zu werden nach ihren Erwartungen, die den Erfahrungen aus dem frühen Umfeld entspringen, den Partnern wie gegenüber der Mutter und den Eltern, beziehungsweise der jeweiligen Familienkultur. Die Tragik ist, dass die gegenseitigen Erwartungen sich nicht unbedingt entsprechen, oft diese als selbstverständlich unausgesprochen bleiben und Missverständnisse vorprogrammiert sind. Für ihre Bemühungen gehen die so geprägten späteren Erwachsenen leer aus. „Undank ist der Welten Lohn“. Die narzißtische Kränkung bleibt oft als narzißtische Wut infolge des Wunsches unterdrückt, doch noch die Bedürfnisse erfüllt zu bekommen und die zwischenmenschliche Harmonie zu erhalten, kommt aber ebenso oft in aggressiven Durchbrüchen zum Ausdruck, und dann sind alle zerstritten

 

Wenn in der typischen Familienkonstellation die Mutter mit den Kindern zu Hause bleibt, der Vater in der Arbeit fern ist, dem trauten Heim ausgeschlossen ist, dann noch dazu ein Nähe- und Körperlichkeitstabu herrscht, das nur noch zur Zeugung durchbrochen wird, haben die Frau, oft genug als Folge auch der Mann, keine sexuelle Lust mehr, und es tritt eine vermehrte Entfremdung ein. Häufig greift sich die Mutter den Sohn zum Ersatzpartner oder der Vater die Tochter, die dann jeweils wichtiger sind als die Ehepartner. Rivalitäten, Eifersucht, Neid und Entwertungen von Mann und Frau und der jeweiligen Kinder sind die Folge. Der von der Mutter entwertete Vater muß aus Neid und Eifersucht den von der Mutter aufgebauten Sohn entwerten und schlachten, wovor ihn die Mutter wiederum schützen muß und dadurch den Ärger des Vaters steigert. Schließlich sind nicht alle Väter so friedfertig wie der Josef in der Heiligen Familie. Die Mutter projiziert ihre negativen Selbstanteile in die Tochter und schlachtet diese. Beide Kinder bemühen sich gerade infolge der Entwertungen um die Anerkennung der Eltern, wobei sie diese Achtung wiederum oft deswegen nicht erhalten, weil sie sich bemühen.

 

Ist nur ein Kind vorhanden, rivalisieren eventuell beide Eltern um dessen Gunst, und es wird dadurch überhöht. Sind mehrere Kinder vorhanden, werden die Rollen verteilt in den guten und schlechten Sohn, die guten und schlechten Töchter oder den tollen Sohn und die entwertete Tochter, die dann ihre Rollen im weiteren Leben als Erfolgreiche oder Versager leben. Von der Langlebigkeit von derartigen ödipalen Partnerschaftsverhältnissen mag die Aussage eines früheren Patienten zeugen, der schon lange weit weg wohnte und bei einem seiner gelegentlichen Besuche zu seinem quengelnden, mißlaunigen Vater sagte, „Wenn es Dir bei uns nicht gefällt…!“ Die Aussage des Sohnes offenbart, daß in seinen Augen in seiner Familie immer noch die Hauptachse Mutter und Sohn bilden. Dieses Verhältnis ist ebenfalls in der biblischen Heiligen Familie repräsentiert, wo der Sohn Jesus der Gott, die Mutter Maria jungfräulich ist und der Vater Josef eine duldende Hintergrundsrolle einnimmt, so dass sogar ein Pastor mir mit einer wegwerfenden Handbewegung sagte „Ach, der Josef, schwache Figur!“. In seiner Rolle als stolzer Geldverdiener finanziert der Vater diese häuslichen Verhältnisse. So sehr er sich auch bemüht, wie im Islam von Charlier beschrieben, autoritär und patriarchalisch klare Verhältnisse zu schaffen, im internen Bereich hat die Mutter einfach durch ihre vermehrte Anwesenheit das Sagen und ihm bleibt zu seiner Ehrenrettung nur die Außenrepräsentation. Der im Islam patriarchalische Vater repräsentiert wenigstens noch eine starke Rolle, die manchen Vätern in unserer westlichen Kultur verloren gegangen ist. Wir sind ja auch mehr vom Christentum und der Heiligen Familie inspiriert. In der neueren westlichen kulturellen Entwicklung übernehmen manche Väter in der Hausmannrolle die Mutterfunktion.

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In einem weiten Spektrum können hier nur einige Schicksalsverläufe angedeutet werden. Für traumatisierte Familien ist das Leben schwierig. Um klare Verhältnisse zu schaffen, sind das Patriarchat und wie im Islam die Geschlechtertrennung verführerisch, ob das nun der starke, autoritäre Vater, der Vater Staat oder ein Religionsführer sind, die den Weg und die Wahrheit verkörpern. Im Islam ist klar: Die Kinder sind bei der Mutter, der Sohn bleibt bis zum 6.Lebensjahr und kommt dann in die Männergesellschaft, nachdem er genügend basale Mutterliebe erfahren hat. Männer und Frauen bleiben unter sich, die Männer in der Arbeitswelt und im Cafe’, die Frauen im Heim, so daß es vermeintlich wenig Konflikte geben kann. Über die Schattenseiten hat Charlier berichtet. Im Migrationsprozeß und dem Aufeinanderprallen der Kulturen kann es wie im anfangs beschriebenen  Fallbeispiel passieren, dass bei der vermeintlich neu gewonnenen Freiheit auch die bei uns üblichen Schamgrenzen überschritten werden. Meine frühere Patientin scheint mir jedoch in diesem Spannungsfeld auf einem guten Weg zu sein.

 

Autor: Bernd Holstiege

Unter Mitarbeit von Claudia Schulmerich

E-Mail: bernd.holstiege@weltexpress.info

Abfassungsdatum: 10.12. 2007

Verwertung: Weltexpress

Quelle: www.weltexpress.info

Update: Berlin, 10.12. 2007