Über die teuflische Gabe des Menschen, sich in andere hineinversetzen zu können
Serie: Schmerz und Empathie - Geteiltes Leid, doppeltes Leid? (Teil 2/2)
"Urteile nie über einen Menschen, bevor du nicht eine Meile in seinen Schuhen gelaufen bist."
Frankfurt am Main (Weltexpress) - Eine junge Frau schilderte, sie leide an dem Leiden ihrer Mutter. Die sehe das Leben ihrer Tochter als verpfuscht an und leide deswegen schwer. Das erfahre sie, die Tochter, selbst als immenses eigenes Leid. Ich sah das Leben der Tochter durchaus als erfolgreich an, aber infolge der von der Mutter übernommenen Bewertungen und Normen und infolge des Leidens der Mutter erheblich getrübt. Die Mutter hatte ihre eigenen überhöhten Maßstäbe, gegenüber denen ihr eigenes Leben verpfuscht war, in die Tochter hinein gelegt, und es war schwer zu unterscheiden, wessen Leben, das der Tochter oder der Mutter, eigentlich verpfuscht war, in ihren Augen, das beider.
Im ersten Teil zu „Schmerz und Empathie“ habe ich mich nach einer Einführung mit ausgewählten Ergebnissen der Schmerzforschung und eigenen Stellungnahmen auseinander gesetzt. Neben der Schmerzforschung beschäftigt mich vor allem die Frage, unter welchen Bedingungen das Mitgefühl, das ja den Leidenden entlasten und zum halben Leid führen soll, inwieweit also die Empathie stattdessen zu einem Leid des ursprünglich Nichtbetroffenen und somit zu einem doppelten Leid führen kann. Über die Empathie mit dem Leidenden kann demnach der ursprünglich Nichtbetroffene zu tiefem Leid gelangen, was denn zu einer Steigerung des Leidens des eigentlich Betroffenen und einer gegenseitigen und gemeinsamen Schmerzspirale führen kann. Meine Erklärung dafür und mein Zugang zu dem Phänomen sind die Vorerfahrungen von Schmerz und Leid, die jeder hat und die in jede neue Situation miteingebracht werden, ohne dass dies bewusst wäre. Diesen zwanghaften, automatisierten Ablauf nennt man die (Psycho)Traumatisierung.
Die Traumatisierung führt zur Reduzierung oder gar Aufhebung der Differenzierungen, des gesamten Unterscheidungsvermögens, und zwar innerhalb einer Person als auch zwischen den Menschen, also zu einer Aufhebung der zwischenmenschlichen Grenzen. Die Erfahrung von Schmerz und Leid, sowohl als körperliches Leid, wie Misshandlungen und sexueller Missbrauch, als auch als seelisches Leid, wie Entwürdigung, Demütigung, Verachtung, Schande, Peinlichkeit, gräbt sich gleichsam in die Nervenzellen ein, prägt deren Verästelungen und Verbindungen und engt neurobiologisch die Plastizität des Gehirns ein. Der ursprünglich seelische Vorgang wird somit zu einem körperlichen Vorgang im Gehirn, den Nervenbahnen und deren Adressen im Körper wie die Blutgefäße, Muskulatur, Schweißdrüsen, Wahrnehmungsorgane und die Hormonproduktion.
Kurz möchte ich einige Charakteristika der Traumatisierung aufzeigen. Im traumatisierten Zustand gehen Wahrnehmung und Dimension der Zeit verloren, das Trauma wird zeitlos. Die Prägung aus früheren Zeiten und unter anderen Umständen wird zur Bedrohung für alle Zeiten, oft unter ganz anderen Bedingungen und Umständen. Der Teufel wird an die Wand gemalt oder aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Diese Katastrophisierung findet oft in einer Linearität statt, so dass alles nur noch schlimmer werden kann. Es kann nicht mehr das Auf und Ab im Leben, der Wechsel gesehen werden. Beispielsweise wird unterstellt, daß schon in der Jugend aufgetretenes Leid mit zunehmendem Alter nur noch schlimmer werden kann. Das Teuflische ist auch, dass nach diesen Entwürfen gehandelt wird. Durch die Handlungsumsetzung können die Erwartungen, Antizipationen oder Prophezeiungen sich bestätigen (selfful prophecy). Der Mensch fühlt sich bestätigt, hat wieder einmal recht gehabt und dadurch schmerzt der Zukunftsentwurf umso mehr. Diese Bestätigung des schon Erwarteten verstärkt und zementiert den Schmerz. Der an Schmerzen Leidende ist völlig seinen Bedrohungen und daraus resultierenden Handlungen ausgeliefert.
Nur überraschende neue Erfahrungen in einem unerwarteten Kontext können ihm helfen, aber auch nur dann, wenn er nicht so fixiert ist, das Neue negieren zu müssen. Diese neuen Erfahrungen sind jedoch nicht programmierbar. Wegen der Katastrophisierung ist es für den Traumatisierten so wichtig, in den Unwägbarkeiten des Lebens alles genau zu kontrollieren, zu planen und zu programmieren. Mögliches Unvorhergesehenes stellt eine erneute Bedrohung dar. Dabei geht sämtliche Spontaneität und Offenheit verloren.
Innerhalb einer traumatisierten Person entsteht automatisch sozusagen als Schutz vor der Bedrohung ein grenzenloses Gegenbild der Größe, Stärke, Omnipotenz und der Unversehrtheit, ähnlich wie durch die Existenz der Hölle ein Gegenbild eines Himmels, eines Schlaraffenlandes oder Paradieses entsteht. Das ist ein menschlicher Automatismus. Gegenüber diesem Phantom der Unversehrtheit steigern sich die Schwäche und Leiden zu einem noch intensiveren Leiden. Ein treffendes Beispiel ist der Phantomschmerz. Das verlorene Glied könnte eigentlich nicht mehr schmerzen. Aber die Bedeutung des Verlustes und der Unversehrtheit des eigenen Körpers tauchen wiederum als schmerzendes inneres Phantom im Erleben auf und werden als schmerzendes Glied real wahrgenommen. Da bei jedem neuen Schmerz die alten Erfahrungen von Schmerz, die längst überwunden schienen, überprüft werden und diese mit einfließen, könnte man insofern viele Schmerzen als Phantomschmerzen auffassen. Transgenerationell kann der Schmerz von Vorfahren, Ahnen – deswegen der Ahnenkult in vielen Kulturen – in den Nachkommen nacherlebt werden und als späteres Phantom im Leid und Schmerz auftauchen.
Zwischenmenschlich kann durch das Hineinversetzen in das Leid des anderen der empathisch Mitleidende nicht mehr die Differenz in den Wahrnehmungen beider Personen fühlen und erkennen. Eigenes früheres Leid wird in den anderen hineingesehen. Mit sich selbst leidet er im anderen und macht sich diesen zu eigen. Das gilt für beide Seiten. Wenn der eigentlich Nichtbetroffene von katastrophalen Vorerfahrungen geprägt ist, schwingt er anders und eventuell intensiver mit als der Leidende selbst. Manches vermeintliche Leid anderer wird zum größten eigenen Leid. Sind beide traumatisiert, wie oft nächste Angehörige, kann dieser Vorgang zu einer Leidensspirale führen. Gerade Traumatisierte haben schwerwiegend und hilflos gelitten, können daraufhin nicht differenzieren, sehen ihr ursprüngliches Leiden in die Nächsten, manchmal sogar in die ganze Welt, hinein und nehmen diese wieder in sich auf. Die eigene Hilflosigkeit ist dabei ein zentrales Element, die in Gegenseitigkeit wahrgenommen wird. Die Tragik ist: Das Leiden am Leiden anderer führt zu einer weiteren Traumatisierung. In Eltern-Kind-Beziehungen besteht durch die gemeinsame Prägung eine Seelenverwandschaft, also eine Gemeinsamkeit in der Leidenswahrnehmung, wodurch die Leidensunterschiede umso weniger wahrgenommen werden. Ähnlich kann es in Partnerschaften geschehen, in denen oft gerade durch die Seelenverwandschaft Nähe und Liebe entsteht. Hinzu kommt, Familie bedeutet nach unseren kulturellen Normen eine besondere Verantwortlichkeit für die nächsten Angehörigen. Durch die intensive Nähe sind Grenzziehungen umso weniger möglich.
Dazu zwei Beispiele: 1. Erwachsene Kinder dementer Eltern leiden oft dadurch mit, daß sie die Maßstäbe und Entfaltungswünsche der jüngeren Generation in die Alten hineinversetzen. Sie selbst würden unter diesen Bedingungen leiden, aber die Alten haben je nach Art der Demenz nicht mehr die neurologischen Voraussetzungen, ihren Zustand wahrzunehmen, und wollen meist nicht mehr als ihre Ruhe. Hinzu kommt das kulturelle Gesetz für Kinder, alles tun zu müssen, um ihnen zu helfen. Die Hilfsaktivitäten überfordern die Jungen und vermehren ihr Leid, während die Alten wiederum gerade dadurch gestört und überfordert sein können.
2. An einer früheren Patientin wurden mir diese Zusammenhänge der „falschen“ Empathie besonders deutlich. Ihr Kind war nach einem frühkindlichem Atemstillstand schwerst neurologisch geschädigt. Es konnte weder gehen, stehen, sprechen, kaum sehen und hören. Die Mutter litt schwer unter der Vorstellung des späteren Leidens des Kindes, nämlich daß dieses nicht mit anderen Kindern spielen, in der Schule nicht mithalten könnte, sich lächerlich machen und gehänselt würde, entsprechend ihren eigenen kindlichen und späteren Ängsten aus ihrem eigenen Leben. Ich war jedoch überzeugt, dass das Kind all dies später aufgrund seiner schwersten Behinderungen gar nicht wahrnehmen und analysieren und deshalb gar nicht selbst erfahren würde. Aber die Spannungen der Mutter übertrugen sich sicherlich auf das Kind, und es litt unter diesen.
Der gemeinsame Schmerz kann unterschiedliche Verläufe je nach den Bedingungen der Beziehung erfahren. Ich habe bereits oben die schroffe Abgrenzung und Abwehr des Mitleids – Mitleid ist für viele das Allerschlimmste in ihrem Leid - erwähnt, wenn der Mitbetroffene noch stärker und in anderer Form leidet. Den Hintergrund sehe ich darin, dass der Leidende sich nicht verstanden fühlt, fehl wahrgenommen oder sich gar vor einer Bemächtigung seines Leidens fürchtet. Für die falsche Empathie kann er empfänglich sein, und diese mag seine eigene Schmerzwahrnehmung verändern und verzerren. Er ist nicht mehr er selbst in seinem Schmerz. Diese schroffe Ablehnung kann aus der aktuellen Situation infolge der Kenntnis des Partners, aber auch aus früheren Erfahrungen stammen und in der jetzigen Situation völlig inadäquat sein. Er kann unter einem falschen Mitschwingen leiden, obwohl er gut verstanden wird. Diese Ablehnung dient der Abgrenzung von der Schmerzspirale, wo beide so schön im Schmerz vereint wären. Auch stellt der Mitleidende oft keine gute Hilfe dar.
Beziehungspartner stehen nicht immer gut zueinander. Sie haben oft zwischenmenschliche Probleme. Wenn sich der Partner schwächer, unterlegen, ungerecht behandelt oder benachteiligt vorkommt, noch Rechnungen offen hat, kann er Schadenfreude, eine Befriedigung seiner Rachsucht und einen Triumph erleben „geschieht dem recht!, hab’ ich Dir doch gleich gesagt!“, so daß ein narzißtischer Ausgleich oder eine Überlegenheit entsteht. Dieser Gewinn statt eines leidenden Mitgefühls ist tabuisiert und findet deswegen oft auf tieferen unbewußten Ebenen statt, oft aber auch ganz offen. Diesen „Gewinn“ wiederum gönnt der Leidende dem anderen nicht. So mag er versuchen, seine Leiden zu verheimlichen. Dann kann aus dem Leid ein Versteckenspiel entstehen. Oft ist das Mitleiden eine Strafe, womit sich der Leidende am anderen rächen kann, also eine Form des Masochismus. „Geschieht meinem Partner recht, dass ich so leide!“ – eigenes Leiden als Strafe für den anderen. Man kann sehen, die Empathie ist eine teuflische, verzwickte Sache, so daß es kein Wunder ist, daß viele von dieser Seite der Psyche besser nichts wissen wollen.
In unserem kulturellen Normenkatalog sind das Nichtmitleidenkönnen oder –wollen des Teufels und die größte Sünde. Die Vorwürfe mögen Unsensibilität oder Hartherzigkeit sein. Es kann eine doppelte Beziehungsfalle entstehen, zum einen wird Mitleid heftig gefordert, zum anderen kann es aus oben erwähnten Gründen vehement abgewehrt werden. Auf jeden Fall resultieren dadurch zwangsläufig Schuldgefühle und durch diese wiederum Leiden, so daß der Leidensspirale in einer traumatisierten Beziehung nicht zu entkommen ist. Die Normen, Regeln und Gesetze, die ursprünglich der Abwehr von Widersprüchen, Chaos und Diffusion dienten, können zur erneuten Bedrohung werden. Ein Ehemann, der sich bei der Krebserkrankung seiner Frau weit ins Ausland absetzte und erklärte, er sei bereit, die Beziehung fortzusetzen, wenn sie sich gefangen habe und es ihr besser gehe, erntete im Umfeld tiefste Empörung über seine Kaltherzigkeit und Verantwortungslosigkeit. Ich weiß nicht, ob er ihr durch sein abgrenzendes Verhalten in ihrem Genesungsprozeß nützlich war, vorstellbar wäre es dadurch, dass sie sich auf ihre eigenen Kräfte besann, nicht mehr allzu viel von seiner Empathie erhoffte oder noch mehr verzweifelte – je nach ihren verbliebenen Fähigkeiten und Ressourcen.
In einer psychotherapeutischen Beziehung wird der Vorgang des Mitschwingens Gegenübertragung genannt. Die Kunst des Therapeuten ist es, bei dem Mitschwingen sozusagen auf Probe, der Probeidentifikation zu bleiben, nicht das Leiden zu übernehmen, aber in der partiellen Identifikation auf dem Weg über sich selbst und das eigene innere Mitgehen einen Einblick in das Geschehen und Innenleben des Leidenden zu erhalten und diesen dadurch zu verstehen. Eine solche Haltung wäre für jeden Menschen zu empfehlen, ist aber leider unrealistisch, da die meisten anders gestrickt sind. Aber leider sind Psychotherapeuten und –analytiker auch keine „Übermenschen“, unterliegen denselben menschlichen Prägungen und Mechanismen. Den Fall der oben erwähnten Empörung erlebte ich bei einer Falldarstellung im Psychoanalytikerkreis. Die Empathie spielt sich auf einer tieferen, oft unbewußten Ebene ab, die nur schwer mit dem Verstand, der Vernunft oder einer gründlichen Lehranalyse beherrschbar sind.
Sicher läuft das Geschehen einfach ab, und der Kranke kann infolge seiner Prägungen nichts für seine Krankheit. Pragmatisch gesehen führt der Hinweis auf die Psyche oft nicht weiter. Es wird oft eine Stigmatisierung in dem Wort „Psyche“ gesehen, mit dem Wort in Verbindung gebracht, selbst schuld, verrückt oder ein eingebildeter Kranker zu sein, so daß die Leidenden zusätzlich traumatisiert werden. Ein wesentlicher weiterer Faktor der Schmerzverstärkung ist, dass die Leidenden, bei denen von Psyche geredet und organisch nichts ausreichend Erklärendes zu finden ist, in einen Legitimationsdruck geraten, sich selbst und dem Umfeld zu beweisen, dass sie krank sind. - Ich weise nochmals auf den Tatbestand hin, dass auch psychische und psychosomatische Krankheiten auf der Ebene der Hirnzellen und deren Vernetzungen organische Krankheiten sind. Es ist nur eine Frage der Untersuchungsmethoden. - Die Stigmatisierung und der Legitimationsdruck verstärken das Leiden. Auch werden viele Ärzte von Patienten gemieden, wenn sie dieses „Teufelswort“ nur in den Mund nehmen. Ich selbst wurde schon von chronisch Schmerzkranken aufgesucht, um ihnen zu bestätigen, dass ihre Schmerzen nicht psychisch bedingt, sie nicht psychisch krank seien. Verständlich ist die Abwehr des Wortes „Psyche“ bei Ärzten und Patienten auch deshalb, weil, wie oben ausgeführt und von E. Pöppel als zwingend anerkannt, die Schmerzwahrnehmung von kulturellen Prägungen, also den Erfahrungen der Ahnen, die wie Geister und Phantome später wieder auftauchen, bestimmt wird. Das ist nun mal so und sollte akzeptiert werden.
Wegen dieses Legitimationsdrucks und der Stigmatisierung, vor allem wenn organisch – früher sprach man ärztlicherseits von vegetativer Dystonie, heute von somatoformen Beschwerden oder Somatisierungsstörungen - nichts festgestellt werden kann, und der Schmerzkranke trotzdem leidet, besteht der Run zu organisch fassbaren Krankheiten. Die Phantome der Vergangenheit im ungeheuren Erfahrungsschatz des menschlichen Gehirns sind meist nicht fassbar, der Kranke will von ihnen nichts wissen, verdrängt und verleugnet. Diese Verdrängungen laufen unbewusst automatisch und für den Kranken nicht wahrnehmbar ab. Sie zeigen sich oft nur in der Symptomatik und in ihr in der Körpersprache, lassen dadurch Rückschlüsse auf früher zu. Der Hintergrund ist immer unangenehm, ungewiß und macht Angst. Das Zentrum jeglicher Schmerzen und Traumatisierungen, und starke Schmerzen stellen wiederum eine Traumatisierung dar, die ihren Gesetzen folgt, ist die Hilflosigkeit. Jede Hilfe schafft Hoffnung, wenn sie in das Schema von Hilfe des Betroffenen passt. Eine klare, eindeutige, unanfechtbare organische Diagnose mit einem erfolgsversprechenden Behandlungsplan schafft Hoffnung, beruhigt, entspannt und lässt der Selbstheilungstendenz Raum.
Durch diese Stigmatisierung werden Hilfsmöglichkeiten außer acht gelassen. Diese müssen ja nicht ausdrücklich als Psychotherapie deklariert werden, sondern können als Hinweise oder Erklärungen der Zusammenhänge und Hintergründe in die übrige Behandlung (wie Spritzen, Akkupunktur, Massage oder Krankengymnastik) eingebettet sein. Kurz skizziert ergeben sich diese Hinweise aus dem oben Beschriebenen. Die Behandler, nicht nur Ärzte, auch medizinisches Hilfspersonal, können auf die kulturellen und kindlichen Prägungen hinweisen, die anderen Umstände von früher und heute, die Neigung, immer gleich das Schlimmste zu sehen, frühere positive Erfahrungen herausarbeiten, somit die Unterschiede der Erfahrungen für den Patienten wahrnehmbar zu machen, das Auf und Ab im Leben, dass nicht gleich alles schlimmer werden muß. Gespräche mit den Schmerzpartnern mit Hinweisen auf die unterschiedliche Wahrnehmung können nützlich sein. Das Wichtigste ist, dass der Patient sich akzeptiert und ernst genommen, somit in der Beziehung geborgen fühlt, Hilfe gegen die Hilflosigkeit erlebt und ihm Hoffnung vermittelt wird. Aber sicherlich sind viele Schmerzkranke für Gespräche und Hinweise unzugänglich, so dass nur noch als Hilfsmittel die Medikamentengabe übrig bleibt oder auch alle anderen Maßnahmen nicht helfen. Das hat seine Gründe in ihren starren kulturellen Prägungen, für die sie nichts können. Aber auch dann können Veränderungen äußerer Umstände etwas bewirken. Dazu ein Beispiel: Anfangs arbeitete ich als junger Assistent bei einem praktischen Arzt. Täglich besuchte ich eine 80jährige alte Dame, die nur noch im Bett lag, angeblich herzkrank, der ich auf Geheiß täglich eine Spritze Strophantin verabreichte (heute völlig unüblich, da wirkungslos). Nur ihr gut fühlbarer langsamer Puls ließ mich auf andere Gedanken kommen. Die Spritzen stellten wir dann wegen Erfolglosigkeit ein. Einige Wochen später traf ich einen Familienangehörigen und fragte ihn nach der Oma. Er berichtete, ihr gehe es gut, sie sei wieder aufgestanden, da ihr Sohn sich mit ihr versöhnt habe. Sie war tatsächlich herzkrank – im übertragenen Sinne.
Weitere Artikel zum menschlichen Geist und der Traumatisierung im Archiv (unter Suchen Bernd Holstiege eingeben).
Ein Überblick, wie Geist, Körper, Seele und Gesundheit zusammen hängen
Über die Auswirkungen der Traumatisierung
Wie kann der menschliche Geist, ein nicht körperliches Wesen, wie ein Körper oder Gegenstand verletzt werden?
Neurobiologische Erkenntnisse, Teil 1 und 2
Artikel über griechische Mythen, deutsche Märchen und Aspekte der Bibel aus der Traumaperspektive
150 Jahre Sigmund Freud, Teil 1 und 2
Autor: Bernd Holstiege
Unter Mitarbeit von Claudia Schulmerich
E-Mail: bernd.holstiege@weltexpress.info
Abfassungsdatum: 30.06. 2007
Foto: © Weltexpress
Verwertung: Weltexpress
Quelle: www.weltexpress.info
Update: Berlin, 30.06. 2007